10.11.2015 Dr. Dima Zito, PSZ Düsseldorf Therapie für traumatisierte Flüchtlinge? Trauma und Flucht ► Zugang eingeschränkt Asyl.LG, Gesundheitskarte nach 15 Monaten Bewilligung von Psychotherapie, Zugang zu TherapeutInnen, mangelnde Übernahme von Dolmetscherkosten • Bundespsychotherapeutenkammer: • Jede 2. Flüchtling psych. Krank, nur 4% in Behandlung • 40.000 – 80.000 Flüchtlinge brauchen Therapie 26 PSZs bundesweit • • ca. 4.000 KlientInnen jährlich, weitere PSZs in Gründung Bild: dpa Weitere Unterstützung, Qualifizierung etc. nötig… Fortbildung für pädagogische Fachkräfte zum Umgang mit traumatisierten Flüchtlingsfrauen. Essen, 09.11.2015 Traumabearbeitung? Traumatherapie ►Meist schulenübergreifende, integrative Herangehensweise ►3 idealtypische Phasen: Stabilisierung Traumabearbeitung Integration ► ► über Konfrontation mit ähnlichen Reizen (Bilder, Gerüche…) werden Erinnerungen gekoppelt mit entsprechenden Gefühlen ausgelöst ► ► von nicht-therapeutischen Fachkräften ► Stabilisierung! ►Rolle Integration Nur in der Therapie und bei ausreichender Stabilisierung (keine Überflutung bei Konfrontation) mit spezifischen Verfahren sinnvoll, da unverarbeitete Traumatisierungen immer wieder getriggert werden können: Traumabearbeitung: traumatische Situation wird kontrolliert wieder durchlebt isoliert voneinander gespeicherte Elemente sollen zusammengefügt werden Erinnerungsbilder, Gefühle, Körperempfindungen und Gedanken ► traumatische Erfahrungen können weiter verarbeitet und als Vergangenheit gespeichert werden. Was können Sie selbst tun? ► Integration der traumatischen Ereignisse in Lebensgeschichte Traumatische Erfahrung (Ausgeliefertsein, Todesnähe…) wird nicht auf gesamte Existenz verallgemeinert als örtlich und zeitlich begrenzte schreckliche Erlebnisse in der Vergangenheit eingeordnet ► betrauern und abschließen ein positives Selbst- und Weltbildes ► Energien auf Gegenwart und Zukunftsperspektiven richten Stabilisierung! ► Wiederaufbau 1 10.11.2015 Traumasensible Haltung ► Traumatisierung kann sich auf alle Lebensbereiche auswirken soziale, emotionale, kognitive, sensorische Kompetenzen Verhaltensauffälligkeiten (z.B. Vermeidung, Konzentrationsschwierigkeiten, Antrieblosigkeit…) ► Verstehensorientierter Zugang heißt nicht, „mit allem einverstanden sein“ gemeinsam mit KlientIn Hintergründe problematischen Verhaltens entschlüsseln an der Wurzel, nicht am Symptom ansetzen Konzept des „guten Grundes“ ► Menschen verhalten sich immer aus Bedürfnissen heraus Auffälligkeiten nicht als Störung, sondern als Ausdruck von Bedürfnissen Welche Grundbedürfnisse, die aktuell oder biographisch nicht befriedigt wurden, kommen im Symptom zum Ausdruck? Handlungsziele zur Beseitigung des Mangels ableiten Scherwath/Friedrich 2012 Konzept des „guten Grundes“ ► Hinter jedem Verhalten steckt eine positive Absicht Perspektivwechsel: Aufmerksamkeit von (negativen) Auswirkungen zu inneren Zielen der Person ► bei traumabasierter Symptomatik oft Wiedererlangen von Kontrolle Schutz vor neuen Gefahren Vermeidung von Schmerz Überlebenssicherung ► Absicht / Ziele würdigen um Veränderung zu ermöglichen „Was versucht jemand mit diesem Verhalten für sich zu erreichen?“ Verhaltensänderungen nur möglich, wenn Alternativen gefunden: Sinnhaftes Einordnen, dann Alternativen suchen Scherwath/Friedrich 2012 Sicherheit Scherwath/Friedrich 2012 Traumapädagogische Leitlinien ► Herstellen von Sicherheit Bei Flüchtlingen erschwert (Aufenthalt, Wohnsituation…) ► Reduzieren von Stress Hypervigilanz als Traumafolge ► Sichere Bindung Voraussetzung für Lern- und Entwicklungsprozesse ► Unterstützung positiver Selbstbilder Trauma: tief verankerte Selbstüberzeugung von Ohnmacht/Hilflosigkeit evtl. Kompensation durch Aggressivität/Machtstreben Entwicklung von Selbstakzeptanz, Selbstwirksamkeitskonzepten ► Ressourcenorientierung Scherwath/Friedrich 2012 Sicherheit: Sichere Orte schaffen… ► Trauma erschüttert Selbst- und Weltvertrauen Umgebung als Ort potentieller Gefahr ► Erfahrungsabhängige Erwartungshaltung permanenten Aktivierung des Alarm- und Stresssystems des Organismus ► Äußere Sicherheit als Voraussetzung für innere Sicherheit Scherwath/Friedrich 2012 2 10.11.2015 Einrichtung als „sicherer Ort“ ► Strukturelle Klarheit Trauma: Unberechenbarkeit, Kontrollverlust Bedürfnis nach Einschätzbarkeit, Kontrollierbarkeit maximale Transparenz: Verbindliche Regeln, Einhaltung von Absprachen, klare Zeitstrukturen, Erreichbarkeit… ► Atmosphäre Wertschätzung, Offenheit, Unterstützung ► Räume räumliche Atmosphäre hat Auswirkungen auf Wohlbefinden Räume als Spiegel oder Gegengewicht der Innenwelt „Heile Räume“, Geborgenheit vermitteln… Praxistransfer: Reflektion der eigenen Einrichtung als „sicherer Ort“ ► Kleingruppen (2 bis 4 Personen): ► Was ist gut? Was ist schwierig? ► Welche Verbesserungen sind machbar? ► Strukturelle Klarheit Transparenz: Regeln, Einhaltung von Absprachen, Zeitstrukturen, Erreichbarkeit… ► Atmosphäre ► Räume ► Gewaltfreiheit ► Gewaltfreiheit ► Feedbackrunde (Äußere) Sicherheit herstellen soziale und physische keine psychische Stabilisierung ► Relevante Bereiche Von der äußeren zur „inneren Sicherheit“ ► Ohne Aufenthalt, Unterbringung Tagesstruktur, Schule, Ausbildung Behandlung eventueller körperlicher Erkrankungen, Infektionen oder Verletzungen Soziales Umfeld (Sportverein, Gemeinde etc.) ► Alternativen finden für selbstschädigende Lösungsversuche ► Traumatisierung als Kontrollverlust Ziel: Wiedergewinnung von Handlungsmacht, Selbstwirksamkeit ► Unterstützung, individuell besser mit den traumatypischen Belastungen umzugehen Übungen erlernen, „Handwerkzeug“ zur Selbstregulation z.B. Substanzmissbrauch, selbstverletzendes Verhalten, Essstörungen Therapie? Umgang mit belastenden Gefühlen ► Sicherheit und Ruhe vermitteln ► Orientierung in der Gegenwart Zeit und Ort Kontakt herstellen (Berührung klären) Wahrnehmung auf Gegenwart fokussieren Sinneswahrnehmungen (Aufstehen, Füße auf Boden, Gesicht waschen, Trinken…) Berührung (Igelball kneten, Muskeln…) wichtig: immer erklären! Strategien zur Distanzierung und Selbstberuhigung ►Reorientierungsübungen 5-4-3-2-1 Dinge, die ich sehe, höre, spüre… ►Beruhigungsübung 10 – 0 Atem- und Konzentrationsübung ►Atemübungen Bauch-Atmung / Nasen-Wechsel-Atmung 3 10.11.2015 Übungen ► Imaginationsübungen knüpft an Tendenz/Fähigkeit zu inneren Bildern an Gezielt nutzen um anstelle der negativen Erinnerungsbilder positive Bilder und Gefühle heraufzubeschwören Wenn es keinen realen sicheren Ort gibt (z.B. bei Flüchtlingen in Sammelunterkünften/Lagern) ist Imagination schwierig ►Konkreter Ort (z.B. Beratungszimmer) als sicherer Ort ► Achtsamkeitsübungen Wahrnehmung der Gegenwart, von sich selbst verbessern (z.B. Huber 2005) Strategien zur Distanzierung und Selbstberuhigung ►Körperübungen ►Bewegungen in Stresssituationen ►Energie und Spannung abbauen ►Aufstehen, Rumlaufen, mit den Füßen stampfen, Arme schwingen, Dehnen und Strecken, Handflächen/Fingerspitzen zusammendrücken, ►PMR Sichere Bindung Fragen? Fachkraft als „sicherer Hafen“ ► Trauma: Vertrauen in die Welt, andere Menschen als Quelle von Schutz und Sicherheit beschädigt ► Bindungssystem zeitlebens offen und lernfähig Möglichkeit, alte Erfahrungen zu überwinden, neue zu adaptieren ► Sichere Bindung Schutzfaktor psychischer Widerstandkraft Grundlage für erfolgreiches Lernen beruhigtes Bindungssystem setzt Kräfte zur Welterkundung und Selbstentfaltung frei ► „Professionelle Nähe“ als Kontrapunkt „professioneller Distanz“ impliziert Selbstfürsorge und Selbstschutzstrategien ► „Verdiente sichere Bindung“ als Heilung Fachkraft als Bindungsperson und fürsorgliches Introjekt ► Resilienzforschung: Sichere Bindung zu mindestenz einer Bezugsperson = zentraler Schutzfaktor ► Frühkindliche Bindungsentwicklung zu primärer Bezugsperson Positive Bindungserfahrungen auf andere übertragen ► Kompensatorische, „verdiente sichere Bindungen“ innere Repräsentanz, positives Introjekt eines fürsorglichen Persönlichkeitsanteils Weg zu autonomer Entwicklung, emotionaler Sicherheit im inneren System 4 10.11.2015 Personale Kompetenzen und Voraussetzungen Unterstützung positiver Selbstbilder ► Herzlichkeit Fähigkeit, Feinfühligkeit und Empathie aus vollem Herzen zur Verfügung zu stellen ► Emotionale Verfügbarkeit Fähigkeit, dem Anderen Raum und Aufmerksamkeit zu geben, ohne sich von eigenen inneren Vorgängen zu stark ablenken oder beeinträchtigen zu lassen ► Selbst- und Stressregulation Eigene Impulse und Affekte wahrnehmen nur „ausleben“, wenn im Prozess hilfreich ► Selbstreflektion Bereitschaft, eigene Anteile und Trigger zu versorgen Be- und Verarbeitung eigener Traumata (Scherwath/Friedrich 2012) Positive Erfahrungen ► Positive Erfahrungen ermöglichen Ausgleichende Erfahrungen zu negativen Erlebnissen Schöne Erlebnisse organisieren (Freizeit, Ausflüge…) ► „Gute Bilder“ Belastende Erinnerungsbilder vom äußeren guten Bild zum inneren Zugang zu schönen Bildern (Fotos, Kunst, Geschichten, Filme…) ► Partizipation Trauma = Ausgeliefertsein Möglichkeiten, (mit) zu entscheiden Praxistransfer/Reflektion: Welche positiven Erfahrungen kann ich ermöglichen? ► Spontane Ideen/Brainstorming muss nicht alles abdecken Was wäre leicht? ► Partizipation Wo sind Mitbestimmungsmöglichkeiten denkbar? ► Schöne Erlebnisse Was könnten wir anbieten / organisieren? ► „Gute Bilder“ Fotos, Kunst, Geschichten, Filme… Können wir Zugang ermöglichen? Ressourcenorientierung: 5 Sinne Ressourcenorientierung 5 10.11.2015 Welche Bilder, Aussichten, Farben, Filme regen mich an, tun mir gut? Welche Klänge, Lieder, Musik tun mir gut, beruhigen oder beleben mich? Sehen Hören Hören Welche Geschmacksreize (Lebensmittel, Getränke, Gewürze) trösten mich, beruhigen mich, regen mich an…? Welche Düfte sind wohltuend (beruhigen mich / regen mich an…)? Schmecken Schmecken Riechen Sehen Sehen Hören Hören Welche Körperempfindungen und Bewegungen tun mir gut? Schmecken Riechen Schmecken Riechen Sehen Spüren Sehen Spüren Hören Welche Aktivitäten tun mir gut? Aktivitäten Hören 6 10.11.2015 Ressourcenarten ► Was können Sie für sich und mit Ihren KlientInnen entdecken / fördern? ► = alle Tätigkeiten, die die eigene Energie und Kreativität in den Fluss bringen, bei denen sich die Person als effektiv und kreativ erleben kann, z.B. Werthaltungen ► Überdauernde Orientierungsrahmen, die psychische Stabilität vermitteln, z.B. Religiosität Politische Überzeugungen Moralische Haltungen/Weltbilder (z.B. humanistisches Weltbild) Kochen Handwerkliches Nähen Garten Weitere Ressourcenarten Fragen? ► Soziale und familiäre Bindungen -pläne, Motivation ► Künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten, z.B ► Zukunftsorientierung/ Malen Musik machen Schreiben ► Körperorientierte Tätigkeiten, z.B. Sport, Tanz, Yoga ► Fazit: Alles, was innere und äußere Stabilität, Selbstwirksamkeit und einen Fluss der kreativen Energien ermöglicht. Selbstfürsorge Selbstfürsorge als Schutzfaktor ► Kein egoistisches Anliegen, sondern Voraussetzung professioneller KlientInnenArbeit 7 10.11.2015 Sekundäre Traumatisierung der Arbeit mit Traumatisierten Gefahr der „Ansteckung“ mit PTBS-Syptomatik ► „Sekundäre Traumatisierung ist nicht ein Zeichen mangelnder Proffessionalität, sondern ein Resultat traumatogener Informationsverarbeitung auf der Basis ausgeprägter Empathiefähigkeit“ (Daniels, Rein und raus aus der Arbeitsrolle ► In 2007) ► Screeningtest: www.sekundaertraumatisierung.de ►Symbolisierung der beruflichen Rolle Bei Betreten der Arbeit Kleidung, Schmuckstück, Uhr anlegen Beim Verlassen bewusst wieder ablegen ►„Gepäck ablegen“ auf dem Heimweg ►Distanzierungs- und Achtsamkeitsübungen Fragen? Vielen Dank für Ihre / Eure Aufmerksamkeit! 8
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