Giora Sternberg, Status Interaction during the Reign of Louis XIV

Francia­Recensio 2015/4
Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815)
Giora Sternberg, Status Interaction during the Reign of Louis XIV, Oxford (Oxford University Press) 2014, XIV–209 p., 11 ill. (Past & Present), ISBN 978­0­
19­964034­8, GBP 60,00.
rezensiert von/compte rendu rédigé par
Regine Maritz, Paris
Giora Sternbergs erste Monografie ist eine prägnante Studie zum höfischen Sozialgefüge in der Regierungszeit des Sonnenkönigs. Der Autor dekodiert minutiös eine Reihe von Zeichen und Ritualen, die zentral waren für die Aushandlung von Rang und Präzedenz unter den Aristokraten des französischen Hofes. Die von Sternberg untersuchten Momente der Statusinteraktion lassen sich in zwei Gruppen aufteilen: erstens außergewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse, die soziale Interaktionen nach sich zogen, die jeweils genauestens verhandelt werden mussten, sowie zweitens, einige alltägliche höfischen Situationen, für die das zeremonielle Protokoll zwar bereits Bestand hatte, die aber dennoch Möglichkeiten boten zur Manipulation und Verhandlung. Das herangezogene Quellenkorpus besteht hauptsächlich aus den Berichten der Zeremonienmeister Nicolas Sainctot und Charles Pot de Rhode, sowie Mitschriften in einschlägigen Publikationen, wie der »Gazette« und dem »Mercure galant«. Dazu kommen kapitelweise weitere Archivalien und natürlich viele Korrespondenzen.
Im ersten Kapitel wird die Heirat von Marie­Louise von Orléans, einer Nichte Ludwigs XIV., und Karl II. von Spanien im August des Jahres 1679 besprochen. Der enorme zeremonielle Aufwand zog hier natürlich entsprechend große Konflikte nach sich. Sternberg stützt sich auf die bereits genannten Quellen, wie auch einem außergewöhnlichem Briefaustausch zwischen dem Grand Condé und seinem Intendanten Jean Hérauld de Gourville, der nach Fontainebleau geschickt worden war, um die Interessen des Hauses während den Heiratsfestlichkeiten zu wahren. Dieser Austausch kam nur daher zu Stande, weil der Condé­Zweig der Bourbonen der Zeremonie nicht beiwohnte, da sie einen Disput darüber verloren hatten, wie ihnen die Feder überreicht werden sollte mit der sie den Heiratsvertrag unterzeichnen sollten. Damit wird auch schon ein erstes Merkmal dieser Ranginteraktionen sichtbar: Wenn ein Konflikt, um zeremonielle Rangmarkierungen zu Ungunsten eines Akteurs ausging, wurde oftmals eine gänzliche Vermeidung der Zeremonie als Taktik gewählt, um das Gesicht zu wahren und keine Präzedenzfälle für die Zukunft zu schaffen. Sternberg spricht nämlich auch hier bereits die Frage nach dem Nachleben von zeremoniellen Präzedenzfällen an. Gourville schaffte es, Abbé Dangeau zu überzeugen, nicht in der »Gazette« von der Affäre der plume zu berichten, aber Sainctot, der Zeremonienmeister, hielt die Begebenheiten im Detail fest, was die Vermeidungstaktik der princes du sang schließlich schwächte. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative­Commons­Lizenz Namensnennung­Keine kommerzielle Nutzung­Keine Bearbeitung (CC­BY­NC­ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
Die faszinierende Condé­Gourville­Korrespondenz kommt im zweiten Kapitel zur vollen Geltung, da sie direkte Verhandlungen zwischen dem Sonnenkönig und Gourville festhielt. Ausgehandelt wurde, welche Sitze den Prinzen von Geblüt (princes du sang) zugewiesen würden, wenn sie die frisch verheiratete Marie­Louise – mittlerweile Königin von Spanien – besuchten. Die Condés fürchteten, dass ihnen Stühle ohne Armlehnen zugewiesen werden würden, während die petits­enfants de France von diesem prestigeträchtigen Komfort profitieren würden. Gourvilles zahlreiche Briefe wurden im Zeitraum von nur vier Tagen geschrieben, wobei der König ihm mehrere Audienzen gewährte, was zugleich die Zentralität dieser Frage wie auch Ludwigs grundsätzliche Kompromissbereitschaft in dieser Sache beweist. Sternbergs Portrait des Sonnenkönigs ist durchweg weit entfernt vom klassischen Bild des absolutistischen Herrschers par excellence, der seine Höflinge mit eiserner Faust regierte. Obwohl es wahrscheinlich ist, dass die Condé als princes du sang schlussendlich mit einfachen Lehnstühlen vorliebnehmen mussten, wurde dies vom Zeremonienmeister doch nur in groben Zügen festgehalten. Laut Sternberg ist hierin möglicherweise ein Zugeständnis zu sehen, dass die harte Linie die plume betreffend aufwiegen sollte. Kapitel drei und vier setzen sich mit dem Tragen von Mänteln zur Markierung wichtiger Ereignisse, wie königlicher Hochzeiten und Trauerfeiern, auseinander. Zuerst identifiziert Sternberg die statuskommunizierenden Größen der Mäntel, nämlich die Länge der Schleppe, sowie ob und von wie vielen Trägern dieselbe getragen wurde. Hierbei tritt auch sehr deutlich die Ambivalenz einer solchen Rangkommunikation hervor, denn während für die princes du sang und später auch für die legitimierten Prinzen es ein großes Privileg war, königliche Hochzeitsmäntel zu tragen, so konnte die gleiche Handlung für andere Akteure erniedrigend sein. Beispielsweise gelang es dem Herzog Gaston von Orléans um 1666 nicht, einen Herzog zu finden, der gewillt war die Schleppe seiner Frau zum Begräbnis der Königinmutter zu tragen. Im vierten Kapitel untersucht Sternberg die Ranginteraktion in Besuchspraktiken, bei denen Mänteln eine große Rolle zukam und welche normalerweise auf einen Todesfall folgten. Dabei wird eine weitere wichtige Größe der symbolischen Interaktion deutlich: die Reziprozität. Der als unehelicher Sohn des Königs legitimierte Herzog von Maine instrumentalisierte diese Funktion um 1709, als er aus dem Anlass des Todes von Henri­Jules, dem ranghöchsten Condé­Prinzen, seinem Sohn einen Besuch in formellem Trauermantel abstattete. Obwohl die Condé­Familie scheinbar die Formalität des Verfahrens höflich zurückwies, bewegte sie dies doch dazu, den Besuch des Herzogs von Maine noch am selben Tag zu erwidern und zwar ausgestattet mit Zeremonialmänteln. So hatte es der legitimierte Prinz geschafft de facto so wie die princes du sang behandelt zu werden. Die verbleibenden Kapitel sind alltäglichen höfischen Zeremonien und Praktiken gewidmet, die keinen Eingang in die Aufzeichnungen der Zeremonienmeister fanden. Sternberg nähert sich zunächst dem Reichen der chemise über Korrespondenzen und vereinzelte Berichte in den einschlägigen Zeitungen. Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative­Commons­Lizenz Namensnennung­Keine kommerzielle Nutzung­Keine Bearbeitung (CC­BY­NC­ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
Beim Übergeben von chemise und serviette gab es keine Reziprozität, der Geber war dem Nehmer klar unterstellt. Während es für alle Aristokraten als Privileg galt, dem König solche Gegenstände zu überreichen, konnte die gleiche Handlung im Schlafzimmer eines anderen Adligen für manche Höflinge einen Gunstbeweis darstellen und für andere wiederum eine unwillkommene Ermahnung an ihren untergeordneten Status. Hier bringt Sternberg prägnante Kritik an Norbert Elias an, der davon ausging, dass solche Rituale bald zu leeren Routinen wurden, die sich allmählich ins Lächerliche steigerten. Für Sternberg ist hingegen klar, dass das Ritual zumindest zwei Zwecke erfüllte: Die primäre Funktion bestand darin, den König mit der gebührenden Ehrfurcht anzukleiden, während zweitens die Übergabe der chemise eine tägliche Möglichkeit bot, Statusunterschiede auszuhandeln und zu konsolidieren.
Im letzten Kapitel kommt Sternberg dann schließlich auf die höfische Briefkorrespondenz zu sprechen und analysiert dazu die verschiedenen Formen von Ehrentiteln und Subskriptionen mit denen Briefe eingeleitet bzw. geschlossen werden konnten. Daneben untersucht er die flexibleren Wege Respekt oder Gleichrangigkeit beim Schreiben durch die Wortwahl zum Ausdruck zu bringen, wie auch durch die materielle Komposition der Texte. Obwohl auch dieser Teil der Studie, wie alle anderen, hilfreich strukturiert und überaus lesbar geschrieben ist, kommt man an dieser Stelle nicht um das Gefühl umhin, dass dieser Untersuchungsgegenstand zu umfangreich ist, als dass er in knapp dreißig Seiten auch nur annähernd behandelt werden könnte. Das resultierende Bild bleibt zwangsläufig etwas fragmentarisch1. Dennoch argumentiert Sternberg einleuchtend, dass auch Statusmarker einer Art Inflation unterlagen, und dass wir daher das 18. Jahrhundert, allein aufgrund der höheren Anzahl von Gunstbezeugungen in Briefen, nicht leichtfertig als »höflicher« als die vorhergehende Zeit einstufen sollten. Denn sowohl in der diachronen wie auch der synchronen Betrachtung von Rangaushandlungen gilt es, das Prinzip von Relativität stets zu beachten.
Sternberg macht die Wichtigkeit von Symbolen, Rang und Präzedenz und ihre Aushandlungen vor allem an dem Aufstieg der legitimierten Prinzen fest. Seit den 1660er Jahren erhielten sie de facto immer mehr Ehrbeweise, teils durch den Willen des Königs, teils durch Eigeninitiative, wie im Falle des Herzogs von Maine im Kapitel zu Zeremonialmänteln deutlich wird (s.o.). Der Autor argumentiert überzeugend, dass Ludwig XIV. es sich niemals hätte erlauben können, seine legitimierten Kinder um 1714 in die Thronfolge aufzunehmen, wenn nicht diese zeremonielle »Vorarbeit« geleistet worden wäre. Sternbergs konzeptueller Ansatz wird dem deutschen und französischen Fachpublikum bereits aus den Studien von Barbara Stollberg­Rilinger und Fanny Cosandey 2 bekannt sein. Dennoch fehlt es Eine vertiefte Studie vom selben Autor liegt bereits vor: Giora Sternberg, Epistolary Ceremonial. Corresponding Status at the Time of Louis XIV. in: Past & Present 204 (2009), S. 33–88; offenbar verfolgt Sternberg diese Thematik auch weiterhin, denn laut seiner Homepage trägt sein aktuelles Forschungsprojekt den Titel »Writing Acts: The Power of Writing in the Ancien Régime«:
1 2 Siehe beispielsweise: Barbara Stollberg­Rilinger, Zeremoniell als politisches Verfahren. Rangordnung und Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative­Commons­Lizenz Namensnennung­Keine kommerzielle Nutzung­Keine Bearbeitung (CC­BY­NC­ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
seiner Arbeit nicht an Originalität und Argumentationsstärke. Dem Autor gelingt es, eine neue Perspektive auf die französische Hofgesellschaft zu eröffnen, und er gelangt so zu vielschichtigen Einsichten über die weitereichenden Auswirkungen dieser mikroperspektivischen Interaktionen. Sein Buch ist daher dem Interessierten Publikum ohne Vorbehalte zu empfehlen.
Rangstreit als Strukturmerkmale des frühneuzeitlichen Reichstags, in: Johannes Kunisch (Hg.), Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, Berlin 1997 (ZHF. Beiheft, 19), S. 91–132; Fanny Cosandey, La reine de France. Symbole et pouvoir, Paris 2000 (Bibliothèque des Histoires), hier speziell der zweite Teil: »Cérémonies«, S. 127–256.
Lizenzhinweis: Dieser Beitrag unterliegt der Creative­Commons­Lizenz Namensnennung­Keine kommerzielle Nutzung­Keine Bearbeitung (CC­BY­NC­ND), darf also unter diesen Bedingungen elektronisch benutzt, übermittelt, ausgedruckt und zum Download bereitgestellt werden. Den Text der Lizenz erreichen Sie hier: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/