Vortrag

Mythen der Zukunft
Die Macht von Vergleichen für
die Zukunft einer Technologie
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Daniela Fuchs, Helge Torgersen
Mythen über Innovation
‘“Basic research" and the so-called "Green Revolution" as
examples of the stories that we tell ourselves about how
innovation works. It turns out that the stories ... are grounded
in more than just the empirical.’
Roger Pielke (2015) PACITA Konferenz Berlin
Diskussion über Emerging Technologies
als Tummelplatz für Mythen
– aber wie begegnen? Was ist eigentlich ein Mythos?
Möglicher Ansatz:
Roland Barthes‘
„Mythen des Alltags“
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Beabsichtigte, aber nicht
transparente Zuordnung
von Bedeutung zu Begriffen
Verdrängung von
Geschichte (Kontext)
durch „Natur“ (Essenz)
z.B. 1957: Ein junger Afrikaner in
Uniform grüßt offenbar die Tricolore
soll heißen
Die Kolonialmacht Frankreich wird
(in Zukunft) voll akzeptiert
„Mythen“
des Neuroenhancement
Neuro-Enhancement ist äquivalent mit…
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Schönheits-Operationen
„Also die ästhetische Chirurgie nach einem Unfall oder Krebsoperation
oder was, ja natürlich unbedingt; um jetzt irgendwelchen Schönheitsidealen
zu entsprechen: nein: Aber das ist ja immer das…“ (Lehrerin)
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Schwindelzetteln
„[…] in Österreich ist ja dieses […] Leistungserschwindeln […]
gesellschaftlich toleriert. Das ist in Amerika ja anders. Die müssen […] sich
ein anderes Hilfsmittel suchen, das heißt, sie können nur […] irgendwelche
Mittel finden, damit sie die gleiche Leistung bringen können […].“ (Lehrerin)
Neuro-Enhancement ist …
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Kaffeetrinken
„Also, wenn wir Schularbeiten und sonstige Schulereignisse, wo wir mehr
Konzentration brauchen, als Wettbewerb ansehen und davor halt Kaffee
oder Traubenzucker nehmen, ...
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Doping
... dann find ich das weniger schlimm, als wenn wir uns mit Amphetaminen
bis zum Hals vollstopfen. Dann hätten wir ein Fairplay wie bei der Tour-deFrance.“ (Schüler)
Neuro-Enhancement ist …
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Medikamentenmissbrauch
„Also bei uns im Studentenheim ist auch einiges genommen worden. BetaBlocker zum Runterholen, glaube ich, war das, um wieder schlafen zu
gehen. Und dann eben was […] Aufputschendes. Also vor allem unter den
Medizinstudenten.“ (Lehrer)
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Placebo
„Die nehmen halt Red Bull mit zu Prüfungen, wir haben halt
Traubenzucker und Schokolade mitgenommen. Man sucht halt irgendwas
DF1
[…] Es geht wirklich um ein Placebo, glaub ich. Wenn du denkst, es hilft dir,
dann hilft’s dir ja irgendwie...“ (Lehrer)
Folie 7
DF1
find ich als Ergänzung zu oben interessant - aber ev. raus?
Daniela Fuchs; 29.05.2015
Je nach Vergleich ist Neuro-Enhancement also
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cool
althergebrachtes Alltagsverhalten
Modeerscheinung
harmlose Praxis mit zweifelhafter Wirkung
Schwindel
Medikamentenmissbrauch
Suchtgiftvergehen
krimineller Betrug
 Komparatoren bedingen unterschiedliche Akzeptabilität
Komparatoren
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lassen eine Sache in jeweils anderem Licht
erscheinen, ohne dass sich ihr selbst etwas ändert:
Bedeutungszuweisung
• suggerieren unterschiedliche „Naturen“ (Essenzen)
derselben Sache: Kontextvertauschung
geben also Anlass zur Bildung unterschiedlicher Mythen
(im Barthes‘schen Sinn)
Entstehung eines Mythos (nach Barthes)
Sachbezogene
Vorstellung
Begriff
Neue nicht
sachbezogene
Vorstellung
Bild
Mythos
Komparatoren als Elemente der Mythenbildung
Enhancement
Kaffeetrinken
Enhancement
Enhancement als
Alltagspraxis
Doping
Enhancement als
deviantes Verhalten
Hinter einem Mythos
steckt aber oft eine
Kette von anderen...
W e t t be w e r b sdr u ck
Geistige
Leistung
XXX
Enhancement
Enhancement als YYY
Grundmythos Wettbewerbsdruck
Fokusgruppe LehrerInnen
„[…] Die Medien machen, wenn man auf die Arbeitswelt geht, immer Angst
jetzt, wir sind in einer permanenten Krise. Jeder kann permanent seinen
Arbeitsplatz verlieren. Deswegen geht man am liebsten jeden Tag in die
Arbeit, und ich bin 36 Stunden am Tag erreichbar, weil man ja nicht weiß,
was da ist. […]“
„[…] weil das ist ja sehr merkwürdig. Einerseits verlangt die Gesellschaft
sehr viel von den Personen. Und gleichzeitig wird aber nicht tatsächlich zur
Kenntnis genommen, dass die Leute eigentlich dann Dinge machen, die
ihrer Gesundheit schaden, die dann letztendlich auch
volkswirtschaftlich gesehen den Staat sehr belasten. […]“
Grundmythos Wettbewerbsdruck
ExpertInnen-Panel
„[…] für mich ist Neuro-Enhancement auch ein ganz starkes Symptom,
Ausdruck dafür, dass sich unser Verständnis von Wettbewerb extrem
verändert […]. Und dieses veränderte Verhältnis zu Wettbewerb, dass
Wettbewerb nicht mehr etwas dient, sondern der absolute
Selbstzweck geworden ist, das ist meines Erachtens der Motor für die
Nachfrage und diesen Diskurs von Neuro-Enhancement […].“
Mythenanalyse als Mehrebenen-Aufgabe
1. Technische Realisierungsalternativen
• Erscheinen je nach Vergleich als Alltagspraxis (Kaffee) oder deviantes
Verhalten (Doping)
• legen eine entsprechende Bewertung nahe
2. Gesellschaftlicher Grundmythos „Zwang zur Leistungssteigerung“
• „Geistige Leistung“ (als Begriff) und „Wettbewerbsdruck“ (als
Vorstellung) ergeben „Zwang zur Leistungssteigerung“
• Ergebnis erscheint intuitiv plausibel und alternativlos
TA als „Myth Buster“
„Der Mythos entzieht dem Gegenstand, von dem er spricht, jegliche
Geschichte. Der Mythos ist eine von der Geschichte gewählte Aussage;
aus der ‚Natur‘ der Dinge vermöchte er nicht hervorzugehen.“
Roland Barthes, Der Mythos heute in: Mythen des Alltags
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Dekontextualisierung ist wesentlicher Teil der Mythenbildung
Re-Kontextualisierung könnte den Mythos kenntlich machen
Nicht nur das letzte Glied in der Kette, sondern der gesellschaftliche
Grundmythos ist zu beachten
Umfassende Mythenanalyse und Rekontextualisierung wäre ein
Beitrag zur hermeneutischen TA emergierender Technologien
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Kontakt:
Daniela Fuchs, Helge Torgersen
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