Mythos der Stadt

Mythos Stadt
(Elisabeth von Erdmann)
1.
Reisekataloge schwärmen von kroatischen Stränden und von
kroatischen Städten. Ein Beispiel aus einem Kreuzfahrtkatalog lautet
folgendermaßen:
»Dalmatinische Städte treten uns wie Urbilder einer mediterranen Stadt
gegenüber: als mauerumgürtete Polis mit zinnenbekrönten Türmen und
barocken Festungsgürteln. Durch Hafenplatz und Loggia der Ferne
zugewandt, weltoffen und zugleich der Tradition verbunden, erscheinen
sie als Gebilde von Geschlossenheit und Schönheit«.
Das ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Schon immer gab es Visionen und Mythen zu Städten. Ohne diese
Imagination wären diese Städte gar nicht entstanden. Was würde mit
diesen Städten passieren, wenn die Imagination sie verlässt?
Literatur ist der Raum, in dem Städte aus Worten und Bildern, also aus
Imagination, gebaut werden. Dadurch entstehen unsichtbare Städte. Sie
legen sich wie Schleier über die wirklichen Städte, lassen diese Städte
anders aussehen, machen sie attraktiv oder unheimlich. Das sehen wir
zum Beispiel an den Stadtmythen von Venedig, Petersburg, Paris
London, aber auch an den alten Mythen zur Stadt Troja, Babylon,
Jerusalem, Edessa.
Ich nenne Ihnen einige Bücher, die zum Stadtmythos von Dubrovnik
beitragen:
Skroviti vrt von Luko Paljetak, Zlocin u samostanu von Fedja Sehovic,
Vila klicati nece von Tomislav Kuljis, Dubravka von Ivan Gundulic,
Marino Caboga von Achim von Arnim, Der Findling von Heinrich von
Kleist
Der Stadtmythos ist der Mythos der Moderne, mit dem die Postmoderne
weiter spielt. Aber das ist ein Mythos, der viel älter ist und sogar in
älteste Zeiten zurückprojiziert wird. Geschichten und Mythen geben den
Städten eine Seele, ein Gesicht, ein Image, entfalten eine Sogwirkung
und wehren der Eintönigkeit, die auch die schönste Stadt befallen kann,
wenn das Tagesgeschäft zu ihrem einzigen Inhalt wird.
Stadtmythen sind heute ein Wirtschaftsfaktor, lassen sich aber nicht
beliebig kontrollieren und einsetzen oder aus dem Boden stampfen.
Gelingt es einer Stadt, ihren Mythos zu beleben, dann entscheidet das
auch über die Entwicklung des Tourismus und der Wirtschaft in dieser
Stadt. Ein Mythos nur zu Vermarktungszwecken funktioniert in der
Regel nicht. Einer Stadt ohne Mythos fehlt das gewisse Ewas.
Eine kroatische Stadt, die auch über die Sommer- und
Spätsommersaison hinaus attraktiv sein will, braucht neben dem Service
auch einen Mythos wie etwa berührende Geschichten, die dem Leben in
der Stadt, Vergangenheit, Sinn, Glück, Dynamik und auch Tragödie
verleihen.
In der Literatur liegt daher ein großes Potential, Städten zum
wirtschaftlichen Erblühen zu verhelfen, denn sie kann die Phantasie
erwecken und berühren und mit einer Stadt verbinden.
Die Imagination zu berühren – das ist die Kunst. Das ist auch das
Prinzip der Werbung. Es ist aber nur dann erfolgreich, wenn in dem
geweckten Mythos mehr an Leben steckt als nur die Absicht, ein Produkt
zu verkaufen
Diese Kunst braucht mindestens zwei Zutaten: Literatur auf der einen
Seite und Stadt, Land und Menschen auf der anderen Seite. Wenn diese
Zutaten gemischt werden, also eine moderne Variante der
altehrwürdigen Verbindung zwischen Geist und Materie, zwischen
Imagination und Wirklichkeit entsteht- dann wird der Mythos einer
Stadt lebendig. Die kroatische Kultur hat von beiden Zutaten reichlich –
nur ein wenig mehr Menschen könnten es sein.
2.
Können Mythen also gemacht werden?
Menschen werden dann nachhaltig angesprochen, wenn ein Echo in
ihnen zum Klingen gebracht wird, wenn die Sehnsucht nach Sinn und
Glück und Unheimlichem und Tiefgründigem angesprochen wird, die
Sehnsucht nach guten Geschichten, die sie etwas angehen. Mythen
können das. Sie leben von einem Paradox: Sie sind immer, aber sie haben
nie stattgefunden.
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Machen wir also einen Spaziergang vom 16. Jahrhundert bis ins 21.
Jahrhundert und lassen wir ihn ruhig auch vor das 16. Jahrhundert bis in
biblische Zeiten zurückreichen.
3.
Drei Stationen schauen wir uns näher an, um die Dynamik des
Stadtmythos kennenzulernen: den Philosophen Franciscus Patricius von
der Insel Cres aus dem 16. Jahrhundert, den ungarischen Autor Sándor
Márai aus dem 20. Jahrhundert und den kroatischen Autor Igor Štiks aus
dem 21. Jahrhundert.
Franciscus Patricius veröffentlichte 1553 seinen Traktat über die
Glückliche Stadt: La città felice. Das war überhaupt seine erste
Veröffentlichung zusammen mit einem Traktat über den poetischen
Furor, in dem das Göttliche und damit die Heilsgeschichte vom Himmel
in den Menschen und seine Worte steigt und ihn zur Dichtung beseligt.
Genauso wie die Poetik funktioniert auch seine Stadt. Als Strom
göttlichen Wassers durch die Stadt fließt das Göttliche in das Leben der
Menschen ein und ermöglicht das Glück der Stadt, das natürlich nicht so
aussieht, wie wir uns das heute vorstellen. Stadt und die Kunst des
Dichtens sind also eng darin verbunden, dass sie dem Menschen Raum
zum Schöpfertum geben.
Patricius beschreibt seine Stadt zunächst wie das Himmlische Jerusalem,
die Stadt am Ende der Geschichte. Sie wird in der Apokalypse
beschrieben, in ihr gibt es keine Trauer und keinen Schmerz mehr.
Patricius schreibt: »Wenn unsere Stadt so ist, wie wir sie beschrieben
haben, dann kann sie mit dem Wasser der himmlischen Quelle, die sich
über sie ergießt, den stärksten Durst löschen. Diese Stadt wird auf der
Höhe erbaut, und über alle anderen Städte der Welt erhoben, sichtbar für
alle und von allen verehrt und bewundert und ersehnt sein«.
Das himmlische Wasser ist ein traditionelles Bild für das richtige
Verständnis des Wortes Gottes, das die Heilsgeschichte nicht nur erzählt,
sondern auch in die Welt bringt, also einen Mythos in die Wirklichkeit.
Die Stadt bei Patricius erscheint wie die Erfüllung aller Sehnsucht in
einer ewigen Ruhe.
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Aber es gibt bei Patricius einen wichtigen Unterschied zum
Himmlischen Jerusalem, in dem Gott selbst wohnt und mit seinem Licht
die Stadt erleuchtet.
Der Mensch kann in der Stadt von Patricius das Leben in der Stadt, also
die Welt der Erscheinungen, so vorbereiten, dass er das Göttliche in die
Materie bringen und das Leben der Menschen damit erfüllen kann. Er
hat also Teil am Göttlichen und kann diesen Vorgang also mitsteuern. In
dieser Form war das durchaus neu.
Die Entwicklung geht nicht mehr nur hin zu Gott, sondern von Gott
zurück in die Welt, und zwar durch die Beteiligung, das Können, die
Leidenschaft und die Leistung des Menschen.
Eine glückliche Stadt wird also auf der Erde möglich als geglückte
Vereinigung von Geist und Materie, Imagination und Wirklichkeit unter
Mithilfe des Menschen. Aber die Imagination bleibt durch die
Heilsgeschichte gezähmt.
Patricius hat sich das nicht einfach ausgedacht. Er fand Inspiration bei
der hermetischen Stadt, die der legendäre Hermes Trismegistos erbaut
haben soll. Er war ein Gott und hat gleichzeitig gelebt, er gilt als der
größte Weise und Magier, er lehrt, wie man so eine Stadt erbaut im
Asclepius, einem Text aus dem angeblich von ihm verfassten Corpus
Hermeticum, und im Picatrix, einem Zauberbuch. Durch Magie zieht man
den göttlichen Einfluss über die Sterne, Talismane, Statuen und
Architektur in die Stadt.
Das Zauberbuch des Picatrix war bis ins 18. Jahrhundert das Handbuch
des Magiers schlechthin, eine arabische Kompilation zu Magie,
Astrologie und Talismankunde, es entstand im 10. oder 11. Jahrhundert.
Die hermetischen Schriften wurden in der Renaissance wiederentdeckt
und galten als Zeugnisse uralten Wissens, verfasst von Hermes. Man
datierte sie in die Zeit von Moses zurück, sie sind aber frühestens in den
ersten nachchristlichen Jahrhunderten entstanden. Das hat Patricius aber
noch nicht gewusst.
Der Stadtmythos, der sich dann besonders im 17. Jahrhundert in vielen
Stadtutopien ausdrückte und entfaltete, entsprang also aus hermetischmagischen Traditionen und Mythen. Seine Wurzeln liegen in einem
uralten, direkt aus Gott entsprungenen Wissen, das in allen möglichen
Traditionen
bewahrt
und
weitergereicht
wurde,
in
der
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Schöpfungstheorie und Schöpfungstheologie, in der Göttlichkeit des
Menschen sowie in der christlichen Heilsgeschichte.
Magie und Wissenschaft, Erkenntnis und Dichtung sind Medien des
Menschen, die geistige Kraft in die Welt der Erscheinungen lenken,
wenn er die Regeln kennt. Er kann also handeln und die Welt gestalten.
Die Stadt wird zum Raum dieser Möglichkeiten. Das Glück wird dem
Menschen schon in der Geschichte greifbar und nicht erst jenseits der
Geschichte. In der Stadt kann der Mensch seine Macht zur Gestaltung
Welt einsetzen, also sein vielgepriesenes neuzeitliches Selbstbewusstsein zur Geltung bringen.
Die Stadt wird zum Sehnsuchtsbild menschlichen Glücks und
menschlicher Gestaltungsmacht, bester Beziehungen zwischen Geist und
Materie, zwischen den Menschen und zwischen den Menschen und Gott.
Soll das einer der frühen geistigen Entwürfe für unsere Städte gewesen
sein? Durchaus. Denn in Städten entfalten sich auch heute noch die
Bemühungen, symbolische Ordnung und sinnstiftende Kultur mit der
Wirklichkeit zu vermitteln. In der glücklichen Stadt von Patricius
funktionierte die Vereinigung von Geist und Materie. Und sie war
beschützt von der Heilsgeschichte, fiel also keinem feindlichen Mythos
zum Opfer.
Patricius beschreibt nur die eine Seite der Medaille. Er und die
Hermetiker konnten nicht wissen, was aus ihren Modellen der
Vereinigung von Geist und Materie in der idealen Stadt werden sollte.
Nichts würde passieren, wenn die ideale Variante des Mythos nicht
gestört würde. Und wir hätten keine gute Geschichte, hier schlägt die
Stunde der Literatur.
So idyllisch und ideal wie in der Glücklichen Stadt konnte es nicht
bleiben, in der Praxis sowieso nicht, aber auch nicht in der Imagination,
denn Geist und Materie lassen sich nicht so einfach in Gleichschritt
bringen, wie das die magische Imagination der optimistischen
Hermetiker der Neuzeit suggerierte.
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4.
Wir überspringen die späteren Jahrhunderte. Wir machen auch nicht
Halt bei der Stadt, die Faust mit Hilfe von Mephisto erbaute, sondern
wir stoppen erst wieder im 20. Jahrhunderts beim ungarischen Autor
Sándor Márai, bei seinem Roman: Die Fremde, der in der ungarischen
Sprache den Titel Die Insel trägt. Er wurde 1934 erstmals veröffentlicht.
Die Poetik von Márai stützt sich nicht mehr auf das Funktionieren des
alten Mythos, dass der göttliche Text einfach in die Welt der
Erscheinungen übersetzt werden könnte und dass die Erscheinungen als
Bilder dieser Heilsgeschichte zum Sprechen gebracht werden könnten.
Und das ist das Drama, an dem sein Held zerbricht.
Die unsichtbare Stadt, die er über Dubrovnik wölbt, ist eine
Unterweltsstadt, eine Totenstadt. Aus der realen Stadt führen die
Ausgänge in sie. Der Held ist ein Orientalist mit kompliziertem
Lebenshintergrund, er fährt als Tourist zur Erholung nach Dubrovnik,
vor seinen Augen verwandelt sich die Stadt. Noch sieht er die reale
Stadt: »Die alte Stadt, diese rebellische und starke Stadt, die Venedig
trotzte...« Doch sie verändert sich, schon als er mit dem Schiff einläuft:
»in die graue Watte der Dämmerung gepackt, begann das
hochgeschätzte Juwel, Ragusa, mit dumpfem Glanz zu leuchten« wie ein
Geschöpf der Unterwelt nimmt er die »lilienhafte Blutlosigkeit« und
»raschelnde Fleischarmut« der unbekannten Frau wahr. Völlig
unmotiviert und leidenschaftslos erdrosselt er sie in ihrem Hotelzimmer
und geht danach in die Stadt hinein.
Nach dem Mord spaziert er sinnestrunken durch die für ihn wieder
lebendig gewordene Stadt. Er hat das Gefühl, neugeboren zu sein und er
zieht den Schluss »Der Mensch wird nicht durch das Gute erlöst ...
sondern durch die Sünde« Dann schwimmt er im Meer, und es wird
wieder unheimlich. Er »sah nicht den kleinsten Hoffnungsschimmer, je
wieder ans Ufer zurückzukönnen« In einer Kirche verabredet der Held
ein Treffen mit Gott. Er setzt mit dem Boot von Dubrovnik auf die Insel
Lokrum über: »Die Insel ... ragte aus dem Meer wie ein verirrtes kleines
Gebirge, das unruhig in die Welt hinausspäht und nicht mehr zu seiner
vielköpfigen Familie zurückfindet« Alles ist öde und leer, nichts spricht
mehr zu ihm. Er kommt auf die Insel, es wird Nacht und er spricht mit
Gott über die Unerträglichkeit der Realität: »ich wollte deinen Text in die
Sprache des Lebens übersetzen, so wie du ihn ursprünglich gemeint
hast...« »Du hast mich betrogen«.
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Er schlüpft gleichsam in die Maske Christi am Ölberg, als er ruft:
»Warum hast du mich verlassen« Zum Schluss wird er verhaftet und
versinkt im Wahnsinn.
Was ist bei Sandor Marai also aus den alten Künsten der Poetik und des
Stadterbauens geworden, die das Göttliche in die Welt der
Erscheinungen brachten, die den göttlichen Text der Heilsgeschichte in
die Sprache des Lebens übersetzten, die Welt zu einem Bild des
Göttlichen machten, die eine wunderbare Stadt hervorbrachten, in der
der Mensch diesen Vorgang gestalten und in Kommunikation mit dem
Göttlichen und den anderen Menschen leben kann.
Diese Poetik ist gescheitert, das göttliche Original ist nicht in Worte und
Materie übersetzbar. Der Mensch, der das glaubte, ist betrogen worden.
Die Zeichen sind tot, sie sagen nichts mehr, sie sind keine Bilder für
etwas Größeres mehr. Mensch und Stadt sind nicht mehr Wohnsitz des
Göttlichen. Die Vereinigung von Geist und Materie ist gescheitert. Das
ganze Projekt war ein Bluff. Es ist das Aus für die hermetische Stadt –
Die Stadt wird zur Unterweltsstadt. Statt Kommunikation erlebt der
Held die totale Vereinsamung in Verbrechen und Wahnsinn.
Die Insel im Meer, ein Ort, an den man die ideale Stadt projizierte, wird
zum Ort der Katastrophe. Der Wahnsinnige blickt von ihr aus auf die
Stadt, aus der er herausgefallen ist.
Aber es ist eine wunderbare Geschichte entstanden. Die Poetik hat neue
Aspekte erhalten. Das unsichtbare Dubrovnik ist reicher geworden.
5.
Wir gehen zu Igor Stiks ins 21. Jahrhundert, zu den Archiven der Nacht.
Marais Held leidet an der Unübersetzbarkeit des göttlichen Textes, an
der Leere der Zeichen, an der Unmöglichkeit, Geist und Materie
miteinander zu verbinden. Der Held von Igor Stiks leidet hingegen
keinen Mangel an Mythen, die sich nur zu gnadenlos verwirklichen.
Alles ist mit Bedeutung aufgeladen und nimmt seinen zwangsläufigen
Gang. Die Verbindung von Geist und Materie, von Mythos und
Wirklichkeit, funktioniert viel zu gut, sie führt den Helden in grausame
Mythen und tragische Ausweglosigkeit. Der Held ist nicht mehr
beschützt vom Mythos der Heilsgeschichte, der sich in einer Stadt
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verkörpert, sondern bedroht von einem Sortiment an Mythen, die sich in
einer Stadt tummeln.
Der Held hat keine Gestaltungsmacht mehr. Er ist ausgeliefert. Der
Optimismus des Magiers, der Hermetik, der Aufklärung ist
verschwunden. An seine Stelle tritt ein Wiedergänger aus alten Zeiten,
die Zwangsläufigkeit der griechischen Tragödie und des Schicksals, die
den Menschen zum Spielball macht.
Die Stadt ist Sarajevo im Krieg. In sie reist der Held auf der Suche nach
seiner Identität, in ihr begeht er unwissentlich Inzest mit seiner
Schwester. Er wird sich umbringen, seine Geschichte wird ein Freund
den Menschen zur Kenntnis bringen.
In der Stadt des Romans geben sich die Mythen ein Stelldichein,
realisieren sich gnadenlos und zermalmen den Menschen. Die Stadt wird
zum Ort und Kampfplatz der Mythen, der Identität, des
Auserwähltseins, der Täter-Opfer-Beziehung, des Inzest, des Schicksals.
Gleichzeitig wird die Stadt zum Ort der Erinnerung des Schrecklichen.
Was ist im Roman Die Archive der Nacht geschehen? Die Macht des
Mythos, sich zu verwirklichen, ist intakt wie in der Stadt von Patricius,
aber die Mythen übernehmen die Macht, und der Mensch ist entmachtet.
Die Mythen sind menschenfeindlich. Kein mächtiger Mythos beschützt
den Menschen. Der Mensch identifiziert sich mit den Mythen und liefert
sich damit ihnen aus. Der Ort dieser Tragödie ist die Stadt
6.
Ich hoffe unser Spaziergang vom 16. ins 20. und 21. Jahrhunderte zu drei
Stationen des Stadtmythos hat Ihnen etwas von der Dynamik gezeigt,
die Stadt und Literatur verbindet und von den Möglichkeiten, diese
Beziehung immer weiter zu führen. Diese Dynamik entwickelt sich im
Spannungsfeld von Imagination und Wirklichkeit, kultureller
Sinnstiftung und täglichem Leben, von Gestaltungsmacht und
Ohnmacht des Menschen, von Identifikation und Spiel. Sie ist entfesselt
durch das Fehlen eines beherrschenden und beschützenden Mythos.
Solche Geschichten aber erfüllen Städte und Literaturen mit Leben und
gewinnen ihr die Zuneigung von Menschen. Das tut der Literatur, den
Menschen, den Städten und der Wirtschaft gut unter einer Bedingung:
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Nicht so zu sein wie der Held von Igor Stiks: er identifiziert sich und
liefert sich damit aus. Aber er kann sich von diesen Mythen und
Geschichten berühren und inspirieren lassen und dabei nicht vergessen,
dass der Mensch ein Mensch ist und nicht einfach ein Spielball der
Mythen. Und dass er trotzdem auf die Stärke der Imagination rechnen
kann.
Ich wünsche also der alten Symbiose zwischen Literatur und Stadt eine
glückliche und lange Zukunft.
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