1 - Universität Wien

Erste Sitzung – Glaube vs. Wissen
Differenzierung Glaube – Wissen anhand von 2 Texten (1 soziologischer und 1
etymologischer Klassiker)
Max Weber: Wissenschaft als Beruf (Vortrag von 1922) – soziologisch
o Was bedeutet diese Rationalisierung durch Wissenschaft praktisch?
o These: Rationalisierung durch Wissenschaft – haben wir größere Kenntnisse
von der Welt als ein Indianer oder Hottentotte? Schwerlich.
o These: Es bedeutet nicht, dass man mehr von der Welt weiß. – Beispiel
Straßenbahn: wir wissen, wenn wir keine Fachphysiker sind, auch nicht wie
sie eigentlich fährt
o These: Es geht nicht mehr um Wissen (für den Einzelnen eh zu komplex),
sondern um ein Vertrauen. – der Wilde weiß über sein Werkzeug Bescheid, er
muss nicht auf andere(s) vertrauen
 vgl. Prometheische Scham bei Günther Anders: wir sollten uns
eigentlich schämen Dinge zu nutzen, von denen wir nicht wissen wie
sie funktionieren
o These: Vorwissenschaftliches Wissen bedeutet eine konkretere Bewältigung
der Welt. – Distanzstellung zwischen uns und dem Geld, Wilder dagegen weiß
genau, wie er zu seiner täglichen Nahrung kommt
o These: Es geht nicht mehr um praktische Beherrschung der Welt, sondern um
den Glauben, dass man (oder zumindest irgendwer) die Sache im Griff hat. –
BERECHNEN der Welt möglich, wenn man nur will
ENTZAUBERUNG der Welt – wir glauben an die Beherrschbarkeit der Welt und sind nicht
mehr wie der Wilde irgendwelchen Mächten ausgesetzt (keine Riten, Zauber etc. mehr)
 natürlich dadurch auch Entfremdung, Nostalgie gegenüber dem Zauber der Welt
 Entzauberung als Grenze zwischen wissenschaftlicher und vorwissenschaftlicher Welt
 vor allem das bedeutet die Intellektualisierung
Folgerung: Der Glaube, alles im Griff zu haben, wertet „magische Mittel“ ab und privilegiert
die Möglichkeiten der Wissenschaft.
Bronislaw Malinowski – Feldforschung – etymologisch
Argonauts of the Western Pacific, Isles of Melanesian New Guinea (1922)
 Leben bei den Einheimischen
1
 Beschreibung: Fischen auf Boyowa (größte Insel des Trobriand-Archipels)
o in der Lagune (Süden): klar technische-rationale Praktiken (profan)
o im Meer (Norden): magische Praktiken (sakral)
 Beobachtung: Rationalität und Magie/Religion tauchen nebeneinander auf
 Grundproblem: Warum säht man aus und vollzieht zugleich magische
Fruchtbarkeitsriten?
 These: Das, was man vortheoretisch als „rational“ und als „magisch“ versteht, stellt
KEINEN sich ausschließenden Gegensatz dar, sondern 2 kulturelle Optionen, die in
verschiedenen Zeiten und Situationen verschieden aufeinander bezogen werden.
Beispiel 1: Konrad Kyeser: Bellifortis (Ende des 14. Jh.) – kriegstechnisches Kompendium
Gesellschaft war interessiert an Waffentechnik – darin werden neue Errungenschaften
vorgestellt (funktionieren aber nicht mal alle)
Realien – gibt es wirklich (Bsp. Sturmleiter)
vs.
Modifizierte Realien – gibt es, aber nicht in dieser Form (Bsp. illusionistische Armbrust, die in
alle Richtungen schießt)
vs.
Literarische Motive – nicht real existierend (Bsp. Keuschheitsgürtel, literarisch bei Giovanni
Sercambi)
Wolfenbüttel, Herzog August Bibl., Cod. 161 Blankenburg (15. Jh., 4. Viertel)
Text: Bauanleitung für Geschosse, mit denen man trifft, was man will
 verschlüsselt (erster Buchstabe an letzte Stelle verschoben) – warum?
o soll nicht jeder gleich lesen, aber leicht entschlüsselbar
o Wichtiger: symbolische Aura!
 Beispiel: I mvo neine mviegkate nglage neine ntail = Nimm von einem viereckigen
Galgen einen Teil
 Anleitung: Teil eines viereckigen Galgens + Speiche eines Rades, auf dem einer liegt
 Bolzen; Eisen müssen geschmiedet werden in der Stunde des Saturns aus einer
Galgenkette, danach zurichten und am Karfreitag 3 Schüsse in die Luft
Technisch-rationale Abbildung und Texte zur Herstellung von Geschossen – aber auch
magisch-religiöse Erweiterung
Beispiel 2: Prag, National- und Universitätsbibliothek, Ms. XXIII, 2. Hälfte des 15. Jh.
 Wissenschaft: Runen
ABER jeder Wissenschaftler: eigentlich
keine Runen
 Eigenes runenähnliches Alphabet, kommt
sonst nirgends vor
 Sachwissen/Expertenwissen wird
verschlüsselt, gesichert
 Immer wieder verschlüsselte Einschübe – Bsp. nur das Wort „Laubfrosch“ im Rezept
2
o Beispiel: Rezept um einen Zahn zu entfernen durch das Suchen von
Laubfröschen
o Beispiel: Teufelsanrufung (fast gänzlich verschlüsselt, Anrufen des Bösen,
Sprechen mit und Beschenken des Teufels, sehr gefährlicher Vorgang)
„Und er wird in der Gestalt eines schwarzen Hündchens kommen und was immer du ihn
fragst, beantwortet er dir.“
 Muster: Hilfe von magischer Instanz (vgl. Heiligenkult), aber ausgehend vom
spezifischem rationalen Interesse eines Fragenden
Zeit vor 1500: keine schwer zu lesenden Geheimschriften oder Möglichkeit zur Decodierung
dabei – Verschlüsselung im MA nicht notwendig (nur ein Exemplar je – einfach weg sperren
ist einfacher)
Beispiel 3: Zauberspruch, der in einer Handschrift überliefert wurde (Straßburger
Handschrift ca. 11. Jh. – 1870 verbrannt)
Dümmling saß auf einem Berg mit dummen Kind im Arm
Dumm hieß der Berg Dumm hieß das Kind:
Der heilige Dümmling segne diese Wunde.
Zur Stillung des Blutflusses
Muster
 Analogie: Szene aus der Vergangenheit soll in der Gegenwart wirken
o Zaubersprüche nach dem Muster: Historiala und incantatio. Kleine Geschichte
aus der Vergangenheit, die in der Gegenwart wirken oder sich wiederholen
soll
 Wichtig: Anrufung eines Heiligen als Helfer – aber wer ist der heilige Tumbo?
o Oftmals auch Jesus oder Johannes der Täufer
Tradition des Spruches
1) 5. Jh. Spruch zur Blutstillung bei Marcellus Burdigalenis (lat.)
Der Erstarrte ging im Gebirge, der Erstarrte blieb stehen. Ich beschwöre dich, Gebärmutter,
dies nicht zornig aufzunehmen.
 Muster: Namenmagie: „stupidus“ (stupere = erstarren) als Vorbild für Blutfluss, der
stillstehen soll
2) Lat. Blutsegen aus dem 10. Jh: „stupidus“ kann auch Dümmling heißen (stultus = dumm)
Ein dummes Weib saß über einer Quelle und hielt ein dummes Kind im Schoß. Es trocknen die
Berge. Es trocknen die Täler, es trocknen die Adern und, was voll von Blut ist.
o Muster: Historiola (Naturbild: Frau mit Kind über fließendem Wasser) und
Incantatio (Bitte um Stillstand des Flusses)
o Stultus (dumm) eigentlich funktionslos
3
Danach: Verschiebung in den Heiligenkult mit dem neuen (komischen) Heiligen Tumbo
Fazit: „Rationale“ sprachliche (Fehl-)Deutung und Veränderung der Spruchtradition mit
magisch-religiösen Mustern
Erstes zur Systematik
Glaube (unhintergehbares Vertrauen)
 Sicherheit des Glaubens
 Im Zentrum: Gott und der Plan der Heilsgeschichte (heute: der Glaube an die
Wissenschaft...)
Wissenschaft (Platon: wahre, gerechtfertigte Meinung)
 Möglicher Zweifel als Voraussetzung von Wissen
 Im Zentrum: der Mensch als erkennendes Wesen
Begriffspaare
 Mythos vs. Logos
 Hottentotte vs. Fachphysiker (Weber)
 Das Sakrale vs. Das Profane (Malinowski)
 Rationalisierung als Prozess (Erster Schwerpunkt 12. Jh.)
 Scholastik vs. Mystik
Das Verhältnis von Glaube und Wissen in mittelalterlichen Grundpositionen
 Augustinus: Ich glaube, weil es widersinnig ist – ich muss dann glauben, wenn es
rational nicht funktioniert
 Augustin: Wir glauben, um zu erkennen
 Anselm von Canterbury: Ich glaube, damit ich erkennen kann.
 Petrus Abaelardus: Ich erkenne, damit ich glaube – Verzauberung auf Grundlage der
Welt stellen  indem wir nämlich zweifeln, gelangen wir zur Untersuchung und
durch diese erfassen wir die Wahrheit (Scholastik)
Gegenmodell „Mystik“: cognitio Dei experimentalis – Gotteserkenntnis durch persönlich
Erfahrung
4
2. Sitzung – Die Sieben Freien Künste – Die septem artes liberales
Vorbemerkung: Bildungseinrichtungen früher
Ohne Bibel keine Glaubensvermittlung – man braucht Orte, wo diese abgeschrieben werden
 Klosterschulen und Domschulen
ab 8. Jh. auch scholae publicae (öffentliche Schulen
daneben auch wandernde Scholaen
ab 1155 sind diese geschützt von Barbarossas Scholarenprivileg – man hängt nicht ab von
dem Herrscher der Stadt, in der die Universität ist  rechtliche und kulturelle Freiheit
erst ab 11. Jh. nicht klerikale Bildungsorte – sogenannte Universitäten
 1057 Salerno – nur Medizin
 1088 Bologna – erste große Universität
 1150 Paris
 1167 Oxford & 1209 Cambridge – im 12/13. Jh. entstehen englische Universitäten
 1348 Prag – eigentlich erste dt. Universität ABER man sprach Latein, daher erste
Universität im Kaiserreich
 1365: Wien – älteste Universität im deutschen Sprachraum, zwar auch auf Latein
gelehrt, aber schon deutsch publiziert, erste österreichische Uni
 1385 Heidelberg – erste deutsche Universität
Die Sieben Freien Künste
Reihenfolge oft verschoben – aber immer Grammatik zuerst!
Trivium (Dreiweg)
1.) Grammatik
2.) Rhetorik
3.) Dialektik (Logik)
Quadrivium (Vierweg)
4.) Arithmetik
5.) Geometrie
6.) Musik
7.) Astronomie
Martianus Capella: De nuptiis Philologiae et Mercurii („Die Hochzeit der Philologie mit
Merkur“)
 führt diese Ordnung ein (Entstehung Anfang 5. bis Anfang 6. Jh.)
 im MA der kanonische Text – Bestseller damals!
 Septem artes liberales als Brautjungfern, die ihr Wissen als Hochzeitsgeschenke
mitbringen
ABER Problem: Wissen der römischen Antike ist nicht deckungsgleich mit Ansprüchen des
christlichen Mittelalters
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Boethius: Consolatio philosophiae  sehr wichtiges Werk im MA, direkt nach Bibel




Theodorius verurteilt einige Stadtadlige – Boethius ist einer davon
Boethius wird in Erwartung seiner Hinrichtung von der Philosophie getröstet (und
hatte in diesem „Hausarrest“ eine eigene Hausbibliothek)
Argumentation: Die Welt ist nur ein Punkt im Weltall – da ist es ganz egal, wenn du
hingerichtet wirst
Hoffnung: sein Buch wird gelesen und er als zu klug befunden um hingerichtet zu
werden ABER hat nicht funktioniert
Königsdisziplin „Philosophie“ – sie vereint die Künste
ABER Problem: Verhältnis zu Gott
 warum wendet sich Boethius nicht zu Gott in seiner Not? Verhältnis zu Gott?
 Boethius wahrscheinlich Christ gewesen – leichte Provokation: heidnisches
Wissenssystem, dass in christliche Welt integriert werden muss
Harmonisierung von Gott und Artes: Beispiel für eine höfisch/klösterliche Erziehung
Hartmann von Aue: Gregorius
 Gregorius wird von dem Abt, von dem er aufgezogen wurde, auch gelehrt
Informationen über Ausbildung sehr interessant:
1. Am Anfang: Grammatik
2. Als Grundlage für göttliche Inspiration
3. Denn „Die Kunst (artes) stammt von Gott.“ – wer die Grundfähigkeiten lernt, wird
göttlich erleuchtet!
4. danach weiteres Studium (Ars  Gott  Artes)
o jeder Mönch muss jede Woche die gesamten Psalmata durchsingen – sie
müssen also lesen, Grammatik anwenden und verstehen können
5. letzte Kunst: Rechtwissenschaft (Kunst des Herrschers) – gehört nicht zu den sieben
freien Künste ABER deutet auf Kompetenz als Herrscher hin (eigentlich ist er ja
königlicher Abstimmung)
o Rechtsgelehrsamkeit bezieht sich traditionell auf Dialektik und Rhetorik
Thomasin von Zerklaere, Der Welsche Gast (Höfische Erziehungsschrift)
Was man als Ritter/in der höfischen Kultur können muss
 Sehr umfangreich, kann nicht jeder alles, aber Compendium (so eine Art Überblick)
o Text meist spaltig von Bildern begleitet – um halbgebildeten Adeligen auch etwas
näherzubringen
Nähere Beschreibung der Künste:
o Grammatik lernt einem recht zu sprechen
o Dialektika unterscheidet Wahres vom Falschen, man betreibt Logik
o Rhetorik kleidet unsere Rede in einem schönen bunten Kleid
o Arithmetik lehrt zu zählen
o Geometrie lehrt zu messen
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o Musik gibt Weisheit über Töne  Musik im MA meint: Errechnen von
Melodieverhältnissen (Harmonie)
o Astronomie lehrt Natur der Sterne und ihr Gang
Beispiele für die Veränderungen der Inhalte und Fehler
Erster deutschsprachiger Kontext wo arabische Ziffern verwendet
werden! ansonsten römische Zahlen!
Bild:
1 2 4 8
1 6 13
9 10
27
Richtig wäre:
16
24
17
58
91
1 2 4 8
3 6 12
9 18
27
16
24
36
54
81
Aus dem Doppelten das Anderthalbfache machen – stimmt nicht! ist Blödsinn!
These: Illustrator machte sich über unwissende Adelige lustig
Fehler im Thomasin-Bild
o krumme Linien
o Basislinie nicht ganz gleich Radius der Kreise
o im Text: Geometrie ursprünglich Kunst des Landvermessens –
so konnte man in der Antike sein Reich vermessen
Hortus Deliciarum (Garten der Köstlichkeiten) der Herrad von Hohenburg oder Landsburg
(wo sie Äbtissin war) – um 1180
Werk verbrannte in Straßburg 1870
ABER zum Glück 1818 schon Faksimilie und detaillierte Nachzeichnungen
(u.a. von A. Straub – dieser interessierte sich aber mehr für Zeichnungen als
für Text)
Wie zuverlässig ist diese Nachgestaltung?
o wir können es mit anderen Handschriften vergleichen  sehr genau
gemacht
o heute: komplette Reproduktion, wir sind sehr gut informiert trotz
verlorenem Werk
Gesamtes Wissenssystem wird im Buch dargestellt – artes spielen wichtige Rolle!
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Systematik
4 Ebenen:
o Philosophie  im Zentrum
o Antike Philosophen
o Die sieben freien Künste
o Poeten und Magier außerhalb des Kreises
Aufteilung:
o Philosophie im Zentrum  strahlt aus, 7 Flüsse strömen von dort weg = die 7 artes
o Sokrates und Plato als heidnische Philosophen noch eher im Zentrum
o Magier und Poeten außerhalb aber noch inkludiert
Die Philosophie im Zentrum
 dreiteilig: Ethik, Logik, Physik (hier keine reine
Naturwissenschaft, sondern enthält
verschiedene Aspekte)
 7 Quellen der Weisheit fließen aus Philosophie
heraus  „Freien Künste“
o Reihenfolge ein bisschen anders – aber
Grammatik noch immer als Erstes
 Weisheit kommt von Gott – und diese Weisheit
befähigt uns, etwas zu tun  sehr wichtiges
Denkmodell im MA
o durch meinen Intellekt kann ich etwas über die Welt sagen 
Eigenentscheidung, aber doch gottgegeben
o allein die Weisen können alles, was sie wünschen, tun
 Heiliger Geist (kann zwischen Immanenz und Transzendenz hin- und herfliegen) =
Erfinder der Sieben Freien Künste
Die antiken Philosophen: Plato und Sokrates
 Philosophie hat gelehrt: Wesen jeder
Sache kann wissenschaftlich untersucht
wird
 Die Beiden sind Heiden – trotzdem schätzt
man sie hoch
 eigentlich: im MA mehr Wissen über
Aristoteles und eher wenig über die beiden, wurden auch wenig rezipiert  eher
symbolisch
 Heiden mitten im Kern dieses eindeutig christlichen Wissenssystems!
 Philosophen haben zuerst Ethik, dann Naturkunde, dann Rhetorik gelehrt
 Philosophen = Weise der Welt & Kleriker der Heiden
Die sieben Künste – im Kreis herum um Philosophie und Philosophen
 Kreis, in dem die Philosophie sitzt  Verbindung mit Himmelssphären, alles ist
verbunden, Philosophie steht für Einfluss von allem
 Im Kreis sind alle Künste eigentlich gleichberechtig – keine Hierarchie
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Grammatik  Als Frau dargestellt, trägt Rute und Buch
Durch mich lernt man, was ein Laut, ein Buchstabe, eine
Silbe sei.  schon genauere Beschreibung
Rute gehört zum Inventar des Lehrenden damals
 2 Geschichten:
 St. Galler Abt Purchard – Frühgeburt, daher
keine Haut angesetzt, „ingenitum“ (der Ungeborene genannt), sehr leicht verletzliche
Haut – daher keine Rute bei ihm angewendet
 sehr aufgelegte Geschichte dafür, dass man auch ohne Gewalt klug werden kann
Anmerkung: Erste gelungene Schnittgeburt erst 1500 überliefert – normalerweise war
Mutter tot; Kaiserschnitt – kommt von der Geburt Cäsars (Verwechslung: eigentliche cäsare
für schneiden, Schnittgeburt)

Der Schulmeister von Esslingen in der Manessischen Liederhandschrift
 Mittelalterliche Semantik: wer lesen und schreiben kann hat das Schlagen mit der
Rute durchgemacht
Rhetorik  Frau mit Wachstafel und Stift (Griffel)
Durch die Kraft der Ursachen erforscht du, verehrter
Redner.
Wachstafel
 mündlichkeitsnah  vgl. Konzept, Notiz – man
macht sich Notizen für eine Rede
 hier: zweiseitige Wachstafel um sie zum Schutz des Wachses zuklappen zu können
 Wachstafel (Konzept) vs. Codex (fixiertes Wissen)
 Zusammenhang Codex und Wachstafel  Hildegard von Bingen im Liber Scivias
o Heilige Hildegard wir durch göttliche Flammen beseelt, sie hält Wachstafel,
Mann einen Codex, sie diktiert ihm  es gibt 2 Arten von Schreiben
Dialektik  Frau mit Hundekopf
Ich lasse die Argumente aufeinander los rennen in der Art der
Hunde.  Wettstreit der Argumente: schauen, wer gewinnt
Vgl. zum Welschen Gast: Dialektik = Angriff und Verteidigung
(man gibt Schild und Schwert hin und her)
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Musik  Frau mit Lyra, Kithara und Drehleier
Ich bin eine Lehrerin einer weiten, vielfältigen Kunst.
Vgl. Welschen Gast: Musica ursprünglich = Kunst des
Berechnens der Verhältnisse (Harmonierlehre), theoretisch
ABER hier: praktische Musik (Musikinstrumente
aufgezählt), praktisch
Beispiel für einen Text zur „Musik“: Notker der Deutsche – De Musica
 Frühester dt. Text über Musik
 Thema: Maß der Orgelpfeifen, wie man eine Orgel baut
 Musikdiskurs des frühen Mittelalters: Zahlen im
Verhältnis zueinander etc.  das ist Musik damals
Arithmetik  Frau mit Zählstrick
Ich bestehe aus Zahlen, deren Unterschiede ich demonstriere.
Geometrie  Frau mit Zirkel und Stock
Ich kümmere mich um die Maße der Erde mit Sorgfalt.
Geometrie steht auf Bogen und vermisst diesen  Tradition
der Landvermessung
Vgl. Welschen Gast: Euklid als antiker Vater der Geometrie
Astronomie  was hält sie in der Hand? Keine Ahnung.
Ich habe meinen Namen von den Sternen, durch welche man
Voraussagen zu machen lernt.
Astronomie = Astrologie  ein Diskurs! Eine Kunst!
Vgl. zu Welschem Gast: Astronomie lehrt der Sterne Natur
und Gang
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Dies alles in einem Kreis mit der Inschrift:
Dies sind Beschäftigungen, welche die weltliche Philosphie verfolgt; das Untersuchte festhält;
durch Schrift fixiert; und den Schülern beibringt.
 Artes als Arbeitsinstrument – Fixierung und Vermittlung
 Differenzierung von christlich-theologischer Deutung („weltliche Philosophie“)
Die Poeten und Magier unterhalb des Kreises
4 Personen, die mit schwarzen Vögeln auf den
Schultern schreiben (normal weiße Vögel!)
 Dichter und Wahrsager, vom unreinen
Geist inspiriert
 sie schreiben magische und dichterische
Kunst (dh. fabulöse Hirngespinste)
Hintergrund: Es gibt damals neue Formen von Wissenschaften
 Hiermit Distanzierung von diesen – es gibt sie und sie sind nahe zu den Artes ABER
haben doch keinen Platz unter ihnen! sie gehören nicht zum System – sitzen aber
direkt darunter
 es gibt keine Verbindung zu Gott! („es fließt kein Strom von der Quelle dorthin“)
 Artes erfunden vom heiligen Geist (ein weißer Vogel!)
Muster: Inspiration
 Alban-Psalter: König David wird vom Heiligen Geist inspiriert, sehr großer heiliger
Geist pickt David ins Ohr  Demonstration: diese Psalmen Davids sind inspiriert vom
heiligen Geist
Gegensatz hierzu: Schwarze Vögel
 Magier kriegen ebenfalls etwas von außen gesagt ABER direkt von schwarzen Vögeln
 hl. Geist für etwas anderes zuständig
 Wer Rhetorik, Dialektik etc. lernt, lernt etwas vom hl. Geist und kann an seiner
Weisheit teilhaben  der hl. Geist muss nicht mehr (wie bei David) anwesend sein
Zusammenfassung der Systematik des Artes-Kreises im Hortus





Weisheit von Gott
Fließt durch die Quellen aus der Philosophie heraus
Lehrauftrag  Philosophen als „Kleriker der Heiden“
Artes als sortiertes Wissen, das in die Welt gegeben wird (Philosophen aber im Kreis)
Ausserhalb des Kreises, aber von den Artes ausgehend: Poeten und Magier
Gott als Ausgangspunkt  Vermittlung und Transformation durch die Philosophie, zu der
auch die heidnischen Philosophen gehören  Artes = das Produkt
an Artes orientieren sich auch Poeten und Magier ABER sie sind nicht in Verbindung zu Gott
und dem System
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 Trennung bereits vorhanden!
ab 12. Jh.: deutlicher Konflikt zwischen Dichtern und Gelehrten!
Beispiel für entstehenden Konflikt: Deutsche Kaiserchronik
Anmerkung: die Chronik stimmt nicht! Es geht nicht um geschichtliche Richtigkeit, sondern
darum die eigene Geschichte in großem Buch zu erzählen!
„Es gibt leider eine Gewohnheit in diesen Zeiten. Manche denken sich Lügen aus und fügen
diese mit „dichterischen“ Worten zusammen – jetzt habe ich Angst davor, dass uns deshalb
die Seele brennt: Denn es geschieht ohne die Liebe Gottes und diese Lügen werden in der
nächsten Generation zu Wahrheit.“
 ganz anders als die Deutsche Kaiserchronik: diese spricht in Gottes Wille!
 „ohne die Liebe Gottes“ – vgl. außerhalb des Kreises
 Möglichkeit aus dem Wissenssystem herauszutreten ist im System gegeben – Alchemie,
schwarze Künste etc. werden entstehen
 Hier im 12. Jh.: Wissen ist geortet, aber wir merken, dass es sich öffnen wird (gefährlich!)
 Skop – germanische Sänger, die ohne die Liebe Gottes arbeiten
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Dritte Vorlesung – Naturkunde und Weltbild
Themen heute:
 Die Gestalt der Welt
 Beweise für die Gestalt
 Folgen der Gestalt – Die Antipoden
 Die Einteilung der Welt
 Weltkarten und Heilsgeschichte
80er: Tagesschau- und Zeit-im-Bild-Weltkarten  zweidimensionales Bild einer Kugel
Im Zentrum: Europa! Sprecher spricht aus dieser Perspektive
In der Regel: Zweidimensionale Deutung einer dreidimensionalen Welt
Holzstich aus Camille Flammarion, L`atmosphere. Météorologie populaire, Paris 1988
Das Bild hat keine mittelalterliche Grundlage!
Mensch bricht aus aus der Scheibe der Welt und
erreicht die Moderne der Meteorologie etc.
Vorstellung dieses Bildes: der mittelalterliche Mensch
glaubt, die Welt sei eine Scheibe
ABER diese ist falsch!
 Es gibt keine Tatsachen, die darauf hinweisen!
bereits im MA: Welt = Kugel
Aus der Mainauer Naturlehre (um 1300)
Körper des Menschen ist aus 4 Elementen:
Das Erste ist die Erde, die ist kugelförmig.
Warum wird das hier angenommen? Weil die Sonne sonst nicht an verschiedenen Orten zu
verschiedenen Zeiten untergehen könnte.
Weitere eindeutige Aussagen über die Kugelgestalt der Erde
Lucidarius, um 1190
Schüler-Lehrer-Gespräch
Die Welt ist rund und sie ist umschlossen mit dem „Wendelmeer“ (Ozean). Darin schwebt die
Erde wie ein Dotter im Weißen des Eis.
Berthold (1272 gest.)
konkreter dazu – was ist was
Populäres Wissen, da Berthold ein Prediger für Laien ist
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Erde wie ein Ball; Himmel (wo die Sterne stehen) = Schale,
Weißes um den Dotter herum = Lüfte; Dotter = Erde
Vision der Hildegard von Bingen (gest. 1179) aus dem Liber
Divinorum Operum
Beweise für die Kugelgestalt
Schiffe verschwinden stückweise am Horizont, da die
Erdkrümmung zwischen ihnen und dem Betrachter größer wird
 Man kann sehen, dass die Erde rund ist, wenn man es weiß
Konsequenz der Kugelgestalt 1: Umrundbarkeit der Welt
Man argumentiert trotz Unwissen über Schwerkraft, dass
Runterfallen nicht denkbar ist:
 Wir leben auf einer Kugel, die belebbar ist wie eine Fläche
 „Die da unten denken auch über uns, dass wir runterfallen sollten.“
Anonyme Anekdote im Reisebericht des John Mandeville (Mitte 14. Jh.)
 Mann, der die Welt umrundete und zu Hause wieder umkehrte, weil er seine eigene
Sprache und sein eigenes Land nicht wiedererkannte
 es probierte keiner, aber es wurde als literarisches Motiv genutzt
Konsequenz der Kugelgestalt 2: Die Möglichkeit der Antipoden
(„Gegenfüßler, die uns gegenüber auf der Kugel leben“)
Großer Streit im MA: theoretisch gibt es sie, aber gesehen hat sie noch keiner
Ablehnung durch Augustinus (gest. 430)  seine Argumentation:
 selbst wenn die Erde eine Kugel ist, muss dort unten kein Land sein und selbst wenn
doch, müssen dort keine Menschen sein
 Mögliches Wissen (dass es Antipoden geben könnte) vs. Glaubensgesetze, von denen
Augustinus ausgeht (es ist nicht möglich, den großen Ozean zu überqueren)
 Wenn alle von Adam und Eva abstammen, müsste jemand den Ozean überquert
haben, was aber nicht möglich ist  daher gibt es keine Antipoden, weil die Bibel
sicher erwähnt hatte, dass dort das selbe Menschengeschlecht existiert
 außerdem Widerspruch zu Missionsgebot Mätthaus: „geht zu allen Völkern und
macht die Menschen zu meinen Jüngern“ – wenn es Menschen gibt, die man nicht
erreichen kann, wäre dieses Gebot zu verwerfen
Augustinus Argumentation setzte sich stark durch, aber Potenzial der Antipoden blieb
Streit in der Regel nicht sehr heftig (zB. bei Hartmanns Erec sind die Antipoden
Hochzeitsgäste)
ABER Kleriker haben Probleme damit (zB. 1316 auch Verbrennung des Petrus von Abano
(Padua), weil er die Existenz der Antipoden nicht leugnete)
14
Die Einteilung der Welt und ihre Bedeutung. Muster A: Die vier Teile der Welt
Aus Notkers Bearbeitung der Consolatio Philosophiae des Boethius
Philosophie zu Boethius:
Dein Leid ist so klein im Vergleich zur Welt! Die Erde hat keine Größe gegenüber der Größe
des Himmels.“ [kurzer Exkurs zum Außmaß von Punkten laut Aristoteles (Das ist ein Punkt...)]
Von dieser so kleinen Erde ist nur der vierte Teil (1 Viertel!) bewohnt von uns bekannten
Menschen. Dieser vierte Teil ragt aus dem Wasser heraus und dort sitzen die Menschen. Der
Himmel lehrt uns, dass es der vierte Teil ist.“
Kommentar zum Textes
 „uns“ aus Perspektive der Menschen, weil diesen die Antipoden unbekannt sind
ABER die Philosophie könnte davon wissen
 wenn es „bekannte“ Menschen gibt – muss es auch „unbekannte“ geben
Argument Notkers: Das Ganze kann man gut an dem Himmelsgobus sehen, der im Kloster St.
Gallen unter Abt Burchard neuerdings gemacht wurde.
 Wie dieser aussah, ist unklar – aber man konnte laut Text durch ihn sehen, wo die
Menschen wohnen
Aber wie sehen „die vier Teile“ aus?
Ozeane in der Mitte nicht überwindbar
Teil der Menschen: „Ökumene“ (Schaffungsakt
war dort, Menschen in der Ökumene von Gott
geschaffen)
 Daher: Augustinus hat recht! Es kann in den
anderen Teilen keine Menschen geben!
Die Einteilung der Welt und ihre Bedeutung. Muster B – Einteilung in 3 Kontinente
Aus der Mainauer Naturlehre


Teilung in Europa, Afrika und Asien
Philosoph Alfraganus sagt vom Erdreich: Der kleinste Stern, den der Mensch sehen
kann, ist größer als das gesamte Erdreich und ein Stern ist wie ein Punkt gegenüber
dem Himmel.  Wiederholung der „Kleinheit“ wie bei Boethius
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 Don, Nil und Mittelmeer teilen die Kontinente
voneinander
 Ozean rundherum um das Ganze
 Sogenannte T-O-Karten
 Durch diese Skizzen nahm man an: „die glauben, dass die
Erde eine Scheibe ist“ – aber NEIN die Texte sagen etwas
anderes!
Umsetzung dieses Wissens in „Weltkarten“
Das St. Galler Palimpsest (Ende 7./Anfang 8. Jh.) 
Jesus steht über der Welt
Asien, Europa und Afrika
UND Terra inhabitabilis (unbewohnbare Gebiete)
Kombination aus Prinzipien A und B (obere
Kugelhäfte zweidimensional)
Die Ebstorfer Weltkarte um 1300
Riesengroße Karte (3,5x3,5m)
 Viel Textbegleitung der
riesigen Karte
 Ge-ostet wie alle anderen
Karte = Zeitachse von der
Erschaffung der Welt über die
vier Weltreiche (Babylonier,
Perser, Griechen, Römer) bis
zum Ende der Welt (wo wir
uns befinden)
 Von Osten (oben) nach
unten – Zeitverlauf
Nordung bzw. Südung erst
durch Kompass!
 Gott als Träger der
Weltkugel
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Die Londoner Psalterkarte
Kleinste Karte (8 cm Durchmesser) – aber
etwa Gleiches darauf
Vorder- und Rückseite dieser Karte
vorhanden
 vorne: Ökumene
 Jesus hinten als Salvator (Erlöser,
Beschützer) vs. vorne als Pankrator
(Beherrscher)
 vorne Gefahr durch Drachen (ganz
nahe bei uns) vs. hinten Rettung
durch Jesus (zerstampft Drachen)
Jerusalem
 als Drehpunkt sowohl auf Ebstorfer als auch auf Londoner Psalterkarte
 als Zentrum der Welt und des Heilgeschehens
 bei Ebstorf: nach Visionen des Johannes gezeichnet: goldene
Mauer, 12 Türme, …
 Bei Mandeville sehr schwer erreichbar, da höchster Punkt des
bewohnten Teils  Verbindung Kugelform & Heilsgeschichte
Eingezeichnete Dinge
 Paradies (ganz im Osten) – von dort heraus fließen 5 Paradiesflüsse
o Ganges, Eufrat, Tigris, Geon, Phison (oftmals als Ganges identifiziert)
o Ebstorfer: nur 4 Paradiesflüsse versickern im Paradies
 Phantasma: es gibt eine Verbindung zwischen Paradies und irdischer Welt
– man kann dort zwar nicht hingelangen, aber die Flüsse schaffen etwas, dass
aus dem Paradies stammt
 Sonnenbaumorakel (neben dem Paradies)
o Teil der Alexanderlegende: Alexander kommt bis zur Mauer des Paradies und
erfährt dort Wissen durch ein Baumorakel
 Mischung aus Heilsgeschichte und „literarischen“ Stoffen
 Völker Gog und Magog (Menschenfresser)
o wurden (nach islamischer Tradition) von Alexander hinter ein Tor gesperrt
und werden am Ende der Welt von dort ausbrechen
o Deutung von Gefahren aus dem Osten in dieser Perspektive – Völker, die von
dort kommen (Bsp. Hunnen) und überlegen sind, werden verbunden mit AntiChristen-Völkern Gog und Magog
 auf den Weltkarten also die Endzeit sichtbar
 Monstra am Rande der Welt, die gerade noch zur Heilsgeschichte gehören
o Ganz im heißen Süden – so heiß dort, dass man eh nicht hinkommt
NICHT nur geographisch orientierte Karten (man könnte damit auch nicht reisen), aber
kulturelle und zeitliche Aspekte vorhanden – man macht sich ein Bild vom Ablauf der
Weltgeschichte
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Beatus-Karte (Beatus von Liénana)
 Kommentar zu Apokalypse
 T-O-Karte
 neuer Teil: Schattenfüßler als
Antipoden von Ökumene getrennt
 nicht Teil der Welt
noch einmal: trotz Flachheit der Karten –
IMMER gedacht als Kugel!
Zusammenfassung



Kugelgestalt unbezweifelt
Buchwissen (Bibel) vs. Erfahrungswissen (Leute reisen und berichten), Deutung der
Weltgestalt vs. Heilsgeschichte
o 2 Möglichkeiten: man verneint, was nicht zur Bibel passt ODER man verbindet
es
Weltgestalt als Medium der Weltdeutung
o Unbedeutsamkeit wird sichtbar und tröstet (Boethius), Demut
o Verlauf der Heilsgeschichte wird sichtbar (Ost-West  Weltreiche)
o Räumliche Ordnung der HG (Paradies, Jerusalem)
o aber auch andere Erzähltraditionen (Alexander: Sonnenbaum, Gog und
Magog)
o Eigener Ort in Welt- und HG wird sichtbar: römisches Reich als Ende der
Geschichte aber auch als Erlösungshoffnung
 man setzt sich ganz unten hin, aber in Verbindung zur Geschichte
Anmerkung: heutige Veränderung der Karten im Fernsehen: wir nicht mehr (ganz so) als
Nabel der Welt – vgl. Karte des australischen Tourismusverbundes
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4. Sitzung – Mystisches Wissen
Themen
 Systeme des Wissen (Elemente – Säfte – Temperamente – Kosmos)
 Vision und Wissen und wie mn es aufschreiben kann
 Mystische-magische Praktiken – Prophetien und Weissagungen
Systeme des Wissens: Elemente – Säfte – Charaktere
früher: fixe Einteilung in 4 Elemente – diese stehen in fixem Zusammenhang zueinander
Heute ganz anders: Atome
feucht
trocken
kalt
Aqua
Terra
heiß
Aer
Ignis
 Elemente kategorisieren sich nach ihren Eigenschaften (Bsp. Erde ist kalt und trocken)
 Gegensätze ergeben sich durch diese Einteilung (Bsp. Erde und Luft haben keine
Eigenschaft gemeinsam)
Arzt Galenus (gest. 216) ordnet diesem System nun 4 Säfte des Menschens zu:
 Blut
 Schleim
 Gelbe Galle
 Schwarze Galle
 „Elemente zirkulieren im Menschen“
Zuordnung nach folgender Thematik:
kalt
heiß
feucht
Schleim
Blut
trocken
Schwarze Galle Gelbe Galle
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Folgerung dessen:
 Gelbe Galle = Feuer
 Schwarze Galle = Erde
 Blut = Luft
 Schleim = Wasser
Daraus entstehen dann 4 Temperamente (Bsp. am meisten gelbe Galle  cholerisch!)
 Cholerisch (Gelbe Galle, Feuer)
 Melancholisch (Schwarze Galle, Erde)
 Sanguinisch (Blut, Luft)
 Phlegmatisch (Schleim, Wasser)
 Druck des 16. Jh.
Wichtig: 4 Elemente aus denen alles gebaut ist!
Elemente und Säftelehre


Im Mensch bilden sich die Grundregeln der Natur ab
(Mensch = Mikrokasmos, der den Makrokosmos
widerspiegelt)
Antike Tradition, die ins Mittelalter kommt:
Anthropos esti mikrokosmos, id est, homo est minor
mundus  früher Boethius zugeschrieben, eigentlich
anonym
das beobachtet hier Hildegard v. Bingen (heilige Hildegard) 
20
2. Vision und Wissen und wie man es aufschreiben
kann
Die Offenbarung Brigittas von Schweden (gest. 1373) 


vom Erfahrungsmoment zum
Aufschreibensmoment!
vgl. Hildegard Bingen – ähnlich gedacht
Hildegard von Bingen. (gest. 1179) Das Buch vom Wirken Gottes.
Liber divinorum operum.
Was Hildegard aufschreibt, wird letztlich von einem männlichen
Schreiber (Volmar von Disibodenberg) in einen Codex
geschrieben, ohne dass er direkt bei der mystischen Begebenheit
dabei ist  Lockere Verbindung zwischen Erfahrungs- und
Aufschreibmoment
 Hildegard von Bingen schreibt zuerst auf Wachstäfelchen (Form
des Notierens) und erst später schreiben in Codex
 mehrere Ilustrationen dieses Prozesses
Visionäres Bild – müsste man
diese Kreise, die Hildegard da
betrachten, aufschreiben,
wäre dies sehr kompliziert
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Problem:
Schrift (vermittelt, gelehrt, systematisch) vs. Offenbarung (unvermittelt, sinnlich, wild)
Wachstafeln stehen dazwischen  Inspiration vs. Deutung
Wie kann man Mystik aufschreiben?
Beispiel: Diktat im Schlaf
 Beseelte spricht im Schlaf
 man bringt es in die Schrift ohne die Mystikerin als Autorin darzustellen
 Nonnen etc. haben es aufgeschrieben, wenn sie sprach
Beispiel: The book of Margary Kempe (gest. nach 1438)
 Visionen, die sie (im Auftrag der Vision) aufschreiben lassen soll
 Nach 20 Jahren ein Versuch ABER Schreiber stirbt
 Sucht sich einen anderen ABER dieser Überarbeiter und Fortsetzer kann die Schrift
nicht lesen – er kennt weder die Schrift noch die Buchstaben dessen, was der erste
aufgeschreiben hat (nicht bekannt)
 Problem der schriftlichen Fixierung einer Vision – Welche Sprache spricht Gott?
Eine experimentelle neue Sprache und Schrift bei Hildegard von Bingen
 Lösung dieses Problems bei ihr
 Geheimsprache Lingua ignota (3 Handschriften)
o Riesencodex, Berlin, Wien
 Geheimschrift Litterae ignotae
o Riesencodex, Berlin, Florenz, Wien, (verschollen) Wien
Die Geheimsprache Lingua ignota
 Schrift Hildegards ist dreisprachig niedergeschrieben in einem Glossar
(Geheimsprache – latein – deutsch; Bsp. Aigonz – deus – Goth)
 Sprache besteht hauptsächlich aus Nomen und Adjektiven – kaum Verben! und keine
Verbindungswörter!  keine gesamte Sprache, ist nicht als Kommunikationsmittel
gedacht
 auch keine Grammatik
 oftmals erwähnt: Wörter für Kräuter, Bäume, Steine,...
Anwendungsbeispiel der Lingua ignota – Hymnus mit den Geheimwörtern (Stuttgart)
 Wird nur einmal in einem Werk angewendet!
 Schrift wird nicht gesamt zum Texte schreiben eingesetzt, sondern nur partiell – also
desto mehr man sie nutzt, desto fremder klingt der Text
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 Hymnus mit den
Geheimwörtern
… und mit Hyazinth
geschmückt bist du caldemia
(Duft) der Wunden der
loiffolum (Völker) …
Die Geheimschrift – Litterae ignotae
Aus der Berliner Handschrift
Anwendungsbeispiel der Litterae ignotae: Namensnennung am Ende eines Briefes
Hildegard den Mönchen des Klosters Zwiefalten  in einem Kunstalphabet
Diese Alphabet als Hinweis auf Hildegard?
 Germanistik: welche Sprache steckt hinter der Geheimsprache Hildegards?
 Beweise dafür, dass es sich um ihren Volksdialekt handelt
These: Gescheitertes Experiment einer neuen Sprache für die Wiedergabe mystischer
Erlebnisse, abseits der gelehrten Deutungen
 zu dieser Zeit Sonderfall (vor allem als Frau) ein Alphabet zu erfinden
Kommunikationsmodell zu dieser Geheimschrift





Keine Hinwendung des Senders zum Empfänger
Geheimschrift also von Informationsvermittlung abgewandt
Geheimschrift repräsentiert individuelle Verbindung zwischen Sender (Gott) und
Medium (Hl. Hildegard)
Empfänger muss bestimmte Medienkompetenz haben um die Botschaft zu erhalten
Wenn Empfänger die Encodierung schafft  tatsächliche Wiederholung des
ursprünglichen Kommunikationsereignisses (eigene Inspiration)
23
Anwendung mystischer Praktiken: Buchstaben- und Schriftmagie
A bezeichnet Gewalt oder Leben. B Gewalt oder Krieg. C und D Trübsal und Tod …
 Buchstaben werden Dinge (Ereignisse, Gemüter, …) zugeordnet
Die Tradition des Bibelorakels (Bibelstechen, Däumeln) – ein spätes Beispiel
existiert in verschiedensten Varianten:
Dreifährtenlegende: Franz von Assisi und seinen ersten beiden Gefährten, Bernardo die
Quintavalle und Pietro Cattani haben Gott nach ihrem Auftrag befragt  zufälliges
Aufschlagen der Bibel – welchen Auftrag hat Gott für uns?



Unterwegs sein („gib Besitz und Geld weg und folge mir nach“)
Armut („nehmt nichts mit auf den Weg“)
Gottesglaube („als Jünger verleugne dich selbst, nimm täglich dein Kreuz und folge
mir nach“)
 Aus dem allgemeinem Gotteswort wird ein persönliches, unmittelbares Erlebnis (Gott
spricht durch den Zufall) – also wieder „Inspiration“
 dies als Startschuss für Gründung der Bettelorden
Augustinus: Confessiones  Klassiker des Bibelorakels
Augustinus ist zerknirscht und weint, da hört er eine Kinderstimme singen: „Tolle lege!
Nimm und lies!“ – er überlegt, ob es ein Kinderlied sein könnte, aber fasst es dann doch als
göttlichen Befehl auf, öffnet die Bibel nach Zufall und liest:
Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und
Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht, sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und
sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt.
 Licht des Friedens kommt über Augustinus und Nacht des Zweifels entflieht, er legt ein
Lesezeichen (weiß nicht mehr welches) hinein und erzählt Alypius die Geschichte
Stufen im „tolle lege“
 Zweifel und Bitte um Inspiration
 Inspiration 1: Tolle Lege
 Deutung 1: kein Kinderlied
 Inspiration 2: Lesung des Gotteswortes
 Deutung 2: Bezug des Textes auf das eigene Leben
 Inspiration 3: Licht des Friedens legt sich auf das Herz
 Deutung 3: Bucheinmerker und Weiterverbreitung
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Petrarca (gest. 1374) – Besteigung des Mont Ventoux  eine berühmte Weiterführung:
Petrarca besteigt mit seinem Bruder den Mont Veneuy; oben angekommen betrachtet er die
Landschaft und liest ein zufällig aufgeschlagenes Wort aus den Confessiones des Augustinus,
die er mit sich führt:
Und es gehen die Menschen hin, zu bestaunen die Höhen der Berge, die ungeheuren Fluten
des Meeres […] und vergessen darüber sich selbst.
 allgemeine Deutung: Begründung des Alpinismus?
 nach Muster antiker Herrscher (Livius, Philipp von Mazedonien)
 erste Beschreibung einer „freiwilligen Bergbesteigung“ (Bergsteigen eigentlich
paradoxe Erscheinung)
ABER betrachtete man die gesamte Geschichte:
 Petrarca erfasst Zorn darüber, dass er immer noch irdischen Dingen Bewunderung
zollt, obwohl doch nur die Seele diese verdient
 Naturerlebnis unwichtig gegenüber der Selbsterkenntnis – Erhebung des Menschen
in der Schöpfung
 keine Aufforderung zum Bergsteigen, sondern Lesen eines Buches vor der eigenen
Erfahrung (Toposwissen vor Erfahrungswissen)
Lösung: Die Bedeutung der Buchstaben
Wenn man einen Traum hat, soll man diesen deuten, indem man am Morgen den Psalm
„Misere mei deus“ im Namen des Vaters und des Sohnes aufschlägt  erster Buchstabe auf
dem Blatt sagt dir die Bedeutung des Traums (vgl. Alphabet)


Zwar noch immer unklar, wer stirbt etc.  aber zumindest Deutungsangebot
Unterschied zu Augustinus, Franziskus und Petrarca
o Statt Auslegung des Bibeltextes (Deutung auf Grundlage des zufälligen
ausgewählten Textes, Bezuf auf eigenes Leben)  jetzt Bedeutung ohne
Deutung, also direkte Inspiration (wie bei Mystikerinnen)
Texte zeigen also, was man tun soll und was kommt: Mantik
Prophezeiung aus dem Gallapfel (Heidelberg)  du findest heraus, ob etwas teuer oder billig
wird, indem du einen Apfel auf Insekten untersuchst
 Spinne/Mücke – teuer
 Made (medlin) – billig
Zukunft ist präsent in der Gegenwart, man muss nur wissen, wo sie zu finden ist!
25
Tradition der Prognostik
Cod. Lichtenthal (Karlsruhe)  welcher Teil eines Ehepaars
stirbt früher?
 Geheimschrift: Vokale durch im Alphabet
darauffolgende Konsonanten ersetzt
 Buchstaben sind Zahlen zugeordnet; man berechnet so
jeweils den Namen der Eheleute und zieht von diesen
je solange 7 ab, bis es nicht mehr geht  bei wem
weniger übrig bleibt, der stirbt zuerst
 Es geht in der Prognostik oft um Eheleute, die wissen wollen, wer früher stirbt –
warum genau unklar
Johannes Hartlieb: Das Buch aller verbotenen Künste


Werk wurde 1456 abgeschlossen
man erfährt viel über die Praktiken, auch wenn Hartlieb eigentlich über alles extrem
herzieht
o Schema: so funktioniert das – aber es ist sicher Aberglaube!
Beispiele:
 Von den Losbüchern des Pythagoras (Ehepartner-Berechnung v. oben, Berechnen
eines Sieges)
o Praxis erklärt und falsifiziert, aber Betonung: es fand tatsächlich statt
o Bitte an den Fürsten, dies zu unterbinden – da er sonst selbst schuld an dieser
Sünde sei
 Käsesegnen
o man segnet einen Käse und ein Dieb kann diesen nicht essen – so kann man
feststellen, wer schuldig ist
o oft Seife als Käse ausgegeben  zeigt, dass man diese Rituale fälschen und
gegen rechtsame Leute nutzen kann
 Probleme der Weissagung: Anwendung der Praktik um festzustellen, was der Fall ist (vgl.
Gottesurteil)
26
Fünfte Vorlesung – Krankheit und Heilung
Grundpropblem: Wenn Krankheit ein Teil der Schöpfung ist und also gottgegeben ist, darf
man sich dann gegen diese Gottesgabe wehren? Stellt das nicht den Plan der Schöpfung in
Frage?
Lösungsmodelle:

Heilkunst = Gottesgabe, wie die Krankheit auch (Basilieos, 4. Jh.)
o Wir hätten diese Gabe nicht, wenn es keine Krankheiten gäbe

Theraphie = Busse (Augustinus, 5. Jh.)
o Wer sündigt, wird in Hände der Ärzte überliefert

Nicht Heilung, sondern Linderung
Medizin als Form der Linderung
Rechtfertigung der Heilkunde im Lorscher Arzneibuch
1) Mitleid (Compassio) wichtiger als die Einwände  Nächstenliebe > Kritik
2) Heilkunst und Arzneien in der Bibel erwähnt
o Beispiele von Bibelstellen  die Medizin und Arzneien können nicht schlecht
sein, wenn sie ohne Kritik in der Bibel erwähnt werden
3) Verschiedene Gründe für Krankheit
o Sünde  Problem: Darf man Sünder, der seine gerechte Strafe bekommt,
heilen?
o Probe  z.B. Hiob, Problem: Probe soll nur durch Gottes Gnade bestanden
werden
o Leidensanfälligkeit  Krankheit durch Alter, schlechte Lebensweise – darf
man heilen!
 Im Prinzip Medizin nur für Leidensanfälligkeit – aber auch sonst hilfreich
Anmerkung: Natürlich gab es Mediziner, die die Heilkunst im Namen Gottes (Heilkunst =
Gottesgabe) ausführten ABER die anderen durften theoretisch eigentlich nicht heilen
Das Lorscher Arzneibuch (um 795 geschrieben)
o lateinisch
o teils extrem innovativ: z.B. Wickel aus Schafdung, Honig und Käse auf tiefe Wunden =
Antibiotikum
Ansonsten v. a. Naturmedizin im Lorscher Arzneibuch
Bsp. mehrere Rezepte gegen Husten: Bockshornklee (heute noch in China und Tibet
verwendet), Andorn, Efeu (Eppich)
Hängt zusammen mit Klostermedizin (Kräutergärten in Klöstern)
Dieses Wissen wird heute noch angewendet
27
Deutschsprachiges Beispiel für Kräutermedizin: Frauengeheimnisse (12. Jh.)
Bsp. für die Krankheit der Frau nach der Geburt (Innsbrucker Arzneibuch)
o Getrocknete, pulverisierte Geschlechtsteile eines Hirsches neun Nächte in einem Ei
(Maßangabe) essen
o Salvatorwurzeln (Königskraut, Alant) – seit der Antike weit verbreitet
 Fazit: es wurden auch Frauen gepflegt, die keine Nonnen waren (Nonnen sollten ja keine
Kinder gebären)
Früheste deutschprachige Rezepte: Basler Rezepte (vor 800)
Bsp. Gegen Krebsgeschwür:
 Verbrenne Salz, Seife und Ruß von Austernschalen, mische alles und reibe es mit alter
Wolle an dem Geschwür, bis es blutet, es soll alles herabrinnen, wenn die Wunde
ganz rein ist: das Weiße von Eiern und Honig darauf
 stammt nicht aus der Kräutermedizin, aber man kann weder sagen, ob es funktioniert
oder um welche Krankheit es sich handelt
 naturkundliche Schiene der Heilkunst – man muss sie legitimieren außer bei
Leidensanfälligkeit
Anbindung der Heilkunde an Prinzipien, die über die Krankheit hinausgehen
vgl. Einteilung der Elemente, Säftelehre, Mikrokosmos-Makrokosmos …
Verbindung aus Kräuterkunde und Monatsregeln
aus einem Arzneibuch aus St. Gallen – diätische Anweisungen (1. Hälfte des 9. Jh.)
 im Monat Juli soll man weder Ader lassen noch schröpfen oder einen Abführtrank
nehmen, man gebrauche Salbei und Raute
 im September darf man alles zu sich nehmen  Herbst = gute Zeit
 Regeln, wie es einem gut geht, angebunden an die Monate
 Verbindung Mikrokosmos – Makrokosmos
 Monate im MA noch ganz anders gesehen: Frühling – schlechteste Zeit (man hat
nichts mehr zu essen, alles versinkt im Schlamm, außer Liebe hat man nichts zu tun)
Verbindung der Prinzipien am Beispiel eines „Aderlassmannes“
aus der Süddeutschen Tafelsammlung (ca. 1410)
Süddeutsche Tafelsammlung  7 Blätter, gelagert in Washington D.C.
 Großes Rätsel: teilweise Deutsch und Lateinisch (beides sehr fehlerhaft)
 Aderlassblätter geben an:
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o Ort des Aderlasses je nach
Krankheiten
o Rahmentexte rundherum, die
allgemeine Informationen geben
Aderlass
 Entfernung von schlechtem Blut
 Einfluss auf die Mischung der Säfte 
man kann durch Ändern des Blutes eine
bessere Balance herstellen (vgl. letzte
Stunde)
Aderlassorte – welche Ader sticht man an bei
welcher Krankheit?
 Stirnadern gut gegen Gebrechen,
Krankheiten und Schmerzen der Augen
 Adern in Augenwinkeln gut gegen dunkle
und rote Augen
 Adern im Nacken gut gegen Schrecken, Nachtfurcht, Un/Schwachsinn, Kurzatmigkeit
(aufsteigen), irres Reden (ainreden) und gegen andere Kopfkrankheiten
 Ader auf der Nasenspitze gut zu schlagen mit dem Aderlasseisen (vlieme) gegen
Nasenfluss
Was enthalten die Rahmentexte der Aderlassblätter?
 Verbindung von Makro- und Mikrokosmos: Aderlass gebunden an Jahreszeiten,
Monate und astronomische Konstellationen
o Tageszeiten – je nachdem wo: vor oder nach dem Essen
o Mondzeit – nach Neumond und nach Vollmond
o Bestimmte Monatstage: 4., 7., 11., 13., 16.,...
 Verbindung von Krankheiten der Menschen mit Prinzipien, die darüber
hinausgehen (hier: Jahresverlauf, Mondphasen, Tageszeiten)
Heute: falsifiziert – Blutverlust nur in seltenen Fällen hilfreich bei Krankheit
Blutkreislauf im 17. Jh. entdeckt – war im MA nicht bekannt
daneben: Magische Praktiken – ab dem 9. Jh. „Zaubersprüche“ in deutscher Sprache


Vielleicht stecken diese Praktiken auch hinter dem Rat mit dem Hirschgemacht und
Ähnlichem – aber diese Ratschläge noch wirklich durchführbar!
Eigentlich eher Segensprüche oder Beschwörungsformeln – ansonsten müsste man ja
zu jedem Sonntagsgebet (Gott hilf uns) auch Zauberspruch sagen
Bsp. Gegen Nasenbluten (12. Jh.)
Christus und Johannes gingen zum Jordan
Da sagte Christus: Steh Jordan,
bis ich und Johannes über dich gingen.
So wie der Jordan da stand, so stehe du, Blut des .N.
29
Dies dreimal sagen und jeweils einen Knoten ins Haar eines Menschen machen.
Spruch selbst in Volksprache, Anweisungen in Lat.  zur deutlichen Abgrenzung
Prinzipien
 Historiola (Ereignis in der Vergangenheit) – Incantatio (Beschwörung, dass sich das in
der Gegenwart wiederhole)
 Analogie I (zeitlich): so wie damals – so jetzt
 Analogie II (Modus): Fluss steht still – Blutfluss steht still
 Weiselburger Zaubersprüche beweisen: Es gab heidnische Zaubersprüche, wo statt
Christus und Johannes andere heidnische Namen standen, die man ersetzte!
Eigentraditionen, die daraus abgeleitet werden
Genzan und Jordan gingen zusammen schießen.
Da traf Genzan den Jordan in die Seite.
Da stand das Blut. So stehe dieses Blut,
stehe Blut, stehe Blut voll und ganz!

Analog zur Geschichte von Christus, Johannes und dem Jordan
ABER
 Genzan: sonst nicht vorkommender Name
 Jordan: Personifikation des Flusses
 Daraus wird eine neue Historiola
Fazit
auf der einen Seite: gut mit Erfahrungswissen getränkte Medizin, die sich legitimieren muss
auf der anderen: Zaubersprüche
Weitere Zaubersprüche
Bonn (11. Jh.)
Gegen Hautkrankheit: mit dem kleinen Finger Krankheit umkreisen, mit ihr reden, Kreuz
darüber machen, wieder mit ihr reden und sie beim Vater, beim Sohn und beim heiligen
Geist beschwören zu vertrocknen anstatt weiterzuwachsen
Prinzipien:
 Personifikation – man kann mit Krankheiten sprechen
 „Magische“ Handlungen
 Christliche Besegnung
München (2. Drittel des 10. Jh.)
oberdeutsch
30
Gegen Wümer: Geh hinaus, Nesso, mit neun Nessokindern, Wegbeschreibung von
Körperinnerem zum Fell und dann in eine Spitze. Drei Vaterunser
 geht wahrscheinlich um ein Tier
 wahrscheinlich Spitze einer Lanze um Krankheit wegzuwerfen
Prinzipien:
 Personifikation
 Praktisches Entfernen der Person
 Christliches Gebet
Parallelüberlieferung in Wien (Ende des 9. Jh.)
niederdeutsch  also einmal also mit Lautverschiebung, einmal ohne
Vergleich der Texte
Titel
Wegbeschreibung
Ganz außen
Ziel
München
Pro Nessia
aus dem Mark in die Ader
Fell
Tulli (Spitze)
Vaterunser
lat. Ter pater noster
Wien
Contra Vermes
aus dem Mark in die Knochen
Haut
Strala (Pfeil oder Strahlbein eines
Pferdes)
ndt. drohtin uuerthe so
Aus der Gleichung Nessia = Vermes  Wurm = Nesso (Ableitung von Nessia)
Andere Lösung: Nessio/Nesso von Ne-scio = Ich weiß nicht
 Name für das, was man nicht weiß, um es zu beherrschen und vertreiben zu können
(vgl. Rumpelstilzchen)
 Inhalt dieses Namen hier: ich weiß nicht, was du bist oder wie du heißt; ich kenne dich
nicht
Züricher Hausbesegnung (frühes 11. Jh.)
Inschrift – sollte man auf Häuser schreiben
Zur Kennzeichnung des Hauses gegen den Teufel:
Gut Wicht, dass du weißt, dass du Wicht heißt,
da du nicht vermagst und auch nicht kannst
aussprechen: chnospinci



wieder: dt. Spruch, lat. Angaben
These: gleiches Schema wie bei Nesso-Spruch
o man lockt den Teufel mit seinem Namen und konfrontiert ihn mit Wissen, das
es gar nicht gibt, und nimmt ihn somit genommen
o beim Versuch das Unmögliche zu realisieren  Endlosschleife
Wissenschaft überlegte lange, was chnospinci heißt – wahrscheinlich gar nichts
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Schema
 Wicht wird Wissen zugesprochen (du weißt deinen Namen)
 Wicht wird „Nicht-Wissen“ zugesprochen (du weiß nicht wie man chnospinci
ausspricht)
 neben Naturkunde also auch magisch/religiöse Praktiken
Vermischung der Prinzipien – Ein Beispiel: Die große Pest des 14. Jahrhunderts.
Krankheit, Gottesstrafe oder Komplott?
Bsp. Erlass des Aachener Rates gegen das Geißeln und zur Verhinderung der
Seucheneinschleppung (1350)
 Fremde, die mit der Kranheit in die Stadt kommen dürfen nur 1 Tag und 1 Nacht
bleiben – sonst schlägt ihnen der Richter die Hand ab
 Geißeln im ganzen Reich verboten – sonst wird man für 1 Jahr vertrieben
Reaktionen
 Judenprogome
o Gerücht der Brunnenvergiftung
 Verhaltensregeln
o Karantäne
 Flagellanten
o Buße als Reaktion
o Verbot durch Clemens VI.
Weitere, individuelle Entwicklungen
Bsp. Integration von Tabubereichen
spätmittelalterliches Rezept gegen Geschlechtskrankheit
(Hausbuch des Jacob Käbitz, München, 15. Jh.)
Wenn dir Schande in den Schwanz gekommen ist. So nimm Weinstein und stoße ihn in einem
Mörser und schütte ihn in ein Tuch ++kaczenora subkaczal++ und …



Text: darin teilverschlüsselt ein Rezept (Vokale = p mit durchstrichenem Schaft,
Vokale = Punkte)
Rezept vermischt mit realen Namen (Goldschmied, der Aberperg – ein Freund des
Autors?) und Kunstsprache (evt. im Sinne einer zu sprechenden Zauberformel)
Sehr privat – man kann auch ohne Entschlüsseln gar nicht erkennen, worum es geht
Olmützer medizinisches Kompendium (2. Hälfte des 15. Jh.)


auf der Innenseite des hinteren Buchdeckels befindet sich der Schlüssel für den Code
 wie bei Jacob Käbitz: „individuelles“ Geheimwissen
neben vielen heilkundlichen Kräuterrezepten auch: Rezept zur Sicherung der
ehelichen Treue (gegen Beflecken der Ehe)
32
o mit zwei Zweigen Trespe und Haare – sowohl Scham der Frau als auch Glied
des Mannes bestreichen
o Warum im MA so wichtig? Keine Vaterschaftstest, man muss immer glauben,
dass das Kind von jeweiligem Mann ist; Techniken sich abzusichern
notwendig, ansonsten ist man immer unsicher
 Auch hier: medizinisches Wissen wird in privatesten Bereich hereingezogen
Beispiele aus der Literatur



Der arme Heinrich: Die Jungfrau als Medizin – ausführlich
Erec: Das Pflaster der Fee Feimorgane – kurz
Iwein: Die Salbe der Feimorgane – nur erwähnt
Hartmann von Aue: Der arme Heinrich
besonders erfolgreicher Ritter bekommt „Miselsucht“ (Aussatz)  sehr bedrohlich, er kann
nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben
im Text selbst: Vergleich mit Hiob
 Muster: Krankheit als Probe (Hiob als Versuchskaninchen eines Wettstreites von Gott
und Teufel)
 Hiob erträgt mit Geduld das ihm auferlegte Leid
 Heinrich macht es genau so NICHT – er wehrt sich gegen die Gottesstrafe
o er ist traurig, unfroh und zweifelt
o sich gegen die Erprobung stellen = Rebellion gegen Gott
o Heinrich akzeptiert das nicht als Werk Gottes
o er wehrt sich dagegen
weiterer Verlauf der Geschichte:

Heinrich sucht Hilfe in Montpellier (Südfrankreich, eines der frühen Zentren der
Medizin) – Anwort: nicht heilbar
o Hoffnung: mögliche Heilung
o es gibt Experten und Institutionen
o diese werden konsultiert – und nicht nur eine!

weiter nach Salerno (2. Meinung) – Antwort: es gibt eine Lösung ABER diese ist nicht
umsetzbar
o bestimmte Arznei, die niemand (noch so reich) bekommen kann
o Gottes Hilfe ist nötig
o Medikament: Opferbereitschaft einer Jungfrau (ihr Herzblut)  freiwillig?
sozial unplausibel
o außerdem: selbst wenn man eine finden würde, sollte man dies nicht
annehmen

Heinrich gibt auf und zieht sich zurück
33





es pflegt ihn ein Mädchen, das das Opfer anbietet (erhofft sich Jenseitsvorteile)
sie überzeugt Eltern und Heinrich: Mädchen argumentiert so geschickt, dass dies nur
von Gott selbst kommen könne
o vgl. Kindheiliger Nikolaus
Arzt stimmt widerwillig zu
in letzter Minute stoppt Heinrich die Sache – er hat das nackte Mädchen durch einen
Türspalt gesehen und bringt es nicht übers Herz
Heinrich wird geheilt
Zwei Enden:
A) heiratet dann das Mädchen
B) geht ins Kloster
 Fazit:
 Krankheit als Prüfung durch Gott
o Krankheit darf nicht geheilt werden!
 potentielle Heilbarkeit (magisches Mittel: Jungfrauenblut)  weckt Sehnsucht nach
Heilung
 ethische Dimension: auf Heilung verzichten (Jungfrau zu opfern verwerflich!)
 Heinrich ergreift diese Option  heilt sich dadurch
 reines Dulden ist keine Option mehr – die Wissenschaft erzeugt neue ethische
Herausforderungen
o hier: Gutes (durch Medizin) hat extreme Auswirkungen, Heilung gegen Tod
eines Mädchens
„ich verzichte auf Heilung aufgrund meiner innermoralischen Einstellung“  Heinrich führt
vor, wie man sich als Ritter in einer solchen Situation richtig verhält
wichtige Aspekte des Textes:
 gottgegebene Krankheit
 magische Heilmittel
 Instanzen: weise Ärzte, Arzneien
Hartmann von Aue: Erec (um 1180)
Pflaster am Artushof um Ritter schnell zu „reparieren“
 Feimorgane (Schwester Artus) ist schon tot, aber hat das Pflaster hinterlassen
 Feimorgane = Symbol für neue Heilkunst
o einerseits göttlich (explizit im Text: „sie war eine Göttin“)
o andererseits auch weltlich (Schwester Artus)
o magische Heilung – magische Figur
Hartmann von Aue: Iwein (um 1200)
3 Frauen finden den wahnsinnigen Iwein im Wald und bemerken, dass er noch lebt
 Salbe der Feimorgane: heilt Hirnkrankheiten, wenn man jemanden damit bestreicht
34


Herrin befiehlt dem Mädchen Iwein nur dort zu bestreichen, wo er Not litt, und den
Rest der Salbe wieder zu bringen
Mädchen bestreicht ihn aber überall und erzählt der Herrin die Büchse sei in den
Fluss gefallen
 magisches Utensil holt den Ritter körperlich in die Welt zurück – nun muss er sich
„ethisch“ rehabilitieren, was er durch zahlreiche Aventiuren tut
35
Sechste Sitzung – Dichter als Lügner
ausgehend von der Wortgeschichte von „tihton/dichten“
 Anmerkung: dictare  diktieren
1. Auftauchen – 1. Beleg: Die althochdeutsche Benediktinerregel
St. Gallen, um 800
lat. iustita dictante  ahd. reht dictontemv
Der Ablativus absolutus (weil es das Recht
vorschreibt/diktiert) wird mit einem ahd. Dativ
übersetzt  der Stamm dict- bleibt erhalten (Das
Recht vorschreibenden/dicktierenden)
2. Beleg: Exhortatio ad plebem christianam
mehrere Handschriften: München/Kassel, 9. Jh.
Text darüber, wie die wichtigsten Glaubenssätze in die Welt gekommen sind:
 der heilige Geist hat den Lehrern der Christenheit (Aposteln) die Worte in solcher
Kürze diktiert, dass die ganze Christenheit sie glauben und sich zu ihnen bekennen
kann, sowie sie verstehen und im Gedächtnis behalten kann
 Vaterunser (Paternoster) und Glaubensbekenntnis (Credo), das die „heiligen Boten“
direkt vom Hl. Geist haben
… deisu uoort thictota suslihera churtnassi, … (ahd.)  steht für diktieren
 vgl. Bild im Alban-Psalter (12. Jh.): Davids Psalmen werden direkt vom
hl. Geist inspiriert
 vgl. Wiener Gregorplatte (10. Jh.): vom hl. Geist „inspirierter“
Schreiber, dessen Text dann weiter abgeschrieben wird
3. Beleg: Das Rolandslied des Pfaffen Konrad
12. Jh.
er was recht richtaere.
er lêrte uns die phachte.
der engel si imo vor tichte.
Er war ein gerechter Richter.
Er lehrte uns das Gesetz.
Ein Engel hat es ihm diktiert.
 vgl. so auch in der Kaiserchronik (12. Jh.)
 eine himmlische Instanz (Engel) „diktiert“ Karl dem Großen die Gesetze
 „Inspiration“ und „Dikat“ nicht nur bei literarischen und geistlichen Texten!
4. Beleg: König Rother
vor 1200
Hier saget uns der richtere von dem leiden mere
Hier erzählt uns der „Richter“ mehr von dem Lied
36
vnde biddet alle got,
der uns tzo leuende gebot,
daz her deme richtere gnedich si.
Und bittet alle Gott,
der uns zu Leben gebot,
dass er dem „Richter“ gnädig sei.
 in den Ausgaben steht „tichter“ – aber tatsächlich ist hier die Rede von dem, der einen
Text „einrichtet“ , also in eine passende Form bringt
 Autor nennt sich selbst „richtere“ NICHT „tichtere“
 wurde in modernen Ausagben einfach verändert, da anders angenommen
 Autor richtet den Text ein! er erfindet ihn nicht!
5. Beleg: Die deutsche Kaiserchronik
12. Jh.
Ein buoch ist ze diute getihtet,
daz uns Rômisces rîches wol berichtet,
gehaizzen ist iz crônica
Ein Buch ist auf deutsch „gedichtet“,
das uns vom römischen Reich berichtet,
es wird „Chronik“ genannt.
 erster mittelhochdeutscher Beleg für „tihten“ im Sinne von „selbst“ einen Text schreiben
 erster Buchtitel in deutscher Sprache: „crônica“
 warum „Chronik“ nicht als Gattung statt als Titel gemeint? zu dieser Zeit existierten
noch keine anderen Chroniken!
ABER: Text ist eine „Chronik“ und setzt sich gegenüber der „Dichtung“ ab
 in Vers 31 dann Angriff auf die scophelîchen worte
Es erzählt uns
von Päpsten und Königen,
sowohl von guten, als auch von bösen,
die vor uns lebten
und die das Römische Reich beherrschten
bis an den heutigen Tag.
So gut ich nur kann,
will ich euch davon erzählen.
Jeder der will kann zuhören.
 jeder der will kann zuhören – in Deutsch geschrieben statt in Latein
 Autor versucht „so gut er kann“ zu erzählen – und zwar in Abgrenzung zu:
Nun ist in unserer Zeit
ein Brauch verbreitet:
Viele denken sich Lügen aus
und fügen sie zusammen
mit dichterischen Worten.
Ich befürchte sehr,
dass ihre Seele dafür brennen wird:
Es geschieht nämlich ohne die Liebe Gottes.
So bringt man diese Lügen den Kindern bei,
die uns nachfolgen,
37
die werden sie so behalten
und als wahre Geschichten weitererzählen.
Lügen und Hochmut,
die sind für niemanden gut.
Die Weisen hören sie ungern.
Jetzt beginnen wir das gute Lied: …
 „das was ich euch sage, ist die Wahrheit – es gibt aber auch Lügner“
 Fazit: ich habe die Liebe Gottes
 Abgrenzung zu „scoph“ (Sänger), die ohne die Liebe Gottes arbeiten
 also doch wieder Bezug zu Gott (Inspirationsmodell)
 Lügen werden als Wahrheit verstanden, deshalb hier eine wirklich wahre Geschichte, die
dann „liet“ (Lied) genannt wird – also „literarischer“ Begriff für Chronik
Konkurrenz zwischen „Weisen“ und „Scoph“
 vgl. etwa zeitgleich: Artes-Zyklus aus dem Hortus deliciarum der Herrad von Landsberg:
 Philosophie und Philosophen im Inneren des Kreises vs. Poeten und Magier unterhalb
 auch hier Konkurrenz zwischen Wahrheit und Lüge
o Magier/Poeten vs. Wissenschaft/göttlich fundierte Gelehrsamkeit
6. Beleg: Otfrids Evangelienbuch
9. Jh.


Leben Jesu in 5 Büchern
erstes deutsches größeres Werk im Endreim!
Textstelle 1: Widmung an Ludwig den Deutschen
Themo dihton ich thiz buah; oba er habet iro ruah, …
Dem „dichte“ ich das Buch, dass er es beachtet
und dies zeigt, indem er es vorlesen lässt …
 Der Herrscher soll das aufgeschriebene Buch vorlesen lassen
 dichten hier: zueignen, schreiben, …
Textstelle 2
Tharana datun sie ouh thaz duam: ougdun iro wisduam,
ougdun iro cleini in thes tihtonnes reini.
So vollbrachten sie eine Ruhmestat: zeigten ihre Weisheit,
und zeigten ihr Geschick in der Reinheit des „Dichtens“.
 die antiken Völker „dichten“ über ihre Heldentaten
 schon diese dichteten – Autor möchte dies auch
38
Textstelle 3
… Dihto io thaz zi noti theso sehs ziti, thaz thu thih so girustes, in theu sibuntun girestes.
In der Süße von Gottes Gebot lass deine Füße gehen, lass keine Zeit vergehen, dann ist
schnell ein schöner Vers enstanden. „Dichte“ stets die 6 Zeilen, so dass du gerüstet bist, in
der siebten zu rasten.
 Dichten meint hier leben
 bewege dich mit den Füßen zu Gottes Gebot, dann enstehen von selbst schöne Versfüße
 Dichter: Versfüße vs. wir: unsere eigenen Füße – aber: wir müssen nur Gott richtig folgen,
denn wer in gottgefälliger Gesinnung etwas aufschreibt, dichtet
Textstelle 4
Deinen Finger, lege an meinen Mund
und auch deine Hand auf meine Zunge,
damit ich dein Lob laut singe.
 eigentliches Werk beginnt mit klassischer „Inspirationsbitte“ an Gott
 Berührung von der Hand Gottes
 Schriftebene hier nicht mehr wichtig
7. Beleg: Der Millstätter Psalter
12. Jh.
Erster Beleg für „tichten“ im negativen Sinne: Falschheit erzeugen
 vorher immer positiv besetzt – vgl. Kaiserchronik: tichton = wahres Schreiben mit der
Hilfe Gottes
 hier: tichton = Falsches sagen, „dichten“
deshalb auch bei literarischen Texten Rückbezug auf das alte Modell des „inspirierenden
Diktakts“:
Beispiel dafür: Wolfram von Eschenbach – Parzival
Textgenese des Parzival – in der Darstellung Wolframs von Eschenbach:
 Wolfram wendet sich von eigentlicher Vorlage des Chrétien de Troyes ab
o Chretien negativ erwähnt
 als Vorlage behauptet er den provenzalischen Dichter Kyot
 dieser wieder schöpfe aus dem Buch eines gewissen Felgetanis
Flegetanis (Heide mit jüdischer Mutter)
39




schrieb zuerst von des Grales Aventüre
er kannte den Gang der Sterne und ihren geheimen Einfluss auf menschliche
Geschicke (Astronom)
eines Nachts las er den Namen des Grals in den Sternen und dass eine Schar (Engel)
ihn auf der Erde zurückgelassen und Chisten zur Hut übergeben habe, selbst aber
wieder hoch über die Sterne hinaufgefahren sei
Gralsgemeinschaft ensteht
 Flegetanis schreibt dies in heidnischer (also arabischer) Schrift auf, die Kyot in Toledo
auffindet und in klösterlichen Handschriften wiederfindet
 Sterne  Flegetanis: arabische Schrift  Kloster  Kyot  Wolfram: deutsch
Was ist in dieser Geschichte nun inkludiert?
 Wolfram nicht Urheber der Schrift
 Schrift ist göttlichen Ursprungs, aber mehrfach vermittelt
 Inspiration und Schrift wieder zusammen – aber weg vom Autor
Zusammenfassung 1




Tichton urspr. „inspiriertes Schreiben“: Diktat einer göttlichen Instanz – nicht nur in
der Literatur
Trennung von Schrift und Inspiration
o architektonische Trennung beim Gregorbild: Inspiration vs. weltliches
Weiterschreiben
o bei Otfried Umkehrung: Dichten = Gottesdienst
o aber ansonsten problematisch (Lüge)
Dichten unabhängig von Schrift und Inspiration = Freiraum für „Dichten“ im
modernen Sinne, aber mit fingiertem Schriftbezug
o Freiraum letztlich gebunden an alte Tradition (Wolfram)
Autoren arbeiten dann mit solchen Schriftbezügen weiter, die neue Möglichkeiten
eröffnen …
o werden dabei kritisiert (schwarze Vögel etc.)
frühes MA: tichton = von Gott Diktiertes niederschreiben
ab 1200: prekäre Lage – woher hast du’s?
Beispiel 1: Hartmann von Aues Iwein
um 1200
Ein rîter, der gelêret was
unde ez an den buochen las,
swenner sîne stunde
niht baz bewenden kunde,
daz er ouch tihtennes pflac
daz man gerne hoeren mac,
dâ kêrt er sînen vlîz an:
er was genant Hartman
Ein Ritter, der gelehrt war
und in Büchern las,
immer wenn er seine Zeit
nicht besser verwenden konnte,
dann pflegte er zu dichten,
was man gerne hören kann,
darum war er fleißig bemüht.
Er wurde Hartmann genannt
40
und was ein Ouwære,
der tihte diz maere.
und kam aus Aue.
Der ‚dichtete‘ diese Geschichte.
 Schrift wird zur Grundlage der Rittergeschichten
 dichten = ich erfinde nichts, es ist aus Büchern
 keine Inspiration, sondern Wiedererzählen bereits vorhandener Geschichten
 ich beziehe mich auf Schrift – damit bin ich als Dichter entlastet (vgl. Wolfram: dort
komplexer)
Beispiel 2: Der Wolfdietrich D
13. Jh.
Hier könnte ihr gerne singen und sagen hören von klugen Aventiuren, dazu müsst ihr
schweigen. Es wurde ein Buch gefunden, das ist wahr, im Kloster Tagemunt, da lag es lange.
 Buch wurde verloren und dann wieder aufgefunden (Möglichkeit des Vergessens und der
‚neuen‘ Geschichte)
Danach wurde es nach Bayern gesendet, dem Bischof von Eichstätt wurde es bekannt. Es
vertrieb ihm die Zeit 17 Jahre lang. Dort fand er Aventiure, das ist wahr.
 Buch wird ‚privat‘ gelesen und nur einer Person inhaltlich bekannt.
Wenn der Fürst traurig war, las er in dem Buch, seltsame Wundergeschichten sind darin
geschrieben. Es vertrieb ihm die Zeit, bis er starb. Nach 10 Jahren fand es sein Kapplan.
 Das Buch wird wieder vergessen/verloren (doppelte Buchauffindung)
Als er es gelesen hatte, nahm er es unter den Arm. Er trug es ins Kloster der guten Herrinnen,
nach St. Walburg in Eichstätt. Hört von dem Buch, wie es sich verbreitet hat.
 Der Kaplan reicht es weiter und wieder an das Haupt einer religiösen Institution
Die Äbtissin war schön, wie uns erzählt wurde. Sei sah das Buch gerne (an?), wenn ihr danach
war. Sie setzt zwei Meister ein, die lehrten sie das Buch im höfischen Sinn: sie verbreiteten es
in der Christenheit.
 Die Äbtissin ‚sieht‘ das Buch gerne (kann aber sicher lesen) und lässt es sich
erklären/vortragen und zwar von zwei ‚Meistern‘ (Erklärung für Textfassungen)
In die Nähe und Ferne fuhren sie in die Länder, sie sangen und sagten – so wurde es bekannt.
Die seltsame Geschichte wollten sie nicht verschweigen. Jetzt könnt ihr gerne von einem
reichen König erzählen hören.
 Die Meister verbreiten dann die Geschichte öffentlich (das Buch liegt im Kloster)
Beispiel 3: Der Wolfdietrich D im Druck
16. Jh. – Prolog wird umgestaltet: Weg des Buches in Bildern (illustriert)
41


Beginn genau wie in der Handschrift
dann aber Unterschiede: es geht der Äbtissin geht nicht um das Verbreiten, sondern
um das Bereitstellen in deutscher Sprache (also um das Übersetzen) – darum bittet
sie im Druck die zwei Meister
allgemein beim Wolfdietrich:
 Vergessen ermöglicht „Neues“
 individuelle Lektüre vs. Verbreitung
Differenzen:
Handschrift
immer Deutsch
Text spricht in der Handschrift von sich
selbst
was kommt, ist die schriftliche Verbreitung
des Textes durch die Meister
Handschrift bezieht sich auf Vortrag
Druck
Übersetzung aus dem Lateinischen
Text spricht von der Vorlage, die jetzt im
Kloster liegt
was kommt, ist die Übersetzung des Textes
durch die Meister
Druck bezieht sich auf Handschrift
 Neue Medien beziehen sich auf „alte Medien“
 anhand der Schriftform und Schriftverbreitung redet man über neue Texte wie den
Wolfdietrich
ABER es gibt auch Gegenmodelle, in denen die Schrift marginalisiert wird
 Bsp. Wolfram behauptet, dass er nicht lesen könne
Beispiel für ein Gegenmodell: Hartmann von Aues Iwein
Prolog des Iweins:

Es wird von Artus erzählt

Dann stellt sich Hartmann von Aue selbst vor: Er liest NEBENBEI Bücher, ist eigentlich
Ritter, Dichten nur als Passion („der tihte diz maere – der dichtete diese Geschichte“)
 Schriftliche Quelle wird genannt, aber marginalisiert

Dann Erzählen von früheren Zeiten und Vergleich mit den jetzigen Zeiten:
o Zeiten König Artus sind vorbei – es gibt keine vorbildhaften Ritter und idealen
Höfe mehr
o Damals war alles besser ABER zumindest gibt es heute Maeren – die die
Werke aufbewahren und mit diesen Geschichten geht es Hartmann gut
o Laudatio der alten Zeiten ABER Hartmanns Fazit: hätte ich damals gelebt,
dann wäre ich heute nicht mehr hier und hätte die schönen Geschichten nicht
o Damals: Taten – heute: Maeren

Dann Initialaventuire:
o Artus verlässt das Fest
42
o Kalogrenant erzählt Geschichte seiner Schande (die er seit 10 Jahren
verschwiegen hat)
o Artus: wir ziehen selbst zum Brunnen
o Iwein zieht aber selbst schon früher weg – er durchlebt die Geschichte des
Kalogrenants nochmal und gewinnt
Zusammenfassung von Hartmanns Modell
Stufe 1) die alten Taten
Stufe 2) die Maeren heute
Stufe 3) die Taten heute (Maeren sollen zum Handeln heute führen)
 Alle Taten sollen vorbildhaft für neue Werke sein, die alte Welt der Taten ist vorbei, es
gibt sie nur noch als „Maere“, was aber auch schön ist.
 alte Maeren erzeugen neue Maeren (Hartmanns Iwein), in diesem Maere wird ein Maere
(des Kalogrenant) zum Werc (Iweins), so wie das Maere (Hartmanns) höfisches Handeln
erzeugen soll!
Zu Hartmanns Schriften
 um 1200 entstanden
 ABER erst aus um 1240 überliefert
o Handschriften des Iwein – ab 1230
o Hs. des Erec – um 1250 Fragmente, (fast) vollständiger Text nur im Ambraser
Heldenbuch (16. Jh.)
 Hartmann-Schriften wollte man damals anscheinend nicht (laut Indizien der
Überlieferung)
ABER
 Krakauer Kronenkreuz (Mitte 13. Jh.): zum Kreuz
montierte Krone – darauf Szenen aus Hartmanns
Werken (Bsp. Erecs Zwergenbeleidigung)
 Iwein-Freskenzyklus auf Schloss Rodeneck (um
1200) – zeigt die Initialaventuire
o dort sehr breit dargestellt vs. in Texten
eher kurz
 diese Wertgegenstände sind älter als die
Textüberlieferungen
Fazit: Man wollte also keine Handschriften der Hartmann-Werke, sondern wertvolle
Umsetzungen (Fresken, Gold, …)
 Lebensform der Epik anfangs weniger in der Schrift, sondern mehr Teil in der
höfischen Repräsentation
 Gesellschaft damals: liest nicht, will aber die Werke repräsentiert auf ihrem Hof –
ändert sich erst später
Zusammenfassung
43




Schrift als Grundlage von Dichtung
ABER: anfangs ist diese Schrift diktiert
aber „Dichten“ wird von der Schrift getrennt – auch wenn sie im Hintergrund noch da
ist
Gegenmodell: Nähe zur „Interaktion“
Modelle von Inspiration und Autorschaft
44
Siebte Sitzung – Rationalität und Heldensage
Gliederung
1. Topographie der Heldensage – Heldensage als erzählter Raum
2. Technik in der Heldensage (Kriegskunst etc.)
3. Rationalisierung des Mythos
Anmerkung: deutsche Heldensagen  historisch Greifbares aus frühem Mittelalter
Topographie – A: Ein Antikes Beispiel
Schiffskatalog am Ende des zweiten Buches der Illias (8.Jh.v.Chr.)


zeigt Kontingente der Achaier (ziehen gegen Troja, große politische und
geographische Einheit)
Katalog, der 178 Ortsnamen aufzählt  Abdeckung des Siedlungsraums der Griechen
ABER gesamte kleinasiatische Westküste samt der vorgelagerten Inseln (Lesbos, Samos,...)
fehlt! Aber warum?
 Diese Gebiete wurden erst ab 1050 v. Chr. besiedelt – der Katalog bildet also
einen Zustand vor dieser Zeit ab und nicht die Umstände 8. Jh.
Eleon, Peteon und Hyle – kannte man nicht,
keine historische Spur! Erfindung?
 Nein! 1993 bei Verlegung einer
Wasserleitung: 250 Linear B Täfelchen
gefunden, die aus dem Archiv eines Palastes
stammen, der im Jahr 1200 v. Chr. abgebrannt
ist; dort finden sich diese Namen – die Städte
müssen also danach untergegangen sein
 Im 8. Jh. tauchen diese Städte aber
trotz ihrem schon vor Jahrtausenden
geschehenen Untergang (sie waren
nicht mehr bekannt) noch in dem
Schiffskatalog auf – man sah das
Wissen von Sagen also als wahres
Wissen an!
Wichtig: Es gab damals noch keine tatsächlichen Landkarten – es handelt sich hierbei also
mehr um das Ziel einer Entstehung eines inneren Bildes! (Ah das ist da! Und das ist da!)
B. Heldensage als erzählter Raum: Hildebrandslied
Hadubrand erzählt über Vater Hildebrand:
„einst ging er nach Osten“  Himmelsrichtungen erwähnt
 Hildebrandslied baut auf räumlicher Vorstellung durch Himmelsrichtungen auf – und das
in einer Zeit ohne funktionierende Landkarten! Man erzählt einen Raum über Narration!
45
C. Geographie im Nibelungenlied
Reise von der Donau an den Rhein in 12 Tagen
 Normal reist man an Flüssen (einfachste Orientierung) ABER bei dieser
Reise muss man weg von den Flüssen
 Immer erwähnt bei jedem, der diesen Weg geht: dauert genau 12 Tage!
o Rüdeger als Bote
o Boten Werbel und Swämmel
o Herr der Burgunden mit Hagen (ortskundig, weiß alles) als Führer
und Dankwart als Marschall (Verpflegung)
 Normal nimmt es das Nibelungenlied mit Zahlen nicht so genau – hier aber
schon
 meist Orientierung an Flüssen oder antiken Straßen ABER oft ein Problem
bei großen Flüssen: wie komme ich da hinüber?
Alte Straße von Frankreich bis Konstantinopel (teils römisch befestigt) – Überquerung der
Donau bei Mehring/Pföhring:
ABER dann:
 1135: lange anhaltende Trockenheit – in Regensburg werden Brückenpfeiler gesetzt
 1146: „Steinerne Brücke“ ist fertig – bereits 1147 zieht der 2 französische Kreuzzug
unter Ludwig VII. darüber  bleibt bis in die Neuzeit zentrale Donaubrücke! Wege
orientieren sich nach dieser!
Problem der 2 Zeitebenen: Als der Autor (vermutlich in Passau) das Werk schrieb, gab es die
steinerne Brücke schon! Wieso werden diese und Regensburg nicht erwähnt bei der Reise?

alte Sagentradition
46

Regensburg und Passau liegen im Klinch – Regensburg ist ein anderes Bischofstum
und kommt überhaupt im Nibelungenlied sehr schlecht weg!
Was machen die Nibelungen? Sie benutzen „neue Strasse“, die man 1200 benutzt hätte,
aber dann steuern sie auf den alten Donauübergang zu (alter Sagenbestand)
 Text vermischt um 1200 also uraltes und aktuelles Wissen
Um 1200 würde keiner mehr diesen alten Weg benutzen (es gibt ja die steinerne Brücke)
aber er lebt weiter im Geiste
 Heutiger Leser: ignoriert diese Strophen
 Damaliger Leser: sehr genaue Rezeption
Heldensage und Technik
Aus der Thidrekssaga (um 1300)
Wieland der Schmied – lehnt Arbeit beim König ab, wird deshalb dort gefangen gehalten,
seine Archillessehnen durchgeschnitten, kann nicht mehr gehen, tötet Königs Söhne als
Rache und zeugt einen Sohn mit dessen Tochter, macht sich ein Federhemd (Fluggerät), sein
Bruder Egil testet es, es funktioniert jedoch nicht ganz (weil Wieland ihm falsche
Anweisungen gibt), er misstraut Egil und fliegt selbst einfach damit weg
Motiv des Fliegens
- So machen es die Vögel, so mache ich es auch – Analogie
- Gegen den Wind starten und landen – naturkundliches Wissen
Parallele: Daedalus und Ikarus
 jeweils genialer aber gewalttätiger Handwerker in Gefangenschaft
o Daedalus: Mord aus Neid
o Wieland: Mord an den Königssohnen aus Rache
 teilweise Scheitern des Fluges durch „alter ego“
o Ikarus (Sohn): Symbol des jugendlichen Hochmuts
o Egil (Bruder): Mißtrauen gegenüber dem Verwandten
 Egil – starker Krieger, Wieland körperlich eingeschränkt
ABER mit Technik, Waffen ist er besser als dieser
47
Schwerter schmieden 1: Das Schwert Mimung
Wieland macht ein Wettschmieden mit einem anderen Schmied Amilias, dieser macht eine
Rüstung, er ein Schwert, so schmiedet er 3 Schwerter hinteinander, dazwischen immer
Wolflockenprobe (man wirft Wolflocke in den Fluss und die Scheide des Messers soll sie
zerschneiden, nur durch die Kraft des Flusses), König ist immer völlig glücklich mit dem
Schwert, aber Wieland meint immer, es ginge noch besser; drittes Schwert = Mimung,
Wielan gewinnt natürlich
hierbei: Genaue Details über ie Technik des Schwertbaus:

lässt Vögel Mischung aus Eisen und Mehl fressen  Geflügelkot macht Schwert
gesschmeidiger und härter
o Warum? Geflügelkot enthält Kohlenstoff und Stickstoff – bewirkt neben
Auskohlung zusätzliche Nitrierung des Eisens
o Sehr genau beobachtet bei Wieland: Schwert wird kleiner, schärfer und
geschmeidiger
Schwerter schmieden 2: Das Schwert des Riesen Ecke
ebenfalls aus der Thidrekssaga
Ich habe hier ein Schwert, von dem ich dir etwas erzählen kann. Das hat derselbe Zwerg Ulfrik
geschlagen, der dein Schwert Nagelring schmiedete. Er machte es tief unten in er Erde, und
ehe es fertig war, suchte er durch neun Königreiche, bis er das Wasser fand, worin er es
härten konnte.
 Königreiche, die man durchsuchen muss – märchenhafte Aussage
 neben Nitrierung auch Härtung durch Eintauchen in spezifische Flüssigkeit
 Heldensage „weiß“ etwas über die Herstellung magischer/außergewöhnlicher Schwerter
(oder gibt das zumindest vor)
Solches Wissen auch in alchemistischen und „naturkundlichen“ Texten:
Grundsätzlich bekannte Methoden:
 Damaststahl: Schichten verschiedener Materialien, die zusammengeschmiedet
werden
 Ausrosten: Eisen vergraben bis die schwächsten Teile ausrosten, den Rest schmieden
 Aufkohlen/Zementieren: Anreicherung der Oberfläche mit Kohlenstoff (Erhitzung in
Holzkohlepulver, oer auch durch Zugaben, wie zB. verkohltes Ziegenhorn)
o so auch beim Vogelkeit bei Wielands Mimung
 Auslöschen: Eintauchen in Wasser bzw. spezielle Flüssigkeiten (fett und besonders
flüssig)
o so auch bei dem Schwert des Riesen Ecke
Beispiele dazu aus alchemistischen und naturkundlichen Texten
Vorschriften zur Behandlung des Eisens (aus Fechtbuch des Meister Lichtenauer aus der 2.
Hälfte des 14. Jh.)
48


Drachenwurz (Wasserlilie) und Eisenkraut in reinem Wasser  für mehr Härte
Wasser, dass sich auf stehendem Menschenblut bildet  für weniger Härte
Parallelen aus anderen Kulturkreisen
aus dem arabischen Raum:
Die Härte des Schwertes entsteht im Bauch der Vögel. Al-Biruni sagt, diese Form der
Schwerthärtung sei bei den Rus (Normannen in Osteuropa) und Sagaliba (schwedische
Wikinger) üblich.
- Al-Biruni (11. Jh.) zitiert in einem Kommentar zum Schwerttraktat des Kindi (9. Jh.)
den Dichter Al-Hudali (ca. 8. Jh.)
aus dem chinesischen Raum:
Es gibt eisenfressende Tiere, aus deren Kot man besonders scharfe Schwerter
schmieden kann.
- Shen-i ching (1. Jh.), Shi-i chi (4. Jh.) und Hsin-t’ang shu (7. Jh.)
 Internationales Motiv: Tiere, die Eisen veredlen!
aber dieses Wissen wird auch teils auf Magie zurückgeführt:
Schwerter schmieden: Rückbindung an den Mythos
Beispiel 1) Vorschriften zur Behandlung des Eisens (aus Fechtbuch des Meisters Lichtenauer)
 Saft aus 2 Drittel Würmern und 1 Drittel Regenwürmer – dieser härtet das Schwert
 Neben technischen Aspekten auch Übergang des Tieres in die Waffe (vgl. Härtung im
Menschenblut)
 Königsklasse: Schwerter gehärtet durch Drachenblut – damit endgültig im Mythos und in
der Literatur
Beispiel 2) Parzival: Knappe Tampanis seines Vater Gachmurets trägt einen unzerstörbaren
Helm aus Adamas (Diamant)
 Es gibt keinen so großen Diamant ABER es steckt wahres Wissen über die Härte von
Diamanten dahinter
 Knappe wird aber überlistet – Bocksblut macht den Adamas weicher als einen
Schwamm
 Wirkung hier nicht durch Technik, sondern durch eine „ethische“ Dimension
(Bocksblut gilt als extrem unrein, das hebt die Reinheit des Diamanthelms auf)
Beispiel 3) Wolfenbüttel: Geschosse, mit denen man trifft was man will


siehe 1. Vorlesung
Galgen und Rad – Hinrichtungsgegenstände
 Vermischung von Technik und Magie:
49
Man kann diese Dinge alle besorgen und dies alles ausführen – aber magischer Hintergrund
Rationalisierung des Mythos
Siegfrieds Drachenhaut im Nibelungenlied

Hagen entlockt Kriemhild das Geheimnis von Siegfrieds Verwundbarkeit – er
behauptet, Siegfried schützen zu wollen (subversives Verhalten):
Baden in Drachenblut – magisch
ABER Loch in dem Schutz – rational begründet (Lindenblatt war ihm zwischen die
Schulterblätter gefallen)
 Magisches Instrument wird durchlöchert mit rationalem Fehler
Siegfrieds Drachenhaut im „Lied von hürnen Seyfrid“
insgesamt 12 Drucke, alle aus dem 16. und 17. Jh. – dieser hier von
Kunegund Hergotin (Nürnberg, ca. 1530)

Unerzogener Seyfried wird von seinen Eltern in den Wald
geschickt, dort Versuch einer Lehre bei einem Schmied, dieser
will ihn aber auch wieder loswerden, schickt ihn zu Drachen, die
ihn töten sollen, aber Seyfried vernichtet diese und will sie
verbrennen
ABER Siegfried kann alles – nur nicht Feuer machen
 Problematik des Feuers: Menschen können alles herstellen, aber kein Feuer (auch in der
Antike)

er schmilzt sie dann aber doch und schmiert sich mit diesen geschmolzenen Drachen
ein
 Rationalisierung: Drachenhaut kann man geschmolzen auftragen und Seyfried kam mit
den Händen einfach nicht zwischen die Schultern
Zusammenfassung





Heldensage ist ein Wissensspeicher (Topographie, Technik)
Heldensage vermischt dabei „Uraltes“ und „Neues“
Heldensage greift auf konkretes (technisches/alchemistisches) Wissen zurück
Heldensage tranformiert solches Wisses in magische Instrumente, mit denen im Text
übernatürliche Dimensionen erzählt werden können
(Tarnmantel/Drachenhaut/Schwerter)
diese „magischen Effekte“ werden durchmischt mit Formen der Realisierung (Loch in
der Drachenhaut und Drachenhaut selbst)
50
Achte Vorlesung – Heldensage und Mythos
Gliederung
 Definition Mythos und Problemlage: Mythos als Alternative zum Logos
 Mythische Räume der Heldensage
 Weitere mythische Elemente in der Heldensage
 Mythos und Anderwelt
Was ist ein Mythos?
Zahllose Definitionen – für unseren Kontext wichtig:



Mythos als Modus der Welterklärung, der nicht rational ist
Mythos ist nicht gedeckt von realer Welterfahrungung!
Taucht oft in Literatur oft auf – starke Ähnlichkeit mit Konzept der „Fiktionalität“
(Fiktional = potentielle Unabhängigkeit von der Welterfahrung)
Mythische Räume der Heldensage
Beispiel: Laurins Rosengarten



Gebirgsmassiv als klassischer Ort mythischer Wesen
Zwerg Laurin (Mitte 13. Jh.)
Märchenhafte Dietrichepik vs. historische Dietrichepik (Dietrich prominenter als
Siegfried – mehr Texte über ihn)
o Historisch: historisch erzählt
o Märchenhaft: sehr viele Fabelwesen inkludiert – eines der Abenteuer
Dietrichs mit diesen ist das mit Laurin
Inhaltsschema (laut Vulgatfassung – ingesamt 5 Fassungen, die stark divergieren):



Dietrich wird von Hildebrand gelobt ABER mit Laurin hat er sich noch nie auseinander
gesetzt (dieser lebe in einem Wald in Tirol in einem Rosengarte)
Dietrich zieht mit Witegge und kleiner Gruppe dorthin
sie treten auf einen goldenen Faden und zertreten Rosen in Laurins Rosengarten
 Goldener Faden – Symbol für ein Tabu, man überschreitet ihn und begeht damit
Tabubruch
 Motiv der Zerstörung
51



Laurin besiegt Witege
Dietrich besiegt (mit Hildebrand, Wolfhard und Dietleib) Laurin
Dietleib beschützt Laurin, da dieser dessen Schwester Künhild gefangen hält
 Dietleibs Konflikt (Dietrich helfen vs. Schwester befreien)


man versöhnt sich und geht in einen Berg, der zu Laurins Reich gehört
dort steckt Laurin aber einen magischen Ring, der unsichtbar und stark macht, an und
nimmt alle gefangen
 Zauberhaftes Mittel im Berg: magischer Ring

Krünhild tut so, als wolle sie Laurin heiraten und befreit so die Helden
 aber eigentlich: Christliche Frau (oder sogar christliche Königin) heiratet keinen Heiden!
 vgl. zu Kriemhild und Etzel


Krünhild gibt Dietleib einen Ring, mit dem er unsichtbare Zwerge sehen kann
Dietrich bekommt einen Gürtel mit ähnlicher Wirkung
 zauberhafte Gegenmittel: magischer Ring und magischer Gürtel


Zwerge holen noch schnell 5 Riesen, werden aber trotzdem besiegt
Laurin wir gefangen genommen und muss bei Dietrich von Bern am Hof als Gaukler
oder Hofnarr zur Belustigung dienen
Fazit
Realer historischer Ort wird zum Schauplatz der Sage
- Ausgestattet mit mythischen Accessoires (Goldfaden)
- Es konkurieren nicht Krieger (vielleicht noch außerhalb des Berges) aber drinnen im
Berg sofort Kampf der mythisch-magischen Mittel:
o Ringe vs. Ringe und Gürtel mit Gegenwirkung  eigene nicht-rationale
Gesetze
- Aber auch Prinzipien realer Herrschaft wirken (Laurin will echte Prinzessin heiraten
für mehr Macht; Ablehnung einer Ehe mit Heide)
- Ende des Epos: mythische Begründung für Beruf des Gaukler (Epos erklärt, wie
Gaukler entstehen)
 Realität wird durch Sage mit Bedeutung ausgestattet!
Beispiel: Historische Aktualisierung des Laurin



Laurin-Kult im 19./20. Jh.
Laurin-Brunnen in Bozen 1907 als tourstische Attraktion
1934 von faschistischen Italienern zerstört – sahen darin ein Symbol der
Überlegenheit eines Germanen über einen Romanen
52



o unklar: deutsche Kultur innerhalb von Bozen das Problem? Laurin als Italiener
gesehen?
1936 ins Kriegsmuseum in Rovereto
nach dem Krieg an anderer Stelle wieder aufgebaut –
heute: mitten in Bozen
Derzeit: Diskussion in der Politik um Verlegung (Grüne vs.
Südtiroler Freiheit)
 Stoff lebt heute noch, noch immer Auswirkungen auf die
heutige Welt!
Literarisierung des mythischen Raums – „Der Rosengarten zu Worms“ (Mitte 13. Jh.)
Danach oder zeitgleich entstanden – große Ähnlichkeit aber auch große Differenz
Inhaltsschema (variiert in den 5 Fassungen):
 Spielt zwischen Verlobung Siegfrieds und seinem Tod
 Kriemhild besitzt in Worms einen Rosengarten, der von 12 Helden bewacht wird (u.a.
Vater Gibich und Verlobter Siegfried)
 Kriemhild wird übermütig und schreibt Herausforderungsbrief an Dietrich: Gewinner
der Zweikämpfe sollen Rosenkranz und Kuss erhalten
 Text sehr kriemhildkritisch
 Rosenkranz (Gebetspraxis) damals im MA noch nicht existent – Rosenkranz ist echt


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Dietrich will den Boten töten, aber lässt sich dann besänftigen und sammelt 11
Helden (u. Mönch Ilsan – treibt ständig Unfug im Kloster, besiegt immer wieder
Schurken)
Dietrich ist sehr zurückhaltend (rationale Ernsthaftigkeit, „Zauderer“) – er hat Angst
vor dem Kampf mit Siegfried, muss von Hildebrand und Wolfhart gereizt werden
Berner siegen alle – außer Dietleib vs. Walther (untentschieden)
Gibich muss sein Land jetzt als Lehen von Dietrich nehmen
Ilsan nimmt die Rosenkränze mit und drückt sie im Kloster seinen Mitbrüdern aufs
Haupt, so dass das Blut spritzt
 Aus mythischen (realen) Raum wird eine Art Bühne!
Cod. Pal. germ. 359, Rosengarten zu Worms, Lucidarius (Straßburg, 15. Jh.)
 Zweikampf zwischen Hagen
von Tronje und Wolfhart
von Garten
Sieger werden mit Kuss
und Siegeskranz belohnt 
53
Berliner Rosengartenspiel
Im 16. Jh. wird der Text weiterverwendet  Reihenkampfspiel, also tatsächliche
„Performance“!
Bei diesen Reihenspielen – um Langeweile zu vermeiden aber auch
Aktualisierung des Mythos:
 Dietrich will wegen dessen Drachenhaut nicht gegen Siegfried
kämpfen, aber er besiegt ihn, weil er sie durch Feueratem schmelzen
kann
o vgl. feuerspeiender Dietrich auch in anderen Dietrichsepen
 Feuerspeien Dietrichs = Furor des Helden (Eifer, Amoklauf)
Fazit 2
Laurin: realer Raum wird zum mythischen Raum
Rosengarten: mythischer Raum wird zur Bühne, zur literarischen Form
Mythos und Realität sind dabei aufeinander bezogen und erklären sich gegenseitig:
 Bergmassiv – Anderwelt
 Laurin – Gaukler
 Drachenhaut: Problem in der literarischen Realität  Lösung dieses Problems:
Feueratem
Mythische Züge etablieren eigene (nicht reale) Gesetze im Rahmen der Literatur und werden
so literarisch produktiv.
Mythische Elemente im Nibelungenlied
I. Tarnmantel
Tarnkappe  Fehldeutung von capa (= Mantel)
Burgundenhof weiß nichts über Siegfried – erst als dieser an den Hof kommt, erzählt Hagen,
was er weiß: Tarnmantel wird eingeführt aber nicht erklärt – warum?
1. weil sowieso jedem klar ist, was er ist
2. interne Neugier aufbauen
im Text:
 Siegfried erbeutet den Tarnmantel von Alberich, aber es wird nur gesagt, dass der
Zwerg ihm deshalb unterlag
 bei Siegfrieds Kampf gegen Dänen und Sachsen taucht er NICHT auf  Paradox:
unsichtbarer und unbesiegbarer Held kann sich nicht bewähren
o unlogische Stelle des NL: Siegfried kommt dort trotz seiner Unbesiegbarkeit in
Bedrängnis
 erst als Siegfried Gunther hilft, die magisch-starke Brünhild zu gewinnen, braucht er
den Mantel wieder (Werbungsbetrug)
o erst hier wird gesagt, wie der Mantel funktioniert: macht unsichtbar und
verleiht zusätzlich zur eigenen Kraft die von 12 Männern
54


Brünhild kann man nur heiraten, wenn man 3 Proben gegen sie gewinnt (eigentlich
unbesiegbar)
Siegfried überwindet Brünhild bei den Freiersproben (reale Tradition!) und wirbt sie
damit – aber nicht für sich, sondern für Gunther
o Voraussage: deshalb wird ihm „leide“ geschehen
 Mythos tritt gegen Mythos an, ansonsten wäre es nicht möglich, dass Brünhild geheiratet
werden kann
 gleichzeitige Störung der Ordnung: auf der mythischen Ebene gehören Siegfried und
Brünhild zusammen ABER real heiraten Günther und Brünhild
II. Brünhilds Unüberwindbarkeit
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

Brünhild ist auf Isenstein mit magischen Kräften ausgestattet
sie wird durch einen Betrug überwunden (Störung der Ordnung!)
sie weiß das nicht (und wird es nie erfahren) ABER sie weiß, dass etwas nicht in
Ordnung ist
o warum heiratet Kriemhild Siegfried, obwohl der doch Gunthers Lehnsmann
ist?
daher setzt Brünhild ihre mythischen Kräfte ein und verweigert Gunther die
Hochzeitsnacht
nur mit dem Tarnmantel kann Siegfried Brünhild bezwingen – worauf diese ihre
magischen Kräfte verliert
o keine Sexualität zwischen ihnen
 der „reale“ Vollzug der Ehe wird durch die mythischen Kräfte ermöglicht
 danach verschwindet die mythsiche Dimension Brünhilds ABER die Störung ist etabliert
Folgen und Deutungsaspekte:
 Beginn einer höfischen Geschichte: Brünhild braucht nun Gefolgsleute (Hagen),
Gunther ist wieder „Herr“
o Vorurteil: Gunther als schwacher König – eigentlich sind seine Verluste aber
immer gerechtfertigt durch den Mythos
 Verbindung: Mythos und Sexualität
o Walküren = Schlacht-Jungfrauen (Verzicht auf Sexualität = Abkehr von den
Regeln des Sozialen = Außeralltäglichkeit)
 Behauptung: Herrscherehe  hinter dem Herrscherpaar stecken die Regeln des
Mythos – es ist sozusagen als Beste und Bester mythisch legitimiert
ABER hier gestört:
o Bester und Beste (Mythos): Brünhild und Siegfried
o Herrscher (Realität): Brünhild und Gunther
III. Siegfrieds Drachenhaut

Siegfried nach Bad im Drachenblut unverwundbar – bis auf eine Stelle (Lindenblatt)
 Warum braucht er solchen Schutz? Warum die Lücke?
55

Kriemhild verrät aus Sorge, Liebe und Vertrauen Hagen die Stelle
 Lücke im Mythos ermöglicht es Hagen, diesen mit „realen“ Regeln zu überwinden
Folge: Der Betrug durch den Mythos erzeugte eine Störung (Bester und Beste bekommen
sich nicht) – eine Lücke im Mythos ermöglicht, diese Störung zu beseitigen.
 danach im Nibelungenlied keine mythischen Waffen mehr – nur noch eine Szene:
IV. Die Wassernixen bei Mehring
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an der Donau sucht man Übergang – Hagen trifft dabei auf „wîsiu wîp“ oder
„merewîp“ (weissagende Meerfrauen)
sie sollen ihm die Zukunft voraussagen – als Druckmittel raubt er ihnen die Kleider
dafür betrügen sie ihn – erste Meerfrau sagt ihm ein gutes Gelingen der Reise voraus
als er ihnen die Kleidungsstücke zurückgibt, sagt ihm jedoch die zweite die
„Wahrheit“: sie werden alle bei Etzel sterben
 Zwei Aussagen: zuerst Lüge, dann Wahrheit als Voraussage – aber welche Aussage ist die
richtige? Hagen zweifelt

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
er glaubt zuerst die bessere Vorhersage
die erste Meerfrau versichert ihm dann aber, aber dass sie wirklich alle sterben
werden – außer dem Kaplan des Königs!
sie sagen ihm dann noch wo ein Fährmann zu finden ist – dieser wird überlistet und
getötet (typische Szene westlich von Passau)
alle setzen über und Hagen testet die Voraussage der Meerfrauen, in dem er den
Kaplan aus dem Schiff
obwohl dieser nicht schwimmen kann, erreicht er das Ufer
 Inszenierung eines mythisch-irrationalen Moments um die Zuverlässigkeit der Vorhersage
zu bestätigen („realer“ Test der „magischen“ Vorhersage!)


Hagen weiß nun, dass die Vorhersage stimmt und zerstört die Schiffe
das Schicksal wird akzeptiert – obwohl man sich dagegen wehren wird
 Dimension des Tragischen ist etabliert
 alles Mythische verschwindet nun aus dem Lied (J.D. Müller: Depotenzierung des Mythos)
 Untergang findet unter Regeln der „realen“ Herrschaft statt – darin liegt die Drastik!
Zusammenfassung: Mythos im Nibelungenlied
Trennung von 2 Ebenen: Mythos und „Realität“

Mythos erklärt die Regeln der „Realität“
o Herrscher ist der Beste und kann mythische Proben bestehen
56


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ABER diese Regeln werden gebrochen: es steht ein Mythos gegen den anderen
(Walküre vs. Tarnmantel)  so entsteht in der „Realität“ ein Problem
der neue Mythos wird im Sinne der „realen“ Ordnung zerstört (Siegfrieds Tod) – dazu
das Loch in der Drachenhaut
ABER die reale Ordnung ist damit nicht zu retten (Kriemhilds Rache) – darüber
informiert eine mythische Instanz (Meerfrauen)
Zerstörung ist dann rein ein „realer“ Effekt der Störungen, die der Mythos
angerichtet hat
Mythos und Anderwelt
„Ander(s)welt“ = Orte jenseits diesseitiger Wirklichkeit – auch „dargestellter Wirklichkeit“
im Mythos und Märchen
 Räume in denen die Regeln der höfischen Gesellschaft nicht gelten (vgl. Rosengarten)

Funktion:
o Darstellbarkeit des Mythos
o Produktion von literarischen Sinnentwürfen abseits der Darstellung von
Realitäten
o ABER Bezug der Anderwelt zur Welt

Beispiele:
o Hänsel und Gretel: Wald und außerhalb des Waldes
o Hof und Wald (bei Siegfried im Nibelungenlied: Königssohn mit „mythischen“
Abenteuern)
Hänsel und Gretel

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
Schritt in den Wald (aus realen Gründen) = Schritt in die Anderwelt
alles Märchenhafte passiert im Wald – hat aber Auswirkungen auf „Realität“
sie kehren zurück und dadurch ist aus einer armen, unglücklichen Familie eine reiche,
glückliche geworden
Lied vom Hünen Seyfried
1. Abschied vom Hof
 Seyfried wird in den Wald gesendet, da er ein ungehöriger Junge ist
2. Im Wald
 Lehre bei einem Schmied – funktioniert ebenfalls nicht
 dieser sendet Seyfried zu den Drachen (in der Hoffnung, dass diese ihn töten)
 „da lag ein merklich Drache bey eyner Linden all tag“  Verbindung Drache mit Linde
(lint = ahd. Schlange) wird nicht mehr verstanden, sondern als Baum interpretiert
3. Die Drachen
 Seyfried tötet die Drachen
4. Befreiung Kriemhilds
5. Zurück an den Hof (Worms)
 Zwerg Eugel weist den Weg
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Zusammenfassung


Hürne Seyfried: Trennung von Hof und Wald
im Nibelungenlied: Durchmischung der Sphären

Prinzip: Exile and Return
o Exile: man verlässt die gewohnte Welt, um in der Anderwelt etwas zu erleben,
das für die „Welt“ bedeutend ist.
o Return: Man nimmt das in die „Welt“ mit und verändert sie dadurch
o vgl. Hänsel und Gretel

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
Seyfried am Hof I: unerzogen und gefährlich
Seyfried im Wald I: Unerzogenener wird zum Drachentöter (1) und Befreier (2)
Seyfried am Hof II: Befreier (2) ist der Beste und damit Mann der befreiten Prinzessin
ABER als Drachentöter (1) bleibt er gefährlich
Seyfried im Wald II: dort wird er ermordet – nicht erhalten
Seyfried am Hof III: die Rache für diesen Mord zerstört den Hof – nicht erhalten


Exkurs: Anderwelt im „Erec“ Hartmanns von Aue (um 1180)
58
 Abenteuer in der „Anderwelt“ ermöglichen die Etablierung in der diesseitigen Welt
 Trennung von mythischer und höfischer Welt: Mythische Taten haben Effekte in der
„höfischen“ Realität.
Fazit



Mythos als Form der alternativen Welterklärung, die immer neben anderen steht
Mythos in der Sage: Implementierung alternativer Logiken, die dann mit den „realen“
korrespondieren
Mythos als literarischer Möglichkeitsraum (Anderwelt) in Korrespondenz zur „realen“
Welt
59
9. Sitzung – Liebe als Krankheit
Was ist Liebe? Was ist Krankheit? Was ist der gemeinsame Nenner?
Liebe (nach Luhmann): unwahrscheinlicher prekärer Zustand, den man trotzdem auf Dauer
zu stellen versucht
Krankheit: ungewöhnlicher Zustand, abweichend von der Norm der Gesundheit, den man
möglichst schnell loswerden will
 Abweichung von der gesundheitlichen Norm
Entscheidende Parallelen:
 Außeralltäglichkeit
 Unvermeidbarkeit
 Leid
Andreas Capellanus: De amore – Traktat „Über die Liebe“ und deren Gefahren
Andreas Capellanus: lebte Ende des 12. Jh., nicht näher bestimmbarer Kleriker (evt. am frz.
Königshof)
Anmerkung: höfisches Liebe steht allgemein im Zentrum der Kultur – Liebe als sehr wichtiges
Symbol



Intention des Buches unklar – ist es dafür oder dagegen?
ABER zumindest klar: es ist eine Wahrnehmungsschrift
Beschreibung und Definition der Liebe ebenfalls klar: passio
Was denkt ein Kleriker über die Liebe? Was die Liebe ist:

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ein im Inneren geborenes Erleiden (passio) – ausgelöst durch Anblick und Gedanken
an Wohlgestalt (forma) des anderen Geschlechts
unmäßige gedankliche Beschäftigung (cogitatio) mit forma
man hat keinen Zugriff auf den anderen, nur selbst ein Begehren – von dem man nur
hoffen kann, das es erfüllt wird  man ist ausgeliefert: Erleiden (passio) und nicht
actio
Ziel: Körperliche Nähe/Vereinigung
zuerst: geht es überhaupt in Erfüllung? dann: ist es von Dauer?
o vgl. Unwahrscheinlichkeit bei Luhmann
besonders wichtig: Gegenargumente gegen die Liebe
Liebe ist Irrtum, denn sie schwächt (macht die Männer weniger kampffähig) auf 3 Arten:
 macht appetitlos
 macht schlaflos
60

o Def. laut Johannitius (christlich-arabischer Gelehrter): Ruhe der animalischen
Kräfte (virtues animales) gleichzeitig mit Anspannung der natürlichen (virtues
naturales)
stört die Verdauung
weiterer Grund, dass Liebe unpassend ist – nun nicht mehr körperlich, sondern ethisch:
 Liebe ist Sünde – und die schwächt immer
 immer Liebe gemeint, die auf körperliches Begehren aufbaut
von der Liebe kommt auch körperliche Krankheit – denn die schlechte Verdauung hat
Folgen: Körpersäfte in Verwirrung
 Fieber
 Verwirrung
 Wahnsinn – Mann wird verrückt und rasend
außerdem: Männer altern durch Werke der Venus frühzeitig
 rein männliche Perspektive (Männer sollen gelehrt und abgewandt werden, höfische
Männer werden angesprochen)
Argumente:
 psychologisch (Aufmerksamkeit)
 körperlich (Schlafentzug)
 ethisch (Sünde)
 allgemein medizinisch (Säfte in Verwirrung)
Weitere Symptome der Liebeskrankheit
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Wechsel der Farbe: Weiß und Rot
Bewegungsunfähigkeit
Starke Erhitzung oder Frost
Verlust der Sprache
Verlust des Verstandes
Verlust der Stärke
Alterung
Blutspucken
Verlust des Lebens
 Liebe wird also auch als Bedrohung der Existenz angenommen – so auch in der Literatur:
Liebeskrankheit im Minnesang I: Symptome bei Friedrich von Hausen
Anmerkung: hoher Minnesang – funktioniert immer gleich (Lob der Frau, aber es geht nicht
um Erreichen des Liebesaktes, sondern mehr um höfisches Sprechen über die „minne“)
61
Ich komme durch sie so oft in so große Schwierigkeiten, dass ich den Leuten „Guten Morgen“
sage, auch wenn es schon auf die Nacht zugeht. Ich war so weit in sie „verdacht“, dass ich
währenddessen nicht bei Sinnen war; und wer mich auch grüßte, ich bemerkte ihn nicht.


Minnekrankheit als Zustandsschilderung wie bei A. Capellanus oder einfach Symbol
für unbeschreiblichen Zustand (desto verwirrter Ritter, desto größer die Minne)?
Liebe vs. soziale Ordnung – man grüßt nicht mehr, man konzentriert sich nur auf
einen Zustand, Vereinzelung, A-sozialiät
Liebeskrankheit im Minnesang II: Liebestod bei Heinrich von Morungen
Herrin, willst du mich heilen, dann schau mich ein wenig an. Ich kann es nicht länger
vermeiden; ich werde das Leben verlieren. Ich bin krank, mein Herz ist verletzt. Herrin, das
haben mir angetan: Meine Augen und dein roter Mund.
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„Infektion“ durch Blick und Bild
Folgen einer asymmetrischen Gegenseitigkeit (meine Augen, dein Mund – er sieht sie
aktiv an, sie ihn nicht)  passio durch Anblick der forma
Ziel: Symmetrie  Blick gegen Blick (er schaut sie an und will das sie ihn auch
anschaut) – Nähe = Vereinigung
Sehen im MA: man sendet aktiv Sehstrahlen aus (so eine Art Ferntastsinn) und wenn
diese auf etwas stoßen, kommt etwas zurück
o wenn sich zwei davon treffen, ist das sehr intensiv  deshalb ist das Thema
so wichtig!
Anmerkung: Spiel mit dem Feuer im Minnesang, da Liebe als so gefährlich angesehen
Süße, sanfte Mörderin, warum wollt ich mich umbringen, obwohl ich euch doch so sehr
liebe, wahrlich Herrin, mehr als alle anderen Frauen? Glaubt ihr, wenn ihr mich tötet, dass
ich nicht mehr anschaue?
Nein, eure Minne hat mich dazu gebracht, dass eure Seele die Herrin meiner Seele ist. Wird
mir hier durch euch (=eurem schönen Körper) nichts Gutes geschehen durch, dann muss
meine Seele trotzdem sagen, das eure Seele mir dort wie eine reine Frau dienen wird.
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
Konzept: Trennung von Körper und Seele, von Hier (Diesseits) und Dort (Jenseits),
Immanenz und Transzendenz, von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit (Seele der Frau
wird als eine Frau behandelt, auch Körperlichkeit) als einem wîbe
selbst wenn du mich tötest, wirkt die Liebe dort mindestens so intensiv wie hier
was körperlich, eigentlich und „hier“ nicht sein kann, wird zwangsläufig seelisch,
uneigentlich im „dort“ passieren
Seelenminne
o Transzendierung von Liebe (wird verlagert ins Jenseits) oder Parodie?
Es gibt im MA nämlich Parodien auf die Liebesleiddichtungen:
62
Walther von der Vogelweide – deutliche Parodie auf die Liebesleiddichtung
Der immer für eure Ehre gekämpft hat gegen unstetige Menschen, das war ich. Dabei wurde
ich verwundet. Ihr habt mich angeschossen und sie (die Geliebte) ist unverletzt: Ihr geht es
gut, ich bin krank.
 Sänger klagt Frau Minne an: es kann doch nicht sein, dass es immer nur die Männer trifft
Herrin, lasst mich folgendes genießen: Ich weiß, dass ihr noch mehr Pfeile habt.
Könnt ihr nicht einen in ihr Herz schießen, dass es ihr genauso weh tut? Könnt ihr, edle
Königin, nicht euer Leid aufteilen oder das meine heilen, oder muss ich alleine so zugrunde
gehen?
 Lösungsvorschlag: trefft sie auch oder heilt meine Wunden – ist das wirklich klug, dass ich
alleine zugrunde gehe
Zusamenfassung
1. Liebe als Störung der (körperlichen) Normalität
2. Liebe als tödliche Krankheit
 mhd. senen (von ahd. senen = krank sein, ermattet sein)
o zuerst in der alten Bedeutung: krank sein
o ABER dann übetragen auf „denken an jmd./etw., jmd./etw. vermissen“
o Re-Konkretisierung im Spätmittelalter: Sehnsucht (-sucht = Krankheit)
o heute: abstrakte Bedeutung
3. Liebesschmerz und Liebestod als paradox-positive Konsequenz
 Tod/Schmerz als Zeichen der Einzigartigkeit der Liebe
 Walther von der Vogelweide findet dieses Paradox komisch:
Minne ist Minne, wenn sie gut tut. Wenn sie weh tut, dann nennt man sie nicht
mit Recht Minne
4. Literatur inszeniert Emotion und ihre Konsequenzen
 literarisches Spiel mit dem Paradox bis zur Parodie (Seelenminne; Walthers
Streit mit Frau Minne, …)
Liebeskrankheit im Epos – Der Eneasroman des Heinrich von Veldeke
12. Jh.
Anmerkung: Epik lebt von Liebesszenen
2 wichtige Szenen:
 Dido verliebt sich in Eneas
 Lavinia wird über die Liebe aufgeklärt
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Dido verliebt sich in Eneas
Eskalationsstufen der Liebe:
 Göttin Venus schickt Dido die unbezwingliche Liebe
 Liebe entbrennt als Feuer – sie ist unglaublich verliebt
 aber Eneas ist noch völlig ahnungslos  Trauer Didos darüber
 er merkt es deshalb nicht, weil Dido es noch schafft den Schmerz (Pfeil im Herz) zu
verheimlichen
 wichtig: Minnekrankheit nach außen sichtbar – aber im Anfangsstadium noch
möglich sie zu verstecken
 aber dann zusätzliche Fackel durch Cupido:
o Wechsel der Farben
o Wechsel der Temperatur
o Verlust der Orientierung und Handlungsunfähgkeit
o …
o am Ende wird Didos Selbstmord stehen
 Liebe ist asymmetrisch und bleibt auch asymmetrisch – weil Dido die Liebe immer zu
verheimlichen zu versucht, erst Hilfe von außen (Fackel) treibt das Ganze voran
Die Königin klärt Lavinia über das Wesen der Liebe auf
zwangsläufige Folgen der Liebe steuern das Geschehen des Textes:
 Dido: maßlose Liebe zu Aeneas bleibt einseitig – einziger Ausweg: Tod
 Lavinia: Liebe zu Aeneas ist gegenseitig, zwangsläufig und unheilbar – erfüllt die
Vorhersehung, dass Lavinia und Aeneas zusammengehören
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 Liebe als übergeordnetes Prinzip ist zerstörerisch (Didos Selbstmord), aber lässt das
entstehen, das enstehen „soll“ (auch wenn dadurch andere Regeln übergangen werden –
Lavinia ist eigentlich mit Turnus verlobt)
Liebeskrankheiten im Epos: Tristan
Tristantradition – zwei Fassungen
 Eilhart von Oberg ‚Tristrant‘ (um 1170)
 Gottfried von Straßburg ‚Tristan‘ (um 1210/20) – beendet sein Werk nicht
(Fragment); unklar, ob er gestorben ist oder nicht mehr weiter wusste
prekäre Situation:
 König Marke will Isolde werben und schickt einen Boten (Tristan) – natürlich nimmt
man immer den Besten als Boten (Tristan kann alles!)
 Werbungshelfer Tristan und Isolde kommen sich nahe
 Mutter Isoldes weiß, dass kein Liebeszustand zwischen Marke und Isolde besteht
 deshalb gibt sie ihr dafür einen Liebestrank (magisches Mittel) mit
o Trank soll Herrscher-Ehe um das Prinzip der Liebe bereichern – man verspürt
hier also ein mögliches Defizit.
in was ein tôt unde ein leben,
Nur ein Tod und ein Leben,
ein trure, ein vröude samet gegeben. eine Traurigkeit und ein Glück war ihnen gemeinsam.

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



Trinkende müssen sich körperlich und geistig lieben!
Tristan und Isolde trinken den Trank versehentlich  sie müssen sich lieben!
o wertet das Gefühl nicht ab, auch wenn es magisch hergestellt wird
o
o Zwanghaftigkeit der Liebe ist ja das Grundprinzip mittelalterlicher Liebe
Mutter wollte: Ehe + Liebe
ABER nun fallen Ehe und Liebe extrem auseinander – sie heiratet Marke und liebt
Tristan
am Ende dominiert Zwang der Liebe
Krankheitsvorstellung zieht Möglichkeit der Heilung nach sich:
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 Ärztin Minne
 die beiden dienen sich gegenseitig als Medikamente
ABER soziale Regeln werden aber gebrochen und am Ende sterben die Liebenden
Der Minnetrank bei Eilhart von Oberg
 Wirkung des Trankes ist zeitlich befristet auf 4 Jahre
 14-tägige Trennung führt zum Tod
 sozialer Handlungsspielraum verschärft das Dilemma
 Möglichkeit des freien Entscheidens gegeben – ABER das funktioniert im MA nicht so, es
gibt keine freie Entscheidung für die Liebe
Der Minnetrank bei Gottfried von Straßburg
 Wirkung unbefristet
 Trennung ist tödlich
 kein Handlungsspielraum – von Anfang an eine Fatalität
 keine Möglichkeit des freien Entscheidens
Funktion des Minnetranks
 Liebe macht a-sozial
 Liebe wird in mythischer Zwangsläufigkeit in Konkurrenz zu sozialen Normen
ausgelöst
 maximal unwahrscheinlicher und unkontrollierbarer Zustand, nicht als
„Entschuldigung“
o vgl. Drachenkampf als Analogie zum Trank: Tristan besiegt in Cornwall einen
Drachen und Drachentöter bekommen immer die Prinzessin
 Liebe nicht als individuelles Ereignis sondern als überindividuelles Prinzip, das am
Exempel von Tristan und Isolde vorgeführt wird
Liebe im MA: universal begründetes, überindividuelles Phänomen, von dem man befallen
werden kann
Liebe in der Moderne: einzigartige Liebe zweier Individuen
 Liebe verzichtet auf Universalität
 Gültiger Sinn ensteht nur zwischen den Liebenden, ist nicht objektiv zusicherbar
 Kategorie des „Selbst“ und des einen „Anderen“ wird absolut gesetzt und bestimmt
die Regeln
Fazit



Liebe im MA als Vereinigung von Glaube & Wissen
Liebe nicht rational begründbar und doch unvermeidbares Faktum (Krankheit)
man sucht und findet „mythische“, „körperliche“ Gründe, aber die führen zu einer
Warnung vor der Liebe
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


Liebe hat dabei absoluten Geltungsanspruch, an dem Individuen teilhaben, den sie
aber nicht (wie in der Moderne) produzieren
Liebe erzeugt eine Wahrheit, neben anderen Wahrheiten:
o entweder harmonisch (zB. Liebe + Ehe)
o oder in Konkurrenz (zB. Liebe vs. Ehe)
ABER sie gewinnt immer
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