Schwarzwurzel und Gamay

Kulinarik
Überraschend kombiniert
Schwarzwurzel
und Gamay
Jeder kennt Geheimtipps bei der Kombination von Wein
und Speisen. Die originellsten Mariagen stellen wir Ihnen in
dieser Serie vor. Zu Gemüsegerichten aus Schwarzwurzeln
serviert Ursula Geiger eleganten Gamay.
Text: Ursula Geiger, Foto: Martin Hemmi
G
retchen stand in der Küche und
schrubbte mit ganzem Körpereinsatz Schwarzwurzeln unter fliessendem Wasser. Eine Dauerwellenlocke fiel ihr
dabei in die Stirn. Die Bifokalbrille rutschte
auf die Nasenspitze. Sie wischte die Hän­de an der Kittelschürze ab, drehte sich zu
mir um und sagte: «Kindchen, Schwarzwurzeln sind die Spargel des armen Mannes.»
Ich mochte, wie sie Spargel mit einem «j»
statt einem «g» sagte, und ich mochte die
Schwarzwurzeln, die sie mit einer Béchamelsauce nappierte. Das war zehn Jahre
bevor der Eiserne Vorhang fiel. Gretchen
wohnte damals in einem Haus mit grossem
Garten in Dessau, dem heutigen Bundesland
Sachsen-Anhalt. Im Garten wuchs in der
dunklen, mit Sand durchsetzten Erde neben den Schwarzwurzeln noch viel anderes
Gemüse. Eine solide Grundversorgung im
damaligen Arbeiter-und-Bauern-Staat. Nach
meinem Schwarzwurzelerlebnis hoffte ich
immer, Gretchen bringe zu ihren Besuchen
«im Westen» das leckere Gemüse einmal
mit, denn bei uns gab es zwar Dittmeyer’s
Valensina, nach dem es sie immer so gelüstete, doch keine frischen Schwarzwurzeln.
Die aus der Dose waren ein geschmacklicher
Ablöscher. Lange ass ich keine Schwarzwurzeln mehr, bis vor rund zehn Jahren
die sandigen dunklen Stangen zunächst
in Bioläden, dann in den Gemüseabteilungen gut sortierter Supermärkte auftauchten.
Seitdem freue ich mich auf das kulinarische
Highlight, das von Herbst bis März Saison
hat und in den ersten Frühlings­tagen mit
Spargelimporten aus Übersee konkurrieren
muss. Schwarzwurzeln sind ein Wochenendgemüse. Es braucht Zeit, sie zu putzen.
Oft wird geraten, sie mit Handschuhen zu
schälen, wegen des klebrigen Saftes, den
sie absondern. Blödsinn: Handschuhe sind
etwas für die Karda­shians der Küche. Das
haptische Erleben und die dreckigen Hände
gehören dazu. Mit einer frisch aufgeschnittenen Zitrone bekommt man die Verfärbun­
gen wieder weg. Die Wurzelstangen sind
mehr als nur eine raffinierte Beilage: In
Butter geschwenkt, mit gerösteten, gehackten Haselnüssen bestreut und ergänzt mit
einem frisch gebackenen Fleuron sind sie
eine tolle Vorspeise, überbacken mit einer
Haube aus Weisswein, Eiern und fein ge­
riebenem Hartkäse eine leichte Mahlzeit.
Ich kombiniere dazu einen eleganten Gamay mit präsenter, reifer, schön eingebundener Säure und geschmeidigem Tannin.
Die weissen Wurzelstücke, deren Textur
zwi­schen zart und knackig liegt, und die
ker­
nige Säure des Gamay ergänzen sich.
Meine favorisierten Gamay sind BeaujolaisCrus aus Fleurie, denn diese Weine zeichnen sich nicht nur durch eine nach getrockneten Kirschen schmeckende Frucht aus,
sondern duften auch oft nach Veilchen. Das
bringt einen erdigen Touch ins Aromenspektrum, der wiederum zur zarten Nussigkeit der Wurzeln passt.
Versuchen Sie’s!
Die Speise
Von wegen «Spargel des armen Mannes»:
Schwarzwurzeln, auch Winterspargel
genannt, wurden schon von Karl dem
Grossen gerne verspeist. Das Gemüse
galt damals als edel und wurde als Heil­
mittel gegen die Pest eingesetzt.
Die Pflanze stammt aus Spanien und ist
mit Löwenzahn verwandt. Das Wissen
um die schmackhafte Wurzelstange ging
irgendwann verloren. Im 17. Jahrhundert
begeisterte sie Ludwig XIV. aufs Neue und
wird seither als Gemüse kultiviert. Sobald
sie geschält sind, legt man die Wurzeln in
kaltes Wasser, mit Zitronensaft und etwas
Mehl, damit sie nicht anlaufen. Nach dem
Dämpfen werden sie weiterverarbeitet:
zu Gratin oder zu Mousse, im Risotto oder
einfach pur in Butter geschwenkt.
Der Wein
Während es die Schwarzwurzel bereits ins
Rampenlicht geschafft hat, wird Gamay
leider immer noch zu oft als einfacher
Zechwein schubladisiert. Dabei muss Ga­
may nicht zwingend nach Himbeerdrops
schmecken wie der Beaujolais Nouveau,
der am 19. November auf den Markt
kommt. Im Beaujolais entlocken Winzer
der Sorte elegante und komplexe Weine.
Sie arbeiten mit geringen Erträgen,
entrappen die Trauben, vergären auf der
Maische und bauen die Weine im Fass
aus. Highlights sind die Beaujolais-Crus,
wie Chiroubles und Fleurie. Sie sind
zwar leicht, doch das Bouquet ist vielfäl­
tiger und tiefgründiger. Fruchtbetont
und feingliedriger sind hingegen die Ga­
may aus der Westschweiz.
Die Mariage
Zartes Gemüse verträgt keinen Block­
buster mit viel Alkohol, Extraktsüsse und
Tannin. Doch zu leichtgewichtig darf der
Begleiter zu den nussig schmeckenden
Schwarzwurzeln auch nicht daherkom­
men. Der ideale Gamay hat eine kernige
Struktur von reifen Tanninen, eine prä­
sente, aber gut ausbalancierte Säure und
am besten kein Gramm Restzucker. So
stützt er den komplexen Geschmack der
Gemüse­speise, ohne sich in den Vorder­
grund zu drängen. Und er macht nicht
satt, was für die Kombination mit leichten
Gerichten entscheidend ist.
VINUM
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