10 B ü n d n e r Ta g b l a tt TA N K ST E L L E GRAUBÜNDEN S a m s t a g , 2 9. Au g u s t 2 0 1 5 «Ich möchte nicht irgendwann bereuen, es nicht versucht zu haben» Raoul Wabassi kam 1999 nach Deutschland, um Medizin zu studieren. Seit zwei Jahren arbeitet der Kameruner in der Frauenklinik Fontana in Chur, wo er sich zum Facharzt Gynäkologie ausbildet. Er wohnt mit seiner Familie in Malix. A direktorin sie gleich den versammelten Eltern vor. «Das fand ich wirklich positiv», so der Kameruner mit dem hochdeutschen Akzent, der inzwischen auch Schweizerdeutsch versteht. ▸ BARBARA RIMML Wo Autos jetzt «wellnessen» können Knapp sechs Monate wurde gebaut, heute Samstag wird die neue Avia Tankstelle auf dem Rossboden 18 in Chur eröffnet. Neben Shop und Bistro verfügt die Anlage über eine 50 Meter lange Autowaschstrasse mit 16 Indoor-Saugerplätzen, die gratis benützt werden können. Laut einer Pressemitteilung wurde die Tankstelle «umweltschutzgerecht nach den neuesten Regeln der Luftreinhalteverordnung» umgebaut. Im «Auto Spa Rossboden» werden die Kunden werktags von 8 bis 20 Uhr bedient, an den Wochenenden sind die Öffnungszeiten etwas reduziert. Für die Fahrzeugpflege stehen diverse Programme zur Auswahl. (BT) Klosterser Rat sagt Ja zu Catering und Forstbetrieb KLOSTERS-SERNEUS Am vergangenen Donnerstag wurden im Gemeinderat Klosters-Serneus zwei Sachgeschäfte beraten. Zum einen beschloss der Gemeinderat mit 12:1 Stimmen, den Klosterser und Saaser Stimmberechtigten hinsichtlich der Urnengemeinde vom 18. Oktober den Beitritt zum überkommunalen Forstbetrieb Madrisa und die Genehmigung seiner Statuten zu beantragen. Künftig wäre der Forstbetrieb Madrisa für eine Waldfläche von rund 7000 Hektaren verantwortlich, wie dem Pressebulletin der Gemeinderatssitzung zu entnehmen ist. Der zweite zentrale Aspekt war ein Zusatzkredit im Rahmen der Erweiterung des Sportzentrums Klosters mit einer Event- und einer Sporthalle. Der Kredit von maximal 300 000 Franken soll zur Finanzierung von ergänzenden baulichen Massnahmen – haustechnische Installationen, Brandschutz, Fluchtwege – verwendet werden, die für eine umfangreichere Cateringinfrastruktur nötig sind. Mit 10:2 Stimmen bei einer Enthaltung wurde dem Kredit zugestimmt. Dadurch wurden die «Voraussetzungen für regelmässige Cateringaktivitäten» geschaffen, die auch für den Regionaltourismus wichtig sind, heisst es weiter. (BT) KURZ GEMELDET Pontresina bestklassierte Gemeinde Zum siebten Mal publiziert das Magazin «Weltwoche» in seiner aktuellen Ausgabe ein Ranking aller Schweizer Gemeinden mit über 2000 Einwohnern, bei dem die Wohn- und Lebensqualität gemessen wird. Pontresina liegt laut Mitteilung auf Platz 48 von insgesamt 921 Gemeinden und ist damit die beste im Kanton Graubünden. Nationaler Leader ist Uitikon am See (Zürich) vor der Stadt Zug. Im Vorjahr war Pontresina noch viertbeste Bündner Gemeinde und lag national auf Rang 144. INSERAT Einfach Freude schenken! Unsere Geschenkgutscheine finden Sie im Online-Shop – Viel Spass beim stöbern! www.resortragaz.ch/gutscheine Schweiz kosmopolitischer Als der heute 37-jährige Raoul Wabassi 16 Jahre alt war, kam seine kleine Schwester mit einer beidseitigen Gaumenspalte zur Welt, einem Loch zwischen Mund- und Nasenraum. Raoul sah, wie sie litt. Von da an war für ihn klar: Er wollte Arzt werden. Seine Schwester wurde später operiert, heute sehe man ihr nichts mehr an, erzählt Pierre Raoul Wabassi, der 1978 in Kamerun auf die Welt kam. «Afrika im Kleinen» wird das zentralafrikanische Land auch genannt – wegen der landschaftlichen und ethnischen Vielfalt. Über 200 verschiedene Volks- und Sprachgruppen leben in Kamerun zusammen. «Wie wenn in Chur, Malix und Haldenstein je eine andere Sprache gesprochen wird», erklärt Wabassi. Zur gegenseitigen Verständigung dienen die Amtssprachen Französisch und Englisch, da Frankreich und Grossbritannien nach dem Ersten Weltkrieg die ehemalige deutsche Kolonie bis zur Unabhängigkeit 1961 verwalteten. Die Arbeit gefällt ihm. Es sei ein kleines Team, wie eine Familie. «Man wird als Mensch wahrgenommen, als Kollege. Das ist toll», so der Arzt. Wenn man nur als Ausländer gesehen werde, dann sei es schwierig, sein Potenzial zu zeigen. Rassismus hat er in der Schweiz nicht erlebt. «Die Schweiz ist kosmopolitischer als Deutschland, es gibt hier eine bunte Mischung.» Wabassi machte auch in Deutschland gute Erfahrungen, vor allem an der Uni. «Da waren wir eine Art Clique mit Freunden, die einem helfen, wenn man sie braucht.» War er jedoch ohne diese Freunde unterwegs, dann hatte er schnell das Gefühl, nicht erwünscht zu sein. «Ich ging alleine gar nicht mehr weg», erklärt Wabassi. Es gab Vorfälle mit Neonazis, in der Disco wollte ihn einer zusammenschlagen. «Ich hatte Glück», erinnert sich der Afrikaner, «aber ich habe Freunde, die wirklich krankenhausreif verprügelt wurden.» Integration bedeutet für Wabassi denn auch, nebst der Grundvoraussetzung der Sprache: «Dass man vom Gegenüber akzeptiert wird als Teil dieser Gesellschaft.» Afrikanische Grossfamilie Raouls Mutter war 18-jährig und noch mitten in der Ausbildung, als er zur Welt kam. Deshalb wuchs Raoul bei den Grosseltern auf, zusammen mit Cousins und Onkeln. Einen Teil seiner Kindheit verbrachte er auf dem Markt, die Grosseltern verkauften Waren und Lebensmittel. «Ich habe ihnen gerne geholfen», erinnert sich Raoul Wabassi. Mit 13 Jahren zog er zur Mutter in die Hauptstadt Yaoundé, zusammen mit zwei fast gleichaltrigen Onkeln. «Meine Mama hatte ihre Ausbildung als Journalistin abgeschlossen und nahm uns als Entlastung zu Der grosse Traum Serie Neue Heimat Graubünden Er träumt davon, als Arzt in seiner Heimat etwas zu bewirken: der Kameruner Raoul Wabassi in Malix. (FOTO MARCO HARTMANN) sich. Das macht man bei uns so, wenn jemand etwas erreicht hat», so der Kameruner, der mütterlicherseits vier und väterlicherseits fünf Halbgeschwister hat. Nach dem Gymnasium stellte sich die Frage, wo studieren. «Kamerun ist ein korruptes Land. Die Prüfungen sind nicht gerecht, man muss dafür bezahlen», erklärt Wabassi. Er entschied sich deshalb, das Geld in eine Ausbildung in Europa zu investieren. Ein Onkel, der in Deutschland studierte, konnte für den 21-jährigen eine Zulassung für einen Studienplatz organisieren – vorerst für Chemie. «Innen bin ich auch schwarz» Nach zwei Jahren Deutschkurs in Paderborn meldete sich Wabassi für Medizin an. Ohne Erfolg. Also studierte er Chemie, bis es schliesslich mit der Zulassung zum Medizinstudium in Kiel klappte. Für die Finanzierung von Studium und Lebensunterhalt arbeitete er in Fabri- ken und als Kassierer an einer Tankstelle. In Kiel lernte er 2004 seine Frau Svenja kennen, eine Norddeutsche, die mit Joshua bereits ein Kind in die Ehe brachte. «Er ist wie mein eigener Sohn», erklärt Wabassi, «nennt mich auch Papa. Ich merke gar keinen Unterschied.» Andere Leute hingegen schon. Als Joshua etwa sechs Jahre alt war, erzählt Raoul Wabassi, wartete er mit ihm an der Bushaltestelle. Eine Frau beobachtete die beiden, und fragte das Kind, wer denn der Mann sei. «Das ist mein Vater», entgegnete Joshua. «Wirklich?» fragte die Frau. «Aber er ist schwarz.» Das Kind: «Aussen bin ich weiss, aber innen bin ich auch schwarz.» Raoul Wabassi muss heute noch lachen, wenn er sich an diese Szene erinnert. 2007 kam der gemeinsame Sohn Leo auf die Welt. Damit Reisen mit der Familie ohne Visumsprobleme möglich sind, liess sich Raoul Wabassi in Deutschland einbürgern. Von Kiel nach Malix Im Juli 2013 schloss Wabassi das Medizinstudium ab. Er hatte eigentlich immer die Ausbildung zum Kinderarzt machen wollen, wegen des Erlebnisses mit seiner Schwester. «Aber als Schwarzer mit weissen Kindern zu arbeiten, ist nicht einfach», merkte er während eines Praktikums. Nicht wegen der Kinder, sondern wegen der Eltern. «Ich fand es schwierig, das Vertrauen zu gewinnen.» Also begann er sich für andere Fachrichtungen zu interessieren, und stiess dabei auf Frauenheilkunde. Ein entsprechendes Praktikum in Kamerun bestärkte ihn: «Ich sah, dort kann man viel bewirken mit Gynäkologie.» Sein Professor hatte immer die Gynäkologie in der Schweiz gelobt, und da Wabassi durch Freunde und Praktika die Schweiz schon etwas kennen gelernt hatte und ihm die Mentalität und die Kultur gut gefielen, suchte er sich nach Abschluss des Studiums eine Stelle für die FacharztAusbildung in der Schweiz. Schon im August 2013 konnte Raoul Wabassi in der Frauenklinik Fontana in Chur beginnen. Zuerst wohnte er alleine hier, vor einem Jahr folgte seine Familie und sie zogen nach Malix. «Wir wollten aufs Land. Die Kinder können sich dort besser entfalten», ist Wabassi überzeugt. In Malix sei die Familie gut aufgenommen worden. Die Nachbarn seien nett und hilfsbereit, und am ersten Schultag stellte die Schul- Von seiner Heimat vermisst er vor allem die Familie, zu der er viel Kontakt hat. Und die Gelassenheit. «Die Arbeitsmentalität, die Gerechtigkeit, die Ordnung mit Regeln, das imponiert mir hier in Europa.» Doch es fehle uns an Lockerheit, wir sollten nicht nur an die Arbeit denken. Die Leute im Bus zum Beispiel sähen so ernst und verkrampft aus. «Das Wort Stress habe ich in Europa kennen gelernt. Bei uns gibt es zwar das Wort, aber man benützt es nicht», lacht er. Dann wird er ernst: «Hier ist Stress alltäglich, sogar eine Krankheit.» Fühlt er sich hier zu Hause? «Jein», antwortet Raoul Wabassi. «Ja, weil ich meine Familie und Arbeit hier habe und meinen Teil in die Gesellschaft einbringe. Aber wenn man damit liebäugelt, zurück zu gehen, dann ist man zwar hier, aber noch nicht zu Hause.» Denn das ist weiterhin der grosse Traum des Arztes: Nach der Facharzt-Ausbildung zu Hause Fuss fassen. «Hier in Europa hat es genügend Ärzte. Unten braucht es mehr», so der 37-jährige, der dankbar ist für die Ausbildung in Europa. Es werde nicht einfach, nach so vielen Jahren in Europa, ist sich Wabassi bewusst. Deshalb redet er oft mit Leuten, die zurück gegangen sind. Trotzdem hat er gewisse Ängste. Seine Frau sei offen. Aber was werden die Kinder in ein paar Jahren sagen? Wird er es schaffen in einem korrupten Land, wenn man immer bestechen muss, um etwas aufzubauen? Probieren, lautet dann seine Antwort.» Ich möchte nicht irgendwann einmal bereuen, es nicht versucht zu haben.» Einige flohen vor Krieg und Gewalt, andere kamen aus wirtschaftlichen Gründen, aus Liebe oder Abenteuerlust. Wie erging es ihnen, was machen und denken sie heute? Das BT stellt jeden zweiten Samstag Menschen unterschiedlicher Herkunft vor.
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