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Wiedereingliederung von Gefangenen: auf Erfahrungen basierende
Politik
ROD MORGAN
Was immer als Zweck von Inhaftierungen gehalten werden magVergeltung, Abschreckung, Rehabilitation, Verhinderung- es gibt einige
grundlegende Feststellungen, an die wir denken sollten:
! In den meisten Ländern, unabhängig von der Urteilspolitik, sind
die meisten zu einer Gefängnisstrafe verurteilten Personen dort
für eine relativ kurze Zeit, eher für Monate als für Jahre. Das
heißt, sie kommen bald raus.
! Es gibt keinen oder wenig Hinweis, dass die Art in der
Inhaftierungen organisiert sind, liberal oder streng, kleine
Änderungen in der Inhaftierungsquote, oder kleine Änderungen
in der durchschnittlichen Haftdauer, mehr als einen
insignifikanten Einfluss auf die Kriminalitätshäufigkeit hat. Das
heißt, der Abschreckungseffekt ist unwesentlich. Der wichtige
Punkt für eine allgemeine Abschreckung ist, dass Täter gefasst
werden. Was mit Ihnen danach passiert ist nicht wichtig.
! Was immer die kriminologischen Faktoren, die Kriminalität
zugrunde liegen- soziale Benachteiligung, Drogenabhängigkeit,
Mangel an Grundfähigkeiten, Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeitdas Gefängnis ist die schlechteste Umgebung, ihnen zu begegnen.
Es ist keine Entwicklung, in der soziale Verantwortung gedeiht.
Wenn man die Lebenschancen einer Person verbessern wollte,
ein Gefängnis wäre nicht der ideale Platz dafür. Man könnte nicht
rechtfertigen, jemanden zum Zweck der Rehabilitation ins
Gefängnis zu schicken. Was nicht heißt, dass man nicht aus
anderen Gründen versuchen sollte, Täter im Gefängnis zu
rehabilitieren. Wir müssen zwischen den Vorstellungen des
Verurteilenden und der Gefängnisverwaltung unterscheiden.
! Wir erwarten nach der Entlassung von den Gefangenen, dass sie
ein gesetzestreues Leben führen. Es folgt aber, dass, wenn sie aus
dem Gefängnis kommen -sich verbittert und fremd fühlen, mit
einem Gefühl der Ungerechtigkeit, mit ihren ohnehin schlechten
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Lebenschancen noch weiter verschlechtert-, das Strafrechtssystems seinen Sinn verloren hat.
! Es wäre also klug von uns:
Inhaftierungen nur selten zu nutzen. Uns daran zu erinnern, dass
Gefangene Bürger bleiben. Gefangene mit Menschlichkeit,
Gerechtigkeit und Respekt zu behandeln
Jede andere Politik wäre contraproduktiv zur Kriminalitätsverhinderung. Die Grundlage einer auf Erfahrungen basierenden Politik liegt
in einem Dreieck von:
Feststellung – Eingreifen – Ergebnis
Dafür benötigen wir im Idealfall:
Systeme – Informationen – Infrastruktur
Wir brauchen die Befugnis (capacity), bestimmte grundlegende
Fragen über unsere Gefangenen zu beantworten.
! Weswegen sind sie im Gefängnis und wie lange?
[Untersuchungshaft oder Verurteilung, Art der aktuellen und
vorherigen Verhaftungen und Strafen, Strafdauer]
! Wer sind sie? [Ihre sozio- ökonomischen Merkmale, ihre
Risikoneigung]
! Wo sind sie, wo kommen sie her, wohin werden sie gehen?
[Ihre Herkunft, ihr aktueller und womöglich weitere
Anstaltsstandorte]
Im besten Falle werden wir ein System haben, das uns diese
Informationen geben kann. Wir werden Mittel haben, um Gefangene
systematisch einzuschätzen. Wir werden Strukturen und Personal
haben, die mit den gesammelten Informationen umgehen können.
Nicht alle Gerichtsbarkeiten haben diese Möglichkeiten. Sie sollten
darauf hin arbeiten. Aber wir können einige Verallgemeinerungen über
die Antworten machen.
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! Gefängnisse sind sozio- ökonomische Abfallbehälter. Sie
enthalten selten die sozial Bevorteilten oder Privilegierten. Die
sozial Bevorteilten stellen sicher, dass ihre Vergehen nicht als
Vergehen zählen, oder sie nicht entdeckt werden oder, wenn sie
entdeckt, sie nicht verfolgt werden. Strafgefangene sind in der
Mehrzahl mehrfach benachteiligt.
! Gefangene sind meist männlich (95%) und jung (im Durchschnitt
25-30)
! Unproportional durchzogen von ethnischen und anderen
benachteiligten Gruppen (Sinti und Roma, schwarze Personen
zum Beispiel, auch Einwanderer und Personen fremder
Nationalitäten)
! Mehrfach benachteiligt haben sie keinen Gewinn durch
Konformität. Das heißt, sie können nicht leicht abgeschreckt
werden. Sie haben nicht viel zu verlieren.
! Die meisten werden viele vorherige Straftaten begangen haben.
Viele werden vorher bereits im Gefängnis gewesen sein.
! Die meisten werden, ohne starkes Eingreifen, ohne ein Ziel
das Gefängnis verlassen.
Lassen Sie mich dieses Thema mit einigen Daten aus England und
Wales veranschaulichen, den Ländern, die ich am besten kenne.
Intensive Forschung hat aufgezeigt, dass die wichtigsten kriminogenen
Faktoren die folgenden sind:
! Mangel an Bildung – 80% haben die Schreibfähigkeiten eines
durchschnittlichen 11-jährigen Kindes. 65% haben die
Rechenfähigkeiten eines 11-jährigen Kindes. Das heißt, sie haben
nicht die nötigen Vorraussetzungen für die meisten Jobs in einer
modernen, fortschrittlichen Wirtschaft. Für sie ist es zwanzig mal
wahrscheinlicher als für den Rest der Bevölkerung, wegen
schlechtem Verhalten aus der Schule ausgeschlossen zu werden.
Für sie ist es zehn mal wahrscheinlicher, dass sie ernsthafte
Schulschwänzer waren.
! Arbeitslosigkeit- für sie ist die Wahrscheinlichkeit, arbeitslos
gewesen zu sein zur Zeit der Straftat und Verurteilung 13-mal
höher als für den Rest der Bevölkerung. Viele waren
langzeitarbeitslos.
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! Drogen- und Alkoholmissbrauch – 60-70 % hatten ein
bedeutendes Missbrauchsproblem vor ihrer Inhaftierung. Dies
wird die Gesundheit von vielen ernsthaft beeinträchtigt haben.
! Körperliche und geistige Gesundheitsprobleme – für sie ist die
Wahrscheinlichkeit HIV positiv zu sein 15 –mal höher als für den
Rest der Bevölkerung. 70% leiden an mindestens zwei mentalen
Störungen. 20% der Männer und 37% der Frauen hatten einen
Suizidversuch in der Vergangenheit. Dennoch war die Hälfte der
Gefangenen vor der Verhaftung nicht bei einem Allgemeinarzt
registriert. 80% der Drogenabhängigen waren die letzte Zeit nicht
in Kontakt mit Suchtzentren.
! Anti- autoritäres Verhalten und ein Fehlen von Selbstkontrolle –
Gefangene sind generell nicht sehr gut darin, die Konsequenzen
ihrer Handlungen einzuschätzen, auch nicht die Konsequenzen
für ihre Opfer. Sie leiden häufig an verzerrter Wahrnehmung.
! Institutionalisierung und Mangel an Lebensfähigkeiten (life skills alltägliche Kompetenzen der Lebensgestaltung) – Für sie ist es 13mal wahrscheinlicher als Kind in die Obhut von Sozialen
Diensten gewesen zu sein als für den Rest der Bevölkerung. Es ist
für sie zweieinhalb mal wahrscheinlicher ein Familienmitglied zu
haben, das für eine schwere Straftat verurteilt ist.
! Familienzusammenbruch – für sie ist es bedeutend wahrscheinlicher, ein gestörtes Familienleben gehabt zu haben und als Kind
missbraucht worden zu sein. Es ist für sie wahrscheinlich, dieses
Muster zu reproduzieren. Für männliche Gefangene ist es sechs
mal wahrscheinlicher junges Elternteil zu sein.
! Unbeständige Unterkunft und Obdachlosigkeit. Für Gefangene ist
es viel wahrscheinlicher unsichere Mieter oder Obdachlose zu
sein als für den Rest der Bevölkerung.
! Geringes Einkommen und Verschuldung – Meist arbeitslos, haben
Gefangene typischerweise wenig Einkommen außer staatlichen
Leistungen. Oft sind sie ernsthaft verschuldet.
Viele Gefangene haben mehrere dieser Merkmale. Sie sind mehrfach
benachteiligt. Sie leiden an einer ernsthaften gesellschaftlichen
Ausgrenzung vor ihrer Inhaftierung.
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Diese Probleme verschärfen sich typischerweise durch die
Inhaftierung.
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Ein Drittel verliert während der Haft ihre Unterkunft.
Zwei Drittel verlieren ihre Arbeit.
Ein Fünftel sieht sich zusätzlichen Schulden gegenüber.
Zwei Fünftel verliert den Kontakt zur Familie.
Das heißt, weil alle anderen Dinge gleich bleiben, verlassen die Gefangenen das Gefängnis in einer noch schlechteren Lage, als zu dem Zeitpunkt, an dem sie ankamen. All das bedeutet, ohne Überraschung, dass
die Rate einer wiederholten Straftat und Verurteilung sehr hoch ist.
In England und Wales werden 59% aller Gefangener innerhalb von
zwei Jahren nach der Entlassung wieder verurteilt. Je jünger sie sind
und je mehr vorherige Verurteilungen sie haben, desto höher ist die
Rate der erneuten Verurteilung und umgekehrt. 71% der 18-20 –
jährigen Männer und 80% der Männer mit dem Alter 17 Jahre und
jünger werden innerhalb von zwei Jahren wieder verurteilt. Junge
Männer mit vielen vorherigen Verurteilungen werden sicher –95%erneut verurteilt nach zwei Jahren.
Die Erfahrungen des Rückfalls erzeugen eine eigenartige Ironie: Je
länger ein Gefangener inhaftiert war, je älter er ist, je schwerer seine
Straftaten waren, für die er verurteilt worden war, desto weniger
wahrscheinlich wird ein Rückfall. Z.B. werden Männer über 35 Jahre
mit weniger als 6 vorherigen Verurteilungen mit einer Wahrscheinlichkeit von nur 25% innerhalb von 2 Jahren nach Entlassung wieder
verurteilt werden
Die höchste Rate der Wiederverurteilung haben die Kurzzeitinhaftierten, die oft mehrfache Straftäter sind in der Kategorie der am wenigsten
ernsten kleinen Eigentumsdelikte.
Was müssen wir demnach tun? Ideellerweise werden wir:
! Gefängnisse so verwalten, dass Gefangene wenigstens nicht
schlechter herausgehen, als sie herein kamen. Gefängnisse
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sollten mindestens sicher, gesund und human sein. Das
bedeutet, Justizmitarbeiter gut zu behandeln, sie verbringen im
Durchschnitt mehr Zeit im Gefängnis als die Gefangenen. Wenn
Gefängnisse brutalisierende Orte sind, sind die Mitarbeiter das
auch.
! Stellen Sie sicher, dass die Haftanstalt keine kulturelle Enklave
ist. Das heißt, es sollte Teil der Gemeinschaft sein. Sicher
natürlich. Aber ein Ort, an dem staatliche, freiwillige und
kommerzielle Einrichtungen, die ihre Dienste draußen anbieten,
ihre Dienste auch anbieten können. Der Gesundheitsdienst in
Haft sollte ein Zweig des staatlichen Gesundheitsdienstes sein,
genauso wie Ausbildung, Lese- und Haushaltshilfe. Dies sollten
keine separaten Dienste sein. Dieses ist das Prinzip, das
manchmal als Normalisierung bezeichnet wird.
! Stellen Sie sicher, dass Gefangene an Haftorte gebracht werden
nahe ihres Zuhauses. Dies dient mehreren Zwecken. Es hält die
Familienbindungen, welche notwendig für eine Verhinderung
von Rückfälligkeit sind. Es bedeutet außerdem, dass die selben
Dienste, auf die der Gefangene bei seine Entlassung trifft, schon
im Gefängnis Kontakt zu ihm aufbauen können.
! Welche Dienststelle auch immer verantwortlich ist, den
Gefangenen nach seiner Entlassung zu überwachen – in meinem
Land ist es die Bewährungshilfe – kann sich in Verbindung
setzen mit der Einrichtung im Gefängnis, mit dem Ziel der
Risikoeinschätzung, Planung der Haftstrafe und Überwachung
und Case Management. Diese organisatorischen Angelegenheiten
kann auf vielerlei Arten bewältigt werden, aber sie müssen
zusammen angegangen werden. Die Vorbereitung auf die
Entlassung muß begonnen werden, sobald der Gefangene
eintrifft. Die Dienste müssen nahtlos übergeben werden.
Ich wiederhole meine Anfangsaussage:
Feststellung – Eingreifen – Ergebnis
Das Ziel von Haft ist im weitesten die Reduzierung von Kriminalität.
Das Ziel ist es nicht ein ruhiges und einfaches Leben für die
Gefängnismitarbeiter bereit zu stellen. Es geht nicht darum, Geld für
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die Gefängnisindustrie zu schaffen. Nicht darum, die Struktur des
Gefängnis aufrecht zu erhalten, nicht darum, die Gefangenen sich
elend fühlen zu lassen, nicht darum, die Staatsausgaben zu verringern.
Es geht darum, Rückfälligkeit zu reduzieren.
Die Folgerung aus den Daten, die ich Ihnen genannt habe über die
kriminologischen Faktoren, ist dass wenn wir die kriminologischen
Benachteiligungen mit wirkungsvollen Eingriffen angehen können, wir
die Wahrscheinlichkeit von erneuten Straftaten und Verurteilungen
verringern können.
! Wenn ein Gefangener entlassen wird in eine Arbeit, ist das Risiko
eines Rückfalls reduziert um zwischen ein Drittel und die Hälfte.
! Wenn er in eine sichere Unterkunft entlassen wird, ist das Risiko
um ungefähr ein Fünftel reduziert.
! Wird er in ein stabiles familiäres Umfeld entlassen, reduziert sich
das Risiko um die Hälfte.
! Und so weiter.
Folglich:
! Programme zu kognitivem Verhalten, angewandt bei verzerrter
Wahrnehmung und zur Lösung von Unterstützungsproblemen
helfen.
! Das tun auch Programme, die die Gefangenen befähigen ihre
Grundfertigkeiten zu verbessern und sie befähigen berufliche
Qualifizierungen zu bekommen und somit Jobs.
! Drogen- und Alkoholprogramme können wirkungsvoll sein.
! Haushaltshilfe, Schuldenberatung, etc. – sie alle helfen.
! Außerdem, Programme, die in Haft begonnen werden, müssen bei
Entlastung angekurbelt werden.
Im Vereinigten Königreich benutzen wir zudem vermehrt intensive
Überwachung und Aufsichtsprogramme- der Zuckerbrot und Peitschen
Ansatz- für andauernde Straftäter. Sind sie nachgiebig, haben
Motivation zur Veränderung, bekommen sie das Zuckerbrot (kommen
schneller in Drogen- und andere Programme), wenn sie weiterhin
rückfällig werden und nicht motiviert sind, sich zu ändern, ihr
Drogenproblem anzugehen, etc. bekommen sie die Peitsche – sie
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kehren zurück ins Gefängnis. Aber ich werde über dieses und andere
Programme hier nicht ins Detail gehen. Das ist die Aufgabe in den
Workshops dieser Konferenz.
Meine Bitte ist, das die Diskussionen erfahrungsbezogen bleiben.
Funktioniert es? Wenn ja, dann lassen Sie es uns so machen. Und zwar
möglichst kosteneffizient, in Übereinstimmung mit den Prinzipien der
Gerechtigkeit.
Danke.
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