Zum wiederholten Male überrascht der dänische Hersteller Raidho

Von wegen Streichholz
H i f i E x k l u s i v S ta n d l a u t s p r e c h e r
Zum wiederholten Male
überrascht der dänische
Hersteller Raidho bei
seinen Lautsprechern
mit neuen Ideen.
Die X3 macht da keine
Ausnahme.
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vier 10-cm-mitteltontreiber aus einer alu/
keramik-legierung, die
in unterschiedlichen frequenzbereichen arbeiten,
darunter die bedämpfte
reflexöffnung 
W
as ist das? Ein streichholzdünner Standlautsprecher für fette
22.000 Euro? Leute, wisst Ihr,
was wir in der Preisliga in den letzten
Monaten für Brecher zu sehen und zu
hören bekamen? Da gab’s nicht alberne 40
Kilo fürs Geld, sondern teils mehr als das
Dreifache an Gewicht – und eine entsprechende Statur lieferten Canton und B&W
auch gleich mit, sodass sie sich schon rein
optisch einen gewissen Respekt zu verschaffen wussten.
Und nun kommt der Spargeltarzan aus
aus dem Norden Dänemarks daher und
behauptet von sich, mit Fug und Recht
Anspruch auf einen Platz im Sandkasten
der Großen zu erheben?
Nach Verarbeitung der ersten Schockwellen und dem Wiedererlangen der Fassung
begab sich also der Detektiv im Redakteur
auf Spurensuche, um Anhaltspunkte und
vielleicht ja sogar handfeste Belege für die
Sinnhaftigkeit von Preis und Anspruch
der Raidho X3 zu entdecken. Schließlich
ist die Marke Raidho nicht erst seit gestern in den weltweiten HiFi-Zirkeln mit
einem exzellenten Ruf versehen.
Der Bändchenhochtöner ist uns auf
Anhieb vertraut, sorgt er doch auch in
den anderen Modellen des Herstellers
für eine impulsgenaue, im Frequenzbereich weit über den Hörbereich
hinausreichende, verzerrungsarme
Wiedergabe. Auch die ihn umrahmenden vier jeweils zehn Zentimeter
messenden Mitteltöner aus keramikbedampftem Aluminium haben wir
zuletzt schon, allerdings als Einzelgänger,
im Test der X1 in STEREO 1/15, kennengelernt.
Doch Entwickler Michael Borresen hat
nicht einfach einige Chassis mehr in
ein größeres Gehäuse gesteckt, sondern
sieht die X3 als Vorreiter für kommende
Raidho-Produkte. Die erste Besonderheit findet sich an der Seite der Box: ein
20er-Alu-Tieftöner. Über Jahre
haderte Borresen
mit dieser Anordnung, obwohl sie
seit rund zwei
Jahrzehnten bei
vielen, teils sehr
teuren Lautsprecherkonzepten
zur Anwendung
kommt. Borresen
befand jedoch keinen Lösungsansatz für so überzeugend, als dass
er ihn als Ideengeber für seine eigenen Kreationen akzeptieren wollte. Woher also der Sinneswandel?
Point- und Line-Source
Der Däne machte sich einige grundlegende Gedanken und experimentierte
während der letzten Jahre, zwischen laufender Produktion und Messebesuchen
in aller Welt, immer wieder mit Materialien, Chassisanordnungen und Weichenschaltungen, bis er auf die Idee verfiel,
ein Weichenkonzept zu entwickeln, das
sich jeweils zwei Mitteltieftöner hat. Diese
sind jedoch unterschiedlich angesteuert:
Während das innere Pärchen der Keramikchassis ab 300 Hertz abwärts allmählich seiner Aufgaben entbunden wird,
schaltet Borresen das äußere Paar so in
Serie dazu, dass es den gesamten Frequenzbereich vom Bass bis knapp über
3000 Hertz verarbeiten muss. Der Effekt
ist, dass bis hinauf zu rund 180 Hertz
mit tiefer werdender Frequenz immer
mehr Membranfläche zur Verfügung
steht, die im Tiefsttonbereich dann
zur Gewinnung von Dynamikreserven vom 20er-Alu-Chassis Unterstützung erfährt. So soll der Lautsprecher auch bei schwerer, energiezehrender musikalischer Kost
geschmeidig und spontan reagieren, ohne dem Verstärker eine große
Last zu sein.
Hierzu trägt – wie schon beim kleinen
Bruder X1 – das „Flow Vent“ getaufte,
variable Bassreflexsystem bei, das je nach
Frequenz und Pegel ein unterschiedliches Maß an Luft aus dem Gehäuse entlässt. So schafft es Borresen nach eigenen
Angaben, das Gehäuse praktisch resonanzfrei zu machen. Zugleich, so betont
»Punkt- und
Linienstrahler das Konzept geht auf«
die Vorteile einer punktförmigen Abstrahlcharakteristik mit denen einer Line
Source, wie sie unter anderem Elektrostaten liefern, zu kombinieren.
Zur Umsetzung entschied er sich bei der
X3 für ein Zweieinhalb-Wege-Konzept,
bei dem die Chassis in einer d’Appolito-Konfiguration angeordnet sind, der
Bändchenhochtöner also über und unter
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TEST-KOMPONENTEN
PLATTENSPIELER: WellTempered
Lab Amadeus 2
CD-SPIELER: T+A MP 3000 HV
TONABNEHMER: Decca London
Reference
PHONO-VORSTUFEN: Brinkmann
Edison
VORVERSTÄRKER: Naim NAC
N 272; Accustic Arts Tube Pre 2
MK II
ENDVERSTÄRKER: Naim NAP
250; PS Audio BHK 250
der 50-Jährige, ist es ihm so gelungen, das
Entwicklungsziel – ein neuartiges dynamisches Dämpfungssystem für seine Treiber zu kreieren – in die Tat umzusetzen.
Als praktische und für Verstärker höchst
angenehme Effekte entfällen nicht nur
die sonst üblichen Impedanzspitzen im
Bass, sondern auch die damit häufig einhergehenden Phasenverschiebungen, die
Verstärker ebenfalls gehörig ins Schwitzen
bringen können.
Wem das immer noch nicht genug an
Vorteilen erscheint, auch angesichts des
Preises bei der zierlichen Erscheinung, dem kann Borresen mit schelmischem Lächeln noch entgegenhalten, dass dem Lautsprecher die
Umgebung, in der er spielt, ziemlich
egal ist – er fühlt sich angeblich fast
überall wohl.
sind das andere. Dies ist eine immer
wieder gemachte Erfahrung – nicht
nur in unseren Hörräumen, sondern
auch bei vielen Händlern und mutmaßlich auch bei Ihnen zu Hause,
liebe Leser. Mit „plug and play“
war es jedenfalls, wie eigentlich immer bei
unserer gemeinsamen Passion, mal wieder
nichts, insofern wurde unsere Erwartungshaltung da auch keinesfalls enttäuscht. Es
braucht halt immer seine Zeit, wenn man
das Potenzial eines Produktes oder einer
Kette maximal ausloten will.
Zeit und Geduld
Die X3 benötigt, wie alle ihre Familienmitglieder, eine große Basisbreite, die
in unserem Fall bei gut drei Metern lag,
und eine starke Anwinkelung auf den
Hörplatz, die sich nach einiger Zeit ebenfalls bei knapp drei Metern Entfernung
einpendelte.
Auch nach
hinten und
zu den Seiten mag die
Raidho es
nicht, wenn sie eingeengt ihre Arbeit
verrichten soll. Sowohl das nur 0,02
Gramm wiegende Bändchen in seiner
halbgeschlossenen Kammer als auch die
restlichen Chassis verlangen also nach
eher großzügiger räumlicher Umgebung.
»HighEnd wird
niemals „Plug & Play“
sein. Zum Glück!«
Optimistische bis vollmundige Versprechen über die Pflegeleichtigkeit eines Produktes von Herstellerseite sind das eine,
ein praxistaugliches Handling und eine
überzeugende musikalische Vorstellung
 Der gerippte 20 Zentimeter messende Alu-Bass
fühlt sich wohl, wenn er innen platziert ist.
Akustisches Hologramm
Nicht zu viel versprochen hatte Borresen mit seinen Ausführungen zum
Anforderungsprofil an den Verstärker: Trotz sehr mäßiger 82,5 Dezibel
Wirkungsgrad verhungerte die X3
auch an der wattmäßig eher mäßig
opulenten Naim-Kombi (Test ab Seite
16) keinesfalls, setzte sich vielmehr mit
überragend luftiger Abbildung mehr als
gekonnt in Szene. So plastisch, Gedanken
an ein akustisches Hologramm weckend,
wie Doug MacLeod bei „Run With The
 Stabile Ausleger und der Luftaustritt des „Flow
Vent“ getauften Reflexsystems
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Devil“ in den Raum projiziert wurde,
erlebt man das nicht alle Tage. Wie mühelos dabei kleinste Details, wie das Tippen des Fußes auf den Boden, dargeboten wurden, rief einen weiteren Aha-Moment hervor. Die Tastenakrobatin Martha
Argerich spielte Prokofjew mit Tempo
und Inbrunst, dass den Hörern beinah
schwindlig wurde.
Dabei zeigte sich, dass die X3 sich
zwar absolut in den Dienst der Musik
stellt und sich dieser unterordnet, dabei
den Hörer aber doch mit ihren Vorzügen zu bezirzen weiß. Die Leichtigkeit
und Unmittelbarkeit, mit der auch leise
Töne bei geöffneter Hörraumtür noch
zwei Räume weiter erfassbar waren, lieferten wieder einmal Belege für die These,
dass sich eine gut klingende Anlage im
ganzen Haus zu erkennen gibt. Dort
mag der Frequenzgang als solcher kaum
noch erkennbar sein, zigfache Reflexionen dem reinen Genuss sich in den Weg
des Schalls gestellt haben – das, worauf es
ankommt: das Gefühl nämlich, dass sich
da in unmittelbarer Nähe ein Live-Erlebnis abspielt, wird über die Raidho ganz
hervorragend vermittelt.
Raidho X3
Paar € 22.000
Hochglanz Walnuss, Schwarz, Weiß
Maße: 14 x130 x 40 cm (BxHxT)
Garantie: 5 Jahre
Kontakt: Gaudios
Tel.: 0043 316 337175
www.gaudios.info
Bedrängt von den Schwergewichten und
Platzhirschen in der 20.000-Euro-Preisklasse
weiß die zierliche Raidho X3 sich ihren Platz
in der Top-Liga vielleicht gerade noch ersparbarer heutiger Lautsprecher zu sichern.
Eine exklusive, auch optisch eigenständige
Anschaffung fürs Leben.
messergebnisse *
Langzeiterfahrungen
Da wir uns während der vergangenen
Monate immer wieder mit diesem Lautsprecher in den unterschiedlichsten
Anlagenkonfigurationen befassen konnten, in den unterschiedlichsten Stimmungen hören und in der Zwischenzeit
auch diverse preisgleiche Top-Boxen im
Hörraum ihre Aufwartung machten, lässt
sich abschließend ein sehr differenziertes
Urteil über den Lautsprecher und seine
Eigenschaften fällen: Die X3 ist ein echter
Understatement-Lautsprecher, der jedweden Hörertyp zu beeindrucken weiß,
versteht er sich doch auf jede Musikrichtung, kennt dazu keine bevorzugte
Abhörlautstärke und lässt sich nicht aus
der Ruhe bringen. Sie reicht nicht ganz so
brachial tief hinab und staubt dabei auch
einen Hauch weniger als die schärfsten
Konkurrenten, bleibt aber immer aufmerksam bei der Musik. Auch die Frage,
ob mehr Tiefenstaffelung und ein großes Klangbild oder doch eher Ortungsschärfe präferiert werden, stellt sich hier
nichtmal im Ansatz. Die X3 bietet beides im Übermaß und macht sich selbst
dabei akustisch weitestgehend unsichtbar. Schön, dass sie physisch trotzdem
da ist.
Michael Lang
Nennimpedanz 4Ω
minimale Impedanz 4 Ω bei 78 Hertz
maximale Impedanz 8 Ω bei 4800 Hertz
Kennschalldruck (2,83 V/1m) 82,5 dB SPL
Leistung für 94 dB (1m) 21 W
untere Grenzfrequenz (-3 dB) 33 Hertz
Klirrfaktor bei 63 / 3k / 10k Hz
1,0 | 0,3 | 0,3 %
Labor-kommentar
Der Frequenzgang ist auf Achse gemessen
weitgehend linear, eine starke Anwinkelung
auf den Hörplatz und eine Basisbreite von
gut drei Metern sind für ein homogenes
Klangbild erforderlich. Der Bass reicht weiter hinab, als man es der Box zutraut. Der
Impedanzverlauf ist sehr gleichmäßig und
für Verstärker unkritisch, der Wirkungsgrad
mäßig. Die Sprungantwort zeigt ganz leichte
Nachschwinger.
ExtrEm
JEtzt, Ja!
96%
SEHR GUT
* Zusätzliche Messwerte und Diagramme für Abonnenten
unter www.stereo.de
www.audioquest.de
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