einladung - Willkommen

E I N L A D U N G
»Wo die Götter die Daumen drehen«
Präsentation des Lyrik-Taschenkalender 2016
mit
Michael Braun, Henning Ziebritzki und Martina Weber
am Freitag, den 22. Januar 2016, um 19h30
Lyrik-Taschenkalender 2016. Gedichte, ausgewählt und kommentiert von Michael Braun sowie
17 Dichter*innen. 160 Seiten / 15,80 € / Verlag das Wunderhorn 2015
«Das Ziel aller Poesie: die gesteigerte Gegenwärtigkeit dessen, wovon sie spricht»: So lautet ein
Aphorismus des Dichters Franz Josef Czernin. Wenn in der Kunst und in der Poesie etwas
dargestellt wird so seine Überzeugung, dann geschieht es im Modus der Verwandlung oder
der Metamorphose. Im Lyrik-Taschenkalender 2016 finden wir viele Beispiele dieser Kunst
der poetischen Verwandlung.
17 Dichterinnen und Dichter aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben jeweils
zwei Lieblingsgedichte deutscher Sprache ausgewählt und kompakt kommentiert. Dabei
vollzieht sich auch ein Prozess der Selbstbegegnung: Denn die Gedichte «flüstern aus
demselben Kern, aus dem auch unsere Fragen kommen» (Katharina Schultens).
Seit 2009 stellt der Herausgeber Michael Braun – mittlerweile gute Tradition - den Lyrikkalender gemeinsam mit dem Lyriker und Essayisten Henning Ziebritzki alljährlich in der
pKp-Galerie vor, seit 2013 mit einem neuen Konzept.
In diesem Jahr präsentieren Michael Braun und Henning Ziebritzki gemeinsam mit der
Dichterin und Übersetzerin Martina Weber dieses poetische Langzeitprojekt.
Dazu lade ich Euch und alle Interessierten und Neugierigen ganz herzlich ein. Der Kalender
kann an diesem Abend auch erworben werden. Eine Besprechung ist beigefügt.
Ich freue mich auf Euer Interesse und grüße herzlich
Karl Piberhofer
Eintritt frei_____ Getränke stehen zur Verfügung_____Ich bitte um Anmeldung
Veranstaltungsort: pKp – GALERIE
píberhofer K produktíon / Schwartzkopffstr. 3 / 10 115 BERLIN / [email protected] / www.biografilme.de
BESPRECHUNG
... und wo kein Ausweg ist
Lyrik-Taschenkalender 2016, Herausgeber: Michael Braun. Mit Gedichten von
Henning Ahrens, Urs Alleman, Marcel Beyer, Mirko Bonné, Nora Bossong, Paul-Henri
Campbell, Franz Josef Czernin, Ulrike Draesner, Dagmara Kraus, Dirk von Petersdorff,
Tobias Roth, Katharina Schultens, Jürgen Theobaldy, Gisela Trahms, Martina Weber,
Levin Westermann, Judith Zander, Henning Ziebritzki, Martin Zingg. Wunderhorn Verlag
2015, 160 Seiten, € 15,80.
und wo kein Ausweg ist (JUDITH ZANDER) - da kann Lyrik anfangen, wie wir wissen...
Auch wenn der Lyrik-Taschenkalender 2016 mit einem Willkommen (und Abschied) von
Goethe beginnt, muss man nicht der das Kalendarium begleitenden Gedichtfolge
nachgehen. Mein grösstes Vergnügen bei der Lektüre dieses Jahresbandes – nun schon
die vierte Folge einer einzigartigen und einmaligen Art von Gedichtsammlung – ist
irgendwo einzusteigen, das lose Ende eines mich interessierenden Fadens aufzunehmen
und weit und weiter zu lesen, was sich so ergibt.
Willkürlich etwa in der Mitte aufgeschlagen, findet sich auf diese Weise Nysa - es schläft
das Gras, das Gras / schläft hier, ich spür ... - und „In Nysa, dem alten Neisse an der
oberschlesisch-böhmischen Grenze, liegt auf dem Jerusalemer Friedhof Joseph von
Eichendorff begraben, im Gras – rückwärtsgelesen.
Dieses Gedicht sei eine „Instandsetzung und Fortsetzung, ja Lebendigkeitsnachweis“ von
Eichendorffs „Wünschelrute“: Schläft ein Lied in allen Dingen, schreibt MIRKO BONNÈ,
der das Gedicht von TOM SCHULZ für den Kalender ausgewählt hat.
Neugierig geworden, blättere ich nach BONNÉs Gedicht An Bobrowski – Wollte ich
Wirkliches nicht -... Denn MIRKO BONNÈ gehört zu den zeitgenössischen 17
Dichter*innen, von denen im Kalender jeweils ein Gedicht präsentiert wird und die
ihrerseits je zwei Gedichte vorstellen.
„Bonné überträgt, was Bobrowski schreibt, auf schwindelerregende Weise fast identisch
auf seinen `Fall´, aber es gelingt ihm, daraus ein eigenständiges Zwillingsgedicht zu
machen.“, erklärt uns in seinem Kommentar HENNING ZIEBRITZKI, der kluge
Kompagnon von MICHAEL BRAUN bei der Herausgabe dieser Lyrik-Wundertüte, - und er
verweist auf Bobrowskis Gedicht An Klopstock.
Nun könnte sich meine Neugierde weiterhangeln zum Gedicht Die frühen Gräber von
Klopstock und dem Kommentator URS ALLEMANN, aber ich hatte vor Nysa (Juni / 24.
Kalenderwoche) in der 23. KW das Gedicht Von Jena gesehen, das wiederum der
Herausgeber MICHAEL BRAUN präsentiert und dabei ein – wie immer kundiges und
präzises – Kurzporträt des Dichters DIRK VON PETERSDORFF (Ich aber bin ein Mischer)
einflicht: „Sirenenpop“ (2014) „Eine Fusion von romantischem Sehnsuchtston,
politischem Gedicht und ausgenüchterter Ironie“.
Und schon will ich wissen, welches Gedicht PETERSDORFF ausgewählt hat: Nähe der
Geliebten. Und nun erfahre ich, dass Goethe von Friederike Brun Ich denke dein
adaptierte und „zu einem eigenen Gedicht weiterbearbeitete“: „Man nennt es
Kontrafaktur: Ein neues literarisches Werk entsteht, das aber wesentliche Elemente eines
schon existierenden übernimmt.“
Kontrafaktur. Alles haben wir, jede Zeit / aus der Hand der Väter (Bobrowski)... „Die
Literatur begann mit Lyrik, mit dem Lied eines Nomaden, das dem Gekritzel eines
Siedlers zeitlich voranging.“, schrieb Joseph Brodsky einmal und – „der Korpus der Lyrik
ist weit weniger umfänglich als der der Prosa.“ Ausweg? Kontrafaktur? – Dichtung nimmt
immer neue Anläufe... und das zeigt sich auch in diesem Kalender durch Präsentation
von Gedichten aus Epochen zurück, deren (Neu-)Entdeckung manche der beteiligten
Dichter*innen ermöglchen:
Rotwälsch – welche nie gelesene Sprach-Wucht!! – von August Heinrich Hoffmann von
Fallersleben.
Die Mergelgrube von Annette von Droste-Hülshoff läßt einen mit wachsender Verblüffung
in einen Erzählfilm fallen: Ganz großes Kino!!
Marina Zwetajewa Ich baute kein Haus. Batsch!!!
Auß dem Lob einer Nachtmusic von der „pommerschen Sappho, wie sie von ihren
Zeitgenossen bewundernd genannt wurde, Jungfraw Sibylla Schwarzin (1621 – 1638),
deren Leben kein einziges Friedensjahr kannte und die 17-jährig bereits wieder von
dieser verheert(en) Erde musste...“ So JUDITH ZANDER, die sich in Ausweglosigkeit Hilfe
holt bei: Jenny Holzer, Konzeptkünstlerin, und Paul Gerhardt, Kirchenlied-Dichter.
Sechs Zeilen nur - sie fangen so an:
Und wo kein ausweg ist...
- und enden so:
` Geh aus mein Herz´ bloß raus und mach
die herzklappe von außen zu
Aber lesen Sie selbst: Ulrike Draesner, Martina Weber, Levin Westermann der leere raum
mit schwarz oder auch Marion Poschmann und Hans Arp, wie sie beide sich je verwundert
sehen und neugierig zuschauen.
Sie können sogar ihr Lieblingsgedicht finden: Die entsprechende Seite im Kalender ist
schon reserviert. Meins ist das von RENATO P. ARLATI und es ist mir ein Rätsel, warum...
Aber lesen Sie selbst und Sie werden fündig.
Karl Piberhofer