1000 und 1 Buch

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Herzblut
»Auf
baut die Branche auf«
Brigitte Rapp von der Übersetzergemeinschaft
im Gespräch mit Simone Kremsberger
Im Hauptberuf ist Brigitte Rapp Geschäftsführerin der
Übersetzergemeinschaft, im Nebenjob übersetzt sie aus
Leidenschaft Kinder- und Jugendbücher. Im Gespräch gibt
sie Einblick in die prekären Rahmenbedingungen einer
ebenso unentbehrlichen wie unterbewerteten Tätigkeit
im Literaturbetrieb.
Sie setzen sich für die Interessen der Übersetzerinnen und Übersetzer ein. Wie sind Sie selbst
zum Übersetzen und zur Übersetzergemeinschaft
gekommen?
Ich habe Übersetzen studiert und arbeite seit dem Studienabschluss vor rund 25 Jahren für die Übersetzergemeinschaft. Das Übersetzen, hauptsächlich von Kinder- und
Jugendliteratur aus dem Englischen, mache ich nebenbei.
Das ist etwas sehr Typisches: Fast alle Literaturübersetzer
in Österreich haben einen Brotberuf, um sich das Übersetzen überhaupt leisten zu können.
Wie wird man Übersetzerin oder Übersetzer?
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Fähigkeiten. Der Mythos Autor verliert an Wirkung und
man sieht den Text mehr als Material, das man sich aneignen kann. Das befreit die Kreativität. Es heißt ja, dass man
als Übersetzer erst nach dem zehnten Buch wirklich gut
ist. Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen.
Wie kommt man zum Literaturübersetzen, zum
ersten Auftrag?
Die Branche funktioniert hauptsächlich über persönliche
Kontakte. Aber die kann man aufbauen – indem man zu
Buchmessen fährt, zu Branchenveranstaltungen geht,
Leute anspricht. Es hängt auch sehr von der Sprache ab.
Wenn man mit Englisch anfangen will, ist es schwierig. Mit
einer kleinen Sprache, wo es wenige Übersetzer gibt, ist
man vielleicht schon am Anfang sehr gesucht.
Wir raten Anfängern, nicht einfach eine Bewerbung
zu senden, die im Papierkorb landet, sondern ein Exposé
und eine Probeübersetzung zu verfassen und sich dafür
einen Text auszusuchen, den man gerne übersetzen würde. Es ist schwierig reinzukommen und schwierig drinnen
zu bleiben. Man bekommt auch nicht automatisch weitere
Aufträge von einem Verlag. Aber es ist schon üblich, einen
Autor wieder zu übersetzen.
Jeder kann übersetzen, wenn er genug Aufträge kriegt. Der
Zugang zum Beruf ist nicht reglementiert. Die Übersetzerinnen und Übersetzer sind aber immer besser ausgebildet. Sie studieren Übersetzen und Dolmetschen oder kommen von den Philologien, wo das Thema Übersetzen in den Wenn man nun das Glück hat, Arbeit zu finden:
letzten Jahren vermehrt behandelt wird – allerdings oft von Inwieweit sind die Verträge reguliert, inwieweit
Leuten, die sich für das Thema interessieren, aber von der liegt das Verhandeln beim Einzelnen?
eigentlichen Übersetzungsarbeit wenig Ahnung haben.
In Österreich ist das gar nicht reguliert. Den Rahmen
bildet grundsätzlich das Urheberrecht. In Deutschland
Was muss man für die Tätigkeit mitbringen?
gibt es das Urhebervertragsrecht, das betrifft nicht nur die
Wichtig ist das Talent. Es ist ein künstlerischer Beruf, und Übersetzer, sondern alle Urheber. Demnach müssen die
man sollte gewisse Voraussetzungen – Einfühlungsvermö- Vertreter einer Branche, in diesem Fall Übersetzerverband
gen, Sprachgefühl, Kreativität – mitbringen, sonst wird und Verlegerverband, angemessene Honorare definieren.
man nicht glücklich und nicht erfolgreich damit.
Bislang ist es nicht zu einer Einigung gekommen. In EinWas man natürlich auch braucht, ist eine ausge- zelfällen sind Übersetzer zu Gericht gezogen und inzwizeichnete Sprachbeherrschung, und zwar in beiden Spra- schen gibt es einige Urteile. Die sind unterster Branchenchen. Oft geht die Beschäftigung mit der eigenen Sprache standard – es gibt aber immer wieder Versuche von
in der Ausbildung unter, obwohl sie mindestens genauso Verlagen, diesen zu unterlaufen. Jeder Übersetzer muss
wichtig ist wie die Fremdsprache.
dann für sich entscheiden: Will ich kämpfen, dann bin ich
Schließlich muss man beim Übersetzen Satz für wahrscheinlich den Auftraggeber los, oder arbeite ich zu
Satz, Wort für Wort Entscheidungen treffen. Damit muss eigentlich unangemessenen Bedingungen.
man auch umgehen können, das erfordert sehr viel
In Deutschland gibt es auch einen Normvertrag, der
Sicherheit – sowohl stilistische als auch persönliche.
zwischen den Verbänden der Autoren, Verleger und Übersetzer ausgehandelt wurde, aber nicht rechtsverbindlich
Hilft Erfahrung beim Übersetzen?
ist. Wir haben versucht, auch in Österreich einen NormJa, mit der Übung bekommt man Zutrauen in die eigenen vertrag auszuhandeln, der Verlegerverband wollte aber
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nicht verhandeln. Da geht es uns als Verband nicht anders Der leidet natürlich darunter. Unsichtbar sein heißt unterals einzelnen Übersetzern. Wir haben eine sehr schwache bezahlt sein. Wir kämpfen sehr um Sichtbarkeit und WahrVerhandlungsposition.
nehmung. Das hat manchmal Auswüchse – manche
sagen, der Übersetzer muss sich verewigen, EigenwilligWelche Bezahlung ist für Literaturübersetzungen keiten einbauen, etwas verändern … Ich halte davon
nichts. Ich glaube, dass Übersetzer sowieso sichtbar werüblich?
Branchenstandard ist ein Honorar nach Normseite der den, denn jeder Übersetzer und jede Übersetzerin hat
Übersetzung. Eine Beteiligung am Verkauf und an Neben- einen eigenen Stil. Bei fünf verschiedenen Versionen einer
rechtsabschlüssen sollte üblich sein, ist aber sicher nicht Übersetzung kann jede gut und gerechtfertigt sein. Ich
immer der Fall. Die Honorare sind keineswegs angemes- finde, dass man das mehr deklarieren und die Übersetsen, wenn man Aufwand und Entlohnung ins Verhältnis zung mehr ins Gespräch bringen müsste, und das versetzt. Zu unserem Job gehört zudem nicht »nur« das Über- suchen wir auch.
setzen, sondern auch das zeitaufwendige Recherchieren
sachlicher Informationen. Im Bereich Kinder- und Jugend- Auch in Rezensionen wird die Übersetzung meist
literatur sind die Honorare noch niedriger. Wenn man das nur erwähnt, wenn etwas schiefgegangen ist ...
Stundenhonorar ausrechnet, ist es Wahnsinn – also meine In Rezensionen werden wir in der Regel mit PauschalurteiPutzfrau kriegt mehr als ich.
len wahrgenommen. Ich finde das auch ein bisschen
nachvollziehbar, denn Übersetzungskritik kann ein RezenWie kann man dann vom Übersetzen leben?
sent fast nicht leisten. Es reicht nicht, zwei Sätze zu verVom Literaturübersetzen allein kann man in Österreich gleichen. Übersetzungskritik erfordert sehr viel Arbeit und
nicht leben. Viele Kollegen machen Fachübersetzungen Beschäftigung mit Original, Übersetzung und Übersetzer.
oder dolmetschen, in dem Bereich sind die Honorare viel Ich denke, dass wir Übersetzerinnen und Übersetzer
höher. Hinzu kommen Förderungen für Literaturüberset- gefordert wären, uns als Rezensenten von Übersetzungen
zungen und Stipendien. Das sind qualitätssichernde Maß- zu zeigen, aber viele scheuen davor zurück, Kollegen zu
nahmen. Manche Verlage sehen das als Ersatz fürs Hono- kritisieren.
rar – das ist nicht richtig. Die Honorare müssten eigentlich
Für uns ist schon hilfreich, überhaupt genannt zu
dreimal so hoch sein, damit man davon leben kann.
werden. Oft wird aus einer Übersetzung zitiert, der Stil
gelobt und unser Name kommt nicht vor. Dabei wäre das
Was ist Ihre Motivation, trotz geringerer Bezahlung ohne unsere Arbeit unmöglich. Deshalb kämpfen wir für
das Recht auf Namensnennung. Das ist auch gesetzlich
Kinderbücher zu übersetzen?
Ich mag Kinderliteratur. Ich wollte das immer machen und verankert, aber Übersetzer werden oft nicht als Urheber
deswegen mache ich es. Es ist eine befriedigende und wahrgenommen, sondern als Dienstleister – v. a. im liteschöne Arbeit. Ich nehme Kinderliteratur nicht weniger rarischen Bereich sind wir aber primär Urheber.
ernst als Erwachsenenliteratur, sondern ernster, weil sie
mir am Herzen liegt. Und ich glaube, das braucht es – auf Haben Sie den Eindruck, dass sich die Situation der
dem Herzblut baut die ganze Branche auf. Für mich Übersetzerinnen und Übersetzer – auch durch die
bedeutet Übersetzen enormen Zeitdruck, weil ich es ja Arbeit der Übersetzergemeinschaft – verbessert
neben dem Job mache, aber ich mache das wirklich gern. oder dass sie schwieriger wird?
Die Rahmenbedingungen werden sicher nicht besser. Ich
Sehen Sie – abgesehen von der Bezahlung – sehe, dass in Österreich immer weniger übersetzt wird,
weitere Unterschiede beim Übersetzen von Kinder- und es ist für uns schwierig, in den deutschen Markt reinliteratur im Vergleich zu allgemeiner Belletristik? zukommen. Ich glaube aber schon, dass wir etwas erreicht
Das Übersetzen ist ein bisschen ein anderes, weil man ver- haben, immerhin wird mehr über das Übersetzen gespromehrt auf das Zielpublikum, auf die Altersgruppe schauen chen. Dass Übersetzer den Rückhalt der Übersetzermuss. Es gibt gewisse Konventionen, die von Land zu Land gemeinschaft haben, hat für unsere Berufsgruppe etwas
unterschiedlich sind und die man mitbedenken muss.
geändert. Wenn es uns nicht gäbe, wären wir alle Einzelkämpfer.
Auch in der Kinder- und Jugendliteratur dominieren
vermehrt Bestseller – einhergehend mit dem
Druck, das Buch zeitgleich auf der ganzen Welt herauszubringen. Was bedeutet das für Übersetzerinnen und Übersetzer?
Welche Errungenschaft wäre Ihnen am wichtigsten?
Dass wir arbeiten können in dem Beruf, den wir lieben und
gut machen, und dass wir davon leben können. In meiner
Bei Bestsellerliteratur ist der Druck riesig groß. Da wird Lebenszeit werden wir das wohl nicht erreichen, aber ich
auch nicht so auf die Qualität der Übersetzung geschaut wünsche es mir zumindest.
und die Bedingungen werden stärker diktiert, wie es z. B.
bei »Harry Potter« der Fall war. Außerhalb des Bestsellerbereichs ist der Druck nicht so spürbar, da sehe ich kaum
Die Übersetzergemeinschaft ist die Interessenvertretung der literarischen und wisseneinen Unterschied zum Erwachsenenbereich.
Noch zu einem anderen Aspekt: Die Wahrnehmung
von Übersetzerinnen und Übersetzern ist leider
nicht die größte. Wie geht es dem Berufsstand
damit?
schaftlichen ÜbersetzerInnen in Österreich. Ziele sind die Verbesserung der rechtlichen,
sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen für ÜbersetzerInnen sowie die Aufwertung der Arbeit von LiteraturübersetzerInnen. Geboten werden Information, Beratung
und Weiterbildung. www.literaturhaus.at – Übersetzergemeinschaft
Brigitte Rapp übersetzte zuletzt u.a. Bücher der kanadischen Autorinnen Deborah Ellis
(Das Radiomädchen 2006 Ansichtssache 2009) und Anne Laurel Carter (Amani, das
Hirtenmädchen 2011).
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