Wertschätzung im Schulalltag

Studienseminar Koblenz
Wertschätzung im Schulalltag
Wahlmodul 856
Montag, 7. Dezember 2015
14.15 Uhr – 15.45 Uhr
Benedicte Schödl
Kann man Wertschätzung
lernen?
•  Anknüpfung an das Pflichtmodul
„Erzieherisch wirksam handeln“ vom 30.11.2015
•  Bewusstsein statt Konzepte
•  Beispiele aus Literatur, Gesellschaft und (Schul-)Alltag
•  Theorien aus Sozial- und Kommunikationswissenschaft
•  Verantwortung: die Person im sozialen Umfeld
Zielsetzung dieser Sitzung
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Erziehung und Fachunterricht verbinden
Werte wahrnehmen, erkennen, benennen
Bewusstsein für soziale Prozesse schaffen
Selbst- und Sozialkompetenz erkennen
Verhaltensmuster / Rollenbilder benennen
eigene Wege erkennen
weiterführende Möglichkeiten kennen
Verlauf der Sitzung
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2) 
3)
4)
Werte in unserer Gesellschaft
Definition „Werte“
Erfahrungen im Umgang mit Werten
Beispiele: Entwicklung von Wertbewusstsein:
a)  Krappmann, Soziologische Dimensionen der
Identität
b)  Katholische Soziallehre, Die Sozialprinzipien
c)  Penthak, Leman, Das Hirtenprinzip
d)  Seminar Koblenz, Das Lehr-Lernmodell
1) Werte in unserer Gesellschaft
•  Schule als Abbild der Gesellschaft
•  Lehrer (auch) als Erzieher
•  Erfolgsaussichten der Wertvermittlung in
einer multikulturellen, pluralen
Gesellschaft?
Lehrer: „Schön bequem“ (2011)
„Lehrer behaupten, keinen Einfluss auf ihre
Schüler zu haben. Nichts gegen Bescheidenheit. Die Tatsache jedoch, dass die
Hälfte der Lehrer der Meinung ist, wenig bis
keinen Einfluss auf die Entwicklung ihrer
Schüler zu haben, ist erschreckend.“
(Jan-Martin Wiarda, in: Die Zeit Nr. 17, 20.4.2011)
?
Ihre Haltung?
Erinnern Sie sich an Unterrichtsstunden, an
Erlebnisse mit Schülern und Kollegen:
•  Wann / wie hatten Sie Einfluss hinsichtlich
der Vermittlung von Werten?
•  Wobei sind Sie an Grenzen geraten?
•  Welche Werte möchten Sie in Ihrem zukünftigen Beruf bewusst vermitteln?
Tauschen Sie sich aus.
„Gesellschaft“: egozentrisch?
„Unterm Strich zähl ich!“ (2000)
Eine Wertvorstellung, die in unserer Gesellschaft
proklamiert, von Erwachsenen vorgelebt und in der
Schule fortgesetzt wird?
Chancen: keine Gleichheit?
„Ich verachte niemanden, am wenigsten
wegen seines Verstandes oder seiner Bildung, weil es in niemandes Gewalt liegt,
kein Dummkopf oder kein Verbrecher zu
werden, - weil wir durch gleiche Umstände
wohl alle gleich würden, und weil die Umstände außer uns liegen.“
(Georg Büchner, Brief an die Familie, Gießen, Februar 1834)
Bedeutung für uns als Pädagogen?
Werte: nicht-existent?(2000)
„Nichts bedeutet irgendetwas, das weiß ich seit
Langem. Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas
zu tun. Das habe ich gerade herausgefunden. –
Pierre Anthon verließ an dem Tag die Schule, als
er herausfand, dass nichts etwas bedeutet und es
sich deshalb nicht lohnte, irgendetwas zu
tun.“ (Janne Teller, Nichts. S. 8)
•  Ist das die Haltung „unserer“ Jugend?
•  „Die Schule ist keine Bühne, um Werte zu
vermitteln.“ (Aussage eines Schülers)
Das Äußere: überbetont? (2012)
•  „Ich weiß, dass ich kein normales zehnjähriges Kind bin.
Ich meine, klar, ich mache normale Sachen. Ich esse
Eis. Ich fahre Fahrrad. Ich spiele Ball. (…) Solche
Sachen mache ich normal. Nehme ich an. Und ich fühl
mich auch normal. Innerlich. Aber ich weiß, dass
normale Kinder nicht andere normale Kinder dazu
bringen, schreiend vom Spielplatz wegzulaufen. Ich
weiß, normale Kinder werden nicht angestarrt, egal, wo
sie hingehen.“ (Raquel Palacio, Wunder. S. 7)
2) Definition: Werte
•  Wie definieren Sie „Wert“?
•  „Werte“!?
–  Philosophisch
–  theologisch-ethisch
–  ökonomisch
–  pädagogisch etc.
Werte und Normen
•  „Werte sind wünschenswerte Grundhaltungen, die ein erstrebenswertes Ziel charakterisieren, aber noch nicht auf aktuelle
Verhaltensweisen ausgeprägt sind. Der
Wertbegriff ist also umfassender als der
Normbegriff. Es ist nun möglich, dass ein
und derselbe Grundwert eine große Anzahl aktueller Verhaltensnormen speist
und mit Kraft erfüllt.“ (Julius Morel; vgl. Abbildung S.15)
Der Wert: bei Eheleuten „Gleichheit“ konkretisiert sich unter Brüdern zwischen Lehrer und Schüler keine Benachteiligung auf Grund des Schülerstatus´ Keine Vorrechte des Mannes gegenüber Der Frau und umgekehrt in der konkreten Norm: keine Privilegien des Erstgeborenen Die konkrete Norm: „Ein Lehrer darf keinen Schüler bevorzugen.“ Kann sich u.a. aus folgenden Werten aufbauen: Gleichheit Gerechtigkeit Achtung Nützlichkeit Theologisch-ethische Definiton
„Sittliche Werte sind gegenüber ästhetischen,
religiösen oder ökonomischen Werten Motivationen und Zielsetzungen, an welchen sich
der Mensch moralisch (Überzeugung, Gesinnung, Handlung) ausrichtet. Sie betreffen Verhaltensweisen des Menschen (…) und drücken
Bedingungen (…) gelingenden Lebens aus.
Werte besitzen auffordernden Charakter (…)“
(Josef Römelt, in: LThK, Band 10, S. 1107)
Pädagogische Definition
Als geschichtlich gewachsene und soziokulturell vermittelte „Konzepte des Wünschenswerten“ (Kluckhohn) beschreiben
Werte grundlegende Orientierungsmaßstäbe
des menschlichen Handelns. (…) Werthaltungen vereinen kognitive, affektive und
handlungsintentionale Einstellungskomponenten.“ (Werner Simon, in: ebd.)
Hermann Hesse, Unterm Rad (1903)
• 
„O nein, wenn ein Lehrer sieht, wie eines Kindes lange erfolglos gereiztes
Talent hervorbricht, wie ein Knabe Holzsäbel und Schleuder und Bogen und
die anderen kindischen Spielereien ablegt, wie er vorwärts zu streben
beginnt, wie der Ernst der Arbeit aus einem rauen Pausback einen feinen,
ernsten und fast asketischen Knaben macht, wie sein Gesicht älter und
geistiger, sein Blick tiefer und zielbewusster, seine Hand weißer und stiller
wird, dann lacht ihm die Seele vor Freude und Stolz. Seine Pflicht und
sein ihm vom Staat überantworteter Beruf ist es, in dem jungen Knaben die
rohen Kräfte und Begierden der Natur zu bändigen und auszurotten und an
ihre Stelle stille, mäßige und staatlich anerkannte Ideale zu pflanzen. Wie
mancher, der jetzt ein zufriedener Bürger und strebsamer Beamter ist, wäre
ohne diese Bemühungen der Schule zu einem haltlos stürmenden
Neuerer oder unfruchtbar sinnenden Träumer geworden.“ (ebd., S. 46)
3) Erfahrungen und Fragen:
Person - Lehrer
•  Erläutern Sie das Verständnis von Erziehung in
Hesses Roman, um zu erkennen,
•  welche Werte Sie im Schulalltag vermitteln bzw.
leben möchten (vgl. mit Hesses Figur)
•  und welche konkreten Normen daraus abgeleitet
werden können;
•  welche Probleme und Chancen sehen Sie im
Fachunterricht und darüber hinaus?
4) Entwicklung von Wertbewusstsein
... basiert auf der Ausbildung von
•  Selbstkompetenz
•  Sozialkompetenz
•  sozialer Identität!
•  Interaktion
... denn nur, wenn Bewusstsein für soziales
Miteinander ausgeprägt und Identität bewusst
geschaffen ist, ist Wertvermittlung möglich.
Geklärt werden muss:
•  Was verstehen wir unter „Selbstkompetenz?“
•  „die Fähigkeit, reflexiv, selbstorganisiert zu handeln; ermöglicht, sich
selbst einzuschätzen, erleichtert die Entwicklung individueller
Selbstbilder und hilft dem Einzelnen, auf die Anforderungen der Umwelt zu reagieren.“ (Uni Passau)
•  Inwiefern besteht ein Bezug zum Schulalltag?
•  Was ist „soziale Kompetenz“?
•  „Die Fähigkeit einer Person, in ihrer sozialen Umwelt selbstständig
zu handeln“ (Duden)
•  Was bedeutet das für das Schulleben?
… weitere Fragen:
•  Was kann ich als Lehrer meiner Fächer
dazu beitragen, soziale Identität und Werte zu fördern und zu leben?
•  Inwiefern können Unterricht und darüber
hinaus gehendes Engagement Chancen
für das Entstehen sozialer Identität sein?
… und Vertiefung:
a) Lothar Krappmann: Identität
•  Soziologische Dimensionen der Identität. Strukturelle
Bedingungen für die Teilnahme an Interaktionsprozessen. Stuttgart, Klett-Cotta 1969
•  Sozial- und Selbstkompetenz sind immer an Identität
gebunden.
•  „identitätsfördernde Fähigkeiten“ nach Krappmann:
-  Rollendistanz
-  Role-taking und Empathie
-  Ambiguitätstoleranz und Abwehrmechanismen
-  Identitätsdarstellung
Identitätsfördernde Fähigkeiten
nach Krappmann
•  Rollendistanz (ebd., 133ff, 137)
„... Normen gegenüber reflektierend und interpretierend ... verhalten.“
•  Role-taking und Empathie (ebd., 142f, 148)
„... dazu diene, die eigene Rolle in einem Interaktionsprozess zu entwerfen.“
•  Ambiguitätstoleranz (ebd., 150ff, 167)
„... Wünschenswert, die Kinder immer wieder in Situationen mit Ambiguität
und Diskrepanzen zu bringen.“
•  Identitätsdarstellung (ebd., 168)
„Auch die Fähigkeit, Identität zu präsentieren, ist Voraussetzung und Folge
der Ich-Identität zugleich.“
Thesen Krappmanns
•  „Damit das Individuum mit anderen in Beziehung treten kann, muss es sich in seiner Identität präsentieren.“ (Krappmann, Seite 8)
•  „Die Identität, die ein Individuum aufrechtzuerhalten versucht, ist in besonderer
Weise auf sprachliche Darstellung angewiesen.“ (ebd., 12)
•  Bezüge zum Lehr-Lernmodell? (Denken
Sie an den Lehr- und Lernprozess)
Bedeutung der Interaktionsprozesse für
Selbst- und Sozialkompetenz
•  „Strukturelle Bedingung für den Fortgang der in
einer Gesellschaft notwendigen Interaktionsprozesse ist daher, dass die (...) Grundqualifikationen für kommunikatives Handeln – Empathie, Rollendistanz, Ambiguitätstoleranz,
Identitätspräsentation und das diese Fähigkeiten tragende Sprachvermögen – bei den
Mitgliedern der Gesellschaft ausgebildet werden.“ (ebd., 210)
•  Fazit für den Schulalltag?
b) Sozialprinzipien
•  Oberste sittliche Grundsätze, die die Organisation des Zusammenlebens in Gesellschaft … als sozial gerecht sichern
möchten. (Hilpert, in: LThK, Band 9, S. 790)
•  Katholische Soziallehre spricht von
- Personalität,
- Solidarität
- Subsidiarität
Folgen für Schulalltag und Sozialkompetenz?
•  Sozialkompetenz fördern durch …?
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Unterricht (Sprache!!, Traditionen, Rituale, Methoden ...)
AGs (altersübergreifend, klassenübergreifend)
Wandertage / Exkursionen
Vorbild-Sein: Sprache / Werte
„Sonderaktionen“: Streitschlichter, Bahn-Scouts, SV, Orchester,
Konzerte, Gottesdienste, Sport-Veranstaltungen, etc.?
•  Benennen Sie jetzt konkrete Beispiele
hierzu aus Ihrer Alltagserfahrung.
weitere Folgen …
•  Selbstkompetenz fördern durch:
- Offenheit (wobei?)
- Bereitschaft zur Kritik (in Bezug worauf?)
- Kommunikation (mit wem?)
- Verantwortung (wobei?)
- Konsequenz (in welchen Bereichen?)
- Werte / Ideale / (Rollen-)Bewusstsein
- Fortbildung (wozu?)
Schule fördert Sozial- und
Selbstkompetenz durch ...
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Ausbildung der Sprachfähigkeit,
Ausbildung der Wahrnehmungsfähigkeit,
Vermittlung von Werten und Normen,
Variationen in der Methodik,
Ausbildung des „role-taking“ und durch die
Einübung in das Arbeiten in Gruppen.
c) Penthak, Das Hirtenprinzip
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„Die Grundsätze der Kunst der Hirten“!?
Metapher: Der Lehrer als „Hirte“?
Haben Sie Erfahrungen gemacht?
Die Lerngruppe als „Herde“?
Eigenart von Lerngruppen?
Emotionen des Lehrers?
Rollenkonflikt des Lehrers?
Kritik am Schülerverhalten?
d) Wertschätzung im Schulalltag
•  Was möchten und können Sie als Fach-lehrer
dazu beitragen, Wertschätzung im Schulalltag zu
fördern und damit die Bildung von Selbst- und
Sozialkompetenz bzw. kontinuierlich zu entwickeln?
•  Das Lehr-Lernmodell fördert Wertschätzung!
5) Fazit: Umsetzung im Alltag?
•  Voraussetzungen im Elternhaus?
„Was seine Erziehung angeht, wird ein Kind nicht durch Lernen
sozial. Es muss sozial sein, um zu lernen.“ (George Herbert Mead)
•  Einheitlichkeit des Werte- und Normenkanons
•  Selbstverständnis der Lehrperson
•  Kommunikation aller Instanzen!? Welcher?
•  Erwartungen an Schulsystem und –personal!?
•  Voraussetzung für Wertvermittlung in der Schule?
•  Wollen Sie Verantwortung übernehmen? Wie?
•  Welche Anregungen nehmen Sie aus dieser Sitzung mit?
Wunsch
Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale und nicht als Kanal, der fast gleichzeitig empfängt und weiter gibt, während jene wartet, bis sie erfüllt ist. Auf diese Weise gibt sie das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter... Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen und habe nicht den Wunsch, freigiebiger zu sein als Gott. Die Schale ahmt die Quelle nach. Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist, strömt sie zum Fluss, wird zur See. Die Schale schämt sich nicht, nicht überströmender zu sein als die Quelle... Ich möchte nicht reich werden, wenn du dabei leer wirst. Wenn du nämlich mit dir selbst schlecht umgehst, wem bist du dann gut? Wenn du kannst, hilf mir aus deiner Fülle, wenn nicht, schone dich. Bernhard von Clairvaux (1090-1153)
Alles Gute für die weitere
Ausbildung!
Literatur
Dokumentierende / informierende Texte:
•  Pentak, William / Leman, Kevin, Das Hirtenprinzip. Sieben Erfolgsrezepte guter Menschenführung.
Gütersloh 2005.
•  Krappmann, Lothar, Soziologische Dimensionen der Identität. Strukturelle Bedingungen für die
Teilnahme an Interaktionsprozessen. Stuttgart 1969.
•  Ladenthin, Volker: Werterziehung in der Schule. In: Profil. Oktober 2013. Seite 32ff).
•  Ebd.: Wert Erziehung. Ein Konzept in sechs Perspektiven. Hrsg.: Anke Redecker. Schneider 2013.
• „Wert“, in: LThK (Lexikon für Theologie und Kirche); „Sozialprinzipien“, in: ebd.: Lexikon für Theologie
und Kirche. Hrsg.: Walter Kasper. Freiburg im Breisgau 2001. (hier: Bände 9, 10).
•  Morel, Julius, Normen und Werte. In: Konzepte 5. Materialien für den Religionsunterricht in der Sek.
II. Moral und Gewissen. Hrsg.: Klaus Heintz und Gebhard Neumüller. Frankfurt 1981. S. 21ff.
Erzählende Texte:
•  Palacio, Raquel, Wunder. München 2012.
•  Teller, Janne, Nichts. Was im Leben wichtig ist. München 2000.
•  Hesse, Hermann, Unterm Rad. Frankfurt 1970.