Die richterliche Unabhängigkeit

Hintergrundinformationen zur Episode UNTER VERDACHT – Ein Richter
In unserer Episode geht es um ein "heißes Eisen".
Entgegen landläufiger Meinung sind Richter in Deutschland keineswegs dem Justizminister
unterstellt wie etwa die Staatsanwälte. Während Staatsanwälte weisungsgebunden handeln und
dem Disziplinargesetz für Beamte unterliegen, sind Richter (obwohl ebenfalls Beamte)
unabhängig und nur den Präsidenten ihrer Gerichte unterstellt, deren Kontrollmöglichkeiten
jedoch enge Grenzen gesetzt sind.
Im Grundgesetz heißt es dazu:
Artikel 97
(1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.
(2) Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können wider ihren Willen
nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die
Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres
Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden.
Aus der dieserart grundgesetzlich garantierten "Richterlichen Unabhängigkeit" folgt zweierlei:
1) Aus Absatz (1) ergibt sich, dass die Überprüfung der Tätigkeit eines Richters anhand seiner
Urteile zu erfolgen hat, insofern, als übergeordnete Gerichte überprüfen, ob seine
Rechtsprechung gesetzeskonform erfolgte. Vorausgesetzt, die Verteidigung oder die
Staatsanwaltschaft gehen in Berufung.
2) Um die Unabhängigkeit der Richter zu gewährleisten, werden in Absatz (2) außerdem
besondere Bedingungen benannt, unter denen disziplinarisch gegen sie vorgegangen werden
darf, z.B. dass nichts "wider ihren Willen" erfolgen kann (Dazu weiter unten mehr).
Der Grund dafür ist, dass sich die Art und Weise, wie ein Richter seine Arbeit macht (also: seine
Amtsführung) am Ende in dessen Urteilsfindung und in dessen Urteile niederschlägt, folglich
beides nur schwer voneinander zu trennen sind.
Im Bayrischen Richtergesetz (BayRiG) ist deshalb festgelegt, dass über disziplinarische
Maßnahmen allein ein Dienstgericht (besetzt mit Berufsrichtern) entscheiden darf und dass
gegen diese Entscheidung Widerspruch beim Dienstgerichtshof eingelegt werden kann.
Zum Vergleich: Im Disziplinargesetz des Freistaats Bayern (BayDG) für Beamte (z.B. Polizisten)
ist festgelegt, dass die zuständigen Vorgesetzten (bzw. vorgesetzten Behörden) Disziplinarverfügungen wie Verweis, Geldbuße oder Kürzung der Dienstbezüge nach Prüfung der Vorwürfe und
des Sachverhaltes und nach Anhörung der Betroffenen vornehmen können. Dagegen kann der
Betroffene zwar mit einer Klage beim Verwaltungsgericht vorgehen. Das kommt aber nur selten
vor. Hält der zuständige disziplinarische Vorgesetzte eine Zurückstufung oder Entfernung aus
dem Beamtenverhältnis für notwendig, so muss er Klage erheben, worüber dann das
Verwaltungsgericht entscheidet.
Demgegenüber können alle oben genannten Disziplinarmaßnahmen gegenüber Richtern einzig
und allein durch extra einzusetzende Dienstgerichte (oder eins höher: durch den
Dienstgerichtshof) beschlossen und verfügt werden.
In der Praxis ergibt sich aus all dem, dass die Präsidenten der Gerichte so gut wie nie
disziplinarisch gegen die ihnen formal unterstellten Richter vorgehen.
Ein aktuelles Beispiel zeigt die Problematik, die damit verbunden ist:
So hat die Präsidentin des Oberlandesgerichtes Freiburg bemängelt, dass einer ihrer
Senatspräsidenten (= Vorsitzender Richter eines Senates) im Vergleich mit anderen Richtern des
Oberlandesgerichtes zu lange brauche, um Berufungen zu prüfen und in den Verfahren
(Prozessen) zu einem Ergebnis (Urteil) zu kommen.
Gegen einen entsprechenden Vermerk in seiner Personalakte hat der Betreffende Widerspruch
eingelegt mit der Begründung: wie lange und umfassend, vulgo: sorgfältig er arbeite, unterliege
allein seiner Entscheidung. Der Eintrag in seine Personalakte sei ein Eingriff in die richterliche
Unabhängigkeit.
Der Mann hat mit dieser Argumentation vor dem Dienstgericht gewonnen!
Eigentlich müsste man annehmen, dass selbst bei schwerem Alkoholismus keine Zweifel bestehen
dürften, gegen einen Richter vor einem Dienstgericht Klage zu erheben. Da damit aber aufgrund
der gesetzlichen Lage allein der unmittelbare Dienstvorgesetzte, also der zuständige
Gerichtspräsident befasst ist (und nicht eine übergeordnete Behörde, ein Disziplinarausschuss
oder "unabhängige Dritte" wie etwa die Interne Ermittlung), sind der Kumpanei Tor und Tür
geöffnet.
Ein Beispiel. Der Vorsitzende Richter eines Senates an einem Obergericht (der zugleich
Vizepräsident des Hauses war) erschien über Monate betrunken zum Dienst. Er war faktisch nicht
in der Lage, die Prozesse zu führen. Die ihm untergeordneten anderen Berufsrichter des Senates
kuschten. Da es aber üblich ist, dass die gefällten Urteile am Ende immer von den
Stellvertretern zu Papier gebracht werden, konnte die Arbeit ohne Unterbrechung weitergehen.
Hinweise gegenüber dem Präsidenten des Gerichtes erbrachten nichts. Der betreffende Richter
war mit ihm befreundet. Selbst als er betrunken in der Eingangshalle lag, geschah nichts. Erst
der Nachfolger im Amt des Gerichtspräsidenten hat schließlich eingegriffen. Der Richter wurde
(via Entscheidung des Dienstgerichtes) in den Ruhestand versetzt.
Selbstverständlich gilt für Richter, wie für alle Bürger, dass sie ihre (private) Lebensführung in
Einklang bringen sollten mit dem Strafgesetzbuch. Wird ein Richter von einem Strafgericht
wegen Diebstahl, Betrug, Körperverletzung, Totschlag oder gar Mord verurteilt, wird er
automatisch aus dem Dienst entfernt. Da sind die Richtergesetze aller Bundesländer eindeutig.
Schwierig wird es, wie beschrieben, wenn es um seine Amtsführung geht, zum Beispiel um
Machtmissbrauch.
Natürlich ist es gut, dass Richter unabhängig sind, keinem Ministerium unterstellt und an keine
Weisungen gebunden. Man muss ja nicht Richtung Russland schauen, um daran erinnert zu
werden, wie Regierungen in Gerichtsverfahren eingreifen, um ihnen genehme Urteile zu
erreichen.
Auch Berlusconi hat derartiges ja wiederholt versucht. Und das Beispiel Türkei zeigt, wie wichtig
es ist, dass Richter nicht einfach von der jeweiligen Regierung aus dem Amt entfernt werden
können.
Dennoch gibt es eine Regulierungslücke bezüglich der dienstlichen Kontrolle von Richtern, auf
die wir mit unserer Episode hinweisen wollen. Dabei geht es eben nicht nur um einen Einzelfall,
so einmalig die Geschichte des Richters Koller auch ist, sondern um einen Systemfehler.
Welche Reaktionen wir mit unserer Episode hervorrufen, werden wir sehen.
Köln/München, September 2015
Mario Krebs