Wiens erster Fisch BODULO

Wiens erster Fisch
SEIT 1920, seit Inkrafttreten des Vertrags von
Saint-Germain, hat Österreich keinen Zugang mehr zum Meer. Triest, Piran, Rijeka,
Split und Zadar gingen an Italien und das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen,
was unter anderem bedeutete, dass es keinen Fisch mehr gab. Die Österreicher, speziell die Wiener, wussten sich aber zu rächen,
panierten jeden Freitag Polardorsch oder
Seehecht und aßen ihn dann sogar, wurden
ab den 60er Jahren sogar Weltrekordhalter
im Verzehr von Fischstäbchen (40 Stück pro
Person und Jahr), womit sie ihrer Verachtung für die historischen Gegebenheiten
Ausdruck verliehen. Abgesehen davon, fand
Fisch kaum statt, Thunfisch aus der Dose
einmal ausgenommen.
1981 machte Dinko Glavurtic trotzdem
sein Bodulo auf, weit draußen an der Hernalser Hauptstraße, verzierte es mit Fischernetzen und bot das, was er direkt von kroatischen
Fischern auf welchen Wegen auch immer geliefert bekam: Goldbrasse, Branzino, Tintenfisch und Scampi. Echter Fisch, ohne Panier,
mit Gräten, Haut und Flossen. Das Bodulo
wurde rasch zum Kult, man reiste nach Hernals zum Fisch, man war entzückt, dass der
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BODULO
da in einer Vitrine auf Eis lag, wie im Urlaub,
und man liebte den knoblauchreichen, zerkochten Blattspinat und die blassen, salzigen, zerkochten Erdäpfel, die da einfach
dazugehörten. Mit dem Boom der dalmatinischen Fischlokale Anfang der 90er Jahre
hatte das nicht gerade zentrumsnahe Lokal
gegenüber den City-Dalmatinern einen kleinen Nachteil, das Bodulo wechselte die Besitzer, Frau Tamara Jurasic ließ ein wenig
modernisieren (kein Fischernetz mehr) und
auch die Karte ein wenig bereichern – andere Fische, ein bisschen Kreativität, andere
Zubereitungen. Das wichtigste aber war:
Man behielt die Klassiker nach wie vor auf
der Karte, die saftige Brasse, den zarten
Barsch, die bissfesten Calamari, die himmlischen Scampi. Und man erlaubte sich – wer
sonst, wenn nicht das Bodulo – auch einige
strikte Standpunkte, die beim Wiener Publikum sonst gar nicht gern gesehen werden:
Fische gibt’s (außer in der Fischsuppe) nur
im Ganzen und bezahlt wird pro Tisch. Die
Tatsache, dass es Branzino mittlerweile in
jeder Pizzeria gibt, minderte den Kultstatus
des Bodulo übrigens gar nicht, im Gegenteil.
Denn echt und wirklich ist er ja nur hier.\
BODULO
Hernalser Hauptstraße 204, 1170 Wien
Tel.: 01/486 43 11, Di.–Sa. 11.30–15,
17.30–23, So., Fei. 11.30–15, 17.30–22 Uhr
www.bodulo.at