Der Wunsch nach Nähe, die Sehnsucht, lieben zu können und

Der Wunsch nach Nähe, die Sehnsucht, lieben zu können und geliebt zu werden sind eines der
Merkmale unseres Menscheins überhaupt. Das Urbild solcher Liebe ist die Mutter-Kind-Beziehung
und die depressive Persönlichkeit sucht das Wiederherzustellen – sich bedingungslos geliebt zu
fühlen. Was aber, wenn ein Mensch die Ich-Werdung vermeidet und die Ich-Aufgabe und Hingabe zu
leben versucht:
Die erste Folge wird sein, dass dadurch das „Du“ einen Überwert bekommt, denn liebendes Sichhingeben braucht einen Partner und ist ohne ihn nicht möglich. Damit sind wir beim zentralen
Problem des Depressiven: Sie sind mehr als alle anderen auf einen Partner angewiesen. Es wird
versucht, die trennende Distanz zwischen sich und dem anderen Menschen soweit wie möglich
aufzuheben. Daraus ergibt sich, dass Alleingelassen werden oder Verlassen werden zu Depression
und Verzweiflung führt.
Die Lösung wäre es, so viel an Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu entwickeln, dass man nicht
auf den anderen angewiesen ist – aber gerade das fällt der depressiven Persönlichkeit schwer, er
müsste die Bindung zum anderen lockern, sich in Distanz geben, was wiederum Verlustängste
hervorruft. Der Depressive aber sucht (Sucht) nach Sicherheiten und die Abhängigkeit soll Sicherheit
bringen – entweder indem man selbst abhängig ist oder andere abhängig macht. Wenn der
depressive Mensch erkennt, dass schon das Ich-Werden Distanz schafft, verzichtet er entweder
darauf oder gesteht dies dem Partner nicht zu. Er ist der Trabant des anderen, oder macht seinen
Partner zum diesem.
Beim Depressiven kann schon ein Sich-von-einander-unterscheiden, ein Anders-Denken oder Fühlen
eine Verlustangst herbeiführen, weil er es als Entfremdung oder Entfernung erlebt. Depressive
Menschen suchen die Abhängigkeit, die ihnen Sicherheit zu geben scheint, mit der Abhängigkeit
steigert sich aber die Verlustangst – ein Teufelskreis.
Die Folge des Ausweichens der Individuation hat einen hohen Preis: die eigenen Wünsche und
Erwartungen müssen von anderen erfüllt werden, quasi als Belohnung für die eigenen
Bescheidenheit. Es entsteht eine passive Erwartungshaltung.
Liebe, Lieben-wollen und Geliebt-werden-wollen sind für den Depressiven das Wichtigste im Leben,
dass sich daraus Spannungen und Konflikte in der Partnerschaft ergeben, versteht sich von selbst.
Das Loslösen aus der Umklammerung wird mit Angst, Panik und tiefer Depression, die bis hin zur
Selbstmorddrohung oder Selbstmord quittiert. Auch die erpresserische Liebe und Herrschsucht
kommen vor. Die Sexualität an sich ist viel weniger wichtig wie die Liebe, die Zuneigung und
Zärtlichkeit. Erhalten sie diese, können sie sich auch im Körperlichen beglückend schenken, sind
einfüllend und haben die Einstellung, dass Liebe keine Grenzen verträgt, was erlaubt oder unerlaubt
ist. In Fällen großer Abhängigkeit finden sich hier alle möglichen Formen des Masochismus bis hin zur
Hörigkeit.
Aggressionen und Affekte sind für den depressiven Menschen ein großes Problem. Wie kann er
aggressiv sein und sich behaupten, wenn er voller Verlustangst ist und auf Liebe angewiesen ist?
Eine Möglichkeit ist es, den Aggressionen auszuweichen und die Ideologie der Friedfertigkeit zu
leben. Man deutet um, setzt sich nicht damit auseinander oder verharmlost die Situation. Diese
Haltung lässt sich steigern bis zur Dulderrolle, in dem man Aggressionen sozusagen an den anderen
delegiert. Findet die Aggression keinen Weg, also auch nicht im Jammern und Klagen, kann es sich in
Selbstmitleid bis hin zur Selbstzerstörung äußern.
Konstitutionelle und biographische Gegebenheiten können eine depressive Persönlichkeitsentwicklungen stark beeinflussen. Das Kind beginnt nach der Geburt langsam bewusst seine
Umgebung und die Mutter als Quelle der Bedürfnisbefriedigung wahrzunehmen. Bereits in der
zweiten Phase der Kleinkindentwicklung erkennt es eine Abhängigkeit von der Mutter
beziehungsweise der Bezugspersonen. Der Wunsch nach der Nähe des vertrauten Menschen ist
erwünscht und ein Bedürfnis, Mutter und Kind gehen quasi eine Symbiose ein. Bei einer guten
Mutterbeziehung besteht ein ausgewogenes Verhältnis von Geben und Nehmen. Sein Verhältnis zu
sich selbst, zu seinem eigenen Ich, wird hier festgelegt. Alle Eindrücke spiegeln sich später in der
Einstellung zu uns selbst wieder und legen die Basis zum eigenen Selbstwertgefühl.
Laut Riemann gibt es zwei charakteristisches Fehlverhalten der Bezugsperson in dieser Lebensphase,
welche den Impuls zur „Eigendrehung“ erheblich stören: Verwöhnung und Versagung.
Die Verwöhnung ist darauf ausgerichtet vom Kind geliebt zu werden, es dankbar an den
Erziehenden zu binden beziehungsweise zu verpflichten.
Die „Glucken- Mutter“ wäre am liebsten, ihr Kind würde immer ein Baby bleiben. Auch Mütter die in
der Partnerschaft enttäuscht worden sind oder den Partner verloren haben tendieren dazu, dass Kind
als ihren einzigen Lebensinhalt zu sehen und von sich abhängig zu machen.
Das Kind entwickelt keine eigenen Strategien Affekte zu äußern oder Lösungen für sein Unbehagen
zu finden. Es wird überwacht, vor allem und jedem beschützt. Die Welt birgt aus der Sicht der
Mutter, welche möglicherweise selbst zum depressiven Strukturkreis gehört, überall Unheil und
Böses. Die Angst und Eifersucht der Mutter, dass sich das Kind von ihr weg und weiterentwickeln
könnte, führt zu noch mehr Verwöhnung.
So lernt das Kind nie, seine eigenen Wünsche, seine Unlust und Eigenimpulse zu äußern, weil die
Mutter diesen mit ihrer Aufmerksamkeit zuvor kommt. Es kann sich weder frei entfalten noch die
„Eigendrehung“ erlernen, nicht das eigene Ich entwickeln. Das Kind lernt weder die Welt noch seine
eigenen Fähigkeiten und Grenzen kennen, es bleibt abhängig. Ein altersadäquater Ablöseprozess
findet durch die Unfähigkeit der Mutter los zu lassen nicht rechtzeitig statt. Mutter und Kind
befinden sich in einer gegenseitig verstrickten Nähe und Abhängigkeit, beide können sich nicht mehr
frei bewegen. Beim „Depressiven“ entstehen Bequemlichkeitshaltungen, da ihm ja ein
Schlaraffenland geboten wird. Dazu kommt eine passive Erwartungshaltung, auch
Hass kann
entstehen, da man sich selbst als entmachtet und fremdbestimmt fühlt.
Als zweiten Störfaktor einer gesunden Entwicklung zur „Eigendrehung“ nennt Riemann die
Versagung.
Hier wird das Kind abgelehnt, nicht gewollt und mit feindseligen Gefühlen konfrontiert. Das
Schuldgefühlt der Mutter, keine gute Mutter zu sein, erweckt in ihr das Bestreben nach
Wiedergutmachung. Sie verwöhnt das Kind um die Schuldgefühle auszugleichen. Das Kind spürt die
Ablehnung und den Mangel an echter Liebe. Bei ihm entsteht das Gefühl für vieles dankbar sein zu
müssen, was ihm nicht gerne gegeben wird. Es entwickelt Schuldgefühle für sein Dasein und
empfindet sich selbst als Zumutung.
Bei der Versagung haben wir es oft mit harten, wenig mütterlich-liebensfähigen Frauen zu tun. Sie
selbst hatten kein gutes Vorbild für ein Mutter-Sein. Die Programm-Mütter erziehen das Kind aus
Unwissenheit und Unerfahrenheit nach einem strengen Schema ohne Rücksicht auf individuelle
Bedürfnisse. Das Kind kann sich nicht liebenswert finden, da es nie erlebt hat geliebt zu werden. Hier
wird die Basis von Minderwertigkeitsgefühlen und Zweifel an der eigenen Existenzberechtigung
gelegt. Es verinnerlicht sich die Welt der Eltern, da es keine anderen Vergleichsmöglichkeiten hat. Es
entstehen Schulgefühle gegenüber den Eltern, als Wiedergutmachung opfern sie sich ihrerseits auf
um den Eltern zu gefallen.
Die Auswirkung von Verwöhnung und Versagung sind ähnlich, beide führen meist zur Entwicklung
einer depressiven Persönlichkeitsstruktur.
Das verwöhnte Kind erlebt erst im Erwachsenalter die Angst, wenn es merkt, dass das Leben nicht
mehr so verwöhnend ist, wie einst die Mutter. Die Krise kommt dann, wenn es keine Ersatzmütter,
wie es eine Versorgungsehe, staatliche Institutionen, Sozialversicherung, sein können, findet. Es
erlebt den Anforderungen des Lebens nicht gewachsen zu sein.
Das zentrale Problem depressiver Menschen ist die nicht geglückte „Eigendrehung“, sowie die
mangelnde Entwicklung des Subjekt-Seins ist. Das eigene Ich ist kaum geprägt. Für sie wird alles zu
einer Forderung, vor der sie letztendlich verzweifelt resignieren.
Verhaltensweise
Schutzfunktion
Der depressive Mensch ist sehr bescheiden,
Seiner Meinung nach ist eine uneingeschränkte
aufopfernd und friedfertig. Durch das selbstlose
Liebe nur dann Möglich, wenn zum Beispiel Zweifel
Verhalten verzichtet er auf vieles.
und Kritik unterdrückt werden.
Er ist sehr bemüht Forderungen und Erwartungen
Nähe und Bindung dient als Schutz vor Isolierung.
von anderen Menschen zu erfüllen.
Depressive Menschen neigen dazu ihren Partner
Die Kluft zwischen dem „ICH“ und „DU“ wird
oder andere Menschen über zu bewerten.
verkleinert.
Das Harmoniebedürfnis bei depressiven Menschen
Friede als Abwehr von Aggressionen. Aggressionen
ist sehr groß. Sie wollen Spannungen und Konflikten können nicht zugelassen werden, da man
aus dem Weg gehen. „Schlechte“ Eigenschaften bei
denjenigen nicht angreifen kann, von dem man
anderen werden verharmlost.
abhängig ist.
Depressive Menschen können nicht fordern oder
Der depressive Mensch möchte immer geliebt
sich einfach etwas nehmen. Sie unterdrücken ihre
werden, deshalb muss er immer lieb und „gut“ sein.
Wünsche bzw. Erwartungen.
Die andere Peron steht im Vordergrund. Depressive Schutz vor Verlustangst
Menschen leben für andere, sie geben sich selbst
auf. Sie passen sich an und lassen sich unterordnen.
(
Selbstmorddrohungen werden als unbewusste
Man kann bzw. darf mich nicht verlassen.
Druckmittel verwendet
Süchte aller Art (z.B.: Fett- oder Magersucht)
Ersatzbefriedigung, Weltflucht
Ist wenig Subjekt und wird so zum Objekt für andere Empfangene Liebe gibt ihnen das Gefühl etwas wert
(ist nicht konsequent, kann nicht nein sagen).
zu sein.
Körperliche Symptome, Störung des
seelische Konflikte werden psychosomatisch
Aufnahmetrakts, Schlund, Rachen, Mandeln,
Speiseröhre, Magen, Verdauungstrakt Symbol für
sich etwas nehmen
depressive Menschen sind hörig (auch bis hin zum
Die Abhängigkeit soll dadurch aufrecht erhalten
Masochismus)
bleiben (man will den Partner nicht verlieren).
Der depressive Mensch hat ein hohes Maß an Therapiemotivation, doch dies macht er nicht für sich,
sondern für den Therapeuten, da der depressive Mensch gerne die Erwartungen des Therapeuten
erfüllen würde. Dies ist der falsche Ansatz, da der depressive Mensch dadurch nicht sein eigenes
Leben in die Hand nimmt.
Fast jede Hilfestellung wird vom depressiven Menschen abgelehnt, dadurch ist es sehr wichtig, dass
man eine gewisse innere Distanz zu diesem Menschen wahrt, damit man nicht in sein Gefühlschaos
mit hineingezogen wird. Es ist wichtig Menschen mit depressiven Störungen zu helfen, dass sie sich
nicht selbst aufgeben und ihnen zu zeigen, dass man sie trotzdem so akzeptiert und respektiert wie
sie sind.
Es ist wichtig die Menschen, in vielen Situationen zu stärken, damit man ihm hilft seine Hilflosigkeit
zu überwinden. Der depressive Mensch sollte, wenn er bereit dazu ist, die Ursache seiner
depressiven Verstimmung auf den Grund gehen. Er muss erkennen, dass er beispielsweise durch die
Vernachlässigung der Eltern, dieses Erkrankungsbild hat.
Man sollte dem depressiven Menschen aufzeigen, was für Fähigkeiten in ihm steckt, um sein
Selbstbewusstsein zu stärken und ihm dadurch die Möglichkeit zu geben, sich wieder dem Leben
zuzuwenden. Dadurch kann er dann ein geregeltes Leben führen und neue soziale Bindungen
eingehen.
+
„Oblomow“ (russisch ) ist ein 1859 erschienener Roman von Iwan Gontscharow (1812–1891). Er ist
ein
Typ
des
begabten,
gebildeten,
Idealen
Verpflichteten
aber
durch
Herkunft
und
Standesgewohnheiten zu ergiebiger Faulheit und gänzlicher Passivität gezwungenen Menschen.
Im Alter von 30 Jahren hat sich der Gutsbesitzerssohn und an einer Beamtenkarriere desinteressierte
Oblomow im wörtlichen Sinne in den Ruhestand versetzen lassen. Umsorgt von seinem alten Diener
Sachar verbringt er das Leben im Bett oder auf dem Diwan, schläft, träumt, dämmert vor sich hin
oder grübelt über Reformen auf dem väterlichen Gut nach. Von seinem Jugendfreund Stolz für kurze
Zeit aus dieser Lethargie herausgerissen, versucht er, ein neues Leben zu beginnen. Er verliebt sich in
das Mädchen Olga. Doch sehr bald erkennt er, dass er auch um dieser Liebe willen sein Leben nicht
ändern kann. Er trennt sich von Olga und heiratet seine neue Wohnungsgeberin, eine rechtschaffene
Hausfrau, an deren Seite er, weil seine Trägheit noch unterstützt wird, nur noch dahinvegetiert bis an
sein notwendig zu frühes Ende. Er verliert sich in den Traum eines geborgenen, sicheren, von aller
Verantwortung freien Lebens, in dem der Mittagsschlaf Zentrum und Schwerpunkt der täglichen
Verrichtungen ist. Am Anfang des Buches erfährt man von Oblomows Kindheit auf dem Lande, von
seiner Verwöhnung, ja Verzärtelung durch die Erwachsenen – eine Anamnese der Störungen und
ein Prosastück von kühnsten Einsichten in die frühkindliche Psyche.
Der Name des Titelhelden "Oblomow" wurde in die Psychiatrie eingeführt und sollte die
Persönlichkeitsstruktur eines willensschwachen Neurotikers beschreiben, der sich durch Apathie,
Faulheit und Parasitismus auszeichne. Dieser Typus lasse andere für sich sorgen, während er sonst in
intellektueller, mentaler und moralischer Hinsicht nicht versage.
Alla Grundner
Judith Wilhelm
Rosa Sachlenegger
Sabine Hächler
Sarah Gufler
Stefanie Berkmann
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