Helikopter-Eltern in der Verwöhnungsfalle Thesen, Definitionen und Fakten zum Vortrag von Dr. Albert Wunsch am 10. Oktober 2015 im Duden-Institut für Lerntherapie in Neubrandenburg. Eine Start-These: Jedes Kind hat ein Recht, vor verwöhnenden Menschen geschützt zu werden. Wer verwöhnt, verstößt gegen das Gesetz: ‘Alle Erziehungsmaßnahmen sind zum Wohle des Kindes durchzuführen’. (Grundgesetzt Artikel 6, BGB §§ 1626 u. 1627 sowie die Präambel des KJHG (SGB 8)) Aber weshalb wird hier der Verwöhnung den Kampf angesagt? Klärungs-Schritte: Verwöhnung ist das Resultat unangemessenen Agierens oder Reagierens auf Verhalten. Positives erhält keine Verstärkung und Negatives keine Begrenzung. Da im Leben außerhalb von VerwöhnSystemen mit deutlich spürbaren Konsequenzen auf jegliches insbesondere unsoziales - Verhalten zu rechnen ist, wachsen Verwöhnte immer intensiver in eine Scheinwelt hinein. So werden Kontakte zu anderen Wertungssystemen als bedrohlich erlebt, wird die Unwirklichkeit zum bevorzugten Aufenthaltsraum. Illustration zu: Droge Verwöhnung. In: DIE ZEIT vom 1.10.1998 Dieser grundlegende Realitätsverlust zerstört auf Dauer jeglichen Lebensmut. Die Verwöhnung hat viele Gesichter: „Maßlosigkeit bei Geschenken und Süßigkeiten, Erfüllung aller Wünsche sofort, dauerndes Verhätscheln, Inkonsequenz, In-Watte-Packen bei kleinstem Unwohlsein, Aufgaben oder Konflikte für ein Kind lösen“ (Text aus: Droge Verwöhnung in: Die ZEIT. / Link: http:// www.zeit.de/1998/41/199841.verwoehnen_3_.xml). Die Verwöhnung hat auch viele Schauplätze: !1 Am häufigsten ist sie zwischen Eltern und Kindern zu beobachten. Ebenfalls wirken Großeltern, andere Familienmitglieder, Kindergärten und Schulen kräftig mit. Verwöhnung ist aber auch im Umgang von Erwachsenen oder zwischen Institutionen und dazu in Beziehung stehenden Menschen festzustellen. ■ ■ ■ ■ ■ ■ ■ Väter und Mütter verwöhnen Töchter und Söhne Kindergärten und Schulen verwöhnen Kinder Frauen verwöhnen Männer, manchmal auch umgekehrt Betriebe verwöhnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ärzte und Krankenkassen verwöhnen Patienten Funk, Fernsehen und Printmedien verwöhnen ihre Konsumenten staatliche Einrichtungen verwöhnen Bürger Verwöhnung beginnt, wo die Herausforderung ausbleibt! - Verwöhnung verhindert: ■Interesse und Neugier ■Auseinandersetzungsbereitschaft ■Kraft und Ausdauer ■Zielstrebigkeit ■angemessene Rückmeldungen ■Grenzerfahrungen ■selbst geschaffenen Erfolg ■Zufriedenheit ■ein realistisches Selbstbild ■und damit Selbstvertrauen (wer sich nicht traut, traut auch keinem Anderen) ■Lebensmut ■Toleranz und Rücksicht ■Eigenständigkeit ■Verantwortung ■soziale Kompetenz Titel-Thema kurz nachdem das Buch: Die Verwöhnungsfalle veröffentlicht wurde. kurz: Verwöhnung verhindert ein erfolgreiches Leben Als Folge fehlenden Selbstvertrauens und damit ausbleibender Erfolge bzw. positiver Rückmeldungen verursacht Verwöhnung Entmutigung, Misserfolg und Frustration. Diese wiederum äußern sich als > nicht mehr wollen, als Entmutigung bzw. Unterwerfung, - als Depression > gewaltsam alles Habenwollen, als Herrschsucht, - als Aggression Verwöhnung reagiert meistens nicht auf die Grundbedürfnisse, sondern auf die eingesetzten Symptome: ■ ein Kind sucht Nähe und bekommt die Nuckelpulle ■ ein Kind probt beim Essen per Spinat-Verweigerung den Aufstand und bekommt an Stelle einer Auseinandersetzung seine Lieblingsnachspeise ■ ein Kind hat Langeweile und bekommt den Fernseher als Unterhaltung !2 ■ oder mit Udo Lindenberg: „Sie wollte Liebe und kriegte Taschengeld“. Wird jedoch auf die Grundbedürfnisse reagiert, geschieht dies maßlos. Verwöhnung geschieht durch: die Erfüllung bzw. Weckung lebenshindernder Bedürfnisse, konkret durch zuviel oder zuwenig gewähren lassen oder durch unangemessenes Agieren und Reagieren! Zuviel gewähren lassen: ■ beim Überschreiten bekannter oder unbekannter Grenzen nicht reagieren (geregelte Bettgehzeiten, Unterrichts-Regeln, erstmalig praktiziertes störendes Verhalten) ■ durch fehlende Begrenzungen (immer größer werdende Wünsche, Wunscherfüllung sofort, eine übervolle Spielecke, beim Fernsehkonsum, Smartphon unterm Schultisch, störendes Getuschel oder Agieren während des Unterrichts usw.) ■ Entschuldigungen für Fehlzeiten in der Schule akzeptieren, welche anzuzweifeln wären ■ Was wird durch eine Hausaufgaben-Entschuldigung entschuldigt: Das fehlende Erbringen der Hausaufgabe oder das fehlende Erbringen der Hausaufgaben zum vereinbaren Zeitpunkt? Achtung: > Grenzenlosigkeit macht irre! Zuwenig gewähren lassen: ■ durch permanente Pass-Auf-Hinweise ( ... das ist heiß, gefährlich, zu hoch usw.) ■ Risiken zu stark reduzieren (‘alle Kanten bekommen Watte’, beim ersten Anzeichen von Regen zur Schule bringen, ab dem ersten Herbsttag nicht ohne Schal und Mütze rauslassen) ■ für ein Kind handeln (es zu lange füttern, Anziehen, das Kinderzimmer aufräumen, Streit schlichten, zu schnelles Beantworten von Schülerfragen durch Lehrkräfte) ■ bei Konflikten sofort Partei für das eigenen Kind einnehmen ■ negative Konsequenzen zu vereiteln zu suchen Achtung: > Zu enge Grenzen töten! Wichtig im Umgang mit Grenzen: ■ Grenzerfahrungen sind nie um der Grenzen willen bedeutsam, sondern um sich und Anderen Freiraum und Sicherheit zu gewährleisten! ■ Wer sich zu stark auf das Begrenzende konzentriert, verliert dabei die Bedeutung des Schutz gebenden Raumes aus dem Blick (Beispiel Vogelnest) ■ ein Nicht-Deutlich-Machen von Grenzen (es gibt ja real keine Grenzenlosigkeit) führt zur Maßlosigkeit. Maßlosigkeit führt letztlich zu Verwahrlosung und kriminellem Verhalten. unangemessenes Agieren: !3 ■ durch Hinein-Interpretieren eigener Vorstellungen oder Wünsche (Du hast sicher einen so großen Hunger Lisa, dass du nicht mehr warten kannst, bis wir alle was vom Buffet bekommen, hier nimm schon ein Stück Wurst) ■ durch unangemessene Aufforderungen (Der Vater beim Einkauf im Lebensmittelmarkt zur kleinen Tochter: Du möchtest doch sicher ein Ü-Ei, geh und hol dir eins) unangemessenes Reagieren: ■ durch Hinein-Interpretieren eigener Betroffenheit (nach einer Hinfall-Situation: da hast du dir aber sicher sehr weh getan, komm auf meinen Arm) ■ durch Hinein-Interpretieren eigener Bedürfnisse (die zweijährige Erna stapelt ruhig Schokoladentafeln im Einkaufswagen und zeigt ihr Werk. Darauf hin die Mutter: „Du kannst ruhig eine aufmachen und schon mal was naschen“!) Der Verwöhner sucht immer seinen Vorteil: ■ ■ ■ ■ Erhalt der eigenen Ruhe (das eigentliche Bedürfnis des Kindes nicht wahrhaben wollen) Vermeidung von Entscheidungen und Konflikten (keine eigene Position beziehen wollen) Gewinn oder Erhalt von Sympathien (gefallen wollen, Dankbarkeit erzeugen wollen) Begrenzung von Verantwortung (zur Reduzierung der eigenen Unsicherheit und Angst) Das stille Kalkül ist, durch die Gewährung dieser scheinbaren ‘Großzügigkeit und Freiheit’ emotionale Abhängigkeit zu erzeugen. Dispositionen zum Verwöhner (trotz einer vermeintlich anderen Grundeinstellung) ■ große Harmonisierungstendenz (z.B. zur Reduzierung eigener Spannungs- und Angstzustände) ■ große Aufopferungsbereitschaft (z.B. als Folge emotionaler Defizite in der eigenen Kindheit) > ich helfe, also bin ich > ich umsorge, als bin ich > ich opfere mich auf, also bin ich ■ unerfüllter Lebensalltag in Beruf und/oder Partnerschaft ■ Karriere-Streben in Beruf oder Gesellschaft ■ leben in persönlichen Dauerkrisen ■ Schuldgefühle gegenüber den Kindern (berufstätige Mütter) ■ zuwenig Zeit für die Kinder (berufstätige Väter) ■ Schuldgefühle gegenüber leiblichen Kindern aus durch Trennung beendeten Ehen/ Partnerschaften ■ starke Gefühls-Schwankungen oder Spannungen im Umgang mit nicht-leiblichen Kindern in neuen Beziehungen (Stiefmütter, Stiefväter, Lebensabschnittpartner) Der fehlende eigene Lebensmut ist Gradmesser für eine Disposition zum Verwöhner. (Menschen mit Lebensmut brauchen keine Abhängigen, um ihnen am Abgrund der eigenen Angst beizustehen. Sie tragen zur Entwicklung von Lebensmut der ihnen Anvertrauen bei.) prädisponierende Faktoren zur Verwöhnung ■ Einzelkinder ■ Kinder mit besonders positiver Ausstrahlung !4 ■ ■ ■ ■ ■ Spätentwickler, Kinder mit Fehlentwicklungen kranke und behinderte Kinder Adoptivkinder Nesthäkchen der „Stammhalter“ (z.B. als „Muttersöhnchen“) prädisponierende Situationen zur Verwöhnung ■ ■ ■ ■ ■ im Kontakt mit den Großeltern (Großtanten usw.) nach akuten Krankheiten starke Konflikte in der Familie und im sozialem Umfeld wenn z.B. in der Kirche oder bei einer Beerdigung, wenn Ruhe erwartet wird wenn sich die Handelnden - evtl. von vielen - kritisch beobachte fühlen Eine zusammenfassende Definition zur Verwöhnung: ➢ Verwöhnung basiert auf eigener Angst, ➢ äußerst sich in fehlendem Zutrauen, ➢ verhindert jegliche Herausforderung, ➢ führt auf Dauer zu tief sitzenden Selbstzweifeln und manifestiert eine substantielle Entmutigung dem Leben gegenüber! Lebensmut und Zufriedenheit kann aber auf Dauer nicht durch eine Zielerreichung ohne Leistung erreicht werden! Daher kumulieren in Schulen, Hochschulen und betrieblicher Ausbildung Nichtwissen und Desinteresse. Als Folge wirkt allzu oft der ‘Dreisatz’: > antriebslos > ausbildungslos > arbeitslos! Und was besonders erschreckend ist: Zu viele - zwischen Selbstbezogenheit und Gleichgültigkeit - dahindümpelnde Zeitgenossen bleiben tatenlos! Die Verwöhnregel 3 = 3 > falsches Helfen Eltern, ErzieherInnen oder Lehrkräfte übernehmen die vom Kind selbst zu erlernenden Funktionen > fehlende Begrenzung Eltern, ErzieherInnen oder Lehrerkräfte kapitulieren vor den Aktionen von Kindern oder verwechseln ‚Verständnis haben’ mit ‚Durchgehen lassen’ > ausbleibende Herausforderung Eltern, Erzieherinnen oder Lehrekräfte verhindern die Entwicklung von Eigenverantwortung und Lebensmut. Die Folgen: Nichtkönnen > Abhängigkeit > Anspruchshaltung Zusammenfassende Thesen: Wer einem Menschen Lob, Geld, soziale Anerkennung, oder andere Zuwendungen ohne eigenen Beitrag - und sei er noch so klein - auf Dauer zukommen lässt, der verwöhnt. So wird Erfolg ohne Mühe antrainiert. Eigene Leistungsbereitschaft kann so nie entstehen. !5 Erlernte Hilflosigkeit und Entmutigung ist das Resultat von Verwöhnung. Somit ist die Verwöhnung der Todfeind von positiver Zuwendung und Liebe! Verwöhnung entsteht nicht per Zufall sondern aus Absicht. Denn: Der Verwöhner / die Verwöhnerin hat immer einen Vorteil. Verwöhnung schafft den kurzfristigen Erfolg ohne eigenen Beitrag zum Preis späterer Unzufriedenheit und Abhängigkeit! Verwöhnung reduziert scheinbar Alltagsprobleme im Moment/in der konkreten Situation und provoziert damit gleichzeitig den zukünftigen Konflikt, - ob dies der Bruch mit dem Elternhaus oder ein Crash in einer Partnerschaft ist Verwöhnung schafft Menschen, die alles wollen aber nichts geben, kurz Asoziale! Daher macht Verwöhnung unmündig, abhängig, lebensuntüchtig und einsam. Bücher des Autors zum Thema: ! Weiterführende Infos unter: www.albert-wunsch.de / besonders die Beiträge unter > Aktuelles Ergänzend stehen auf meiner Facebook-Seite etliche interessante Texte zum Thema Erziehung Nur für den persönlichen Gebrauch erstellt! 17 Copyright: Dr. Albert Wunsch, 41470 Neuss, Im Hawisch Ein Selbsteinschätzungs-Test für Lehrkräfte: ■ Wie reagiere ich auf Fehlzeiten von Schülern (einige Minuten zum Stundenbeginn, Fehlstunden, Fehltage im Unterrichtsjahr, Fehlzeiten vor und nach Schulferien? ■ Wie reagiere ich auf Entschuldigungen bei fehlenden Hausaufgaben oder anderen zu erbringen Leistungen. Was wird durch die Entschuldigung entschuldigt? Das Nicht-Erbringer einer Leistung oder das Nicht-Erbringen einer Leistung zum vereinbarten Zeitpunkt)? !6 ■ Wie reagiere ich, wenn ich Anhaltspunkte dafür haben, dass Andere für eine(n) SchülerIn die Hausaufgaben gemacht haben, Stoff aus dem Internet als eigene Leistung zu verkaufen gesucht wird? Mögliche Ergebnis-Richtungen ihrer Selbst-Einschätzung: ■ Ahnde ich jedes Fehlverhalten gleichermaßen sofort und unnachgiebig? ■ Versuchen ich mir ein Bild über Ursachen und Zusammenhänge zu machen und ziehe dann die sinnvollen/notwendigen Konsequenzen? ■ Schauen ich großzügig über ein solches Fehlverhalten weg, frei nach der Devise: Die Schule soll Spaß machen, schließlich waren ich ja auch mal SchülerIn? Ich als Vorbild: ■ Wie halte ich es selbst mit der Pünktlichkeit? Gehe ich bei einem verspäteten Erscheinen darüber hinweg oder handle ich selbstkritisch? ■ Wie gehe ich mit eigenem - zurückgemeldetem oder auch selbst erkanntem - Fehlverhalten um? ■ Wie reagiere ich, wenn ich mit unangemessenem Verhalten oder nicht akzeptierten / falschen Benotungen konfrontiert werden? Achtung, Gefahr der Selbsttäuschung: Je mehr Ihr Selbst-TestErgebnis ein Gefühl großer Zufriedenheit mit sich selbst entstehen lässt, je weniger wird es ihr wirkliches Verhalten widerspiegeln. (Bitten sie mal Ihre SchülerInnen in einer passenden Situation um eine echte Rückmeldung zu unterschiedlichen Verhaltensbereichen) Nur für den persönlichen Gebrauch erstellt! Copyright: Dr. Albert Wunsch, 41470 Neuss, Im Hawisch 17 !7
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