Stefanie Gerstenberger über ihren neuen Roman Das Sternenboot

Stefanie Gerstenberger über ihren neuen Roman Das Sternenboot
In Ihrem neuen Roman kehren Sie zurück nach Sizilien und erzählen die Geschichte von Nico und
Stella, die in einem kleinen Fischerdorf leben. Gibt es Bellaforte wirklich?
Nein, um mehr Freiheiten zu haben, habe ich Bellaforte erfunden. Die Stadt hat aber viel Ähnlichkeit
mit dem echten Bagheria, das ich gut kenne und das auch schon in meinem Roman Das Limonenhaus
eine große Rolle spielt. Für Marinea stand das Fischerdörfchen Aspra Pate, in dem die Zeit
anscheinend stehen geblieben ist. Dort habe ich mit älteren Menschen über das Leben in den 50erund 60er-Jahren gesprochen, und auch mein Besuch in dem kleinen, skurrilen Sardinen-Museum hat
mich in vergangene Zeiten katapultiert.
Wie schon so manches Mal geht Ihr Roman auf eine wahre Geschichte zurück. Verraten Sie uns
etwas über Fiktion und Wirklichkeit?
Wenn ich nach Sizilien fahre, höre ich immer wieder die erstaunlichsten Geschichten, auch wenn ich
nicht bewusst nach ihnen suche. In diesem Fall entdeckte ich zunächst ein besonderes Grabmal.
Neugierig geworden traf ich Erben, Ex-Verlobte, Freunde und Cousins der verstorbenen Frau. Doch
die Wahrheit über ihr Leben war zu traurig, um sie ohne Ausschmückungen zu erzählen. Darum habe
ich eine andere wahre Lebensgeschichte leicht abgeändert und mit der ersten Geschichte vom
Grabmal verwoben. Ergebnis: Zweimal gelebtes Leben und eine Prise Fantasie ergibt die schönste
Fiktion.
Nico und Stella wachsen in ganz unterschiedlichen Familien auf und dürften eigentlich gar nicht
befreundet sein – warum nicht?
Damals stellten die unterschiedlichen sozialen Schichten, aus denen Nico und Stella in meiner
Geschichte kommen, eine fast unüberwindliche Schranke dar. Teilweise ist das heute noch so. Eine
adlige Familie fühlte sich immer der Oberschicht zugehörig, auch wenn sie, wie Stellas Familie, völlig
verarmt war und sich kein vernünftiges Essen mehr leisten konnte. Die Nichtadligen waren
Angestellte und/oder Untergebene. Gleichberechtigte Freundschaften oder gar Liebesbeziehungen
waren sehr selten, wurden nicht gern gesehen und darum auch schon im Anfangsstadium
unterbunden.
Warum hat Stella es in ihrer Familie so besonders schwer, anerkannt zu werden? Ist das typisch für
Italien?
Die meisten Familien lieben ihre Kinder, das ist auch in Italien so. Doch manchmal fällt einem Kind die
Rolle des Außenseiters zu, die des Aschenputtels ... Stellas Eltern liebten sich nicht, doch wünschten
sich beide inständig einen Jungen. Stella war als dritte Tochter eine Enttäuschung für ihren Vater und
ein Störfaktor für ihre Mutter. Die Sitte, Kinder (meistens waren es Töchter) in eine andere Familie zu
geben, nämlich in die der Großeltern oder zu Verwandten, war in Sizilien lange Zeit gebräuchlich.
Manchmal aus wirtschaftlichen Gründen oder reiner Bequemlichkeit, aus Mitleid mit der kinderlosen
Schwester oder, wie bei Stella, aus Lieblosigkeit.
Wenn man den letzten Satz dieses wundervollen Romans gelesen hat, kann man nicht glauben,
dass die Geschichte wirklich zu Ende ist. Verraten Sie uns, ob Sie eine Fortsetzung planen?
Ja, ich arbeite am zweiten Teil und kann schon eines verraten: Es wird sehr traurig, es wird sehr
schön!
© Diana Verlag