Ecken, Winkel, Bogenformen

Kultur.
| Samstag, 9. Mai 2015 | Seite 25
Ein Zentrum der
Weltgesundheit
Basler sollen in Genf bauen
Basel. Der Wettbewerb für die Erweite­
Jenseits der rechteckigen Bildform. «Lake City» , «Ifafa II» (beide 1964) und «Damascus Gate, Variation 1» (1970) von Frank Stella.
Ecken, Winkel, Bogenformen
Foto Julian Salinas © Kunstmuseum Basel / Pro Litteris
rung der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) in Genf ist entschieden. Das
Projekt «Yin Yang» von Berrel Berrel
Kräutler Architekten aus Basel/Zürich
konnte sich im offenen, zweistufigen
Wettbewerb gegen 250 Konkurrenten
durchsetzen. Der Neubau wird die
Architekturikone von Jean Tschumi aus
dem Jahr 1966 erweitern. Geplanter
Baubeginn ist 2017, die geplante Fertig­
stellung 2019, die voraussichtlichen
Baukosten werden mit 140 Millionen
Franken beziffert.
Berrel Berrel Kräutler Architekten
haben sich nach eigener Aussage in ers­
ter Linie auf organisatorisch komplexe
und grossmassstäbliche Bauten von
städtebaulicher und architektonischer
Relevanz spezialisiert. Zu den Bauher­
ren gehören neben Bund, Kantonen
und Gemeinden weitere renommierte
Organisationen wie die WHO. Das
Architekturbüro zählt rund 30 Mitar­
beiter an den beiden Standorten in
Basel und Zürich. Die Bauten von Berrel
Berrel Kräutler Architekten wurden
mehrfach ausgezeichnet. bli
Frank Stella fühlt im Museum für Gegenwartskunst der Bildkonvention auf den Zahn
Von Christoph Heim
Fisch oder Vogel? Gemälde oder
Objekt? Frank Stella hat mit seinen
Werken schon ganz früh in seiner Kar­
riere die Bildkonventionen infrage
gestellt. Mit knapp 23 Jahren war er der
Shooting Star der Kunstszene New
Yorks. Seine sogenannten Black Pain­
tings, die im Dezember 1959 vom
Museum of Modern Art ausgestellt wur­
den, machten Furore. Black Paintings,
das sind Streifenbilder, die mit dem
abstrakten Expressionismus brachen,
der damals in der amerikanischen
Kunstwelt den Ton angab. Der junge
Stella war von Anfang an rationaler und
kontrollierter in seiner Malerei als etwa
Jackson Pollock, Willem de Kooning
oder Cy Twombly, die in ihren Bildern
immer grossen Wert auf Spontaneität
und malerischen Gestus legten.
Das Kunstmuseum Basel zeigt die­
sen Sommer seine exquisite Sammlung
von Bildern Frank Stellas, die auf Initia­
tive der ehemaligen Museumsdirekto­
ren Franz Meyer und Christian Geel­
haar zusammen gekommen ist. Im gros­
sen, lichten Raum im Erdgeschoss des
Museums für Gegenwartskunst (MGK)
ist eine exemplarische Gemäldeserie zu
sehen, die der Entwicklung des frühen
Stella nachspürt. Im Altbau sind ergän­
zende Zeichnungen ausgestellt, von
denen das Kupferstichkabinett die welt­
weit umfassendste Sammlung besitzt:
Es sind Skizzen, Vorstufen, Entwürfe zu
den malerischen Grossformaten.
Figur und Grund
Die Abfolge von sechs grossformati­
gen Gemälden macht deutlich, dass
Stellas erste malerische Gehversuche
noch ganz in der Tradition eines Jasper
Johns erfolgten und dessen Flaggenbil­
der, wenn auch weniger bunt, kopier­
ten. Mit den Black Paintings ging diese
Buntheit verloren. Das Basler Kunst­
museum besitzt das erste Bild von Stel­
las Black­Paintings­Serie. Das Gemälde
mit dem Titel «Morro Castle» besteht
aus zwei halben, konzentrisch angeord­
neten schwarzen Quadraten, die sich in
der Mitte des Bildes treffen. Stella hat
sie mit einem sieben Zentimeter breiten
Pinsel auf die Leinwand aufgetragen.
Zwischen den Pinselstrichen schimmert
das Rot der Grundierung durch, was
eine lebendige, changierende Oberflä­
che ergibt. So wechselt das Bild andau­
ernd zwischen Figur und Grund: Ein­
mal sind es die dunkelroten Linien, die
sich vor einem schwarzen Hintergrund
abheben, dann wieder sind es die
schwarzen Streifen, die sich in den Vor­
dergrund schieben.
Während seine frühen Werke noch
stark von einem malerischen Pinselduk­
tus charakterisiert sind, gewissermas­
sen vom Handwerk des Flachmalers
profitierten, mit dem Stella sich damals
seinen Lebensunterhalt verdiente, so
wird das Lineal in seinen Bildern immer
wichtiger und der Farbauftrag immer
perfekter. Stella experimentiert in den
Sechzigerjahren mit den Formen des
Bildes, das in «Lake City (second ver­
sion)» (1963/1964) die Gestalt eines U
annimmt und in «Ifafa II» (1964) aus
zusammengerückten V­Formen besteht.
Freie Bildformen
Mit diesen «Shaped Canvases», die
das überkommene rechteckige Format
ad acta legen, stösst Stella eine Debatte
darüber an, ob es sich bei seinen Wer­
ken, die ganz auf Fläche und ohne jegli­
che Bildillusion gemalt sind, nun um
Gemälde oder Dinge handle. Für das
Objekthafte dieser Bilder spricht jeden­
falls, dass sie eine beträchtliche Dicke
aufweisen und auf richtig massiven
Leinwandträgern aufgezogen sind. Aus­
serdem öffnet die freie Bildform den
Bildraum und aus «Ifafa II» beispiels­
weise wird ein zeichenhaftes Objekt auf
einer Wand, die nun den Bilderrahmen
abgibt.
Noch weiter geht das monumentale,
über zwölf Meter breite «Damascus
Gate, Variation 1», das wie alle Bilder
Stellas mit einem kryptischen Titel auf­
wartet, der das Antiillusionistische die­
ser Malerei auf seltsame Weise konter­
kariert. Anstelle der rechten und spit­
zen Winkel der früheren Bilder treten
hier Bögen, grellbunte Kreissegmente,
die durch weisse Linien voneinander
abgesetzt sind und eine Art Geflecht bil­
den. Das prachtvolle Bild, an dem man
sich kaum sattsehen kann, überrascht
bei genauerem Hinsehen dadurch, dass
die Bogenformen geringe Unregelmäs­
sigkeiten aufweisen und sich verbrei­
tern und verjüngen. Das Meisterwerk
wird, wie Direktor Bernhard Mendes
Bürgi an der Pressekonferenz gestern
sagte, zum letzten Mal im MGK gezeigt
und nächstes Jahr im Verbindungstrakt
von Kunstmuseum und Erweiterungs­
bau seinen Platz einnehmen.
Frank Stella – Malerei & Zeichnung,
Museum für Gegenwartskunst,
bis 30. August.
«Der Vater fehlt. Fehlt er? Das ist ein Fehler»
Wolfgang Höll nimmt mit dem Stück «Vom Verschwinden vom Vater» Abschied
Von Nadine A. Brügger
Basel. Der Blick auf die Bühne ist
schwammig – wie die Erinnerung an
einen Traum. Ist es Rauch? Oder doch
nur ein Netz, dass sich wie der wache
Alltag vor das Traumbild schiebt? Das
Licht wird klarer, unter Schreibtisch­
lampen und Schreibmaschinengeklap­
per sind drei Menschen zu erkennen.
Sie denken und tippen, erinnern und
optimieren verbal, was nicht vergessen
werden darf: der Vater.
Wolfgang Hölls «Vom Verschwinden
vom Vater» ist kein Traum. Auch wenn
der Autor sich das manchmal vielleicht
gewünscht hätte. Wenig dramatisch,
dafür sehr lyrisch erzählt er vom Vater,
seinem Vater, und dessen Verschwin­
den: Alles begann ganz alltäglich, mit
einem Telefonanruf. «Er hat Gallenbla­
senkrebs. Ich hab das gegoogelt, da
kann man nicht mehr viel machen»,
sagt die Mutter von weit her durch die
Leitung. Von jetzt an wird der Vater
immer kleiner. Er nimmt ab, fällt in sich
zusammen – verschwindet erst ein biss­
chen und dann ganz unter die Erde.
Ein Erinnerungsmosaik
Höll rekapituliert Momente mit und
über den Vater. Kindheitserinnerungen,
eine Autoreise, die Mutter, die lieber
Getränke anbietet, als ein Gespräch
über das nahe Ende ihres Mannes zu
führen. Er stellt sich Fragen an das
Leben und das Erinnern. Was bleibt und
warum etwas anderes nicht? Wie geht
man mit einem Menschen um, von dem
man weiss, dass man ihn verliert?
Während die Mutter in der Erinne­
rungswelt des Sohnes ihren eigenen
Raum bekommt, bleibt der Vater Pro­
jektionsfläche. Geistgleich ist er da und
ist es doch nicht. Seine Präsenz gleitet
in weisse Laken gehüllt als Spitalbett
von der Decke und vermischt sich im
Spiel der drei Darsteller mit den
Gefühlswelten seiner Familie. Denn in
jeder einzelnen ist er präsenter als in
der Realität. Aber in jeder etwas anders.
Die Stärke von Hölls Gedicht in Büh­
nenformat ist seine Ruhe. Geschrien
und getobt wird selten. Dafür in sanften
Übergängen gezeigt, was passiert, im
Kopf und in der Familie, wenn nur die
Erinnerung bleibt. Scheinbar schran­
kenlos gleiten Ariane Andereggen,
Andrea Bettini und Claudia Jahn von
einer Rolle in die nächste. Sind mal
Vater, dann wieder Mutter, Partnerin
und Sohn. In der Rolle des Sohnes erin­
nern sie den Vater, erzählen gleichsam
aber auch von ihm, dem Sohn. Denn
auch er ist für seinen Sohn der Vater.
Geschickte
Wortkompositionen
schichten die Gefühle des Sohnes zu
etwas auf, das wir verstehen können:
«Der Vater fehlt. Er fehlt. Fehlt er? Das
ist ein Fehler.» Fliessend schlüpfen die
drei nicht nur in verschiedene Rollen,
sondern auch in verschiedene Stadien:
Schock und Verleugnung, Ablenkung
und Beschäftigung. Dann Verzweiflung.
Wie die Gefühle im Menschen wirbeln
sie in den verschiedenen Zuständen
gleichzeitig über die Bühne.
Die springende Uhr
Über allem tickt eine Elektro­Uhr.
Mal ist 1999, dann 20 und bald 17.23
Uhr. Die Zeit springt, wie die Erinne­
rung auch und so endet das Stück nicht
mit dem Tod, sondern mit der intakten
Familie. Sie sitzt auf dem Sofa, der Vater
döst. Wir beobachten die Szenerie
durch den Fernsehbildschirm, der vor
der Bühne aufgespannt wird und über
den ein alter Film zittert. Der Blick auf
die Bühne wird schwammig. Das pflau­
menfarbene Sofa könnte pink sein.
War es das? Es passiert mit dem
Bühnenbild, was uns allen mit unserer
Erinnerung passiert. Sie verwirbeln ein
wenig. Und das ist gut.
Schmerzlich vermisst. Im Drama von Wolfram Höll geht es um den Abschied
von einem Todgeweihten – hier Andrea Bettini und Claudia Jahn. Foto Judith Schlosser
Theater Basel, Schauspielhaus. Nächste
Aufführungen 11., 12., 29. Mai 2015.
www.theater-basel.ch
Heller Hof. Der geplante Neubau in
Genf treibt ein Spiel mit Licht, Luft und
Pflanzen. Visualisierung Berrel Berrel Kräutler
Nachrichten
Schweizer Pavillon in
Venedig feierlich eröffnet
Venedig. Einen Tag vor der offiziellen
Eröffnung der 56. Kunstbiennale in
Venedig stellten sich am Freitag die
letzten Länder mit ihren nationalen
Kunstschauen vor, darunter auch die
Schweiz. Der von Pamela Rosenkranz
bespielte Pavillon wurde von Bundesrat Alain Berset eingeweiht. Die Kunstschau dauert bis 22. November. SDA
Dirigent Mariss Jansons
verlängert in München
München. Der lettische Dirigent
Mariss Jansons (72) verlängert seinen
Vertrag mit Chor und Symphonie­
orchester des Bayerischen Rundfunks
bis 2021. Unter seiner künstlerischen
Leitung hat sich die Zahl der Abonnenten fast verdreifacht. Jansons wurde
auch als neuer Chefdirigent der Berliner Philharmoniker gehandelt. Die Wahl
findet am Montag statt. SDA
Die Wohnung von Astrid
Lindgren wird Museum
Stockholm. Die Stockholmer Wohnung der schwedischen Schriftstellerin
Astrid Lindgren soll noch in diesem
Jahr als Museum öffnen. Kleine Gruppen sollen künftig in geführten Touren
das Apartment im Vasa­Viertel besichtigen können, in dem die Schwedin
über 60 Jahre lebte. SDA
Streaming-Angebot aus
europäischen Theatern
Madrid. Opernhäuser aus ganz Europa
wollen einige ihrer Produktionen kostenlos ins Netz stellen. Zum Start der
«Opera Platform» zeigte gestern Freitag das Teatro Real in Madrid live Verdis «La Traviata». 15 Opernhäuser
sowie der Fernseh­Kulturkanal Arte
sind an dem Projekt beteiligt. Die
Schweiz ist vorerst nicht dabei. SDA