Predigt zu 2. Kor 5,19-20 an Karfreitag 2016

Wie da, wo etwas tot und still war, wieder Leben
Predigt zu 2. Kor 5,19-20 an
einkehrt.
Karfreitag 2016
Gerade in der Lesung (Joh 19) haben wir nicht vom
Von Johannes Brakensiek
Leben, sondern vom Tod gehört. Vom Tod Jesu Christi
„Wie ein Fest nach langer Trauer,
am Kreuz. Am Karfreitag geht es darum, dass Jesus
durch seinen Tod Gott und Menschen miteinander
wie ein Feuer in der Nacht,
ein offnes Tor in einer Mauer,
versöhnt hat. Der Apostel Paulus verstand sich als
Botschafter dieser Versöhnung. An diese Botschaft
für die Sonne aufgemacht.
Wie ein Brief nach langem Schweigen,
möchte er die Gemeinde in Korinth erinnern. Ich lese
aus 2. Kor. 5, 19.20 (BasisBibel):
wie ein unverhoffter Gruß,
wie ein Blatt an toten Zweigen,
ein Ich-mag-dich-trotzdem-Kuss,
so ist Versöhnung. So ist Vergeben und Verzeihn.“
19 Ja, in Christus war Gott selbst am Werk, um die
Vielleicht kennen Sie das Lied. Vielleicht konnten Sie
Wort anvertraut, das Versöhnung schenkt.
20 Wir treten also anstelle von Christus auf. Es ist, als
Welt mit sich zu versöhnen. Er hat den Menschen ihre
Verfehlungen nicht angerechnet. Und uns hat er sein
es innerlich mitsprechen. So dichtet der christliche
Liedermacher Jürgen Werth. Er beschreibt
ob Gott selbst die Menschen durch uns einlädt. So
bitten wir anstelle von Christus: Lasst euch mit Gott
Versöhnung. Er beschreibt, wie belebend, wie
beglückend es ist, wenn zerstrittene Menschen sich
versöhnen!
wieder versöhnen. Wie sehr Vergeben und Verzeihen
überhaupt Erleben und Leben wieder möglich macht.
Zwei Fragen möchte ich in Bezug auf diesen Text
etwas ausführen: 1. Warum lädt Paulus uns zur
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Versöhnung mit Gott ein? Und 2. Wie kann ich mir
die Zwillingsbrüder wiedersehen. [<>] Die Eltern
diese Versöhnung an Karfreitag vorstellen?
sterben. Aber eines Tages kehrt Jakob auf Gottes
Geheiß in seine Heimat zurück. Er weiß um seine
1. Warum lädt Paulus uns zur Versöhnung mit
Schuld.“1 Er fürchtet die Rache Esaus immer noch.
Gott ein?
Doch als Esau ihn kommen sieht, läuft er ihm
„Lasst euch mit Gott versöhnen“? Dass es gut ist,
wenn Menschen sich versöhnen, wenn wir versöhnt
entgegen, fällt ihm um den Hals und küsst ihn und sie
weinen. (Gen 33,3-4) Sie weinen vor Glück. Vor Freude
leben, das ist selbstverständlich. Ich denke, es ist auch
klar, dass wir Versöhnung an ganz vielen Stellen
darüber, dass sie wieder zusammen gefunden haben.
Später wird Jakob zu dieser Begegnung sagen:2 „Ich
brauchen. Wenn wir in die Weltgeschichte schauen,
wenn wir die Nachrichten über die Anschläge in
sah dein Angesicht, als sähe ich Gottes Angesicht.“
Brüssel sehen und hören, dann ist schnell klar, warum
wir ein versöhntes und versöhnliches Miteinander
Jakob scheint hier zu wissen, dass in der
Vergebungsbereitschaft seines Bruders etwas
brauchen. Aber Gott? Was hat Gott damit zu tun,
warum sollten wir uns mit Gott versöhnen lassen?
Göttliches durchscheint. Dass diese brüderliche
Versöhnung im Interesse und im Willen Gottes liegt.
Ich finde, bei der folgenden Erzählung scheint durch,
Und dass umgekehrt jeder Streit, jede Entzweiung,
jede Feindschaft gegen das ist, was Gott mit den
was Gott mit unserem Streit und Vergeben zu hat:
Da betrügt ein Mensch seinen Bruder um sein Erbe.
Menschen und der Welt geplant hat. Jakob wusste
wohl, dass Gott als Schöpfer der Welt an ihren
Und das auch noch mit Unterstützung der Mutter.
Esau will sich rächen und den Betrüger Jakob
Beziehungen teilhat, dass wir alle in Beziehung zu ihm
stehen. Und dass mancher Streit, manches Unglück
umbringen. Doch „Jakob flieht vor der Rache des
Bruders. […] Jahre werden ins Land gehen, ehe sich
Manterfeld-Wormit, Barbara: So ist Versöhnung…? Vom 26.5.2013. URL:
http://www.deutschlandradiokultur.de/so-ist-versoehnung.1124.de.html?
dram:article_id=247602 [abgerufen am 23.3.2016].
2 Vgl. ebd.
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ihn stärker betreffen als uns, ihn überhaupt stärker
Wenn Paulus uns einlädt: „Lasst euch mit Gott
treffen als wir uns das vorstellen können.
versöhnen!“ Dann meint er nicht, dass wir uns mit
Gott versöhnen sollen, dass wir auf Gott zugehen
Und vielleicht wusste schon Jakob, dass wir an vielen
sollen. Das wäre etwas, was im Hinblick auf Gott
Stellen Gottes Hilfe brauchen, wenn es um
sicher noch viel schwerer wäre als bei Familie und
Versöhnung geht. So wichtig es für uns ist, friedlich
miteinander zu leben, so schwierig ist es ja auch. Da
Freunden. Nein, er sagt, in Christus war Gott selbst am
Werk! Als Jesus starb, da war Gott selbst aktiv und hat
brauchen wir gar nicht auf die Krisenherde und den
Terror auf unserem Globus zu schauen. Vermutlich
euch mit Gott versöhnt.
gibt es in fast jeder Familie diesen Fall: Da gibt es den
Onkel, der zu keiner Feier eingeladen wird. Die
In manchen Richtungen der Theologie wurde Jesus so
sehr von Gott getrennt, dass Menschen das nicht
Schwester, die zwar existiert, aber zu der keiner
Kontakt hat. Den Vater, der die Familie vor langer Zeit
mehr denken konnten. Da ist Jesus so sehr ein
normaler Mensch und so weit von Gott entfernt, dass
verlassen und sich nie wieder gemeldet hat. Vielleicht
wird darüber nicht mehr gesprochen, aber die
Gott in dem Menschen Jesus gar nicht mehr handeln
kann. Durch diese denkerische Voraussetzung wird
meisten wissen – da ist irgendwann etwas geschehen,
das bleibend zwischen den Menschen steht. Was nicht
Gott dann automatisch zu dem bösen Henker, der das
Opfer Jesu am Kreuz fordert, damit er den Menschen
ausgesöhnt wurde und offenbar von niemandem so
einfach ausgesöhnt werden kann. Auf einander
vergeben kann. Paulus und auch die Evangelisten
haben das anders gedacht: Sie haben Jesus und Gott so
zugehen und vergeben: Das kann eine sehr schwierige
Sache sein.
nah zusammen gedacht und gesehen, dass Gott selbst
sich durch Jesus Christus sich mit uns versöhnt. Dass
er selbst aus Liebe die Versöhnung schafft, die uns oft
so schwer fällt.
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2. Wie kann ich mir diese Versöhnung an
unsere Entschuldigung ausschlägt. Dass wir bereit
Karfreitag vorstellen?
Für mich wird der Tod Jesu ein stückweit
sind, zuerst zu verzeihen und zu vergessen.
verständlich, wenn ich mir klar mache, dass Gott hier
Mahatma Gandhi meinte: »Der Schwache kann nicht
handelt. Es bleibt für mich manches schwierig zu
verzeihen. Verzeihen ist eine Eigenschaft des
verstehen. Aber diese Sichtweise hilft mir, in dem
Geschehen am Kreuz etwas Bedeutsames zu sehen.
Starken.«3 Wie viel menschliche Größe erforderlich
ist, um gelassen mit Niederlagen, Fehlverhalten und
Wenn Gott an Karfreitag selbst für uns gehandelt hat,
dann entdecke ich da eine Figur oder eine Bewegung.
Verletzungen umzugehen, davon zeugt auch ein
Brunnen vor der Basilika St. Castor in der Nähe des
So etwas wie ein Modell, das für jede Versöhnung
grundlegend ist: Nämlich, dass ein Starker oder eine
Deutschen Ecks in Koblenz. Dieser Brunnen wurde
„anlässlich des Einzugs der napoleonischen Truppen
Starke auf einen anderen zugeht und bereit ist,
schwach zu werden. So wie beim Tod Jesu der große
in Moskau vom damaligen Präfekten der
französischen Besatzungstruppen errichtet.“ In der
Gott ein schwacher, sterblicher Mensch wurde. So
funktioniert Versöhnung. Sie funktioniert nur, wenn
Inschrift weist der Präfekt stolz „auf die Glorie
Frankreichs hin, was dem Brunnen natürlich sowohl
wir bereit sind uns gegenüber zu treten und auf
unseren Stolz verzichten. Wenn wir sagen können:
den Charakter des Triumphes als auch der
Demütigung seiner Feinde verleiht. Womit der eitle
„Da ist etwas schief gelaufen und ich hatte vielleicht
meinen Anteil daran.“ Wenn wir zugeben können,
Präfekt nicht rechnen konnte, war die Tatsache, dass
bereits kurze Zeit später ein russischer General mit
dass wir an jemand anderem schuldig geworden sind
und dass wir uns entschuldigen wollen. Wenn wir
seinen Truppen in Koblenz einmarschieren würde,
nachdem die Franzosen einen schmachvollen Rückzug
offen auf die Antwort des oder der anderen warten
und dabei auch riskieren, dass der- oder diejenige
3 Vgl. ebd.
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hatten antreten müssen. Dieser General sah das
eine persönliche Infragestellung an mich, die
historische Momento und seine Inschrift.
Doch anstatt den Brunnen niederzureißen oder seine
manchmal nur schwer auszuhalten ist.
Gravuren zu entfernen, ergänzte er sie um die kurze
Umso wichtiger und umso größer ist, dass ich und
Bemerkung: ‚Von uns gesehen und genehmigt.
dass wir diese Infragestellung – im übertragenen
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Koblenz, am 1. Januar 1814.‘“
Sinne – auch nicht länger aushalten müssen als diese
drei Tage von Karfreitag bis Ostern. Dass das Kreuz als
Was Karfreitag für mich und vielleicht für manche
unter uns zu so einem schwierigen Feiertag macht, ist,
Mahnmal einer Größe, die mich in Frage stellt,
spätestens Ostern dann auch zu einem Zeichen dafür
dass mir klar wird, dass so eigentlich echte Größe
aussieht. So wie dieser russische General menschliche
wird, dass ich diese Größe nicht aufbringen muss. Das
es eben Gott ist, der diese Größe aufbringt und zwar
Größe gezeigt hat und noch vielmehr wie Gott in Jesus
Christus seine Größe zeigt: Dass das eine Größe ist, die
für mich und an meiner Stelle.
ich oft nicht habe. Und dass das mich in Frage stellt
und kritisiert. Mir wird an diesem Beispiel deutlich,
Wenn ich den Kreuzestod so sehe, wie der Apostel
Paulus ihn sieht, dann entdecke ich in Jesus Christus
dass ich oft selbst zu stolz bin, mein Versagen
einzugestehen. Dass ich oft zu feige bin, auf andere
die unglaubliche Größe Gottes. Die Größe eines Gottes,
der zu mir und an meiner Stelle sagt: „Ich habe deinen
zuzugehen. Dass ich glaube, ich wäre auf keine Hilfe
angewiesen. Oder ich könnte mein Leben, meine
Stolz, dein Unrecht und deine Unfähigkeit zur
Vergebung gesehen.“– „Gesehen und genehmigt,
Familie und meinen Beruf – und am besten alles
gleichzeitig – auf die Reihe kriegen, ohne dass ich
Golgatha, Karfreitag, ungefähr im Jahr 30.“
oder andere dafür auch Opfer bringen müssten. Das ist
Da kann ich dann einen Feiertag wie Karfreitag
begehen, weil in diesem „Wort von der Versöhnung“,
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Michael Stollwerk: Gesponsorte Stille. 366 Impulse für jeden Tag des Jahres. Gießen
2004, 213.
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wie es Paulus nennt, schon Ostern mit drin steckt.
Karfreitag an sich zu feiern wäre ja auch makaber.
Genauso, wie es makaber wäre, eine Beerdigung zu
feiern, wenn wir dort Tod und Trauer feiern würden.
Und feiern würden, dass unser Leben durch den Tod
in Frage gestellt wird. Ich denke, es ist gut, dass wir in
dem gewissen Glauben feiern, dass es ein „Wort der
Versöhnung“ gibt. Ein Wort des Lebens.
Oder, um dieses Wort „Versöhnung“ noch einmal mit
Jürgen Werth zu beschreiben:
„Wie ein Wort von toten Lippen, wie ein Blick, der
Hoffnung weckt,
wie ein Licht auf steilen Klippen, wie ein Erdteil, neu
entdeckt.
Wie der Frühling, wie der Morgen, wie ein Lied, wie
ein Gedicht,
wie das Leben, wie die Liebe, wie Gott selbst, das
wahre Licht.
So ist Versöhnung.“
Amen.
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