Ansehen - Berliner Dom

Oberpfarr - und Domkirche zu Berlin
Domprediger Thomas C. Müller
Karfreitag, 25. März 2016, 10 Uhr
Predigt über 2. Korinther 5,19-21
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus.
Der Predigttext für den Karfreitag steht im 2. Brief des Paulus an die Korinther, im 5. Kapitel, die Verse
19-21.
„Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und
hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott
ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! 21Denn er hat den, der von
keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.“
Liebe Gemeinde,
ein Längs- und ein Querbalken, daran ein Mensch, zu Tode gefoltert. Kreuzigung ist keine Todesstrafe.
Es ist eine Demonstration: „Du sollst sein Leiden sehen. Du sollst sehen, was wir machen können mit
Menschen. Wie wir sie brechen können, ihre Knochen, ihr Angesicht, ihre Würde.“
Bomben explodieren. Menschen sterben. Eine mörderische Demonstration der Unversöhnlichkeit. Die
Bomben schreien uns an: „Fürchtet euch! Seht, was wir machen können. Wie wir euch brechen können,
eure Art zu leben.“
Die gewaltgewordene Unversöhnlichkeit zieht in unseren Tagen ihre Blutspur durch ganze Länder und
Städte. In Syrien, in der Türkei, in Brüssel. Sie zieht ihre Spur immer mehr auch durch die Köpfe der
Menschen. Mit jeder Bombe wird neue Unversöhnlichkeit geboren, mit jedem Anschlag der Hass.
Vergeltungsgedanken kommen uns gefährlich nahe. Auch die Sprache bekommt einen immer
unversöhnlicheren Tonfall. Schluss mit dem ganzen sentimentalen Gutmenschentum. Endlich ist die
klare Kante wieder erlaubt. Man darf es wieder sagen. Es gibt wieder „Volksverräter“. Es gibt wieder
Menschen, die „Dreck“ sind. Selbst das Kreuz wird eine Waffe im Kampf, auf Demonstrationen in
Stellung gebracht gegen alles Fremde, ein schwarz-rot-goldenes Zeichen der Unversöhnlichkeit.
Mit diesen Bildern vor Augen höre ich die Worte des Paulus.
„Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber.“
Ich blicke auf das Kreuz und versuche das zusammenzubekommen. Dieses Kreuz und das Wort von der
Versöhnung. Es geht doch eigentlich nicht zusammen. Man kann sich doch nicht versöhnen mit dieser
Welt, in der die Kreuze stehen und die Bomben explodieren oder Flüchtlingsheime angezündet werden.
Man muss doch dagegen angehen. Der Krieg ist kein Naturgesetz. Die täglichen Opfer sind keine
Naturnotwendigkeit. Es ist keine Bürgerpflicht, Fremde zu drangsalieren. Es wäre möglich, ein
wirtschaftliches System zu schaffen, in dem in den armen Ländern Menschen von ihrer Arbeit leben
könnten. Es ist nicht alternativlos, dass wir diesen Planeten bis über die Grenze hinaus strapazieren.
Wenn das Kreuz uns irgendetwas sagt, dann doch als erstes dies: „Du darfst dich mit dieser Welt, so wie
sie ist, nicht versöhnen!“
Es ist das erste Wort, das wir hören. Aber es kann nicht das letzte sein. Denn wenn ich auf das Kreuz
blicke, dann sehe ich den Gekreuzigten. Jesus hat sein Leben lang für die Gerechtigkeit gelebt. Er hat
den Menschen und die Menschlichkeit zum Maßstab des Glaubens gemacht, und damit Gott die Ehre
gegeben. Er hat den Menschen nicht gesagt: „Fügt euch in euer Schicksal!“, sondern er hat geheilt,
aufgerichtet, von bösen Geistern befreit, das Vertrauen gelehrt mit dem man Berge versetzen kann.
Aber als es soweit war, als er nach Jerusalem kam und er erkannte, dass kein Weg an seinem Weg
vorbeiging, da ist er nicht ausgewichen, sondern hat sein Kreuz auf sich genommen. In der Welt haben
wir nicht alles in der Hand. Wir haben unsere Grenzen. Es gibt Dinge, die können wir nicht ändern. Ich
kann nicht jeden Tag alle retten. Unser Tun, auch das beste Tun, erlöst die Welt nicht. Und jeder von
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uns muss Dinge erleiden. Wir erleben Unrecht, Krankheit und Schicksal das wir nur bewältigen können,
wenn wir uns nicht vor Bitterkeit zerfressen lassen.
Es ist gut zu merken, wann der Punkt gekommen ist, an dem wir aufhören müssen, innerlich zu
rebellieren. Es ist eine Erfahrung, dass die Last leichter wird, wenn wir sie bewusst annehmen. Wenn
wir uns versöhnen mit dem, was ist. Manchmal geschieht dann gerade in den schweren Augenblicken so
etwas wie Versöhnung. Versöhnung mit sich selbst und dem eigenen Weg, der anders ist, als ich dachte
und erhoffte; Versöhnung mit anderen, Versöhnung zwischen denen, die einander fremd wurden.
Da muss ein Mensch sterben. Wochen der Trauer, des Abschieds, der Tränen. Auch über Versäumtes,
Misslungenes. Aber inmitten all dessen auch Intensität der Begegnung, tiefe Gemeinschaft, die
Erfahrung einer Verbindung, die stärker ist als das, was trennt. Gott ist gerade dort. Dort, wo es schwer
ist.
Versöhne dich mit der Wirklichkeit und nimm dein Kreuz auf dich. Es ist der zweite Satz, den ich im
Angesicht des gekreuzigten Jesus höre. Aber auch er kann nicht der letzte sein. Denn auch er lässt uns
mit einer Spur der Traurigkeit zurück.
So schaue ich noch einmal auf das Kreuz und höre die Worte des Paulus: „Denn Gott war in Christus
und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns
aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“
Für den Apostel Paulus ist das das stärkste Wort, das von dem Kreuz ausgeht. Wenn er auf das Kreuz
schaute, dann sah er nicht nur auf die Welt, wie sie ist, voll Gewalt und Tod, sondern er erkannte Gott
selbst. „Gott war in Christus.“ Der da am Kreuz hängt, ist nicht nur das von Menschen gemacht Opfer,
sondern es ist der, der sich hingibt aus Liebe. Der erträgt, der erduldet, der erleidet. Gott selbst ist in
diesem Christus hier unter seinem Gegenteil versöhnend gegenwärtig.
Das Kreuz ist das Zeichen, mit dem Gott sagt: „Ich schlage nicht zurück. Auf eure Gewalt antworte ich
nicht mit Gewalt. Auf euren Verrat antworte ich nicht mit Verrat.“ Die Welt will ihren Gott nicht
anerkennen, aber Gott bombt sich nicht in die Welt hinein, sondern er liebt sich in sie hinein, indem er
sie erträgt. Das Kreuz bleibt dabei ein paradoxes Zeichen, weil es zusammenbringt, was eigentlich nicht
zusammenzudenken ist: Gott selbst richtete im Kreuz ein Zeichen der Versöhnung auf inmitten einer
Welt, mit der man sich nicht abfinden kann.
Das Kreuz zeigt uns, wie viel es Gott kostet, diese zwei Linien zusammenzubringen. „Gott war in
Christus, (…) er rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu.“ Das ist ein so leicht ausgesprochener Satz. Aber
in diesem Satz gähnt ein unendlicher Abgrund. Die Geschichte der Kriege, der Genozide, der
Vernichtungslager machen den gähnenden Abgrund in unseren Herzen offenbar. Er ist stets
gegenwärtig und lauert unter der schönen Oberfläche. Die Energie der menschlichen Unversöhnlichkeit
ist groß. Sie muss getilgt, sie muss aus der Welt geschaffen werden. Am Kreuz leitet Gott die
Zerstörungsenergie in sich selbst ab. So schafft er gerade auch da, wo er radikal abgelehnt wird, einen
Raum, in dem die Spannungen zur Ruhe kommen können und Frieden spürbar wird. Das Kreuz als
Ausdruck tiefster Unversöhnlichkeit wird zum Ort der Versöhnung.
Karfreitag ist ein stiller Tag. Aber es ist nicht einfach die Totenstille. Sondern es ist die Stille, die
eintritt, wenn der Streit beendet wird und die Welt wieder aufatmen kann. Das Kreuz ist die weiße
Flagge Gottes. Nur das sie keine Kapitulation anzeigt, sondern einen Sieg. Wir stehen täglich auf
unseren inneren und äußeren Schlachtfeldern, aber wir sind eingeladen auf das Kreuz schauen und in
das Kraftfeld seines Friedens einzutreten; mit unseren großen und kleinen Unversöhnlichkeiten,
unseren alltäglichen Kleinkriegen, unserem Hadern.
„So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an
Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“
Liebe Gemeinde,
es braucht Mut heute mit dieser Botschaft nach draußen zu gehen, so wir es gleich symbolisch tun
werden. Denn nicht wenige glauben ja, dass der Glaube an Gott das eigentliche Problem all der
gewaltsamen Auseinandersetzungen ist. Sie meinen, dass die Lösung darin besteht, den Glauben
möglichst zur Privatsache zu erklären und sie aus dem öffentlichen Leben herauszuhalten. Die
Versöhnungsbotschaft des Kreuzes aber hat einen öffentlichen Anspruch. Wir werden mit der Botschaft
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von der Versöhnung auch bezeugen müssen, dass die Unversöhnlichkeit, die über alle mit Händen zu
greifen ist, auch etwas mit der Verdrängung Gottes zu tun hat. In einer Welt, die von Gott geschaffen
wurde, in Menschen, die Gottes Geschöpfe sind, gibt es kein wirklich versöhntes Leben ohne Gott. An
dieser Stelle können wir nicht zurückweichen und uns in unsere Nische verkriechen. Wir werden diesen
öffentlichen Anspruch aber nur dann glaubwürdig vertreten können, wenn wir ausstrahlen, was wir
behaupten. Denn es ist damit zu rechnen, dass die Zeiten, in die wir hineingehen, immer
unversöhnlicher werden. Wofür werden wir stehen? Werden wir zu den Scharfmachern gehören?
Vielleicht mit dem Kreuz in der Hand? Oder sind wir Botschafter der Versöhnung Gottes, die selbst
versöhnend wirken.
Wir können aus dem einen Wort der Versöhnung, das Gott gesprochen hat, viele Worte der Versöhnung
sprechen. Ja, setze deine Grenze – das ist in Ordnung, dieses Recht hast du – aber tu es so, dass dein
Gegenüber immer die Hand findet, die zur Versöhnung bereit ist, wenn er bereit dazu wird. Ja, unsere
Worte sollen keine Probleme zudecken, sondern aufdecken, sollen nicht verschleiern, sondern
benennen, aber sie können dann so gesprochen werden, dass sie Menschen nicht demütigen und
beschämen. Eine Politik im Kraftfeld des Kreuzes kleistert keine Probleme zu, aber sie versöhnt und
spaltet nicht. Es ist pervers mit dem Kreuz, diesem heiligen von Gott geschenkten Zeichen seiner Liebe,
seiner Hingabe, seines Erduldens, seiner Versöhnung, Hass zu schüren.
Liebe Gemeinde, das Wort der Versöhnung ist unter uns ausgesprochen. Um uns herum werden viele
Menschen den Krieg weiter führen, aber Christen dürfen aus dem Wort der Versöhnung heraus leben.
Wir werden dazu viel singen, beten, lauschen müssen. Immer wieder und wieder. Denn auch in uns tobt
es noch. Auch in uns wirken noch die Reflexe der kleinen und großen Unversöhnlichkeiten und besitzen
Einfluss auf unser Denken, Reden, Handeln. Wir werden immer wieder die Stille des Kreuzes aufsuchen
müssen, und lange, vielleicht länger als bisher, darin verweilen müssen, damit sich unser Herz in uns
beruhigen kann und wir die Kraft finden, das Wort der Versöhnung zu sagen.
Noch hat dieses Wort die Gestalt des Kreuzes. Es braucht Menschen, die es tragen. Lass sie uns diese
Aufgabe annehmen. Wer Träger dieses Wortes der Versöhnung sein will, muss vielleicht bald auch
manches erdulden. Die schöne neue digitale Welt bietet eine ganz neue Qualität von Spott und Häme,
die über alle ausgegossen wird, die an mehr glauben als an Selbsterhaltung und das Gesetz des
Stärkeren. „Er nahm auf sich die Schuld, damit wir zu zur Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt“, sagt
Paulus. Dieser Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, sollen wir Ausdruck geben. Sie ist ein Vorschein auf ein
versöhntes Leben, das den Tod überwindet. Amen.
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