Predigt von Pfarrerin Ilka Sobottke

Predigt: Die Welt schreit nach Gottes
So sind wir nun Botschafter im Auftrag Jesu
Gerechtigkeit
Christi,
Ihr Lieben,
und bitten an Christi statt: Lasst euch versöhnen
Karfreitag heißt: wir werfen Gott vor die Füße
mit Gott! Gott hat ihn, an unserer Stelle zu
was uns quält: Den Schock und die Trauer über
einem sündigen Menschen gemacht, damit wir
die Opfer in Brüssel. Den Schmerz der Armen, die
in ihm die Gerechtigkeit würden.
von allem immer nur das Nötigste haben, keine
Heizung, keinen Strom, keine
Die Welt schreit nach Gottes Gerechtigkeit und
Krankenversicherung; mehr Scham als Würde!
Gott bittet uns durch Christus: „Lasst euch
Die Not der vielen, die auf der Straße leben hier
versöhnen!“ weil er weiß: Wir können die Welt
bei uns in diesem reichen Land! Das Leid der
nicht so ertragen, wie sie ist. Aber erträgt Gott sie
hungernden Mütter und Kinder auf der ganzen
denn noch? All die Gewalt, die absurde Lust am
Welt. Das Schreien und Weinen der
Töten und Sterben! Die Not, den Tod und den
vergewaltigten und gedemütigten
Schmerz? Hat Gott die Welt nicht geschaffen und
Frauen und Mädchen. Die Verzweiflung der
behauptet, alles sei gut? War das ein Fehlurteil?
Geflüchteten in den Lagern, in Idumeni, das
Täglich schreit es zum Himmel, wie ungerecht
Warten ohne Hoffnung vor den Zäunen, in den
diese Welt ist. Täglich neue Gewalt und Anschläge
Booten, Kinder in den Armen, den Tod vor Augen.
in Brüssel, Istanbul, Aleppo, Sanaa. Gott sitzt auf
Wir klagen vor Gott, klagen ihn an. Und Gott?
der Anklagebank und teilt den Schmerz. Sitzt da
Anders als alle Welt wiegelt nicht ab, schaut nicht
vor denen, die klagen. Gott ist kein Zuschauer.
weg und entzieht sich nicht. Gott liefert sich aus
Gott ist der Angeklagte in diesem Prozess.
in Jesus Christus, wehrlos, lässt sich binden, lässt
sich verleumden, beschimpfen, anschreien,
Aber dann wendet sich der Angeklagte plötzlich
bespucken und nimmt allen Schmerz und alle
um denen zu, die die Macht des Todes an sich
Schuld auf sich.
gerissen haben, den Mächtigen, die Bomben
Stirbt. Karfreitag und Gott stirbt!
werfen lassen auf Krankenhäuser, Menschen in
Schlangen vor Bäckereien, Schulen, Moscheen
Der Apostel Paulus sieht das so:
und Kirchen. Gott wendet sich um, denen zu, die
Die Liebe Christi hält uns zusammen, da wir
ihr Geld missbrauchen, um immer mehr
erkannt haben, Einer ist für alle gestorben. Gott
Wohlstand an sich zu reißen, während andere
versöhnt uns durch Christus und gibt uns die
verarmen. Gott wendet sich um denen zu, die
Aufgabe, die Versöhnung weiterzutragen. Ja
Waffen verkaufen und mit Lebensmitteln
Gott war es, der in Christus die Welt mit sich
spekulieren, die profitieren von der Gewalt und
versöhnte. …und hat unter uns aufgerichtet das
vom Hunger in unserer Welt. Gott wendet sich
Wort von der Versöhnung.
um, denen zu, die Menschen anbrüllen und
bedrohen. Und denen zu, die nichts wollen als
Ortswechsel: an den Tisch im Mittelgang
morden, Schmerzen zufügen und sich so mächtig
Gott ist kein Zuschauer und lässt uns nicht im
fühlen.
Zuschauen. Was aber sind Sie? Paradoxerweise
Der angeklagte Gott lässt sich von der Übermacht
geade heute: ein Zuschauer, eine Zuschauerin -
dieser Todesmaschinerie überrollen, wehrlos,
dennoch Opfer? Täter? Betroffen? Noch im
liefert sich aus, steht da für die vielen die nicht
Versuch sich zu entziehen? Oder längst ein
mehr aufrecht stehen, weil Gott ihren Schmerz
Akteur, jemand die oder der mitgestaltet, das
nicht erträgt.
Leben in unserer Gesellschaft, in diesem Land und
Stellt sich vor sie, steht in der ersten Reihe am
darüber hinaus.
Stacheldrahtzaun, lässt sich schlagen,
Wer sind Sie? Und wo stehen Sie in dieser
beschimpfen, vergewaltigen, schmähen. Gott
Szenerie zwischen Brüllern, Armen und Schlägern,
lässt sich anklagen und richten und hinrichten.
denen die sich selbst retten und jenen die sich
Gott geht in den Tod.
direkt unter das Kreuz stellen. Sohn? Mutter?
So sieht sie aus: Gottes Gerechtigkeit!
Gott geht nach unten, deshalb tun wir das hier
Gott geht ganz nach unten. Gott wendet sich
auch. Wir wollen keine Kirche für die Armen sein,
nicht von oben her zu. Gott geht mit, mitten
keine Kirche für die Geflüchteten. Wir gestalten
hinein in den Schmerz und reißt uns ebenso mit
das Leben in unserer Kirche mit den Armen, mit
hinein. Gottes Verhältnis zur Welt ist bestimmt
den Flüchtlingen.
durch den Schmerz seiner Liebe. Den Schmerz
am Tisch
Gottes bezeugt die Hinrichtung auf Golgatha,
Gott bittet uns: Lasst euch versöhnen, werdet
Gott ist kein Zuschauer.
Botschafter der Versöhnung für alle Welt!“
Und so sind auch die Zuschauer des
Versöhnung geschieht hier in dieser Kirche - wie
Todeskampfes Jesu nicht, was sie zu sein
an so vielen Orten - wenn Geflüchtete und andere
meinten: Zuschauer. Sie sind Betroffene,
Theater spielen miteinander oder zusammen
Beteiligte, Akteure. Die Anklage Gottes auf
kochen, wenn sie Musik machen und Kunst.
Golgatha zeigt: Den Zuschauer Gott gibt es
Wenn in der Zeit der Vesperkirche hunderte von
genauso wenig wie den Zuschauer Gottes. Der
Menschen zusammenkommen: Arbeitslose,
Tod Jesu erlaubt kein unbeteiligtes Zuschauen.
Wohnungslose, Kranke an Leib und Seele,
Wer dem Gekreuzigten begegnet, stirbt als
Rentnerinnen, Menschen, die die Kontrolle über
Zuschauer Gottes, um als Zeuge und Akteur
ihr Leben verloren haben und keine Ahnung, wie
aufzuerstehen.
sie Morgen aushalten sollen. Sitzen gemeinsam
an Tischen und werden bedient.
Da begegnen Menschen einander auf eine Weise,
die die Welt so nicht kennt: freundliche Manager,
hilfsbereite Rentnerinnen und engagierte
Jugendliche bedienen jeden Einzelnen, fragen
Wir feiern Versöhnung
was einer möchte und versuchen Sonderwünsche
Auch und gerade an diesem Tag.
zu erfüllen: fünf Löffel Zucker in den Kaffee und
vielleicht doch noch ein Stück Kuchen... Der
Werden wir so die Gerechtigkeit?
ehemalige Oberbürgermeister
und sind wir dann am Ende selbst Gerechte?
fragt nach, ob es geschmeckt hat und räumt ab.
Wer sich selbst gerecht sprechen würde,
Jeden Tag werden so hunderte satt – und viele
wäre doch nur selbstgerecht.
etwas glücklicher. Helfende ebenso, wie die die
Es geht gar nicht so sehr um unsere Gerechtigkeit.
Unterstützung finden.
Sondern um Gottes Gerechtigkeit!
An Weihnachten hat Mustafa Bedürftige bedient.
Es geht darum dass wir einen Auftrag haben:
Ein Bild der Versöhnung von oben und unten. Ein
Die Versöhnung aller Welt weiterzusagen!
Bild der Versöhnung derer, die draußen stehen
Die Versöhnung durch Gott gilt der ganzen Welt.
und derer die dazugehören. Ein Bild der
Nicht nur wir hier an diesem Tisch, in dieser
Versöhnung auch unter den Armen, die allzu oft
Kirche üben die Gerechtigkeit, in unserer Stadt
in Konkurrenz gesetzt werden.
richtet Gott seine Gerechtigkeit auf. Das ganze
Wenn ein Tisch zum Mittelpunkt wird, dann sind
Land soll Versöhnung finden. Ja, die ganze Welt,
wir in Christus in dieser Kirche mit allem was wir
die Religionen sollen für den Frieden aufstehen!
mitbringen: Schmerz, Sehnsucht und Hoffnung.
Gottes Versöhnung war nie anders gedacht als
Das Foto von Mustafa mit seiner Familie , der
universal. Sie betrifft jeden und jede einzelne, die
Stein aus der Mauer, die Zeitung. Wir teilen
ganze Menschheit! Mann und Frau und Alte und
Schmerz und Sehnsucht und Hoffnung und üben
Junge, und jedes Kind. Geflüchtete, nie
so Gerechtigkeit. Dieser Tisch ist das Bild für die
Angekommene, immer Dagebliebene, sie betrifft
Gerechtigkeit. In diesen Begegnungen laufen wir
Hartherzige und Zartherzige, Menschen aller
Gott hinterher.
Religionen und Kulturen und jedes Geschöpf.
Der sitzt schon längst an den Tischen der
Lasst euch versöhnen!
Begegnung.
Damit wir in ihm Frieden finden, den Frieden der
Auf einmal gelingt Freundschaft, wir teilen, eine
höher ist als aller Menschen Vernunft, der
strahlt, einer findet zur Ruhe. Und dann mag es
bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus
sein, zuweilen, dass die eine oder der andere frei
Amen.
wird. Frei trotzig aufzustehen und einzustehen
mit dem eigenen Leben. Es ist der Trotz der
Versehrten, des unerfüllten oder gedemütigten
Lebens, der Armut und der bitteren Not. Steht
auf, trotzig, inmitten von Schmerz und Finsternis,
lebt aus der Liebe!