Gottesdienst am Karfreitag 25.3.2016 Sup. Dr. Helmut Kirschstein 2. Korinther 5, 19+20 Gottesdienst am Karfreitag „Unser Gott lässt bitten.“ Oder: Weil Gott zu Kreuze kriecht, kommen die Verhältnisse ins Tanzen. Predigt über 2. Korinther 5, 19+20 Am 25. März 2016 in der Ludgerikirche zu Norden gehalten von Superintendent Dr. Helmut Kirschstein Liebe Gemeinde am Karfreitag, falsche Gottesbilder sind gefährlich. Lebensgefährlich sogar. Der Terror von Madrid, der Terror von London, der Terror von Paris und jetzt der Terror von Brüssel: dieser Terror entspringt einem falschen Gottesbild, einer teuflischen Fratze, die die Menschenverachtung als göttliches Gebot ausgibt. Falsche Gottesbilder sind lebensgefährlich, nicht nur, wenn sie unter dem Deckmantel des Islam daherkommen – auch, wenn sie unter der Tarnkappe des Christentums auftauchen. „Gottes Zorn“ – so hieß der „Tatort“ in der ARD am letzten Sonntag, ich habe schon in meinen „Karfreitagsgedanken“ im KURIER davon gesprochen, manch einer wird´s wohl gelesen haben. Als Vertreter, als Botschafter von „Gottes Zorn“: so sah sich der IS-Heimkehrer, ein junger DeutschTürke, der offenbar in seinem Alltagsleben gescheitert war und jetzt seine ganze tödliche Wut auf alle Ungläubigen durch seinen Gott gerechtfertigt sah. Ein Gott, der Menschen über Leichen gehen lässt?! Falsche Gottesbilder verbrämen den Terror und produzieren Gewalt. Allein darum lohnt sich schon eine ordentliche Theologie: um falsche Gottesbilder zu entzaubern und kranken Gottesvisionen die gesunde Wahrheit entgegenzustellen. Das hat nicht nur ein fehlgeleiteter Islam bitter nötig – das braucht auch der christliche Glaube. Gerade am Karfreitag. Wenn es denn einen Gott gibt – so fragen sich viele Menschen in unserem Land angesichts des Kreuzes –: warum braucht er dann ein blutiges Opfer? Weil dieser Gott so gekränkt ist, dass er nur durch Blut besänftigt werden kann? Wie krank ist das denn? Nein, nein, „Gottes Zorn“ beschäftigt nicht nur die IS-Fanatiker! „Gottes Sohn ist Mensch gebor´n, / hat versöhnt des Vaters Zorn“ – so klingt es aus meiner Kindergottesdienst-Zeit zu mir herüber, ich erinnere mich an den Schrecken, den diese Worte schon damals bei mir ausgelöst haben – und das Lied steht noch immer in unserem Evangelischen Gesangbuch1! Musste Christus denn tatsächlich blutig geopfert werden, um den zornigen Gott-Vater zu versöhnen ? Jetzt schlagen wir die Bibel auf und lesen nach! Was steht denn wirklich geschrieben? Heute, im offiziellen Predigttext für den Karfreitag?! Ich nehme nur zwei Verse heraus, aber angesichts kranker Gottesbilder, angesichts von Terror und Gewalt hat es da jedes einzelne Wort in sich: 2. Korinther 5, Vers 19 und 20 im Lutherdeutsch: Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! (2) Liebe Gemeinde, da können wir uns wirklich jedes Wort auf der Zunge zergehen lassen – und alles 1 Aus dem Weihnachtslied EG 29 „Den die Hirten lobeten sehre“, 3. Teil, der auf das 9. Jahrhundert (!) zurückgeht. Gottesdienst am Karfreitag 25.3.2016 Sup. Dr. Helmut Kirschstein 2. Korinther 5, 19+20 schmeckt nach Versöhnung! Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber: kein Gedanke an einen blutrünstigen Übervater! Nicht einmal der Gedanke, der Himmelsherrscher habe einen Menschen dazu verdonnert, das Kreuz auf sich zu nehmen! Nein, Gott war in Christus, der große Gott hat sich in Person dieses Menschen selbst in das fürchterliche Leiden hineinbegeben, Gott selbst hat sich durch und durch menschlich erwiesen, leidensbereit, leidensfähig, solidarisch mit allen Sklaven dieser Welt, denen die Kreuzigung im Falle ihrer Flucht als Strafe drohte. Gott war in Christus: ein Opfer der Slavenhaltergesellschaft! Geopfert auf dem Altar des WirtschaftsSystems: Gott! Gott, wie Jesus ihn für uns verkörpert hat: liebevoll, heilsam, versöhnlich. Ganz klar: Nicht dieser Gott braucht die Versöhnung – die kaputte Welt muss versöhnt werden, heillos wie sie ist, zerrissen in Oben und Unten, friedlos zerstritten in Völkern und Familien, terrorisiert durch perverse Machtgelüste! Diese Welt braucht Versöhnung: in sich selbst, für sich selbst, und deshalb: mit dem Gott des Friedens, mit dem Gott der Gerechtigkeit, mit dem Gott der Nächstenliebe, ja: Versöhnung mit dem Gott der Feindesliebe! Und damals wie heute ist ebenso klar: Das kriegt diese Welt aus sich selbst heraus niemals hin – Terror produziert sie, immer neue Kriege produziert sie – Versöhnung, Gerechtigkeit, Frieden: genau dazu ist sie aus sich selbst heraus nicht in der Lage! Aber Gott: Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber! Wie kann ich mir das praktisch vorstellen? Was hat das mit Karfreitag zu tun? Versöhnung gelingt ja prinzipiell nur dann, wenn beide Seiten Schritte aufeinander zu tun. Aber wie sollte die friedlose Welt dazu fähig sein? Traumatisiert wie sie ist, terrorisiert und fehlgeleitet und bis ins Seelenleben jedes einzelnen Menschen hinein dem egoistischen Selbsterhaltungstrieb verschrieben?! Da bleibt die Welt dem Gott des Friedens alles schuldig. Bis zum Sankt Nimmerleinstag – auf ewig. Keinen Zentimeter kommt diese Welt auf Gott zu. Es sei denn --- es sei denn, Gott selbst übernimmt auch noch den menschlichen Part und verklammert Himmel und Erde in seiner Person. Gott selbst kommt von menschlicher Seite dem ewigen Frieden entgegen, nimmt alles auf sich, was die Welt ihm schuldig bleibt: und schlägt die Brücke zwischen Himmel und Erde: Versöhnung! Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber! Und in diese weltweite Versöhnung gehören wir hinein, jeder Einzelne von uns! Die KarfreitagsVersöhnung kommt bei uns an, wenn wir uns Christus zu eigen machen – wenn wir uns in ihm wiederfinden, wenn wir uns von ihm einnehmen lassen, wenn wir uns in seine Geschichte hineinnehmen lassen. Wer mit dem Herzen bei Jesus Christus ist, wer sich mit seinem Geist der Versöhnung identifiziert: der findet seinen Frieden in diesem Gott. Konkret: Weil Gott Versöhnung stiftet, können wir versöhnt leben, trotz unsrer Fehler, Schwächen, Probleme. Sagen wir´s deutlich: trotz unsrer Sünden. Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und rechnete `den Menschen´ ihre Sünden nicht zu. Und das – hat Konsequenzen. (3) Denn das alles geschieht nicht im Verborgenen. Gott selbst sorgt für die Verbreitung des Evangeliums: Gott hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. Was für eine wunderbare Umschreibung für die beste Botschaft der Welt: das Wort von der Versöhnung! Und Gott selbst hat auch gleich für eine erfolgreiche Öffentlichkeitsarbeit gesorgt – die Apostel sind dazu da, diese Botschaft unter´s Volk und hinaus in die weite Welt zu bringen: So sind wir nun Botschafter an Christi Statt – ja, ich denke, jeder Verkündiger, jede Verkündigerin des Evangeliums hat eben diese Aufgabe: das Wort von der Versöhnung auszurichten, so, als stünde Jesus Christus selbst auf der Kanzel oder unter den Leuten: an Christi Statt. Und wenn es doch stimmt, dass alle Christenmenschen für dieses Evangelium einstehen sollen – so, wie es uns Martin Luther mit dem „Priestertum aller Gläubigen“ ans Herz gelegt hat: dann sind wir alle – auf der Kanzel, auf dem Marktplatz, bei der Arbeit, in unsren Familien, sogar noch beim Sport, und in der Politik sowieso Botschafter an Christi Statt: mit dem Wort von der Versöhnung im Herzen und auf der Zunge. Gottesdienst am Karfreitag 25.3.2016 Sup. Dr. Helmut Kirschstein 2. Korinther 5, 19+20 Denn Gott ermahnt durch uns, wie Luther übersetzt, oder vielleicht noch schöner, wie es in der reformierten Zürcher Bibel heißt: Denn durch uns lässt Gott seine Einladung ergehen... Botschafter der Versöhnung, Menschen, die andere in Gottes freundliche Nähe einladen: das sind wir Christen! So bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Jaja, wir sind Bittsteller, wie Jesus Christus einer war! Gott war in Christus – und kam als Bittsteller daher! Er war sich nicht zu schade, die ganze traurige Menschheit – die ganze gott-lose Menschheit in Gottes barmherzige Nähe hereinzubitten. Von wegen blutrünstig: Unser Gott lässt bitten! Das ganze dramatische Karfreitags-Geschehen lässt sich als demütige Einladung Gottes deuten: als Einladung an Henkersknechte und Sklaventreiber, an religiöse Fanatiker wie an hartherzige Politiker: Bitte! Seht mich an: Hier bin ich unter Euch als der schäbigste Mensch! Seht mich an: den gekreuzigten Gott! Bitte lasst ab von euren kranken Gottesbildern, die Macht und Gewalt für „göttlich“ halten! Göttlich ist die Liebe, die das Kreuz auf sich nimmt, ohne zurückzuschlagen – ohnmächtig, wehrlos, aber gerade so: entwaffende Liebe, überwältigend anders: so ist Gott! Um es noch drastischer zu formulieren: Dieser Gott kriecht zu Kreuze, damit wir Menschen von unsern kranken Gottesbildern erlöst werden! Und endlich Versöhnung lernen. Gott lässt bitten – auch uns, uns Christen! An Christi statt geben wir die Einladung weiter: Lasst euch versöhnen mit Gott! Gott lässt bitten: das klingt wie eine Aufforderung zum Tanz. Und tatsächlich: Der erbärmliche, der barmherzige Gott bringt die falschen Gottesbilder ins Wanken und das Gefüge der Welt ins Trudeln und die Verhältnisse ins Tanzen. Wenn Gott so ist: dann wird nichts bleiben, wie es war. Der Totentanz ist vorbei. Der Terror hat ausgespielt. Wir tanzen ins Leben. Auch in diesen Tagen nach „Brüssel“? Aber ja. Nicht Hass und Vergeltungssucht und Rachegelüste haben wir bei unserem Gott gelernt – er hat uns ein anderes Bild vor Augen gemalt und ein anderes Lied ins Herz gegeben! Angesichts der Opfer dieser blutrünstigen Welt blicken wir umso klarer auf ´s Kreuz und hören auf die Melodie des Lebens und der entwaffnenden Liebe. Unser Gott lässt bitten: Auch denen, die „Gottes Zorn“ verbreiten wollen, begegnen wir mit entwaffnender Güte. Botschafter an Christi Statt sind wir, Bittsteller auf dem Weg in den Tanzsaal des Friedens! Wir Christen haben nichts zu befehlen. Wir Christen haben nichts zu fordern. Aber wir dürfen alle Menschen bitten: Lasst euch versöhnen mit Gott. Am Kreuz von Golgatha hat die versöhnte Zukunft der Menschheit begonnen. Gott zeigt uns allen sein menschliches Gesicht. Wir werden miteinander Mensch sein. Alle. Im Namen unseres Herrn Jesus Christus: Amen
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