Wir optimieren uns kaputt

Wir optimieren uns kaputt
„Brave New Work“ macht krank, das beweisen die Ergebnisse des Job-Stress-Index
2015. Gut ein Fünftel der Erwerbstätigen ist erschöpft. Zunehmende Burn-out Diagnosen
zeigen auf, woran unsere Arbeitswelt krankt: Burn-out ist eine Reaktion auf permanente
Selbstoptimierung. Im Leitbild wird formuliert: „Das höchste Gut des Unternehmens sind
die Mitarbeitenden!“ Es geht aber letztlich meist darum, die Persönlichkeitsentwicklung so
zu steuern, dass ein Mitarbeiter mehr Leistung – und damit mehr Gewinn bringt. Die
Folge davon ist das gesellschaftliche Phänomen des erschöpften Selbst.
Mittels Mittarbeitergespräche wird definiert, was optimiert werden kann und Ziele werden
gesetzt. Dies impliziert, dass man so, wie man ist, nicht in Ordnung ist.
Heute, in einem Zeitalter der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten, wird suggeriert,
man könne den „Top im Job“ erreichen, egal wo man gestartet ist. Alles ist machbar. Man
muss nur wollen und können. Vor allem sich selbst gestalten, sich selbst in eine immer
wieder neue Form pressen. Auch das eigene Wohlbefinden soll man im Griff haben, egal,
was die Arbeitswelt fordert.
Und wenn nicht? Da gibt es jetzt die Feel Good Manager. Feel Good Management umfasst
sämtliche Aktivitäten, die zum Wohlergehen der Mitarbeitenden und dadurch zur
Verbesserung der Arbeitsleistung beitragen. Es gibt bereits Weiterbildungsangebote zu
dieser beruflichen Funktion. Feel Good Manager fordern permanentes Selbstmanagement
– was überfordert. Man soll sich immer wieder neu erfinden, so lange, bis man sich
selber nicht mehr kennt. Das macht krank. Vorgesetzte werden zu Feel Good Managern
und managen ihre Mitarbeitenden – umfassend, da die Arbeitswelt mit der permanenten
Erreichbarkeit auch ins Privatleben überschwappt. Ein respektloses Unterfangen, vor dem
jedem graut, der sich nicht managen lassen will, als wäre er statt einer einzigartigen
Persönlichkeit ein Stück defizitäre Knete, die geformt werden soll. Erschöpfung
bekämpfen mit intensivem Selbstmanagement ist wie Alkoholismus bekämpfen mit
Schnaps.
Einerseits sollen sich Mitarbeitende mit dem Unternehmen identifizieren. Anderseits sind
sie zu einem Angebot auf dem Arbeitsmarkt degradiert, das von Recruitern entdeckt oder
ignoriert wird. Zudem einfach auszuwechseln, wenn es mit dem Selbstmanagement und
dem Feel Good Management gerade mal nicht klappt – oder anderes „Menschenmaterial“
benötigt wird. Wie soll man sich mit einem Unternehmen identifizieren, das seine Ziele
nicht mehr darin sieht, seine Mitarbeitenden in einem guten Arbeitsklima darin zu
unterstützen, Arbeitszufriedenheit mit angemessenen Herausforderungen zu leben,
sondern darin, „unrentable“ Mitarbeitende mithilfe von Recruitern und Talent-Pools
rechtzeitig auszuwechseln?
Regula Zellweger, www.rz-laufbahn.ch