Predigt zu Matthäus 5,13-16: Eine unmögliche Möglichkeit

Matthäus 5,13-16: Eine unmögliche Möglichkeit (J.Röhl; 26.07.2015)
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Predigt zu Matthäus 5,13-16: Eine unmögliche Möglichkeit
Liebe Schwestern! Liebe Brüder!
Vor langer Zeit gab es eine kleine Stadt, die an einer gefährlichen Felsküste lag. Die See war dort
rau und in vielen Stürmen wurden immer wieder Schiffe gegen die Felsen gedrückt, so dass sie
untergingen. Viele Seeleute hatten an diesem Küstenabschnitt schon ihr Leben verloren.
Eines Tages beschlossen einige Leute aus dieser kleinen Stadt, einen Leuchtturm und eine Seerettungswacht zu bauen. Durch viel Eigenleistung und die Bereitstellung von Regierungsgeldern
konnte das Projekt verwirklicht werden.
Der Leuchtturm wurde in Betrieb genommen und warnte so viele Schiffe vor den gefährlichen Felsen. Wenn es doch zu einem Schiffsunglück kam, dann starteten Rettungsboote von der Küste
aus. Man gründete einen Verein, um den Betrieb des Leuchtturmes und der Rettungswacht zu gewährleisten. Oft brachten die
Retter ihr eigenes Leben in Gefahr, um mit
ihren kleinen Booten in der stürmischen und
kalten See Menschenleben zu retten.
Da viele Freiwillige sowieso sehr viel Zeit in
der Rettungswacht verbrachten, wurde der
Vorschlag gemacht, dass man sich doch
auch ab und zu einem gemütlichen Abend
dort treffen könnte. Und so traf man sich zuerst unregelmäßig, und dann immer öfter,
um die Gemeinschaft miteinander zu pflegen. Einige bauten sogar in der Nähe des Leuchtturmes
ihre Häuser. So waren sie, wenn der Alarm ertönte, um so schneller bereit für den Einsatz.
Als nächstes beschloss man, die Räumlichkeiten der Rettungswacht etwas freundlicher zu gestalten. Man sagte sich: „Wenn wir schon so viel Zeit dort verbringen, dann sollten die Räume auch
dementsprechend gemütlich sein.“ Die grauen Wände wurden weiß gestrichen, Teppiche wurden
verlegt, eine kleine, aber gut ausgestattete Küche installiert und natürlich wurde auch eine angemessene Heizung eingebaut.
Und da nun alles so einladend und komfortabel gestaltet war, wurde die Rettungswacht bald zu einem gut besuchten Treffpunkt in der Stadt. Die Rettungswacht wurde zu einer Art Klubhaus, in
dem Gleichgesinnte fröhliche Gemeinschaft haben konnten.
Eines Nachts tobte ein grausamer Sturm und mehrere Schiffe gerieten in Seenot. Die Leute der
Rettungswacht verbrachten viele Stunden damit, die erschöpften Seeleute aus dem kalten Wasser
zu retten. Sie wurden dann in der Rettungswacht mit Essen und trockener Kleidung versorgt.
Aber nach dieser dramatischen Nacht gab es einige angesehene Mitglieder, die unzufrieden damit
waren, dass der schöne und neu hergerichtete Aufenthaltsraum durch die nassen und dreckigen
Seeleute so verwüstet war. Und auch die Küche glich nach dem Einsatz einem Schlachtfeld.
Und so beschloss man, dass an die Rettungswacht ein extra Gebäudeteil angebaut werden sollte,
in dem die Geretteten gut versorgt werden könnten. Diese Lösung bewährte sich bei den nächsten
Einsätzen.
Aber mit der Zeit wurde immer deutlicher, dass ein Großteil der Vereinsmitglieder gar kein richtiges Interesse mehr an der Seerettung hatte. Viele kamen nur wegen der schönen Räume und der
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guten Gesellschaft.
Beim nächsten großen Sturm verließen nur noch gut die Hälfte der Männer den warmen und gemütlichen Klubraum, um draußen in der Kälte und Dunkelheit Menschenleben zu retten. Dieses
mal war das gekenterte Schiff aus einem anderen Land, die geretteten Seeleute sprachen eine
andere Sprache und hatten eine andere Hautfarbe als die Mitglieder der Rettungswacht.
Nach diesem Sturm wuchs die Unzufriedenheit unter den Mitgliedern der Rettungswacht. Warum
sollte man für völlig fremde Menschen sein Leben aufs Spiel setzen? Warum sollte das gemütliche
Beeinandersein immer wieder durch solche Schiffsunglücke gestört werden? Und so beschloss
man mit großer Mehrheit, dass der Leuchtturm zwar weiterhin in Betrieb bleiben sollte, dass aber
der Seerettungsdienst eingestellt wird. An der Tradition andere vor den gefährlichen Felsen zu
warnen wollte man festhalten, aber selbst anderen zu helfen sah man nicht als seine Aufgabe.
Nur eine kleine Gruppe war mit diesem Vorgehen nicht zufrieden. Sie verließen den Verein und
gründeten einige hundert Meter weiter an der Küste eine neue Seerettungswacht. Mit viel persönlichem Einsatz widmeten sie sich wieder ihrer eigentlichen Aufgabe: Menschenleben zu retten.
Eine eindrucksvolle Geschichte. Als Pastor braucht man im Lauf der Jahre viele Geschichten und
Beispiele für seine Predigten. Ich muss zugeben, dass ich mich selbst an viele meiner Predigten
nach einigen Jahren nicht mehr erinnern kann. Diese Geschichte ist mir allerdings im Gedächtnis
haften geblieben. Ich habe sie vor acht Jahren schon einmal verwendet. Sie erinnert mich selbst
immer wieder daran, warum ich eigentlich Pastor bin. Sie erinnert uns als Gemeinde daran, warum
wir eigentlich Kirche sind.
Auch Jesus hat Geschichten und Vergleiche gebraucht, um seinen Jüngern und Jüngerinnen
deutlich zu machen, was ihre Aufgabe ist. So auch in Mt. 5: Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid
das Licht der Welt.
Das ist unsere Aufgabe, unsere Bestimmung unser Auftrag: Salz und Licht für die Welt zu sein. So
wie Salz und Licht nicht als Selbstzweck existiert, so sollen wir auch als Gemeinde und Kirche
nicht um unser selbst willen existieren. So wie Salz in die Suppe gehört und ein Licht auf den Lampenständer, so sollen wir in die Welt hinein wirken.
Für Jesus ist es eigentlich ganz selbstverständlich, dass in und durch uns Gottes Kraft wirkt. Er
sagt nicht: Ihr müsst euch anstrengen, um Salz und Licht zu sein. Er sagt nicht, ihr sollt dies und
jenes tun, damit Gott durch euch wirken und leuchten kann. Nein, er sagt: Ihr seid das Salz der
Welt, ihr seid das Licht der Welt. Wenn ihr zu Gott gehört, dann kann es gar nicht anders sein, als
dass ihr nach außen wirkt. Jedes mal, wenn ich diesen Text lese, dann staune ich wieder neu über
diese Selbstverständlichkeit, mit der Jesus das sagt.
Trotzdem warnt Jesus davor, dass das Salz seine Kraft verlieren kann. In theologischen Kommentaren gibt es viele Versuche zu erklären, wie denn das Salz kraftlos werden kann. Aber keine davon ist wirklich vernünftig. Salz kann nicht salzlos werden, es kann von der chemischen Zusammensetzung her seine Salzkraft nicht verlieren. Wenn Jesus hier von kraftlosem Salz spricht, dann
ist das eigentlich eine unmögliche Möglichkeit.
Unser in früherer Bischof Walter Klaiber schreibt zu dieser Stelle: „Dass von Menschen, die von
Gottes Ja leben, keine Wirkung ausgeht, das ist nicht möglich. Liebe ist immer ansteckend.“ Liebe
ist immer ansteckend! Wenn wir wirklich Gottes Liebe erfahren haben, dann verändert uns das
und dann hat das Auswirkungen.
Genauso selbstverständlich wie das Salz seine Kraft nicht verliert, genauso selbstverständlich ist
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es auch, dass man eine Öllampe nicht unter einen Eimer stellt, sondern sie auf einem Leuchter
platziert. Unter dem Eimer gibt die Lampe kein Licht und mit der Zeit erstickt die Flamme. Es wäre
absurd, so zu handeln. Natürlich stellt man die Lampe an einen erhobenen Platz, so dass sie genug Luft hat und die Umgebung erleuchten kann. Genauso absurd sind Christen, die Gottes Liebe
nicht weitergeben. Im Grunde eine unmögliche Möglichkeit.
Und doch hatte unser Kirchengründer John Wesley gerade vor dieser unmöglichen Möglichkeit
Angst. Er schrieb einmal: „Was ich fürchte, ist nicht, dass die Leute, die man Methodisten nennt,
irgendwann aufhören könnten, in Europa oder Amerika zu existieren. Was ich fürchte ist vielmehr,
dass sie nur noch als tote Sekte existieren, die die äußere Form des Christseins hat, aber nicht
seine Kraft.“
Wesley hatte Angst, dass wir eines Tages nur noch ein Klub sind, der zwar äußerlich den Leuchtturm noch in Betrieb hält, der aber nicht mehr seiner eigentlichen Aufgabe nachgeht: Menschenleben zu retten. Als Geliebte Gottes in diese Welt hineinwirken. Unsere Nächsten lieben, wie uns
selbst.
Der wichtigste Schritt in diese Richtung ist, dass wir das was wir sind auch leben. Christus sagt
uns: „Ihr seid Salz, ihr seid Licht! Ihr müsst euch nicht besonders bemühen, ihr müsst dazu keine
außerordentlichen Kraftanstrengungen vollbringen, sondern als Kinder Gottes seid ihr das schon
längst.“ Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass wir das nicht von uns selbst aus sind, sondern wir
sind es, weil Christus in uns lebt. Wir können andere erleuchten, weil wir Christus, das Licht der
Welt, in uns tragen. Wir können die göttliche Liebe nicht aus uns selbst hervorbringen, sondern wir
können nur weitergeben, was wir selbst empfangen haben.
Wie geht das konkret? Wie können wir Salz und Licht sein? Wie sieht das in meinem Alltag aus?
Dafür gibt es keine Geheimrezepte, dafür gibt es keinen einfachen Fünf-Punkte-Plan. Wie sagt
Walter Klaiber so schön? „Dass von Menschen, die von Gottes Ja leben, keine Wirkung ausgeht,
das ist nicht möglich. Liebe ist immer ansteckend.“ Der Ausgangspunkt ist Gottes Ja zu uns. Wer
von diesem Ja her lebt, der ist Salz und Licht. Wer immer wieder neu aus Gottes Liebe heraus
lebt, der wird ansteckend.
Das ist das eine: die Ausrichtung auf Gott und seine Liebe. Für Jesus scheint das nicht das problematische zu sein. Er warnt aber seine Jünger davor, dass das Salz und Licht nicht mehr in die
Welt hinein wirken. Wir brauchen nicht nur die Ausrichtung auf Gott, sondern auch die Zuwendung
zur Welt. Ansonsten bringt der schönste Glaube nichts. Wir brauche beides: Ausrichtung auf Gott
und Zuwendung zur Welt.
Das Salz muss in die Suppe und das Licht muss leuchten. Für einen Verein zur Seerettung ist es
eigentlich eine unmögliche Möglichkeit, im Sturm nicht rauszugehen und zu helfen. Für das Licht
der Welt ist es eigentlich eine unmögliche Möglichkeit unter dem Topf langsam zu ersticken und
nicht für andere den Weg zu erhellen. Und für das Salz der Welt ist es eigentlich eine unmögliche
Möglichkeit, selbstzufrieden im Salzstreuer einzutrocknen, anstatt in der Suppe für Würze zu sorgen.
Daran erinnert uns Jesus heute morgen: Ihr seid nicht das Salz im Salzstreuer, sondern ihr seid
das Salz in der Suppe! Ihr seid nicht das Licht unter einem Eimer, sondern ihr seid das Licht der
Welt!
Amen
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Bildquelle: Kim Seng / flickr.com (CC BY-NC-ND 2.0)