alt Regierungsrätin Stèphanie Mörikofer

Leserbrief in der Aargauerzeitung 22.1.2016
Dem Kriminaltouristen ist die Ausschaffung egal
Die schweizerische Demokratie beruht auf der Idee der Menschenund Bürgerrechte, wie sie die Französische Revolution 1789 formuliert
hat: Freiheit, Recht auf Eigentum, Sicherheit und Widerstandsrecht
gegen Unterdrückung. Aus diesen Grundideen haben sich das allgemeine Stimm- und Wahlrecht entwickelt, aber auch zum Beispiel das
Recht auf ein faires, nicht willkürliches Gerichtsverfahren. Zu letzterem
gehört, dass ein Strafgericht bei der Urteilsfindung nicht nur die
Schwere des Deliktes, sondern auch die Auswirkungen der Strafe auf
die persönliche Situation des oder der Angeklagten berücksichtigen
muss (Verhältnismässigkeitsprinzip). Die Strafe der Landesverweisung,
wie sie die 2010 angenommene Ausschaffungsinitiative für Ausländer
bei vielen Delikten vorsieht, kann eine ganz unterschiedlich schwere
Strafe sein. Für einen Kriminaltouristen spielt sie praktisch keine Rolle.
Für einen in der Schweiz aufgewachsenen Ausländer, der hier eine
Familie hat, ist die Landesverweisung nicht nur für ihn selber eine Katastrophe, sondern für alle seine Angehörigen. Das Parlament hat
deshalb im Gesetz zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative eine
Härtefallklausel eingefügt, die das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren garantiert, das die Situation des Angeklagten berücksichtigt. Die
Durchsetzungsinitiative der SVP verlangt hingegen, dass die Landesverweisung ohne Prüfung des Einzelfalles ausgesprochen werden
muss. Damit würde das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren für alle
ausländischen Staatsangehörigen in der Schweiz aufgehoben und wir
hätten Einwohner zweierlei Rechts. In einem Land, das zu Recht stolz
ist auf seine Demokratie und seine Rechtsprechung, ist eine solches
Vorgehen inakzeptabel. Mit einem deutlichen Nein muss eine solche
Entwicklung verhindert werden.
STÉPHANIE MÖRIKOFER-ZWEZ, KAISERAUGST