Welcher Gott will das?

Welcher Gott will das?
Terroristen töten heute oft Menschen, die
einen anderen Glauben haben als sie. Früher
zogen Ritter im Namen Gottes in den Krieg.
Man könnte meinen, dass Religion gewalttätig
macht. Aber ganz so einfach ist es nicht.
Text: Sarah Schaschek Illustration: Claudia Lieb
Eine Autobombe explodiert
auf einem großen Platz
und tötet viele Menschen:
Das passiert gerade oft
im afrikanischen Nigeria.
Dort verüben die Terroristen
der Gruppe Boko Haram
ihre Anschläge. Sie wollen,
dass alle denselben religiösen
Gesetzen folgen wie sie.
46
verstehen
ZEIT LEO 2 ¬ 2015
Viele Menschen haben im Moment Angst vor Terroristen. Terror heißt
so viel wie Schrecken, und genau den verbreiten Terroristen: Sie zünden Bomben, wo Menschen versammelt sind, oder schießen in die Menge. Oft ist es
ihnen egal, ob sie selbst dabei sterben.
Ihre Gewalt richten Terroristen gegen alle, die eine andere Meinung haben
als sie – oder einen anderen Glauben. In Paris haben im Januar zwei Muslime
zwölf Mitarbeiter der Zeitschrift Charlie Hebdo erschossen. Sie sagten, die Zeitschrift habe ihren Gott beleidigt. In Kopenhagen hat ein Attentäter einen Menschen auf einer Versammlung getötet, bei der es darum ging, ob man Religion
kritisieren darf. Im Irak und in Syrien ermorden Kämpfer der Terrorgruppe
»Islamischer Staat« alle, die nicht den gleichen religiösen Regeln folgen wie sie.
In Nigeria hat die islamistische Terrorgruppe Boko Haram ganze Dörfer abgebrannt, weil die Bewohner sich ihnen nicht anschließen wollten.
Auch im Namen des christlichen Gottes wurde schon gemordet. Die brutalste
Gewalt aber passiert derzeit im Namen Allahs – so heißt Gott im Islam. Viele Menschen fragen sich deshalb: Macht Re­li­gion ihre Anhänger gewalttätig?
Steht im Koran, dem heiligen Buch der Muslime, womöglich etwas, das zu
Hass anstiftet?
Wer das herausfinden will, muss mit Menschen sprechen, die Religionen
erforschen. Und er muss ein bisschen tiefer in die Geschichte des Glaubens
eintauchen.
verstehen
ZEIT LEO 2 ¬ 2015
47
Wie geht man mit
Glaubenskriegern
um?
Dass Menschen andere Menschen töten und sagen, sie täten das
für ihren Gott, ist leider nichts Neues. In Europa gab es im Mittel-
alter Millionen Tote, weil Christen Andersgläubige erbittert bekämpften.
Vor rund 900 Jahren brachen Ritter und Bauern aus West­euro­pa zum ersten
sogenannten Kreuzzug nach Jerusalem auf. Die Stadt, die im heutigen Israel
liegt, ist ein heiliger Ort für die Christen – aber auch für die Juden und die
Muslime. Damals herrschte dort gerade ein muslimischer König. Deswegen
rief der Papst dazu auf, die Muslime aus Jerusalem zu vertreiben. »Die Muslime beschmutzen mit ihren Ritualen unsere heilige Stadt«, sagte der Papst.
»Gott will, dass wir ihn rächen.«
Die Bibel, das heilige Buch der Christen, verbietet eigentlich das Töten.
Manchmal taucht in der Bibel aber ein zorniger Gott auf. Er bestraft Menschen, die nicht an ihn glauben. Er lobt die, die für ihn töten. Und so ermordeten Christen auf den Kreuzzügen Tausende Muslime. Sie meinten, Gott
hätte das so verlangt.
Drei Fragen an den Professor
Mouhanad Khorchide.
Sie glauben an Allah. Wie begegnet
man als religiöser Mensch anderen, die
töten und sagen, dass Gott es so will?
Solche Menschen wollen Hass verbreiten.
Wir sollten ihnen aber nicht mit
Gegenhass antworten, sondern mit Liebe.
Terroristen haben oft vor allem in
ihrer Kindheit schlimme Gewalt erlebt.
Sie brauchen unsere Hilfe.
Im Mittelalter kämpften viele
Christen auf Kreuz­zügen gegen
Andersgläubige. Der Papst
behauptete, dass Gott das so wolle.
Die Terroristen in Paris fühlten sich
beleidigt, weil sich eine Zeitschrift
über den Islam lustig gemacht hat.
Finden Sie es gemein, wenn jemand
das kritisiert, woran Sie glauben?
Kritik ist wichtig. Nur dadurch werden
Religionsgemeinschaften dazu angeregt,
über ihre Regeln nachzudenken. Die Frage
ist aber, wie man die Kritik verpackt.
Beleidigungen verletzen Menschen. Damit
bewegt man niemanden zum Nachdenken.
48
verstehen
ZEIT LEO 2 ¬ 2015
Foto: Westfälische Wilhelms-Universität Münster (Portrait M. Khorchide)
Viele Menschen meinen, der Islam
habe ein Problem mit Gewalt. Was
antworten Sie darauf?
Es gibt viele Wege, den Islam zu leben.
Einige Muslime sagen, dass man Gewalt
benutzen darf. Aber die meisten betonen
den Frieden. Islam heißt, sein Leben auf
Gott hin auszurichten. Gott ist Liebe und
Barmherzigkeit. Islam bedeutet also, für
seine Mitmenschen da zu sein und ihnen
das zu wünschen, was man sich selbst
wünscht.
Mouhanad Khorchide ist
Professor für islamische
Theologie. Er bildet Lehrer
und Lehrerinnen aus, die
später muslimische Kinder
unterrichten.
Die Kreuzritter waren der Meinung,
dass Jerusalem den Christen
gehört. Neben Kirchen gab es dort
aber auch damals schon jüdische
und muslimische Gotteshäuser.
Aber wie viel hatte das Blutvergießen bei den
Kreuzzügen wirklich mit dem Glauben zu tun?
Das ist selbst für Religionsexperten eine schwierige Frage. Gerd Althoff forscht an der Universität in Münster
über die Kreuzzüge. Er erklärt: »Die Kirche versprach:
Wer auf einem Kreuzzug stirbt, kommt zur Belohnung
in den Himmel.« Das sei für viele tatsächlich ein guter
Grund zu kämpfen gewesen. Im Mittelalter hatten die
Menschen nämlich panische Angst, nach dem Tod in
der Hölle zu leiden.
Aber Althoff sagt auch: »Oft wurde die Religion
nur als Ausrede benutzt.« An einem Kreuzzug nahmen viele arme Menschen teil, die zu Hause keine
Chance auf ein gutes Leben hatten. Sie hofften, bei den
Eroberungen reich zu werden. Das klang natürlich
nicht so ehrenhaft, wie für Gott zu kämpfen. Daher
redeten die Leute, die die Beutezüge organisierten, lieber davon, dass hier für eine höhere Sache gekämpft
wurde, nämlich für den Glauben.
verstehen
ZEIT LEO 2 ¬ 2015
49
Man muss also genauer hinschauen, bevor man Gewalt
einfach mit dem Glauben begründet. Das gilt nicht nur für
Im Januar stürmten
zwei bewaffnete
Männer in die Redaktion
der Zeitschrift »Charlie
Hebdo«. Sie erschossen
mehrere Zeichner,
weil die sich über ihre
Religion lustig gemacht
hatten.
die Kreuzzüge in der Vergangenheit, sondern auch für die Gewalt,
die Menschen heute anderen antun. Die Wissenschaftlerin Eveline
Bouwers untersucht am Leibniz-Institut in Mainz, warum religiöse Menschen sich bekämpfen oder andere töten. Sie erklärt, dass
Terroristen oft unter schwierigen Bedingungen leben: Sie kommen
aus Ländern, in denen die Menschen sehr arm sind. Oder sie haben
keine Hoffnung auf Arbeit, und ihre Meinung wird nicht gehört.
Auch das können Gründe dafür sein, dass Menschen wütend und
gewalttätig werden.
Die Gruppe Boko Haram in Nigeria zum Beispiel findet die
jetzige Regierung ungerecht. Die Terroristen wollen lieber
selbst die Macht haben und über andere Menschen bestimmen.
Dafür kämpfen sie mit ihren Waffen. Wie die Kreuzritter früher
sagen aber auch die Terroristen heute, dass sie für eine höhere Sache
kämpfen: Sie wollen einen Gottesstaat im Namen Allahs errichten.
Das rechtfertigen sie mit dem Koran, dem heiligen Buch der Muslime. Sie behaupten, dass darin zum »Dschihad« aufgerufen wird,
zum Krieg gegen die Ungläubigen. »Und bekämpft für Allahs
Sache diejenigen, die euch bekämpfen«, steht dort zum Beispiel.
lich sind es aber Menschen, die diese alten Texte lesen und
überlegen, was sie bedeuten könnten. Sie entscheiden, welche Regeln für sie heute gelten sollen und welche nicht.
Die meisten Muslime leben sehr friedlich. Sie glauben nicht,
dass Allah Gewalt will. Über die Anschläge der Terroristen
sind sie genauso erschrocken und traurig wie die Christen.
Christen heute wiederum finden es schrecklich, was ihre
Glaubensbrüder vor vielen Jahrhunderten bei den Kreuzzügen den Muslimen angetan haben.
Bei all dem Reden über Gewalt wird eines oft vergessen:
dass im Koran und in der Bibel sehr viel über Frieden und
Liebe steht. »Wer einen Menschen rettet, der rettet die
ganze Menschheit«, lautet eine Grundregel im Koran. Und
Jesus, an den die Christen glauben, hat gesagt, dass man
alle Menschen lieben soll, sogar seine Feinde. Viele religiöse
Menschen versuchen, das zu tun: Sie kümmern sich um
andere, auch wenn die nicht dasselbe glauben wie sie. Religion hat so schon oft geholfen, einen Streit zu beenden.
50
verstehen
ZEIT LEO 2 ¬ 2015
Sarah Schaschek ist
Redakteurin bei ZEIT LEO.
Sie hat evangelische
Theologie studiert und
glaubt an Gott. Verbunden
fühlt sie sich aber mit
allen religiösen Menschen.
Foto: privat (Portrait S. Schaschek)
Weil man im Koran solche Sätze findet, denken einige
Leute, dass der Islam gewalttätig macht. Letztend-