Siegeressay 2014-15 von Jonas Hokamp - Augustin

Augustin-Wibbelt-Gymnasium
Städtisches Aufbaugymnasium Warendorf
Schulinterner Essaywettbewerb im Fach Philosophie
Jahrgangsstufe: EF
Verfasser: Jonas Hokamp
Essay zum Zitat:
„Der Kluge lernt aus allem und jedem, der Normale aus seinen
Erfahrungen und der Dumme weiß schon alles“
Ist der Dumme klug, weil er schon alles weiß, oder ist er dumm, weil er schon alles weiß? Was
weiß er wirklich und was genau ist mit „alles“ gemeint? Diese Fragen entstehen beim längeren
Nachdenken über Sokrates' Zitat: „Der Kluge lernt aus allem und jedem, der Normale aus seinen
Erfahrungen und der Dumme weiß schon alles“. Die genannten Fragen sind jedoch nicht die
einzigen, die bei der Beschäftigung mit diesem Zitat entstehen.
Ich möchte in meinem folgenden Essay zunächst auf die Problematiken und Fragen eingehen,
die dieser letzte Teil hervorbringt. Diesbezüglich ist es sinnvoll, zunächst den Begriff der
Dummheit zu definieren. Dummheit bezeichnet nicht nur, wie allgemein angenommen, den
Mangel an Intelligenz oder Weisheit, sondern auch die Einstellung, etwas nicht wahrnehmen zu
können oder es nicht wahrnehmen zu wollen. Wenn man nur auf die allgemeine Annahme,
Dumme würden über einen geringen Wissensschatz verfügen, blickt, steht diese zunächst im
Gegensatz zu Sokrates' Aussage, Dumme würden alles wissen. Bevor man sich nun den Kopf
über diese scheinbare Unstimmigkeit zerbricht, sollte man zunächst versuchen, diese Aussage
vollends zu verstehen. Dafür muss man sich die Frage stellen, auf welche Weise das Wort
„alles“ in diesem Zusammenhang zu interpretieren ist. Ist damit gemeint, dass der Dumme nur
alles weiß, was ihn interessiert oder dass er nur denkt, alles zu wissen, er sich aber nicht über das
Wissen hinter den Grenzen seiner scheinbaren Allwissenheit bewusst ist? Beide Varianten wären
möglich und würden sowohl die allgemeine Annahme, als auch Sokrates' Zitat miteinander in
Einklang bringen. Dennoch halte ich die folgende Interpretationsweise für die mit größter
Wahrscheinlichkeit zutreffende: Der Dumme denkt, er wisse alles besser, sein Wissen ist
unfehlbar und er ist dementsprechend besserwisserisch, unbelehrbar und in gewisser Weise
ignorant. Der Grund dafür, dass ich mich für diese Interpretationsweise entschieden habe, ist
einerseits eine andere Version des Zitats, in der es heißt „[...] und der Dumme weiß alles besser“,
andererseits der zweite Teil der oben genannten Definition von Dummheit, also die Einstellung,
etwas nicht wahrnehmen zu können, oder es nicht wahrnehmen zu wollen.
Jetzt, da klar ist, wie der zweite Teil von Sokrates‘ Aussage zu verstehen ist, sollten wir uns mit
dem Rest beschäftigen. Es heißt der Normale lerne aus seinen Erfahrungen und der Kluge aus
allem und jedem. Im Gegensatz zu dem Dummen scheinen der Normale und der Kluge also
durchaus belehrbar, sie durchlaufen einen stetigen Lernprozess, jeder auf seine Weise. Sie
können lernen, während der Dumme unbelehrbar ist. Dabei lernt der Normale jedoch nur aus
seinen eigenen Erfahrungen und macht sich anscheinend nicht die Anderer zu Nutze. Ein Kluger
hingegen bedarf nicht zwangsläufig eigener Erfahrungen, er lernt auch aus denen anderer
Personen und aus / von Dingen („aus allem und jedem“). Ein geeignetes Beispiel, um den von
Sokrates beschriebenen Unterschied zwischen klug und normal zu verdeutlichen, wäre folgende
Situation: Eine normale Person berührt aus Neugier einen heißen Ofen und verbrennt sich, lernt
daraus und tut es nie wieder. Eine kluge Person hingegen kommt gar nicht erst auf die Idee,
diesen Ofen zu berühren, sie kennt die Gefahren bereits im Vorfeld, da sie möglicherweise schon
gesehen hat, wie sich eine andere Person verbrannt hat.
Nach der vollständigen Ausmerzung aller Verständnisprobleme können wir uns nun der Frage
widmen, ob Sokrates‘ Aussage fehlerhaft ist, ob sie auf die heutige Zeit anwendbar ist oder ob es,
vielleicht auch nur teilweise, nötig ist, sie zu verändern, um sie an die moderne Gesellschaft
anzupassen.
Beginnend mit dem, was passend an dem Zitat ist, ist die Aussage des zweiten Teils, also dass
der Dumme unbelehrbar ist, richtig. Dabei ist nochmal erwähnenswert, dass sich diese
Unbelehrbarkeit in zwei Gruppen unterteilen lässt: Diejenigen, die nicht belehrt werden können
und Diejenigen, die nicht belehrt werden wollen. Ich halte die Letzteren für weitaus dümmer, da
sie sich im Gegensatz zu denen, die nicht belehrt werden können, frei dafür entscheiden
„dumm“ zu sein. Trotz der Tatsache, dass sich die Gruppe der Dummen in dumm und dümmer
unterteilen lässt, ist es richtig, dass Dumme unbelehrbar sind und somit ist dieser Teil der
Aussage von Sokrates gut, ich präferiere jedoch die Formulierung: „der Dumme weiß alles
besser“.
Der mittlere Teil, Normale würden aus ihren eigenen Erfahrungen lernen, ist zwar einerseits
richtig, andererseits denke ich, dass eine normale Person nicht nur aus ihren Erfahrungen lernt,
sondern auch von ihren Eltern, Freunden, Bekannten, ja vielleicht sogar von ihren Lehrern oder
aus Büchern. Man könnte sagen, der Normale ist wie der Kluge, nur in seiner Reichweite
beschränkt. Man könnte es so sagen: Der Normale lernt aus allem in seinem Umfeld.
Bevor wir nun auf den Klugen zu sprechen kommen, ist es wichtig zu erwähnen, dass es einen
Aspekt gibt, den Sokrates nicht berücksichtigt hat. Der Unterschied zwischen klug und normal
ist nicht nur der Wissensumfang und der „Grad der Belehrbarkeit“, sondern auch die
Geschwindigkeit, mit der gelernt und verstanden wird. Genauso wie Sokrates finde ich, dass der
Kluge aus allem und jedem lernt, er hat sogar eine unbeschränkte Reichweite. Eine aus diesen
Überlegungen resultierende Formulierung des gesamten Zitats könnte somit lauten: „Der Kluge
lernt schnell aus allem und jedem, der Normale lernt aus seinem Umfeld und der Dumme weiß
alles besser“.
Insgesamt halte ich diese verbesserte Aussage für jede Zeit anwendbar und passend. Dumme
werden immer unbelehrbar oder ignorant bleiben, da Ignoranz sowie Unbelehrbarkeit mit
Dummheit gleichzusetzen sind und Kluge werden sich immer von Normalen in ihrer Reichweite
und der Schnelligkeit ihrer Auffassungsgabe unterscheiden. Somit kann man stehen lassen: „Der
Kluge lernt schnell aus allem und jedem, der Normale lernt aus seinem Umfeld und der Dumme
weiß alles besser“.