SÜDWESTRUNDFUNK Anstalt des öffentlichen Rechts Radio Fernsehen Internet PRESSE Information Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an. Konstantin von Notz (Grüne), stellvertretender Bundestagsfraktionsvorsitzende, gab heute, 12.04.16, dem Südwestrundfunk ein Interview zum Thema: „Der Fall Böhmermann“. Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Marie Gediehn. Mit freundlichen Grüßen Zentrale Information Chefredaktion Hörfunk Zentrale Information SWR Tagesgespräch Postadresse 76522 Baden-Baden Hausadresse Hans-Bredow-Straße 76530 Baden-Baden Telefon Telefax 07221/929-23981 07221/929-22050 Internet www.swr2.de Datum: 12.04.2016 Grüne zum Fall Böhmermann: "Auf dem Weg zu einer Staatsaffäre" Baden-Baden: Grünen-Fraktionsvize von Notz sieht die politische und juristische Auseinandersetzung über den Fall Böhmermann „auf dem Weg zu einer Staatsaffäre“. Von Notz sprach im Südwestrundfunk (SWR) vom einem unglücklichen Agieren der Bundeskanzlerin und dem bösen Anschein der Erpressbarkeit. Das Kind sei in den Brunnen gefallen, nachdem man tagelang zu dem Film von Extra3 geschwiegen habe, so der GrünenPolitiker. Jetzt sehe die Bundesregierung schlecht aus, egal welche Entscheidung sie treffen werde. Dafür, dass die Entscheidung, ob dem Ersuchen Ankaras stattgegeben wird, mehrere Tage dauern wird, hat von Notz kein Verständnis. Das ganze Verfahren sei hochnotpeinlich. Die Bundesregierung irrlichtere in dieser Frage seit vielen Tagen, darum habe das Problem auch eine solche Dimension bekommen. Wortlaut des Live-Gesprächs: Gediehn: Ist aus der Fernseh-Satire inzwischen eine politische Krise geworden? von Notz: Ich glaube, es geht sogar soweit, dass wir auf dem Weg zu einer Staatsaffäre sind. Wenn Satire dieses Potenzial hat, zur Staatsaffäre zu werden, dann zeigt das doch, dass Herr Böhmermann und auch schon vorher Extra3 den Finger in die Wunde gelegt haben. Gediehn: Wir haben seit gestern die Auskunft, das Kanzleramt, Justizministerium und Auswärtiges Amt prüfen, ob sie diesem Ersuchen Ankaras stattgeben werden. Können Sie nachvollziehen, dass das Tage dauern wird? von Notz: Nein, das kann ich nicht und das ganze Verfahren ist hochnotpeinlich. Man weiß nicht genau, wer genau auf Seiten der Bundesregierung diese Prüfung durchführt. Es gab wohl - wie die heiße Kartoffel hat man sich das zugeworfen - einen Streit darum, wer überhaupt zuständig ist und alle haben versucht, nicht zuständig zu sein. Das zeigt, die Bundesregierung irrlichtert in dieser Frage seit vielen Tagen - ja bald Wochen. Das ist auch das Problem, warum jetzt eben dieses Thema eine solche Dimension bekommen hat. Gediehn: Herr von Notz, Sie sind auch Jurist. Der Strafparagraph 103, dieser etwas angestaubte, wie wir gelernt haben Schah-Paragraph, ist der noch zeitgemäß? Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) von Notz: Nein, das sind die Reste der Majestätsbeleidigung, die da noch irgendwie im Strafgesetzbuch zu finden sind und die haben sich überlebt, die passen nicht mehr in die moderne Bundesrepublik aus dem Jahr 2016 – also muss man ihn zeitnah abschaffen. Trotzdem muss man jetzt erst einmal mit dem Problem umgehen. Gediehn: Genau. Warum kann denn, Herr von Notz, die Bundesregierung dieses Gesuch der Türkei nicht einfach tatsächlich durchwinken und dann entscheiden unabhängige Gerichte? Die haben wir ja. von Notz: Grundsätzlich kann sie das, wobei der 104a, also diese Sperre praktisch, dass die Bundesregierung da ihr Plazet geben soll, das ist juristisch so gedacht, dass man eben verhindern möchte, dass ausländische Staaten, Regierende, Politik sozusagen mit dieser Norm in Deutschland machen. Insofern ist es tatsächlich eine politische Entscheidung. Ich würde eben sagen, in den letzten Tagen hat die Bundesregierung so unglücklich agiert, und insbesondere Frau Merkel so unglücklich agiert, dass sie jetzt eigentlich keine richtige Entscheidung mehr treffen kann, die nicht irgendwie doof aussieht. Gediehn: Genau, sie sagen Entscheidung. Ich würde sagen ein Dilemma. Wie kann man da noch rauskommen, Stand jetzt heute Dienstagmorgen? von Notz: Eigentlich ist das Kind in den Brunnen gefallen, schon nachdem man eben tagelang im Auswärtigen Amt, im Bundeskanzleramt zu dem kleine Filmchen von Extra3 einfach geschwiegen hat. Auch da hat ja Herr Erdogan, der in seinem eigenen Land die Presse inhaftieren lässt und Redaktionen besetzt, Strafantrag gestellt und da hätte die Bundesregierung klare Kante zeigen müssen. Das hat sie versäumt. Jetzt sieht sie schlecht aus, egal welche Entscheidung sie treffen wird. Gediehn: Trotzdem gibt es ja einen Unterschied zwischen unglücklichem Agieren, formuliere ich es jetzt einmal, und einer tatsächlichen politischen Abhängigkeit. Wo stehen wir? von Notz: Ich befürchte, man hat sich eben in eine politische Abhängigkeit begeben. Nun war der Druck sehr hoch, mit der Türkei ein Prozedere zu finden, wie mit Flüchtlingen umzugehen ist, aber man hat da eben im Hinblick auf die Menschenrechte und auch in der klaren Haltung gegenüber jemanden wie Erdogan, der autokratisch in der Türkei im Augenblick agiert, fünf gerade sein lassen. Das genau fällt einem jetzt in dieser Debatte hier in Deutschland auf die Füße und da haben die Satiriker einen klaren Blick drauf, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird und man es eben bei den Menschenrechten nicht ganz so genau genommen hat. Da legt man den Finger in die Wunde. Gediehn: Dann müsste ich noch einmal konkret nachfragen: Sie glauben also tatsächlich, Kanzlerin ist wegen der EU-Türkei-Vereinbarung zur Flüchtlingspolitik im konkreten Fall Böhmermann erpressbar geworden? von Notz: Ich glaube, dass sie diplomatisch sehr, sehr vorsichtig geworden ist und eine klare Haltung hat vermissen lassen und das führt dann eben in so einem öffentlichen Diskurs zu zumindest dem bösen Anschein der Erpressbarkeit und ich glaube, den wird man jetzt auch nicht mehr los. Gediehn: Dieses Gedicht sei eine Beleidigung Erdogans, aber auch aller 78 Millionen Türken – so sagt es inzwischen Vize-Ministerpräsident Kurtulmus. Was läuft denn da gerade ganz grundsätzlich schief zwischen Deutschland und der Türkei und wie kriegen wir das wieder hin? von Notz: Das ist natürlich eine auch unglückliche Zuspitzung. Es ist ja völlig klar, dass das Gedicht von Böhmermann sozusagen provokativ, niveaulos und primitiv war. Das war ja genau so gemeint und gesagt, um die Dinge zuzuspitzen. Ich glaube, dass Herr Erdogan eben im Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD) Gegensatz zu einem normalen Bürger der Türkei eben mit seiner exponierten Stellung als Regierungspräsident sich eben da auch schon spitzere Dinge und härtere Zuspitzungen anhören muss, als ein normaler Bürger. Das jetzt sozusagen zu einem grundsätzlichen Konflikt zwischen der Türkei und Deutschland und vor allen Dingen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern beider Länder hoch zu kochen, das halte ich nicht für den richtigen Weg. Ich glaube, das ist auch nicht das, was Herr Böhmermann beabsichtigt hat. Der wollte deutlich machen, dass man sozusagen bei jemanden wie Erdogan, der es mit den Grund- und Menschenrechten nicht genau nimmt, dass man da eben harte klare Kante zeigen muss, wenn die Bundesregierung zu den harten Menschenrechtsverletzungen in der Türkei schweigt. - Ende Wortlaut - Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
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