SWR2 Tagesgespräch

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Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Konstantin von Notz (Grüne), stellvertretender
Bundestagsfraktionsvorsitzende,
gab heute, 12.04.16, dem Südwestrundfunk ein Interview
zum Thema: „Der Fall Böhmermann“.
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Marie Gediehn.
Mit freundlichen Grüßen
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Datum:
12.04.2016
Grüne zum Fall Böhmermann: "Auf dem Weg zu einer Staatsaffäre"
Baden-Baden: Grünen-Fraktionsvize von Notz sieht die politische und juristische
Auseinandersetzung über den Fall Böhmermann „auf dem Weg zu einer Staatsaffäre“. Von
Notz sprach im Südwestrundfunk (SWR) vom einem unglücklichen Agieren der
Bundeskanzlerin und dem bösen Anschein der Erpressbarkeit. Das Kind sei in den Brunnen
gefallen, nachdem man tagelang zu dem Film von Extra3 geschwiegen habe, so der GrünenPolitiker. Jetzt sehe die Bundesregierung schlecht aus, egal welche Entscheidung sie treffen
werde. Dafür, dass die Entscheidung, ob dem Ersuchen Ankaras stattgegeben wird, mehrere
Tage dauern wird, hat von Notz kein Verständnis. Das ganze Verfahren sei hochnotpeinlich. Die
Bundesregierung irrlichtere in dieser Frage seit vielen Tagen, darum habe das Problem auch
eine solche Dimension bekommen.
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Gediehn: Ist aus der Fernseh-Satire inzwischen eine politische Krise geworden?
von Notz: Ich glaube, es geht sogar soweit, dass wir auf dem Weg zu einer Staatsaffäre sind.
Wenn Satire dieses Potenzial hat, zur Staatsaffäre zu werden, dann zeigt das doch, dass Herr
Böhmermann und auch schon vorher Extra3 den Finger in die Wunde gelegt haben.
Gediehn: Wir haben seit gestern die Auskunft, das Kanzleramt, Justizministerium und
Auswärtiges Amt prüfen, ob sie diesem Ersuchen Ankaras stattgeben werden. Können
Sie nachvollziehen, dass das Tage dauern wird?
von Notz: Nein, das kann ich nicht und das ganze Verfahren ist hochnotpeinlich. Man weiß nicht
genau, wer genau auf Seiten der Bundesregierung diese Prüfung durchführt. Es gab wohl - wie
die heiße Kartoffel hat man sich das zugeworfen - einen Streit darum, wer überhaupt zuständig
ist und alle haben versucht, nicht zuständig zu sein. Das zeigt, die Bundesregierung irrlichtert in
dieser Frage seit vielen Tagen - ja bald Wochen. Das ist auch das Problem, warum jetzt eben
dieses Thema eine solche Dimension bekommen hat.
Gediehn: Herr von Notz, Sie sind auch Jurist. Der Strafparagraph 103, dieser etwas
angestaubte, wie wir gelernt haben Schah-Paragraph, ist der noch zeitgemäß?
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
von Notz: Nein, das sind die Reste der Majestätsbeleidigung, die da noch irgendwie im
Strafgesetzbuch zu finden sind und die haben sich überlebt, die passen nicht mehr in die
moderne Bundesrepublik aus dem Jahr 2016 – also muss man ihn zeitnah abschaffen.
Trotzdem muss man jetzt erst einmal mit dem Problem umgehen.
Gediehn: Genau. Warum kann denn, Herr von Notz, die Bundesregierung dieses Gesuch
der Türkei nicht einfach tatsächlich durchwinken und dann entscheiden unabhängige
Gerichte? Die haben wir ja.
von Notz: Grundsätzlich kann sie das, wobei der 104a, also diese Sperre praktisch, dass die
Bundesregierung da ihr Plazet geben soll, das ist juristisch so gedacht, dass man eben
verhindern möchte, dass ausländische Staaten, Regierende, Politik sozusagen mit dieser Norm
in Deutschland machen. Insofern ist es tatsächlich eine politische Entscheidung. Ich würde
eben sagen, in den letzten Tagen hat die Bundesregierung so unglücklich agiert, und
insbesondere Frau Merkel so unglücklich agiert, dass sie jetzt eigentlich keine richtige
Entscheidung mehr treffen kann, die nicht irgendwie doof aussieht.
Gediehn: Genau, sie sagen Entscheidung. Ich würde sagen ein Dilemma. Wie kann man
da noch rauskommen, Stand jetzt heute Dienstagmorgen?
von Notz: Eigentlich ist das Kind in den Brunnen gefallen, schon nachdem man eben tagelang
im Auswärtigen Amt, im Bundeskanzleramt zu dem kleine Filmchen von Extra3 einfach
geschwiegen hat. Auch da hat ja Herr Erdogan, der in seinem eigenen Land die Presse
inhaftieren lässt und Redaktionen besetzt, Strafantrag gestellt und da hätte die
Bundesregierung klare Kante zeigen müssen. Das hat sie versäumt. Jetzt sieht sie schlecht
aus, egal welche Entscheidung sie treffen wird.
Gediehn: Trotzdem gibt es ja einen Unterschied zwischen unglücklichem Agieren,
formuliere ich es jetzt einmal, und einer tatsächlichen politischen Abhängigkeit. Wo
stehen wir?
von Notz: Ich befürchte, man hat sich eben in eine politische Abhängigkeit begeben. Nun war
der Druck sehr hoch, mit der Türkei ein Prozedere zu finden, wie mit Flüchtlingen umzugehen
ist, aber man hat da eben im Hinblick auf die Menschenrechte und auch in der klaren Haltung
gegenüber jemanden wie Erdogan, der autokratisch in der Türkei im Augenblick agiert, fünf
gerade sein lassen. Das genau fällt einem jetzt in dieser Debatte hier in Deutschland auf die
Füße und da haben die Satiriker einen klaren Blick drauf, dass hier mit zweierlei Maß
gemessen wird und man es eben bei den Menschenrechten nicht ganz so genau genommen
hat. Da legt man den Finger in die Wunde.
Gediehn: Dann müsste ich noch einmal konkret nachfragen: Sie glauben also
tatsächlich, Kanzlerin ist wegen der EU-Türkei-Vereinbarung zur Flüchtlingspolitik im
konkreten Fall Böhmermann erpressbar geworden?
von Notz: Ich glaube, dass sie diplomatisch sehr, sehr vorsichtig geworden ist und eine klare
Haltung hat vermissen lassen und das führt dann eben in so einem öffentlichen Diskurs zu
zumindest dem bösen Anschein der Erpressbarkeit und ich glaube, den wird man jetzt auch
nicht mehr los.
Gediehn: Dieses Gedicht sei eine Beleidigung Erdogans, aber auch aller 78 Millionen
Türken – so sagt es inzwischen Vize-Ministerpräsident Kurtulmus. Was läuft denn da
gerade ganz grundsätzlich schief zwischen Deutschland und der Türkei und wie kriegen
wir das wieder hin?
von Notz: Das ist natürlich eine auch unglückliche Zuspitzung. Es ist ja völlig klar, dass das
Gedicht von Böhmermann sozusagen provokativ, niveaulos und primitiv war. Das war ja genau
so gemeint und gesagt, um die Dinge zuzuspitzen. Ich glaube, dass Herr Erdogan eben im
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Gegensatz zu einem normalen Bürger der Türkei eben mit seiner exponierten Stellung als
Regierungspräsident sich eben da auch schon spitzere Dinge und härtere Zuspitzungen
anhören muss, als ein normaler Bürger. Das jetzt sozusagen zu einem grundsätzlichen Konflikt
zwischen der Türkei und Deutschland und vor allen Dingen zwischen den Bürgerinnen und
Bürgern beider Länder hoch zu kochen, das halte ich nicht für den richtigen Weg. Ich glaube,
das ist auch nicht das, was Herr Böhmermann beabsichtigt hat. Der wollte deutlich machen,
dass man sozusagen bei jemanden wie Erdogan, der es mit den Grund- und Menschenrechten
nicht genau nimmt, dass man da eben harte klare Kante zeigen muss, wenn die
Bundesregierung zu den harten Menschenrechtsverletzungen in der Türkei schweigt.
- Ende Wortlaut -
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