es gibt keine versöhnung, ohne dass man die tatbestände kennt

Daniela NELVA
ES GIBT KEINE VERSÖHNUNG, OHNE DASS MAN
DIE TATBESTÄNDE KENNT
Schlüsselworte: 1989, Deutsche Wiedervereinigung, „doppelte“ Vergangenheit,
autobiographische Texte, Christa Wolf, Stefan Heym, Günter Grass, Heiner Müller,
Günther de Bruyn, Günter Kunert
Abstract: Wie haben die ost- und westdeutschen Intellektuellen auf die Ereignisse
reagiert, die im Jahr 1989 zum unvermuteten Mauerfall und zur darauffolgenden
Wiedervereinigung Deutschlands führten? Als epochale Zäsur hat die „Wende“ viele
Autoren dazu bewogen, die deutsche „doppelte“ Vergangenheit – das heißt nicht nur jene
der DDR, sondern auch die des Nationalsozialismus und des Krieges – kritisch in Betracht
zu ziehen, um zu einer neuen, möglicherweise „gesamtdeutschen“ Identität in der
Gegenwart zu finden. Auf der einen Seite haben sich einige DDR-Schriftsteller sowohl mit
den gescheiterten Idealen eines antifaschistischen, auf sozialer Gerechtigkeit beruhenden
Landes als auch mit der kurzen Chance einer demokratischen „Neugründung“ der DDR
beschäftigt. Neben Volker Braun sind u.a. Stefan Heym, Christa Wolf, Heiner Müller,
Günter de Bruyn, Christoph Heim zu nennen. Dabei handelt es sich um Intellektuelle, die
zwischen sozialistischer Utopie und Opposition zum Staatsapparat bis 1989 in der DDR
geblieben sind und nach dem Mauerfall eine tiefe Identitätskrise erleben. Sich mit dem
Abgrund der Nazi-Zeit auseinanderzusetzen, erscheint, auf der anderen Seite, Autoren
wie Günter Kunert und Günter Grass als eine ethische Aufgabe, die der individuellen und
kollektiven Pflicht entspricht, die Erinnerung an die Shoah lebendig zu halten. Das Thema
der „Vergangenheitsbewältigung“ bildet den roten Faden zahlreicher literarischer Werke,
die zwischen Desillusion, Skepsis und vorsichtiger Hoffnung das Entstehen eines
wiedervereinigten, in den europäischen Kontext eingegliederten Deutschlands darstellen.
Durch die Analyse unterschiedlicher, zu den verschiedenen literarischen Gattungen
gehörender Texte soll die intensive Debatte rekonstruiert werden, die vor fast dreißig
Jahren begonnen hat und noch immer aktuell ist.