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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE
SWR2 Musikstunde
"Klassische Musik auf dem Weg in
andere Kulturen"
Klassik geht fremd (2)
Von Peter Krause
Sendung:
Redaktion:
Dienstag, 12. April 2016
Ulla Zierau
9.05 – 10.00 Uhr
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
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SWR2 Musikstunde mit Peter Krause
„Klassik geht fremd“ – Klassik auf dem Weg in andere Kulturen
Herzlich Willkommen – heute mit dem 2.Teil der Reihe „Klassik geht fremd“ – Ist
das Klassik? – am Mikrofon Peter Krause
Titelmusik ca 10‘‘
Fällt der Begriff Klassik, denken die meisten Menschen an Barockmusik, an Neue
Musik, an Renaissancemusik, an Namen wie Beethoven, Bach, Chopin,
Hindemith, Messiaen und andere bekannte Europäer. Es ist, als würde man durch
ein Nadelöhr auf die Welt der E-Musik schauen und nicht nur die anderen
Kontinente überhören, sondern auch viele aufregende Kompositionen. Denn
zahlreiche afrikanische, japanische, kanadische, französische, italienische,
belgische, schwedische Musiker und Komponisten schreiben und spielen Stücke,
die man eigentlich der klassischen oder zeitgenössischen Musik zurechnen
müsste. Dass das nicht passiert, hat verschiedene Gründe: Sie komponieren für
Instrumente, die man normalerweise in keinem Orchester antrifft, spielen in nie
dagewesenen Besetzungen oder übertreten mit ihren Projekten kulturelle und
geografische Grenzen. In dieser Musikstunde möchte ich ihnen einige dieser
Komponisten und Musiker vorstellen, darunter Ballaké Sissoko und Vincent Segal.
Horizont- und Hörgewohnheiten erweiternd, wie die beiden miteinander spielen
im Stück "Chamber Music".
Musik 1
Ballaké Sissoko & Vincent Segal:"Chamber Music"
4:46
(Ballaké Sissoko+Vincent Segal-No Format-LC 35386-NOF 14, 532 144 2-Chamber
Music-Ballaké Sissoko & Vincent Segal4:46)
Zwei auf den ersten Blick inkompatible Instrumente kommen sich nah: Die Kora
von Ballaké Sissoko aus Mali und das Cello von Vincent Segal aus Frankreich.
"Chamber Music" haben die beiden 2009 ihr erstes Album genannt, übersetzt
Kammermusik, der Titel ist allerdings weniger eine Genre-Zuordnung als ein
augenzwinkernder Hinweis darauf, dass sich Sissoko und Segal tagelang in die
vier Wände eines Raums zurück gezogen haben, um es aufzunehmen. Die
"Kammer" war ein Studio an den Ufern des Niger in Malis Hauptstadt Bamako. Die
Ruhe und Zurückgezogenheit gab ihnen das Gefühl außerhalb jeder
Zeitrechnung zu musizieren. Sissoko stammt aus einer Griot-Dynastie - Griots sind
die traditionellen westafrikanischen Geschichtenerzähler, Sänger und Musiker und er spielt die Kora, diese über 700 Jahre alte westafrikanische Harfe mit dem
großen Kugelbauch und 21 Saiten am Steg. Das Instrument liefert die hellen,
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kristallenen, freischwebenden Töne und ist extrem schwer zu spielen, doch Sissoko
gilt als einer der Weltbesten darauf. Vincent Segal kommt vom Konservatorium,
spielte schon im Orchester der Oper von Lyon, aber auch mit Marianne Faithfull,
Georges Moustaki oder Sting. Er ist auch ein Virtuose, doch sein Cello hat nur 4
Saiten, es ist in dieser Konstellation zuständig für die erdigen, statischen Klänge.
Ganz anders klingt es, wenn Piano und Kora aufeinander treffen.
Musik 2
Ludovico Einaudi & Ballaké Sissoko "Mali Sajio"
3:48
(Ludovico Einaud-Ponderosa Music & Art-LC 13477-pd cd018- Ludovico Einaudi &
Ballaké Sissoko-Mali Sajio-3:48)
Ludovico Einaudi & Ballaké Sissoko "Mali Sajio" von ihrem Album "Diario Mali", das
Mali-Tagebuch. Zum ersten Mal standen die zwei Musiker beim "Festival au
Désert" gemeinsam auf der Bühne, vor einigen Hundert Zuhörern und unter einem
sternklaren Himmel. In der Wüste Malis, in einer Oase 70 Kilometer von Timbuktu
entfernt, spielte Einaudi Klavier und Sissoko Kora und sie stellten fest, wie einfach
es war musikalisch zu kommunizieren. Vielleicht auch, weil beide Instrumente eine
Hauptrolle in der jeweiligen Musikkultur einnehmen. Den Italiener Ludovico
Einaudi kennen die meisten hierzulande, weil er den Soundtrack für "Ziemlich
beste Freunde" geschrieben hat.
In Italien kennt man den Namen Einaudi aus mindestens 3 Gründen: Der eine
Großvater war Staatspräsident, der andere ein bekannter Dirigent und
Komponist, der Vater einer der wichtigsten Verleger des Landes und Ludovico
Einaudi selbst ist einer der bekanntesten Komponisten Italiens. Der Sechzigjährige
hat bei Luciano Berio studiert, Kammermusik und Orchesterwerke geschrieben,
sowie Musik für Tanz, Theater und Film und ist offen für Begegnungen mit Kollegen
aus anderen Kulturen. Sissoko sagt: Einaudi hat das Feeling für unsere
westafrikanische Musik. Seine minimalistischen Soundlandschaften haben
weltweit ein großes Publikum, entziehen sich jedoch einer klaren Zuordnung,
deshalb wird er von Musikkritikern gerne negiert.
Mal meint man eine Harfe zu hören, dann wieder ein Spinett, das ein Barockstück
spielt, aber es ist der Klang der Kora. "Lampedusa", eine elegische Komposition
die Toumani Diabaté und sein Sohn Sidiki für die fast 400 Afrikaner geschrieben
haben, die 2013 vor der italienischen Insel im Meer ertrunken sind. Selten passt die
Redewendung vom "Sich blind verstehen" besser, als bei diesem Zwiegespräch
auf Saiten zwischen Vater und Sohn. Und immer wieder meint man auf dem
Album "Toumani & Sidiki" mehr als 2 Musiker zu hören, manchmal steigen sogar
Obertöne aus den Stücken auf.
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MUSIK 3
Toumani Diabaté & Sidiki Diabaté "Lampedusa"
3:57
(Toumani Diabaté & Sidiki Diabaté-World Circuit-LC 02339-Best Nr WCV087Toumani Diabaté & Sidiki Diabaté-Lampedusa-3:57)
SWR 2 Musikstunde – Klassik geht fremd Teil 2, Ist das Klassik? Toumani Diabaté &
Sidiki Diabaté "Lampedusa mit Lampedusa. „Die Vergangenheit trifft sich wegen
der Zukunft mit der Gegenwart" so hat der inzwischen 49jährige Musiker die
Zusammenarbeit beschrieben. Sidiki, der Sohn, ist schon die 71.Generation Griot
in der Familie Diabaté, sein Großvater war 1970 der erste, der ein Album mit
Koramusik gemacht hat. Und 44 Jahre später sind dessen Sohn & Enkel
zusammen ins Studio gegangen. Toumani Diabaté weiß, dass die
Weltöffentlichkeit vor allem die islamistischen Unruhen vor Augen hat, wenn es
um seine Heimat Mali geht, deshalb will er die andere Seite zeigen und den
musikalischen Reichtum des westafrikanischen Landes hörbar machen. Die
britische Tageszeitung The Guardian schrieb über ihn: "Er ist einer der größten
Musiker Afrikas und ein Visionär wenn es um ein uraltes Instrument geht, um die
Kora." Sicher ist, er gilt als der Bekannteste und Beste auf diesem Instrument. "Das
Geheimnis der Kora-Musik", hat Diabaté gesagt," liegt darin: Du kannst sie spielen,
du kannst sie spüren, aber du kannst sie nicht erklären." Toumani Diabté - diesmal
solo - "Ismael Drame".
MUSIK 4
Toumani DIabaté: "Isamel Drame"
1:48
(Toumani Diabaté-World Circuit-Best Nr WCD079-LC 02339-Toumani DIabatéIsmael Drame)
MUSIK 5
Julverne "Pasticcio"
3:38
(Jean Gillis-Igloo-LC 27259-Best Nr IGL 089-Julverne-Pasticcio)
So stellten sich 1992 acht junge Musiker die Rückkehr von Kapitän Nemo vor,
rasant und märchenhaft. "Pasticcio" von Julverne. Den Namen hatten sich die
Belgier vom Urvater aller Sciencefiction-Autoren geliehen, von Jules Verne. Das
außergewöhnliche Ensemble wurde Anfang der 1970iger Jahre von einer Gruppe
von Musikstudenten gegründet, die das klassische Kammerorchester neu
erfinden wollten. An der Besetzung änderten sie nicht viel, 4 Saiteninstrumente, 3
Blasinstrumente und Klavier, musikalisch setzten sie sich allerdings zwischen alle
Stühle. Auf der Plattenhülle - CDs gab es damals noch nicht - schrieben die
Brüsseler: "Wir haben eine klare Tendenz zu klassischem Orchesterklang mit einer
manchmal peinlich unbeholfenen Ausführung, wie bei einem Maler, der sich
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weigert die Gesetze der Perspektive zu lernen, um sich seinen frischen Blick zu
bewahren." Ein Bruder im Geiste von Julverne war der Schwede Lars Hollmer.
MUSIK 6
Lars Hollmer "Rindatröst"
3:46
(Lars Hollmer-MNW-LC 19324-Best Nr MNWCD 233-Lars Hollmer-Rindatröst)
Rindatröst - von Lars Hollmer, der hier ausnahmsweise einmal nur Piano spielt. Der
Multiinstrumentalist und Komponist, der leider im Jahr 2008 mit nur 60 Jahren
schon verstorben ist, hat auf vielem musiziert, auf Melodica, Klarinette, Geige,
Spielzeugklavier, Cello, Schlagzeug oder Mandoline, doch sein Hauptinstrument
war das Akkordeon. "Der Klang des Akkordeons ist eine Kombination aus dem,
was du als Musiker mit eigenen Ohren hörst und dem, was du fühlst", hat der
Mann aus Uppsala gesagt - und genau diese Mischung sollte auch das Publikum
hören und fühlen. Hollmer war einer der ersten, der das Akkordeon auch in die
Rock- und Popmusik geholt hat und galt zeitlebens als Spezialist für Musik, die kein
Menschen einordnen kann. Als er 1999 in seiner Heimat einen Grammy für seine
außerordentlichen musikalischen Verdienste bekam, da wusste die Jury lange
nicht in welche Kategorie sie ihn stecken sollten. Am Ende landete er in der
Rubrik Folk und wer Schweden nicht kennt, könnte schnell dem Irrglauben
aufsitzen, bei Hollmers Musik handle es sich um eine - wenn auch sehr
eigenwillige Art - von schwedischer Folklore. Aus jeder Schublade, in die man sie
steckt, hüpfen sie wieder heraus, die melancholisch-zeitlosen Kompositionen, die
Hollmer hinterlassen hat.
Viel zarter und zirpender die Musik von Koto Vortex aus Japan.
MUSIK 7
Koto Vortex: "Ho Na Mi"
3:57
(Hiroshi Yoshimura-World Music Network-LC 11067-Best Nr RGNET 1031 CD- Koto
Vortex-Ho Na Mi-3:57)
Noch ein Instrument, dass es bedauerlicherweise bislang nicht in westliche
Orchester und Bands geschafft hat: Die 1 Meter 80 lange Koto. Im Ensemble Koto
Vortex spielen 4 Musikerinnen diese japanische Zither, die vor 1400 Jahren von
China nach Japan auswanderte. Gespielt wird sie mit 3 Fingern auf 13 bis
maximal 17 Saiten und vor allem von Frauen. Bandleaderin Yoko Nishi studierte
traditionelle japanische Musik, kam aber dann mit zeitgenössischer Musik in
Berührung und arbeitete u.a. mit Terry Riley zusammen. Ambient Music, alte
japanische Hofmusik, Minimalismus und Zeitgenössische Musik fließen ineinander
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und das Quartett erzeugt, was sein Name Koto Vortex verspricht: repetitive
Klangwirbel. Vortex bedeutet Wirbel.
Die Musikerinnen sind Grenzgängerinnen, das verbindet sie mit dem tunesischen
Komponisten und Oud-Meister Anour Brahem.
„January" heißt dieses Stück von Anouar Brahems Album "Souvenance" - das ist
die Erinnerung. Die Musik ist meditativ, transparent, sie ruht in sich, doch ab und
an tauchen aufwühlende Momente auf, man meint Sirenen in der Ferne zu
hören, Spannung liegt in der Luft, eine gewisse Beunruhigung. Sieht man das
Coverfoto, dann wird klar, um was es inhaltlich geht: Abgebildet ist die Szene
einer Straßenschlacht in Tunis. Auslöser dieser Musik war der arabische Frühling,
der schließlich im Dezember 2010 in Tunesien mit der Jasminrevolution seinen
Anfang nahm.
MUSIK 8
Anouar Brahem "January"
5:58
(Anouar Brahem-ECM-LC 02516-Best Nr ECM 2423/24-Anouar Brahem-January5:58)
….. Brahem schreibt im Booklet: "Außergewöhnliche Ereignisse erschütterten
plötzlich das alltägliche Leben von Millionen von Menschen, wir wurden ins
Ungewisse geschleudert". Der 57jährige Musiker und Komponist, brauchte ein
paar Jahre, bis er das Erlebte verarbeiten konnte. Brahem liebte schon als Kind
die klassische Musik des 20. Jahrhunderts und bewegt sich seit vielen Jahren
zwischen den Kulturen und Stilen, zwischen Orient und Okzident, zwischen Jazz,
Klassik, arabischer Musik und mediterranen Traditionen. Neu ist, dass er erstmalig
ein Streichorchester dazu geholt hat. "Es war eine Herausforderung, ich habe ja
keine praktische Erfahrung mit klassischer Musik europäischer Prägung. Die
Streicher setzte ich wie ein fünftes Instrument ein", hat Brahem über seine
Arbeitsweise erzählt. Alle Beteiligten - Musiker an Bassklarinette, Piano, Bass,
Brahem selbst an der orientalischen Laute Oud und die Streicher - gehen äußerst
respektvoll miteinander um. Und haben ein Album eingespielt, das auf
harmonische Art hypnotisierend ist.
Auch der Kanadier Jayme Stone arbeitet mit einem Kammerorchester.
MUSIK 9
Jayme Stone "A Poet in her own Country"
2:54
(Jayme Stome-Eigenprod. Nur als Stream-Jayme Stone-A Poet in her own
country-)
Jayme Stone "A Poet in her own Country". Mehr als überraschend, wie der
kanadische Musiker sein Banjo einsetzt. So, als wäre es schon immer auf der
Besetzungsliste eines symphonischen Orchesters. Er ist der Solist, 14 Musiker
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begleiten ihn in den Kompositionen, die sowohl durch echte, als auch durch
imaginäre Reisen inspiriert sind. Unterwegs entdeckte Stone, dass sein Banjo von
Sklaven aus Westafrika nach Nordamerika mitgebracht worden war. Und dort
maßgeblich an der Entstehung von Blues, Folk und Jazz beteiligt war. Stone
dagegen liebt es Bach auf dem Banjo zu spielen und auch seinen eigenen
Kompositionen auf dem Album "The other side of the Air" hört man die Liebe zur
Klassik an. Er kombiniert ungeniert kammermusikalische Elemente mit einem
subtilen Country-Touch und Filmorchester-Sound mit filigranem Saitenspiel, er lässt
atonale Momente auf melancholische Melodien treffen und überlässt den
Streichern die Verantwortung für den Rhythmus. Und obwohl seine Musik im
Ergebnis sehr klassisch europäisch klingt, nimmt sich Jayme Stone alle Freiheiten.
Eine seiner Kompositionen noch zum Schluss dieser SWR2 Musikstunde. Jayme
Stone "This Country Movement Three"
MUSIK 10
Jayme Stone "This Country Movement Three"
4:48
(Jayme Stome-Eigenprod. Nur als Stream-Jayme Stone-This Country Movement
Three-4:48)