2 SWR2 Tandem - Manuskriptdienst Die Liste der Widrigkeiten ist lang Leben ohne Staatsangehörigkeit in Deutschland Autoren: Maximilian Klein und Thomas Klug Redaktion: Rudolf Linßen Regie: die Autoren Sendung: Montag, 11.04.16 um 10.05 Uhr in SWR2 __________________________________________________________________ Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte der Sendungen SWR2 Tandem auf CD können wir Ihnen zum größten Teil anbieten. Bitte wenden Sie sich an den SWR Mitschnittdienst. Die CDs kosten derzeit 12,50 Euro pro Stück. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-26030. 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Für Zainab und Issa geht es um keinen schönen Tag. Es geht um Alltägliches. Doch für sie ist das Alltägliche schwer: Take 1 Standesamt 00:26 Wir sind gerade hier im Standesamt wegen einer Geburtsurkunde. Die brauchen wir für Kindergarten, für Amt, für Kindergeldstelle, Elterngeldstelle die benötigen alle eine Geburtsurkunde. Und die haben wir noch nicht bekommen. Obwohl der Vater eine deutsche Staatsangehörigkeit hat. Ja ich bin mal gespannt, was die sagen. Autor 01: Zainab und Issa. Sie stehen vor dem Standesamt. Issa ist arabisch und bedeutet Jesus. Er hat einen deutschen Pass. Zainab, seine Frau, nicht. Sie ist in Syrien geboren. Aber sie hat keinen Pass, sie ist staatenlos. Die Behörden glauben ihr nicht. Papiere von syrischen Behörden zu bekommen, ist derzeit unmöglich. Um zum Standesamt gehen zu können, mussten die beiden ihre Kinder von einer Verwandten betreuen lassen. Mal wieder. Sie können nicht mehr zählen, wie oft sie hier vor den automatischen Schiebetüren stehen mussten, um das zu bekommen, was jedem zustehen sollte, eine Geburtsurkunde. Take 2 Standesamt 01:43 Issa und Zainab Eine normale Geburtsurkunde und da steht Ersatz drauf. Aber das ist nicht die originale. Da steht halt nur der Name des Kindes, Name der Mutter, das war´s. Take 3 Standesamt 03:03 Die Kinder sind gar nix. Die sind gar nicht. Keine Meldebescheinigung und nix. Die sind im Bürgeramt im Computer gar nicht eingetragen. Autor 01: Das Mikrofon, hoffentlich fällt es nicht auf. Take 4 Standesamt 03:40 Amt: Haben sie da auch irgendetwas Schriftliches? Ich hab eine Quittung, ich hab einmal den Registerauszug. Mein Vater kommt auch aus Syrien, der hat auch den syrischen Pass. Take 5 Standesamt 08:05 Amt: ... ihrer Geburt? Antwort: mhh, das ist also... Das Original ist in Arabisch. Brauchen sie die? Ja brauchen wir. Ist unten im Auto. Das ist jetzt mein Vater. (Sprachgewirr.) Take 6 Standesamt 08:37 Ja das zeigt schon, dass mein Vater aus Syrien kommt und dass der halt auch einen syrischen Pass hat. Das ich den halt auch... Amt sagt irgendetwas Strenges. Antwort: Ich rufe jeden Tag immer an... Antwort: Das wird halt ein bisschen dauern. Amt: Vorläufige Bescheinigung haben Sie schon bekommen? Antwort: ja die habe ich bekommen aber die brauchen ´ne richtige Geburtsurkunde. Die Frage ist jetzt, ob man jetzt Geburtsurkunde ausstellen kann und bei der Mutter Staatsangehörigkeit Syrien schreibt. Amt: xxx haben sie uns ja schon mal eingereicht. Amt: Quittung haben sie uns ja schon mal eingereicht. Antwort: Ja. Amt: unverständlich. Antwort: Habe ich nicht bekommen. Autor 01: Die Frau hinter dem Schreibtisch sieht das Mikrofon. Es gefällt ihr nicht. Wir sollen es weglegen. Atmo 4 Beamtin: Weil ich nicht kontrollieren kann, ob es aus ist. Sie müssten das dann hier weglegen... Autor 1: Vor der Eingangstür zum Standesamt ist Konfetti verstreut. Das Standesamt könnte ein Ort der Freude sein. Freude gibt es hier offenbar nur für Pass-Besitzer. Es muss der richtige Pass sein: rot und mit dem Aufdruck BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND. Zainab hat keinen solchen Pass. Sie hat gar keinen. Und ihre Kinder erhalten nicht einmal eine Geburtsurkunde. Atmo 5: Stadt Essen Autor 01: Zainab dreht sich um, sie macht eine abwehrende Handbewegung. Sie will nicht sprechen. Nicht jetzt. Sie hält die Hand ihres Mannes, streift sich durch die Haare, blickt auf den Boden. Und dann sagt sie doch noch etwas. Die Trauer hat sie kurz zur Seite geschoben. Jetzt ist sie wütend. Oder verzweifelt. Take 7 Zainab 02:17 Sie müssen warten bis der Pass kommt. Ich kriege aber keine Leistung jetzt. Können wir uns jetzt gar nicht vorstellen, dass sie wegen einer Geburtsurkunde keine Leistung kriegen. Ich sage, das ist eine vorläufige Bescheinigung und datt bringt nix. Sie brauchen eine Geburtsurkunde und wo das Problem jetzt liegt, weiß ich jetzt ehrlich gar nicht. Autor 02: Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen, die UNHCR schätzt die Zahl der Staatenlosen in Deutschland auf 16.000 Menschen. Weltweit sollen es drei Millionen sein. Die Zahl scheint gering. Doch es sind drei Millionen Biographien. Und es sind Menschen, die Kinder bekommen – die dann, je nach Geburtsland, vielleicht ebenso staatenlos sein können, wie ihre Eltern. Laut Genfer Flüchtlingskonvention hat ein Flüchtling ein Recht auf Dokumente, die ihm ein Leben im Aufnahmeland ermöglicht. Arbeiten, für sich selbst sorgen, sich frei bewegen können. Die UNHCR kämpft für die Rechte von Staatenlosen. Staatenlosigkeit kann laut UNHCR verschiedene Ursachen haben: Autor 2 : Grenzveränderungen: Das Hoheitsgewalt eines Staates ändert sich – durch Abspaltung von Regionen oder durch Kriege. Dies kann bedeuten, dass den Bürgern die Staatsbürgerschaft ihres früheren Staates aberkannt wird und sie damit staatenlos werden. Der Zerfall des früheren Jugoslawien zum Beispiel hatte zur Folge, dass Tausende Staatenlos wurden. Abstammung: Wenn ein Kind in einem Staat geboren wird, der die Staatsbürgerschaft ausschließlich nach dem Abstammungsprinzip vergibt und gleichzeitig das Herkunftsland der Eltern dem Kind die Staatsangehörigkeit nur dann verleiht, wenn es im eigenen Hoheitsgebiet geboren wurde, dann ist ein Kind von Geburt an staatenlos. Autor: Yahya trägt Bart. Er könnte einer jener Hipster sein, der mit Bart zeigt, man gehöre dazu – zu jung und kreativ und mittendrin. Yachia gehört nicht dazu – schon von staatswegen. Er wirkt ruhig und entspannt, mittig. Wäre da nicht seine Zunge, mit der er sich über die Lippen leckt, immer wieder. Yachia ist in Deutschland geboren. Doch er hat keinen Pass. Er besitzt nur ein Provisorium. Take 8 Yahya 07:20 Egal wo ich hingehe, ich schäme mich das raus zu holen. Wenn Polizei normale Kontrolle macht zum Beispiel. Ich schäme mich das rauszuholen. Weil man schämt sich einfach so ein.. Du hast ein Zettel in der Hand und da steht drauf du bist Ausreisepflichtig. Wo willst du dich damit zeigen. Autor 01: Yahya wirft ein Papier genervt vor sich auf den Tisch. Geduldet steht auf diesem bunten Papier, das entfernt an einen Pass erinnert. Sein Name steht darauf, darunter sein Geburtsdatum. Ein Passfoto von ihn ihm ist aufgeklebt. Aber etwas, was Behörden oder Mobilfunkanbieter interessiert, steht nicht auf dem Papier: seine Adresse. Stattdessen: gültig bis. Die Zahlen dahinter muss Yahya immer wieder erneuern lassen. Gültig bis ... Danach könnte sein Leben anders verlaufen. Ganz anders. Und vor allem: Ganz wo anders. Yahya ist in Deutschland geboren. Seine Familie stammt aus dem Libanon und ist nach Deutschland geflohen. Im Libanon herrschte damals Bürgerkrieg. Die Familie erhielt eine Aufenthaltsgenehmigung, führte ein weitgehend normales Leben Nichts sei das Ding wert. Er kann nichts damit machen. Er kann sich kaum frei bewegen. Take 9 Yahya 04:56 Ich darf nirgends wo hin. Ich war noch nie außerhalb Deutschlands. Ich kenne das nicht. Und bis jetzt, also bis heute, können wir gar nix machen. Nichtmals, sagen wir mal du willst mit deinen Freunden irgendwo raus aus NRW. Darfst aber nicht. Du darfst hier NRW nicht verlassen. Autor: Yahya ist als Kind mit seinen Eltern aus der neugegründeten Türkei mit in den Libanon genommen worden, dort registriert, eingetragen, hat auch die libanesische Staatsbürgerschaft erlangt – sagt die Familie von Yachia. Und Yachia sagt, er spricht gar kein türkisch. Zu Hause wurden immer deutsch und arabisch gesprochen. Take 10 Yahya 01:09 Wir sitzen alle seit über zehn Jahren Duldung. Und die wird jede drei Monate verlängert. Wir sind hier geboren, sind zur Schule gegangen. Haben deutsche Freunde. Unternehmen sehr viel mit Deutschen. Und wenn Du irgendwo hingehen möchtest, wie jetzt zum Beispiel mit meinem Verein. Ich spiele ja auch Fußball. Und dann wollen wir eine Mannschaftsfahrt machen. Am Ende der Saison macht man ne Mannschaftsfahrt. Mit der Duldung darf ich nicht. Autor 01: Yahya kämpft. Er kämpft seit zehn Jahren. Es ist ein Kampf gegen die Behörden. Oder gegen Windmühlenflügel. Für Yahya ist das kein Unterschied mehr. Er klingt nach Verzweiflung und Müdigkeit. Gekämpft wird mit Paragraphen, mit Schriftstücken, mit Erklärungen, Behauptungen, Forderungen. Es geht um ein Stück Papier das Normalität in sein Leben bringen könnte. Normalität, das ist für ihn Vergangenheit. Unterwegs sein, Ausflüge unternehmen, selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen, eine Zukunft? Vergangenheit. Vor zehn Jahren wurde ihm und seiner Familie die Pässe entzogen. Sie sind geduldet, Herkunftsland ungeklärt – sagt die Behörde. Take 11 Yahya 00:27 Meine ganze Familie hatte einen Aufenthalt. Bis halt raus kam, dass wir angeblich Türken sind. Was ich gar nicht wusste. Ja ich hab arabisch zu Hause gelernt und nur arabisch gesprochen. Und draußen nur Deutsch. Also türkisch, ich wusste garnix von Türkei. 00:45 Ich kenn mich auch bis heute nicht so mit der Sprache und alles aus. Und dann mussten wir halt türkisch Pässe beantragen. Was damals richtig schwer war, weil keine wusste genau, was los ist. Plötzlich wirst Du zum Türke. Ja und dann bis heute haben wir damit zu kämpfen, mit der Duldung. Autor 01: Der Kampf von Yahya trägt die Farbe: „Wolkenmarmordecke“. So die korrekte Farbbezeichnung seines Aktenordners. Gelochte DIN A4-Blätter zwischen zwei Deckeln. Exzentermechanik mit Klemmbügel hält die deutsche Gründlichkeit zusammen. Er blättert darin, versucht zu erklären was er und seine Familie alles versucht haben um das Amt von ihrer Herkunft zu überzeugen. Mit Passfotos von Familienangehörigen sind Stammbäume zusammengepuzzelt. Arabische Schriftzeichen wechseln sich mit Aktenzeichen und Anwaltsschreiben ab. Dann eine Seite: Angeordnete Gen-Tests. Take 12 Yahya 21:01 (Blättergeräusche – Thema DNA-Tests) So, also mein Vater hat damals zwei Kinder im Libanon gekriegt. Die waren damals nicht verheiratet und dann waren die Kinder nicht eingetragen. Und hier in Deutschland einen DNA-Test mit seinen Kindern machen lassen, dass das seine Kinder sind. Hat er auch gemacht. Und sind auch seine Kinder und jetzt durch diesen DNA-Test haben die auch gesagt, wir sollen türkischen Pass beantragen. Autor 2: Der Artikel 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 lautet: „Jeder hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit.“ Diese Staatsangehörigkeit darf niemandem willkürlich entzogen werden. In dem Entwurf der Genfer Flüchtlingskonvention von 1954 ist die Rechtsstellung von Staatenlosen festgelegt. Dieses verpflicht die Unterzeichnerstaaten dazu, Staatenlosen Personaldokumente auszustellen und ihnen unter Umständen einen legalen Aufenthalt auf ihrem Hoheitsgebiet zu ermöglichen. Das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit von 1961 enthält Richtlinien zur Vermeidung von Staatenlosigkeit von neugeborenen Kindern und zum Schutz vor dem späteren Verlust der Staatsbürgerschaft. Autor 01: Auf einem Betonklotz am Hauptbahnhof Essen prangt eine Leuchtreklame. Essen - die Einkaufsstadt“ soll die Leuchtreklame am Giebel einer Hauswand direkt am Bahnhof anzeigen. Sie schafft es nicht mehr. Es reicht gerade noch zu: „Die ..nkau. Stadt“. Atmo 6: Essen Autor 01: Yahya will zu Ahmad Omeirat. Er war selbst einmal Flüchtling. Da war er zwei Jahre alt. Auch gehört der Minderheit der sogenannten Libtürken an. Nach langem Ringen mit den Behörden gelang es ihm, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Heute sitzt er für Bündnis 90 die Grünen im Essener Stadtparlament und engagiert sich für seine Community. Atmo 7 Omeirat redet im Hintergrund Autor 01: Die Bürotür ist beklebt mit Postern und Sprüchen. „Hilfe für Syrien“ und „Strom, Wasser, Würde“„Rassismus fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu“ Es wirkt als hätte jeder Besucher bisher einen Aufkleber, Zeitungsartikel oder Button an der Tür hinterlassen. Atmo 7 Omeirat redet im Hintergrund Autor: Die Frisur von Ahmand Omeirat wirkt zeitaufwändig. Sein Anzug sitzt. Seine Eltern besitzen ein Geschäft für Herrenmode. Dort arbeitet Ahmad Omeirat halbtags. Die andere Hälfte des Tages verbringt er mit Politik. Mit Essener Stadtpolitik. Und mit der großen Politik auch irgendwie: Take 13 Omeirat 10'52 Ich habe nur ein Problem damit, wenn wir der Welt ein Bild präsentieren von dem freundlichen Deutschland, das tatsächlich an den Grenzen Flüchtlinge mit offenen Armen empfängt, aber auch der anderen Seite seine Altfälle, die seit 30 Jahren hier ohne Rechte, mit psychischen Problemen kämpfen müssen, weil sie ihren Aufenthaltsstatus nicht in ein legales dauerhaftes Bleiberecht umtragen können – da müssten wir anfangen, bevor wir dieses wunderbare Bild in die Welt transportieren. Autor 01: Nur geduldet. In der Großstadt, so erzählt es Ahmad Omeirat, gibt es weit über 1000 Menschen, denen die Behörden diesen Status verliehen haben: Geduldet. Das ist ein Minimum der Akzeptanz. So sieht es Ahmad Omeirat an guten Tagen. Oder: Wenn die Behörde „geduldet“ sagt, meint sie: Eigentlich wollen wir dich hier nicht. Kein Mensch will nur „geduldet“ sein. Ahmad Omeirat weiß: Wer geduldet ist, braucht Hilfe. Und Zuspruch. Deswegen hat er eine Anlaufstelle gegründet: Take 14 Omeirat 12'54 Für mich kam der Gedanke, da du jetzt in den Stadtrat gewählt wirst und es gibt in Deutschland Vergütung, die ist nicht viel für Mitglieder im Stadtrat, nutze das Geld sinnvoll, miete dir Räumlichkeiten an, die in Essen zentral sind und baust von der Seite erstmal die Anlaufstelle auf. Das ist dann hier am Essener Hauptbahnhof entstanden. Wir haben hier drei Räume. Diese Räume sind tatsächlich für die Menschen verfügbar, u.a. auch für Vereine, die sich mit diesen Themen Migration, Flüchtlinge, Asyl beschäftigen. Wir haben hier einige Gruppen, die die Konferenzräume nutzen. U.a. ist auch eine Frauengruppe entstanden, eine Seniorengruppe. Sportvereine haben Stammtisch hier. Autor 01: Ahmad Omeirat führt durch sein Begegnungszentrum. Take 15 Omeirat 15'26 Ich hänge hier Bilder auf, die ich auf dem Antikmarkt oder dem Flohmarkt günstig kaufe. Das vermittelt so eine Art Rückzugsort. Schön, wenn junge Leute dann von 20 oder 25 Jahren dann sagen: Voll cool, hier sieht´s aus wie in der Welt. Ein Bild aus Russland, ein Bild aus Frankreich, eines aus dem Iran. Autor Das Bild aus Russland zeigt einen alten Mann, der gerade an einer langen Pfeife zieht. Daneben ein Globus. Und noch einer. Und an der Wand gegenüber eine Flagge in schwarz, rot und gold: Take 16 Omeirat 16'34 Eine Deutschlandfahne habe ich auch hier hängen. Es ist auch gut, dass die hier hängt, wir sind in Deutschland. Ich will damit jetzt nicht Patriotismus rausschlagen, aber sie wird von den Migranten euphorisch gesehen, von manchen Deutschen manchmal hinterfragt. Zäsur – brauchen wir hier Autor 01: Der Führerschein. Eine Wohnung anmieten, das Bundesland verlassen. Ein Konto führen. Yahya will tun, was eigentlich normal ist. Doch für einen Staatenlosen ist Normalität eine Ausnahmesituation. Yachia will uns seine Welt zeigen und nimmt uns mit zur Ausländerbehörde. Alle drei Monate muss er hier vorsprechen und sich eine weitere Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis geben lassen. Atmo 8: Ausländerbehörde Autor: Schon am Eingang, dichtes Gedränge. Kein Ort an dem man seine Zeit verbringen möchte. Es ist stickig. Zwei Beamte mit Metalldetektor stehen vor einer Schleuse. Sind Sie vom Fernsehen? Dann brauchen Sie keine Kontrolle zu machen. Autor 01: Yachia nennt den Namen einer Frau, die hier verantwortlich sein soll. Den Namen kennen wir. Andere Staatenlose haben ihn uns auch genannt. Sie klingen dabei aufgebracht. Wir wollen mit ihr sprechen: Atmo 9: Ausländerbehörde 1'45 Autor 01: Yahya zeigt uns das Büro seines Sachbearbeiters. Es ist abgeschlossen. Ein Mitarbeiter kommt heraus, geht aber gleich wieder zurück und schließt die Tür wieder von innen und dreht den Schlüssel herum. Wir suchen einen Gesprächspartner. Jemand, der sich als Behördenleiter vorstellt, kommt auf uns zu: Atmo 9.1 Gesprächsversuch mit Leiter der Behörde Autor 01: Yahya ist nach draußen gegangen. Er wollte nicht mit uns gesehen werden. Er befürchtet Nachteile. Und der Behördenleiter ist zu keinem Gespräch mit uns bereit. Take 19 Yahya 15:09 Die behandeln uns, als ob wir keine Menschen wären. Ich weiß auch nicht. Autor 01: Er ist sichtlich angestrengt von der Situation. Doch er will uns noch eine dieser Ausnahmesituationen, die sein Alltag sind, zeigen. Die Eröffnung eines Bankkontos. Er hat keines. Bekommt er Sozialhilfe vom Amt wird es auf das Konto seiner Eltern überwiesen. Atmo 10: Amt Take 19.1 Yahya Bürgeramt 0'55 Ich brauche einmal eine Meldebescheinigung. Einmal hier vorn am Terminal... Autor: Um ein Konto zu eröffnen muss Yahya als erstes aufs Amt. Das Bürgeramt. Eine Meldebestätigung holen. Warten. Take 20 Bürgeramt 1'26 Atmo Warteraum, Druck der Marke Wir haben jetzt einen Termin, die Nr. 261 und jetzt müssen wir warten. Autor 01: Der Warteraum ist ein mit Neonlicht erhellter Raum, der auch durch ein paar Kunstdrucke an den Wänden und den Yuccapalmen davor nicht einladender wirkt. Yahya setzt sich auf einen der fest miteinander verbundenen Stühle. Sie sind aus Metall und kalt. Er sieht immer wieder zur elektronischen Anzeige. Er weiß nicht mehr, wie oft er schon hier war, wie oft er eine Wartemarke gezogen, wie viele Stunden er schon im Warteraum verbracht hat. Er will auch nicht darüber nachdenken, nicht darüber reden. Ein paar Minuten später wird seine Nummer angezeigt. Autor 01 Das Gespräch am Schalter dauert nicht lange – dann hat Yahya seine Meldebescheinigung. Dafür zahlt er sechs Euro. Take 21 Bürgeramt 2'18 Jedes Mal, wenn ich meine Adresse brauche, also auf meiner Duldung steht keine Adresse drauf, jedes Mal, wenn ich zu einer Behörde gehe, muss ich diese Meldebescheinigung mitbringen, nach sechs Monaten brauchen wir ja immer eine aktuelle. Atmo 11: City Essen Take 22 Postbank 0'14 Das ist die Postbank, wir gehen jetzt versuchen, ein Girokonto zu eröffnen 0'47 Da muss ich Sie leider zu jemand anders... Autor 1 (Brauchen wir, Aufnahme knackt) Das Mikrofon soll nicht auffallen. In der Postbank ist es ruhig für einen Moment – und dann: Atmo 12 Postbank 0'57 Knall, Geldrollen fallen. Mach es doch selber. Sprich mich heute nicht mehr an. Jetzt reicht es mir, jetzt reicht es mir wirklich Autor 01 Der Mann hinterm Tresen ist wütend. Er wirft mit ganzen Münzrollen, eine davon platzt. Die Münzen rollen über den Boden. Der Mann hinter dem Tresen schnauzt seinen Kollegen an. Die Postbank, gleich am Hauptbahnhof. Eine Angestellte entschuldigt sich. Atmo 13 Postbank Kannst du bitte.. Eine Kollegin macht das gleich. Ok, danke schön. Autor 01 Yahya muss lachen. Etwas das sein Gesicht nicht häufig tut. Er weiß was gleich passieren wird. Er hat uns vorher schon darauf vorbereitet. Take 24 Postbank 3'10 Ich möchte ein Konto eröffnen. Hier ist meine Meldebestätigung, mein Ausweis. Damit kann ich kein Konto eröffnen. Warum? Weil ich einen Pass brauche. Ich habe zur Zeit keinen Pass. Damit kriege ich das nicht hin. Darf ich nicht eröffnen. Aus welchem Grund? Ist die Vorgabe von oben. Müssten Sie sich an die Postbank selber wenden. Aber damit darf ich es definitiv nicht eröffnen. Ich frage gerne noch einmal nach. Aber... Autor 01 Die Nachfrage dauert genau eine halbe Minute. Take 25 Postbank 4'10 Nein, können wir nicht, weil die Urkunden nur auf richtigem Namen eröffnen dürfen und wegen diesem Passus hier, dass die Personenangaben ja nur rein auf Ihrer berufen. Autor 01 Die Angestellte zeigt auf Yachias Papiere. Take 26 Postbank 4'10++ Und keiner kann mir wirklich sagen, ob Sie das sind oder nicht. Und deshalb darf ich das nicht eröffnen. Da ist doch ein Bild von mir oder nicht? Ja, aber die Angaben beruhen ja nur auf Ihren Angaben. Ich kann auch wo hingehen und sagen, ich bin Frau soundso, bin ich gar nicht. Das ist jetzt der Hintergrund, der jetzt hier ist. Da darf ich kein Konto eröffnen. (Autor:Aber das ist doch eigentlich ein amtliches Dokument.) Darf ich aber trotzdem nicht bei dem.. Ein anderes habe ich gar nicht. Aber ich darf es nur mit Pass eröffnen. Gibt es keine andere Möglichkeit? Nein. Ich brauche definitiv einen Pass. Tut mir leid. Atmo 14 Stadtatmo Essen mit Trommeln im Hintergrund Autor 01: Yahya wusste, dass es so kommen würde. Er trottet durch die Stadt. Will heute jetzt nicht mehr reden. Seine Enttäuschung ist durch Resignation ersetzt. Zu oft wurde er hingehalten. Zu oft hat etwas nicht geklappt, zu oft und zu lange musste er auf Ämtern warten. Wir sollen am Abend wieder kommen. Zum Fußball-Training. Autor 2 Im Jahr 2003 untersuchte die UNHCR das Problem der Staatenlosigkeit. Die UNHCR führte weltweit ein ambitioniertes Projekt durch, das zum ersten Mal einen Gesamtüberblick über die Staatenlosigkeit gab. Schwachstellen des Systems konnten identifiziert und die Probleme und Bedürfnisse betroffener Staaten wurden deutlich. Damit schuf UNHCR die Grundlage für eine effektivere Arbeit. Von den teilnehmenden Regierungen kennt beispielsweise nicht einmal die Hälfte das genaue Ausmaß des Problems im eigenen Land. Nur in etwa der Hälfte der Staaten existieren überhaupt Verfahren, die zur Identifikation von möglicherweise staatenlosen Personen dienen könnten, obwohl ein Teil dieser Staaten ein Asylsystem besitzt. Atmo 15: Fußball Autor 01 Yahya wirkt ausgelassen. Er kickt mit seinen Freunden, ruft, wirft sich in die Zweikämpfe. Für zwei Stunden geht es nur um das Spiel. Und nicht um Ausweise und Nachweise, Bestätigungen. Yachia ist hier einfach Yachia. Take 27 Fußball 08:42 Der Verein Al Arz Libanon Essen wurde 2008 gegründet. Mittlerweile besteht er aus drei Senioren-Mannschaften, zwei Jugendmannschaften. Libanon deswegen weil der Verein ursprünglich aus dem Libanon entstanden ist. Von den Großvätern und Urgroßvätern die dann in Deutschland selbst diesen Verein aufgemacht haben. Autor: Khalid Omeirat ist der jüngere Bruder von Ahmad Omeirat. Und der Trainer von Al Arz Essen. Take 28 Trainer 09:05 Gemixt definitiv. Und Multikulturell. Wir haben Deutsche, Afghaner, Brasilianer, Leute aus der Dominikanischen Republik. Der Verein steht für jeden die Tür offen. Egal welcher Religionszugehörigkeit. Wir sind ein bunt gemischter Verein. Und für uns ist es dann auch wichtig, dass wir gemeinsam der Liebe nachgehen und das ist der Fußball. Autor 01: Die jungen Männer warten, dass sie aufs Spielfeld können. Noch trainieren dort die Jugendmannschaften. Auf dem vorderen Feld die Jungen, auf den hinteren die Mädchen. Vielleicht verbindet der Fußball Völker. Staatenlose sind kein Volk. Take 29 Trainer Selbst hier im Verein als libanesischer Verein sind wir auch direkt betroffen von den geduldeten Leuten. Wie Yachia und Yassia zum Beispiel. Die auch hier im Fußballverein bei uns spielen. Tragisch ist es dann wenn wir wie im letzten Jahr nach einer grandiosen Saison mit 26 Siegen aus 30 Spielen dann eine Mannschaftsfahrt planen und drei Leute sich nicht melden bei der Anmeldung. Autor: Beim Fußball vergisst Yahya manchmal sein Probleme. Da rennt er über den Platz, versucht, den Ball zu treffen. Versucht, mit seiner Mannschaft zu gewinnen. Nur wenn er gewinnt, dann wird er wieder daran erinnert, dass er manches nicht darf. Über diese Mannschaftsfahrt will Yachia nicht reden. Auch sein Trainer hat erst spät davon erfahren, weshalb Yahya nicht teilnehmen konnte. Take 30 Trainer 01:43 Ich mich dann frage wieso. Und erst im Nachhinein erfahre, dass die drei Deutschland bzw. Essen gar nicht verlassen dürfen. Ja das ist dann bei dem einen Essen gewesen und bei dem anderen NRW, ja. So ist das dann von Person zu Person unterschiedlich gehandhabt von der Ausländerbehörde. Autor 01: Eine Behörde entscheidet darüber, was Yahya darf und was nicht. Yahya ist müde geworden – nicht vom Fußball, müde von den Behördenbriefen, von den Einschränkungen, von der Unsicherheit. Er ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Aber er wird immer daran erinnert, dass er sich nicht als Deutscher fühlen darf. Die Behörden in Essen wollen das nicht.
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