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PRESSE Information
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
nachfolgend bieten wir Ihnen eine Meldung an.
Melissa Fleming, Sprecherin des UNTelefon
Flüchtlingshilfswerks UNHCR, gab heute,
Telefax
04.04.16, dem Südwestrundfunk ein Interview zum
Thema „EU-Türkei-Abkommen“.
Internet
Das „SWR2 Tagesgespräch“ führte Marion Theis.
Mit freundlichen Grüßen
Zentrale Information
Datum:
07221/929-23981
07221/929-22050
www.swr2.de
04.04.2016
UNHCR: In Griechenland mangelt es "dramatisch" an Personal
Baden-Baden: Die Sprecherin des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, Melissa Fleming, hat die
EU aufgefordert, die Rechte der Flüchtlinge in Griechenland zu wahren. Jeder Einzelne müsse
angehört werden und die Chance bekommen, einen Asylantrag zu stellen, forderte Fleming im
SWR, sonst dürfe er nicht zurück in die Türkei gebracht werden.
Allein auf der griechischen Insel Lesbos wollten ihres Wissens nach rund 2.000 Menschen Asyl
beantragen. Es mangele aber „dramatisch“ an Personal, um die Fälle zu bearbeiten, beklagte
Fleming. Die Bedingungen seien folglich nicht so, dass Menschen bereits im großen Stile in die
Türkei zurückgeführt werden könnten.
„Es herrscht sehr viel Ungewissheit“ in den griechischen Lagern, insbesondere auf der Insel
Lesbos“, sagte Fleming weiter. Kein Mensch wisse, auch nicht der UNHCR, wer heute
möglicherweise in einem Boot Richtung Türkei sitzen werde.
Die UNHCR-Sprecherin zeigte sich besorgt über Berichte von Amnesty International, nach
denen die Türkei syrische Flüchtlinge zurück nach Syrien schicke. Im Abkommen der Türkei mit
der EU stehe ganz klar, dass das nicht zulässig sei. Der UNHCR habe deshalb begonnen,
eigene Nachforschungen anzustellen.
Fleming sieht eine positive Entwicklung darin, dass ab heute Menschen mit dem Flugzeug aus
der Türkei in die EU geholt würden. Allerdings stelle sich die Frage, ob es genug Plätze für
diese Menschen gebe. Das UNHCR habe weltweit dazu aufgerufen, zehn Prozent der
geflüchteten Syrer aufzunehmen, um die syrischen Nachbarländer zu entlasten.
Wortlaut des Live-Gesprächs:
Theis: Die Stimmung in den Flüchtlingslagern, den Hotspots in Griechenland, ist
explosiv, das sagt die Küstenwache. Rechnen Sie damit, dass wir heute hässliche Bilder
mit sich prügelnden Flüchtlingen und EU-Beamten zu sehen kriegen?
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Fleming: Das hoffen wir nicht, weil wir glauben, die Bedingungen sind noch nicht da, dass
besonders Asylsuchende abgeschoben werden oder zurückgeführt werden in die Türkei. Es
herrscht sehr viel Ungewissheit in den Lagern, in den Zentren hier, auf Lesbos insbesondere,
aber auch auf den anderen Inseln. Kein Mensch weiß, auch wir nicht, was passiert, wer
vielleicht in einem Boot sitzt Richtung Türkei.
Theis: Das heißt, die Behörden in Griechenland sind noch gar nicht gewappnet und
deswegen denken Sie, es wird auch noch nicht im großen Maße abgeschoben, habe ich
das richtig verstanden?
Fleming: Unseren Informationen nach wird es schon vorbereitet. Wir sagen nach wie vor, es
dürfen keine zurück in die Türkei, wenn sie nicht die Chance gehabt haben, einen Asylantrag zu
stellen und individuelle Interviews zu führen, wenn sie das so wünschen.
Theis: Wir können noch nicht sicherlich ausschließen, dass die Menschen nicht doch
noch die Gelegenheit bekommen in Griechenland, einen Asylantrag stellen zu dürfen.
Das wäre dann für sie auch in Ordnung?
Fleming: Das ist auf jeden Fall der Plan. Und die griechische Behörde bereitet sich vor, es sind
einige, die das schon getan haben, zumindest haben sie Termine bekommen, aber das ist nur
eine Handvoll von Leuten. Beispiel Lesbos: Es gibt 3.000 Leute in dem Center, davon haben
knapp 2.000 uns angekündigt, dass sie Asyl beantragen möchten, und jetzt muss es zu dem
Prozess gehen, aber das Problem ist, es mangelt dramatisch an Personal.
Theis: Optimalerweise wird es also noch eine Weile dauern, bis die ganzen Beamten, bis
die ganzen Helfer in Griechenland angekommen sind und das geregelt ablaufen kann.
Trotzdem werden ja Menschen abgeschoben werden müssen, weil sie nicht die
Bedingungen erfüllen, weil sie vielleicht aus anderen Ländern kommen, weil sie vielleicht
aus Pakistan kommen. Die müssen zurück in die Türkei. Ist das für sie in Ordnung?
Fleming: Das ist für uns in Ordnung, wenn die Menschenrechtsbedingungen stimmen. Hier
geht es um Flüchtlinge. Es geht uns darum, dass Flüchtlinge, die sich fürchten, die nicht nach
Hause gehen können, weil in ihrem Land Krieg herrscht, weil, wenn sie zurückgehen würden,
könnten sie nicht sicher leben. Oder auch, wenn sie in die Türkei zurückgehen, es gibt auch
Leute die sich fürchten wenn sie da hingehen. Jeder einzelne Fall muss angeschaut werden,
dass er innerhalb des internationalen Rechts bleibt.
Theis: Und wenn der einzelne Fall angeschaut wird, in Griechenland, derjenige kommt
dann in die Türkei zurück und dort - sagt Amnesty International - habe die Türkei in den
vergangenen Wochen Tausende von syrischen Flüchtlinge zurück nach Syrien
geschickt. Müssen die Menschen, die dorthin abgeschoben werden, denn das
möglicherweise auch befürchten?
Fleming: Wir sind sehr besorgt über diesen Bericht und wir haben auch gefragt, auch die
türkische Regierung, und machen unsere eigene Untersuchung, ob das stimmt. Auf jeden Fall
hoffen wir - und das steht ganz klar schwarz auf weiß in dem Abkommen von der EU an die
Türkei - dass kein einziger Syrer, der zurückgeführt wird in die Türkei, sich fürchten soll
zurückgeschickt zu werden nach Syrien.
Theis: Kann die EU das verhindern, kontrollieren?
Fleming: Wir haben auch die Türkei gebeten, dass wir an die Menschen rankommen, die
zurückgeführt werden, aber bis jetzt haben wir keine Genehmigung. Ich weiß nicht, wer das
kontrollieren wird.
Theis: Heute kommen ja die ersten syrischen Austauschflüchtlinge nach Deutschland,
mit dem Flugzeug aus der Türkei. Ist das nicht eine positive Entwicklung, die ohne
diesen Deal mit der Türkei erst gar nicht möglich gewesen wäre?
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)
Fleming: Wir finden das natürlich sehr positiv jedes Mal, wenn ein Flüchtling in ein Flugzeug
steigt und nicht in ein gefährliches Boot. Natürlich ist es gut, aber sind die Plätze genug? Wir
haben die Internationale Gemeinschaft aufgefordert - nicht nur Europa, nicht nur Deutschland -,
aber alle Länder, die in der Lage sind auf der Welt, zehn Prozent der syrischen Bevölkerung
aufzunehmen, und dann werden die Nachbarländer wie die Türkei, wie der Libanon, wie
Jordanien, entlastet. Und dann, in Kombination mit viel mehr finanzieller Unterstützung für die
Nachbarländer und für den UNHCR vor Ort, wird es vielleicht nicht mehr so eine Krise sein.
- Ende Wortlaut -
Der SWR ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD)