,,Irgendwann bist du ein:

,,Irgendwann bist du ein:
Ein Mann aus der Mitte Thüringens wird von seiner Frau angegriffen und muss sich neben
wohnt. Dann aber folgen erste
VON ESTHER GOLDBERG
Streits. Es geht zumeist um die
WE|MAR/GERA. Marcus R. hatte
Anfang der 1990er fahre einen
Erziehung der Tochter. Einer
dieser Streits hat ihn aus der
Traum: Frau, Kinder, Haus. Bahn geworfen. Da war die
Jetzt, 20 |ahre später, hat er Tochter bereits vier Jahre alt.
einen Alptraum: Frau weg, Kinder weg, Haus weg. Dafür Schul-
denund Pfändung.
Marcus R. lebt in einem klei-
nen Dorf irgendwo zwischen
Weimar und Gera. Genauer
möchte er nicht beschreiben, wo
er wohnt. ,,Das Dorf ist so klein,
dass ich erkannt werde", sagt ei.
Dennoch ist er mutig genug, sei-
ne Geschichte erzählen. Es ist
die Geschichte von häuslicher
Gewalt. Nein, er ist nicht der Tä-
ter. Sie war es, die eingesperrt
und geschlagen und Papiere versteckt haL Verleumdet und verklagt.
Dass Marcus R. derlei erleben
würde, hat er nicht für möglich
Die Mutter kommt nach Hause,
als Vater und Tochter Abendbrot essen. ,,Ich habe keinen
Hunger", sagt das Mädchen.
,,Macht nichts", entgegnet der
Vater. ,,Doch", schreit die Mutter. Sie zerrt das Kind vom Stuhl
und wirft es ins Bett. Was dann
passiert, ist nur schwer vorstellbar. Die Frau wirft sich über das
Mädchen, bis es blau anläuft.
,,Ich habe mir keinen anderen
Rat gewusst, als sie von unserer
Tochter weg zu ziehen", erinnert
sich Marcus R. ,;Ich war nicht gewalttätig", versichert er. Das hat
seine Frau anders gesehen. Gemeinsam mit der Tochter flüch-
gehalten. So etwas passiert in
einer Komödie oder doch zumindest nur anderen und in je-
'
tet sie ins Frauenhaus.
Von dort kehrt sie kurz darauf
das er sich an diesem Abend ver-
wieder zurück. Die Streits aber
hören nichtauf. Bisin die Nacht,
bis in den Morgen hinein debattieren sie. Inzwischen arbeitet
die Frau nlcht mehr. ,,Aber ich
hatte meine Arbeit, und ich
musste pünktlich sein", sagt er
leise. Dennoch sind die fehlen-
liebt. Ihr geht es ähnlich. Dem
den Schlafstunden in dieser Zeit
ersten zaghaften Kuss folgen viele weitere, die beiden sind unzertrennlich. Nur wenige |ahre später wird die Tochter geboren.
sein vergleichsweise kleinstes
sen. Er spürt, seine Familie ist
vor dem Aus. Er will wissen, was
die Frau vor ihm verbirgt, die mit
Problem.
der Tochter im Kinderzimmer
Der Vorwurf, er gehe fremd,
wiegt da schon schwerer. Erwiederholt sich NachtftirNacht, so-
spielt. In dem Moment, als der
den Zettel nimmt, ,,reißt meine
bald das Kind im Bett ist. Irgend-
Achsel, weil sie verhinclern will,
dass ich erkenne, was auf dem
dem Falle immer einer Frau.
Damals, Mitte der Neunziger,
ist er beim Bund. Als er dienstfrei hat, zieht es ihn in die Disko.
Dort trifft er das Mädchen, in
Für Marcus R. öffrret sich der
Alltag
nt einer Wiese des
Glücks. Selbst der Haustraum
istganz nah.
Dennoch ist der Alltag nicht
wann reicht es ihm. Er nimmt
sein Bettzeug und geht ins
Wohnzimmer. ,,Meine Frau
In der Ehe von
Marcus
R.
ging vieles schief. Seine Frau war gewalttätig.
Frau meinen Arm unter ihre
Zettel steht". Er zerrt seinen
Arm aus der Umklammerung.
I
chen. Als er zwei Tage später sei-
ne Tochter wie vereinbart vom
Hort abholen will. hat das bereits die Muttergetan. Marcus R.
verzweifglt, sieht aber noch das
Auto seiner einstigen Frau und
stellt sich davor. ,,Sie hat mich
einfach angefahren", ist er bis
heute entsetzt. Die Tochter. die
mit im Auto sitzt, brüllt wie am
Spieß. ,,Ich habe die Polizei ge-
immer einfach: Die Ehefrau kam hinterher. Ich musste mich Den Zettel hat er nicht gelesen. rufen, die ist aber nicht gekomarbeitet in der Tagespflege, das einschließen, weil ich sonst kei- Die Ehefrau geht zu einer Haus- men. Wir mussten stattdessen
ist eine harte Arbeit. Er hat in- ne Ruhe gefunden hätte." Ari ärztin. Die schreibt ihr ein Attest hin". erzählt er. Das tut er. Aber
,Nie hätte ich für möglich
gehalten, dass ein fugendamt
den Vater vollkommen ignoriert,
ihn nicht anhört und unbesehen
der Mutter glaubt."
Marcus
zwischen einen Halbtags-|ob in
der IT-Branche. Deshalb kümmert er sich um die Tochter.
Bringt sie in die Krippe, kauft
ein, macht sauber, kocht. Wenn
seine Frau am Abend spät nach
Hause kommt, ist nahezu alles
getan: Der Abendbrottisch gedeckt,, der Kühlschrank gefüllt,
das Haus halbwegs aufgeräumt.
,,Ich habe das g6rn gemacht. Es
war für mich normal", sagt er
heute. Er ist beim Vater aufgewachsen und Hausarbeit ge-
R.,
der häusliche Gewalt erlebte
einem anderen Tag bekommt er
einen ,,kräftigen Schlag ins Gesicht, so dass mir zwei Tage der
Unterkiefer weh tat."
Es folgt das fahr 2006. Die
Eheleute hätten sich längst trennen müssen. ,,Ich konnte aber
nicht gehen. Ich wollte doch
meine Tochter nicht verlieren",
sagt Marcus R. i{ls er eines Tages
nach Hause kommt. entdeckt er
im Kinderzimmer auf dem
Schrank einen Zettel. Den
nimmt er in die Hand, will ihn le-
über den Bluterguss im Achsel-
eine Anzeige will er nicht erstat-
Schulter-Bereich.
Gewalt getan! So steht es in
der Anklage gegen Marcus R.
Als Monate später die Verhandlung vor Gericht statffindet, lebt
ten. Gegen die Mutter seiner
die Frau bereits in einer eigenen
Wohnung. An einem Vormittag
hat sie das'Haus weitgehend leer
geräumt und
ist
Tochter? Das geht doch nicht.
Dass er das gedacht hat, wird
er einen Tag später
bereuen.
Über das Jugendamt erhält er ein
Kontaktverbot gegenüber Mutter und Kind. Angeblich hat er
sein Kind misshandelt. ,,Nie hät-
ausgezogen.
te ich meine Tochter geschlagen,
Vorerst wird die Tochter allerdings dem Vater zugesprochen.
Für des Kindes Wohl die ge.
wie es behauptet wurde. Richte-
wohnte Umgebung, lautet der
gen können, das haben sie aber
nicht getan." Diesehe Richterin,
die ihm nur zwei Wochen zuvor
Richterspruch.
Es folgt der September 2007
und damit die Gerichtsverhandlungum die Rangelei im einstgemeinsamen Wohnzimmer. Auf
dem Richtertisch liegt das ärztliche Attest zum Bluterguss, Marcus R. stehtnun als Schlägervor
Gericht. Zwar muss er nur ein
Bußgeld zahlen, doch im folgenden Monat gibt es die Hauptvgrhandlung zum Aufenthaltsrecht
der Tochter. Jetzt bekommen
das beide je zur Hälfte zugespro-
rin. Iusendarnt und Staatsan*aitiiaitö" oiieineTochteibefra-'
die Hälfte der Wochenzeit mit
der Tochter zugesprochen hat,
ordnet nur noch begleiteten Umgang an. Das |ugendamt sitzt also dabei, wenn er innerhalb von
acht Monaten zehnmal seine
Tochter fär zwei Stunden sieht.
,,Nie hätte ich für möglich gehalten, dassein fugendamt den Va-
ter vollkommen ignoriert, ihn
nicht anhört und unbesehen der
Mutter glaubt", beschreibt MarPrrnÄa'lännPr
ächnurffindC'
rll den Erniedrigungen auch des unglaubens der umwelt erwehren
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ertrug die Situation lange, auch aus Scham.
cus R. sein Entsetzen. Spätestens, als er an dieser Stelle seiner
Lebensgeschichte anlangt, kommen Zweifel auf. Hat er nicht
vielleicht doch die Frau geschlagen? Und die Tochter in die
Streits hinein gezogen? Warum
hat er sich nicht gegen eine Anzeige und gegen Behauptungen
gewehrt, wenn er dochnichtsgetan hat? Weshalb lässt er sich
Demütigungen gefallen und
Foto: Esther Goldberg
16 und mitten in der Pubertät.
Vater und Tochter sehen sich re-
einer Drei-Raum-Wohnung,
das Kinderzimmer bleibt. Die
mer sie will. ,,fa, ich war am Ende. Finanziell und mental. Aber
in zwei fahren bin ich schuldenfrei", sagt Marcus R.
Ein Leben ohne Schulden und
Schrecken ist heute sein Traum.
Den von der großen Liebe
träumt er auch rryieder. So tief
stürzen kann ein Mann nur ein-
Tochter darf kommen, wann im-
mal, glaubt er.
gelmäßig.
Das Haus ist längst zwangsversteigert, die Schulden dafür
beinahe abbezahlt. die Ehe na-
türlich längst geschieden. Er lebt
in
schlägt Wamungen einer Freun-
ZUR SACHE
dem zu finden ist, was er so stark
Häusliche Gewalt gegen Männer
din in den Wind? Ob da vielleicht ein Fünkchen Wahrheit in
leugnet? ,,Nein", realiert Tristan Rosenkranz als Chef des
Vereins ,,Gleichmaß" in Gera.
,,Gewalt gegen Männer gibt es
und garnicht selten", versichert
er. Sie erleben nach seiner Erfahrung mit Betroffgnen genau
jenen Unglauben der Umgebung, mit dem Fraue4 bis vor
Im März 2009wurde derVerein,,Gleichmaß" gegründet,
der sich fi.ir Gleichberecht!
gung in Trennungsfamilien
Reak$ionen.
Dem begleiteten Umgang mit
der Tochter folgte ihr Wunsch,
bei ihm leben zu können. Und
das ist plötzlich möglich. Drei
fahre lang. Dann will die Tochter wieder zur Mutter. Da ist sie
schutzwohnung mit einer
eigenen Hausordnung in
Ostthüringen. Voraussichtlich im Mai ist der Schutzraum ftir zwei Männer mög-
und damit auch für die Rechte
von Vätern einsetzt.
a
wenigen Tahren auch konfron-war6n,'
tiert
wenn''äiEiVon Gewalt in der Ehe sprachen.
Marcus R. ist froh, dass die
Zweifel während des Gesprächs
ausgesprochen werden. ,,Ich habe damit leben lernen müssen,
dass die Wahrheit oft nicht ernst
genommen oder äber sogar verlacht wird", beschreibt er erlebte
r
DerVerein hat das bundesweite !f ii4lpmetzwerk aufgebaut, das unter anderem in
nsürt
tsurdffi kindemn aktiv,
in österreich und in der
Schweiz aktivist.
r Die Selbsthilfegruppe
des
Vereins Gleichmaß trifft sich
am Montag,4. April, um 17
Uhr in Stadtjugendpfarramt
in Gera in der Talstraße 3
a Unter anderem hat er zwei
Notrufe für betroffene Männer und auch für Frauen in
Thüringen geschaltet. Betroffene können sich anon3im
wenden an: 0 162/ 94887 25
I
pro Woche vier bis fünf Anrufe betroffener Männer.
Geplant ist eine Gewalt-
lich.
{., Derp olizeilichen Krimina,l.
statistik in Thiiringen zufolge
ist die Gewalt gegen Männer
in einer Partnerschaft in den
vergangenen Jahren angestiegen.2004 waren206
Männer offiziell betroffen,
.
2014 dreimal so viele. Wie
viel Frozent der Gewalttaten
von Frauen begangen wurden, ist nicht bekannt.
Insgesamtwurden der Polizei knapp 5000 Fälle häusli
cher Gewalt im jahr 20L4be-
oder 0365/22773II0.
kannt. Die Dunkelziffer ist
Imvergangenen Jahr gab es
um ein Vielfaches höher.