Aktuelle Urteile aus dem Steuerrecht Hinweise zu wichtigen finanzgerichtlichen Verfahren [16.03.2016] Von: Fabian Kliemann 1. Kinderfreibeträge im VZ 2014 zu niedrig und damit verfassungswidrig? Im Veranlagungszeitraum 2014 war für Kinder ein Grundfreibetrag in Höhe von insgesamt EUR 7.008 (EUR 4.368 für das sächliche Existenzminimum sowie EUR 2.640 für Betreuungs-, Erziehungs- und/oder Ausbildungsbedarf) steuerlich berücksichtigungsfähig. Vor diesem Hintergrund hatte die Bundesregierung bereits im Jahr 2012 das sächliche Existenzminimum eines Kindes für den Veranlagungszeitraum 2014 mit jährlich EUR 4.440 festgestellt und angekündigt, zur verfassungsgerechten Besteuerung den bisherigen Kinderfreibetrag i. H. v. EUR 4.368 für das Jahr 2014 dementsprechend um EUR 72 anzuheben. Dieser Ankündigung kam die Bundesregierung jedoch erst im Jahr 2015 nach. Vor diesem Hintergrund hat das FG Niedersachsen die Vollziehung eines Bescheides über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag für den Veranlagungszeitraum 2014 mit Urteil vom 16.02.2016 (7 V 237/15) aufgehoben. Nach Auffassung des Senats bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides aufgrund der vermeintlich verfassungswidrig zu niedrig bemessenen Kinderfreibeträge. Hinweis: Das FG Niedersachsen weist darauf hin, dass die von der Finanzverwaltung vorgenommene vorläufige Festsetzung der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlages hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge die Verfassungsmäßigkeit des um EUR 72 zu niedrigen Kinderfreibetrages im Veranlagungszeitraum 2014 und der Höhe des Kinderfreibetrages nach dem durchschnittlichen Existenzminimum nicht umfasse, da diese Fragen bislang nicht Gegenstand eines Verfahrens vor dem EuGH, dem BVerfG oder einem obersten Bundesgericht sind. Insoweit sollte gegen betreffende Steuerbescheide unter Hinweis auf das o. g. Urteil des FG Niedersachsen sowie das vor dem FG München anhängige Musterverfahren (8 K 2426/15) Einspruch eingelegt werden. 1/5 2. Entscheidung des EuG: Unionsrechtswidrigkeit der deutschen Sanierungsklausel Im Februar 2010 eröffnete die Europäische Kommission ein beihilferechtliches förmliches Prüfverfahren in Bezug auf die sog. Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG a. F., wonach Anteilsübertragungen zum Zweck der Sanierung dahingehend begünstigt waren, dass es auf Ebene der Gesellschaft, deren Anteile übertragen wurden, nicht zu einem (anteiligen) Untergang bestehender Verlustvorträge kam. Die Kommission wertete die Sanierungsklausel als unionsrechtlich grundsätzlich unzulässige Beihilfe. Neben der Bundesrepublik Deutschland haben diverse Unternehmen in der Vergangenheit Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss der Kommission erhoben. Über zwei dieser Klagen hat das EuG nun mit Urteilen vom 04.02.2016 („Heitkamp BauHolding/Kommission“ (T-287/11) und „GFKL Financial Services/Kommission“ (T-620/11) entschieden und die Klagen jeweils abgewiesen. Gegen diese Entscheidungen können die Unternehmen nun Rechtsmittel beim Europäischen Gerichtshof einlegen. Hinweis: Es bleibt abzuwarten, ob die von den Entscheidungen des EuG betroffenen Unternehmen eine entsprechende Entscheidung des EuGH anstreben werden. Ein weiterführendes Verfahren wäre grundsätzlich zu begrüßen, um die durch das EuG erfolgte, sehr restriktive Auslegung des Begriffs der Beihilfe auch mit Blick auf sonstige potenziell unionsrechtswidrige Beihilferegelung prüfen zu lassen. 3. Versorgungsausgleichszahlungen an geschiedenen Ehegatten Das FG Münster hat mit Urteil vom 11.11.2015 (7 K 453/15 E) entschieden, dass die aufgrund einer Scheidungsfolgenvereinbarung geleistete Zahlung an den geschiedenen Ehegatten, um Ansprüche aus einer betrieblichen Altersversorgung vom Versorgungsausgleich auszuschliessen, als vorweggenommene Werbungskosten abzugsfähig sein können. Gegenüber der Auffassung der Finanzverwaltung vertrat das FG Münster die Auffassung, dass die Zahlung der Erhaltung der betrieblichen Versorgungsansprüche diene, welche wiederum steuerlich als Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit zu qualifizieren seien. Hinweis: Werden entsprechende Ausgleichszahlungen seitens des Finanzamts nicht als (vorweggenommene) Werbungskosten anerkannt, sollte unter Hinweis auf die vom FG Münster im o. g. Urteil vertretene Rechtsauffassung Einspruch eingelegt werden. 2/5 4. Zwangsweise Einziehung von GmbH-Anteilen gegen Zahlung einer Abfindung Das FG Rheinland-Pfalz hat durch Urteil vom 04.11.2015 (1 K 1214/13) entschieden, dass die (zwangsweise) Einziehung von GmbH-Anteilen gegen Zahlung einer Abfindung auf Ebene des im Sinne des § 17 Abs. 1 EStG qualifiziert beteiligten Anteilseigners grundsätzlich als entgeltlicher Veräußerungstatbestand qualifiziert. Auf das sich nach § 17 Abs. 2 EStG ermittelnde Veräußerungsergebnis soll insoweit das Teileinkünfteverfahren i. S. d. § 3 Nr. 40 Satz 1 lit. c, § 3 Abs. 2 EStG Anwendung finden. Hinweis: Die von der Auffassung des FG Rheinland-Pfalz abweichende Rechtsmeinung qualifiziert eine entsprechende entgeltliche Einziehung von Gesellschaftsanteilen regelmäßig als Teilliquidation der betreffenden Gesellschaft i. S. d. § 17 Abs. 4 EStG und sieht in einer entsprechenden Abfindungszahlung insoweit Einnahmen aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG. Soweit die in einem konkreten Sachverhalt seitens des Finanzamts zugrunde gelegte Behandlung der Abfindungszahlung als für den Steuerpflichtigen nachteilige Alternative zu verstehen ist, sollte unter Hinweis auf das o. g. Urteil des FG Rheinland-Pfalz Einspruch eingelegt werden. 5. Minderung des Nießbrauchswerts durch vom Nießbraucher übernommene Tilgungs- und Zinsleistungen Das FG Münster bestätigte am 26.11.2015 (3 K 2711/13 Erb.) die Auffassung der Finanzverwaltung, dass die seitens eines Nießbrauchers getragenen Zins- und Tilgungsleistungen, die auf ein zum Erwerb eines Grundstücks aufgenommenes Darlehen entfallen, mit Blick auf die Übertragung des entsprechenden Grundstücks durch Minderung des Nießbrauchwerts zu einer Erhöhung der schenkungsteuerlichen Bemessungsgrundlage führen. Hinweis: Das Revisionsverfahren ist vor dem BFH derzeit unter dem Az. II R 4/16 anhängig. Entsprechende Sachverhalte sollten daher unter Hinweis hierauf durch Einspruch offen gehalten werden. 6. Untergang körperschaftsteuerlicher Verlustvorträge bei Anteilsübergang im Wege der vorweggenommenen Erbfolge Nach dem mit Urteil vom 04.11.2015 (9 K 3478/13 F) seitens des FG Münster geäußerten Rechtsverständnisses, gehen die auf Ebene einer Kapitalgesellschaft bestehenden Verlustvorträge nach Maßgabe des § 8c KStG verloren, wenn Anteile an dieser Gesell- 3/5 schaft im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge unter Ausschluss der Anrechnung auf eine spätere Erbschaft übertragen werden. Eine Schenkung ohne Anrechnungspflicht auf eine spätere Erbschaft stelle keine vorweggenommene Erbfolge i. S. d. BMFSchreibens vom 04.07.2008, BStBl. I 2008, 736 dar. Hinweis: Bei der Gestaltung vorweggenommener Erbfolgen sollte das Urteil des FG Münster entsprechende Beachtung finden. Sofern das Finanzamt in ähnlich gelagerten Fällen die Auffassung eines Verlustuntergangs vertritt, sollte der Einspruch im Hinblick auf ein etwaiges Revisionsverfahren in Erwägung gezogen werden. Ein entsprechendes Aktenzeichen des Revisionsverfahrens ist derzeit allerdings nicht ersichtlich. 7. Aufwendungen im Zusammenhang mit einem fehlgeschlagenen Anteilserwerb Werden gegenüber einem Arbeitgeber Zahlungen in der Erwartung erbracht, dass die zugewendete Leistung dafür verwendet wird, eine Kapitalgesellschaft zu gründen, bei welcher der Zuwendende sowohl an der neuen Gesellschaft beteiligt wird als auch eine Position mit einer bereits ausgehandelten konkreten Vergütung einnehmen soll und kommt es in der Folge weder zu einer entsprechenden Beteiligung noch zu einer Anstellung des Zuwendenden und kann auch der zugewendete Betrag seitens des Arbeitgebers nicht zurückgezahlt werden, so ist der Verlust des Zuwendungsbetrags nach der mit Urteil vom 21.10.2015 (14 K 2767/12) geäußerten Meinung des FG Köln als vorweggenommene Werbungskosten steuerlich berücksichtigungsfähig. Zwischen den Aufwendungen für den fehlgeschlagenen Beteiligungserwerb und den (zukünftigen) Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit bestehe nach Auffassung der Richter ein hinreichend enger sachlicher Veranlassungszusammenhang. Hinweis: Das betreffende Revisionsverfahren ist derzeit vor dem BFH unter dem Aktenzeichen VI R 1/16 anhängig. Entsprechend gelagerte Sachverhalte sollten daher im Bedarfsfall unter Hinweis auf die seitens des FG Köln geäußerte Rechtsauffassung und das entsprechende Revisionsverfahren durch Einspruch offen gehalten werden. 8. Heimunterbringung als außergewöhnliche Belastung Das FG Niedersachsen entschied am 15.12.2015 (12 K 206/14), dass die Kosten einer Heimunterbringung nicht als außergewöhnliche Belastung i. S. d. § 33 EStG abzugsfähig sind, sofern der Umzug in ein Altenheim lediglich aus Altersgründen stattfindet und eine Krankheit und damit einhergehende Pflegebedürftigkeit erst während des Heimaufenthalts eintritt. Die Kosten für die altersbedingte Unterbringung in einem Altersheim zählten zu den üblichen Aufwendungen der Lebensführung. Die Heimunterbringung könne 4/5 allerdings ausnahmsweise dann den Tatbestand des § 33 EStG erfülen, wenn der dortige Aufenthalt ausschließlich krankheitsbedingt veranlasst ist. Hinweis: In einem ähnlich gelagerten Urteil des BFH vom 15.04.2010 (VI R 51/09) wurde seinerzeit ausdrücklich offen gelassen, ob die Kosten einer Heimunterbringung auch dann steuerlich zu berücksichtigen sind, wenn eine Krankheit und die damit verbundene Pflegebedürftigkeit erst nach Umzug in ein Altenheim auftreten. Das FG Niedersachsen hat im Zuge seines o. g. Urteils die Revision vor dem BFH zugelassen. Ein entsprechendes Az. wurde bislang nicht veröffentlicht. In entsprechenden Sachverhalten sollte gleichwohl unter Hinweis auf das etwaig geführte Revisionsverfahren Einspruch eingelegt werden. 5/5
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