263 AK TUELL Die SPRINT-Studie Neue Ziele für die Behandlung von Bluthochdruck? Michel Burnier, Edward Pivin, Fatma Megdiche, Gregoire Würzner Service de Néphrologie et Hypertension, Département de Médecine, Centre Hospitalier Universitaire Vaudois, Lausanne Arterielle Hypertonie ist der grösste Risikofaktor für das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse wie Schlag anfall, Herzinsuffizienz oder koronare Herzkrankheit, Vor diesem Hintergrund haben die im November 2015 aber auch für die Progression des chronischen Nie im New England Journal of Medicine erschienenen renversagens sowie das allmähliche Nachlassen der Intervention Trial) die Debatte über die Ziele einer Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stehen antihypertensiven Therapie neu entfacht und grosses zwei Drittel der Schlaganfälle und die Hälfte der Fälle wissenschaftliches und mediales Interesse erweckt koronarer Herzkrankheit im Zusammenhang mit [10]. Mithilfe der SPRINT Studie sollte geprüft werden, - einem systolischen Blutdruck von über 115 mm Hg - Erwachsenen an Bluthochdruck, bei den über 60 Jähri gen sind mehr als 60% betroffen. Es gilt nunmehr als erwiesen, dass durch die Behandlung arterieller Hyper wirkt, wenn ein systolischer Blutdruck von <120 mm Hg aufrechterhalten wird oder wenn der systolische Wert <140 mm Hg beträgt. Die untersuchte Population war sehr durchmischt und umfasste vor allem über 50 jäh - - gesenkt und die erwähnten Komplikationen, die eine rige Erwachsene, die entweder an einer bestätigten erhebliche gesellschaftliche Belastung sind, vermin oder subklinischen Herz Kreislauf Erkrankung (ausser - dert werden können [6]. Schlaganfall) litten, deren geschätzte glomeruläre Fil Seit etwa 2013 schlagen die allermeisten internatio oder die einen zehnjährigen Framingham Risikoscore - Therapie im Allgemeinen einen Blutdruck von unter älteren Patienten mit isolierter systolischer Hyper tonie vor [7]. Bei Diabetikern sollte der diastolische Blutdruck weniger als 85 mm Hg betragen. Aus ver Welches ist der optimale Wert für den systolischen Blutdruck: <120 mm Hg oder doch eher 140 mm Hg? trationsrate zwischen 20 und 59 ml/min/1,73 m2 betrug nalen Empfehlungen als Ziel einer antihypertensiven 140/90 mm Hg bzw. von unter 150/90 mm Hg bei - - tonie die Gesamt und die Herz Kreislauf Mortalität kardiovaskulärer und renaler Komplikationen aus ob es sich stärker auf die Mortalität und das Auftreten (WHO 2002 Report). In der Schweiz leiden etwa 30% der - - Ergebnisse der SPRINT Studie (Systolic Blood Pressure kognitiven Funktionen bei älteren Menschen [1–5]. Debatte über die Ziele einer antihyper tensiven Therapie neu lanciert doch häufig infrage gestellt. Die meistgestellten Fragen Studienpopulation: Ihr Anteil betrug ein Viertel der lauten: Ist es ein Risiko, den systolischen Blutdruck un teilnehmenden Patienten. Von der Studie ausgeschlos ter 120 mm Hg zu senken? Ist es sinnvoll, bei Patienten sen waren Diabetiker, Patienten mit polyzystischer zwischen 70 und 80 Jahren den Blutdruck auf Werte Nierenerkrankung und immunsupprimierte Glomeru unter 140 mm Hg zu verringern? Mit welchen Risiken lonephritis Patienten. ist eine Behandlungsintensivierung verbunden? Diese In dieser nur in den Vereinigten Staaten durchgeführ Bedenken werden bisweilen durch Post hoc Analysen ten Studie wurden 9361 behandelte oder unbehandelte grosser Studien verstärkt, die das Vorhandensein einer Patienten mit einem systolischen Blutdruck von J förmigen Kurve der Beziehung zwischen dem Blut >130 mm Hg untersucht. Das verwendete Protokoll druckniveau einerseits und der Mortalität sowie dem ähnelte jenem, das für die Diabetes Studie ACCORD an Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse andererseits wendet wurde [11]. Die eine Hälfte der Patienten wurde nahelegen. Dieser Hypothese zufolge ist die Gesamt einer Intensivtherapie unterzogen, deren Ziel die Sen und die Herz Kreislauf Mortalität höher, wenn der Blut kung des systolischen Blutdrucks auf <120 mm Hg war, druck unter 120/75 mm Hg liegt [8]. Ob diese J förmige die andere einer Standardtherapie, deren Zielblut Beziehungskurve tatsächlich besteht, ist heute aller druck bei <140 mm Hg lag. Das primäre kombinierte dings sehr umstritten [9]. Beurteilungskriterium umfasste die Zahl der Fälle von 2016;16(11):263–265 - - - - - - SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM - - - Michel Burnier - von >15% aufwiesen. Auch über 75 Jährige zählten zur schiedenen Gründen werden diese Therapieziele je 264 ktuell A akutem Koronarsyndrom, Schlaganfall, Herzinsuffizi len der Fälle orthostatischer Hypotonie mit oder ohne enz sowie die kardiovaskuläre Mortalität. Mithilfe der Schwindel und die Zahl der Stürze waren indes nicht sekundären Kriterien, die noch nicht veröffentlicht erhöht. Die obengenannten Nebenwirkungen sind wurden, sollten die Auswirkungen auf die Progression durch die häufigere Verwendung von Diuretika in der des chronischen Nierenversagens und auf die Entwick intensiv behandelten Gruppe erklärbar. lung von kognitiven Störungen und Demenz bewertet werden. Ein bedeutender Aspekt des Protokolls ist die Art der Blutdruckmessung: Sie erfolgte nach einer Stärken und Schwächen der Studie Die Ergebnisse dieser Studie werden sich voraussicht gebung und in Abwesenheit von medizinischem Per lich stark auf die künftigen internationalen Empfeh sonal. Der Blutdruck wurde dreimal automatisch mit lungen auswirken. Wie alle gross angelegten Studien einem vorprogrammierten Gerät gemessen, um sys hat die SPRINT Studie jedoch Stärken und Schwächen: tematisch zwischen zwei Messungen fünfminütige In Fest steht, dass diese Daten auf überzeugende Weise - fünfminütigen Entspannungsphase in ruhiger Um die Sicherheit und den Nutzen der Senkung des Blut Die wichtigsten Ergebnisse der Studie waren die Verringerung der Gesamtmortalität um 27% und die um 25% geringere Zahl kardiovasku lärer Ereignisse. drucks auf Werte unter 120 mm Hg zeigen, bei Patien - - ten ohne Diabetes, deren Herz Kreislauf Risiko über einen Zeitraum von zehn Jahren mehr als 15% be trägt. Diesbezüglich widersprechen die Ergebnisse der ermittelt wurden [12]; ein unter den Studienbedingun [13]. Dies könnte durch den Ausschluss von Diabetikern gen erhobener systolischer Blutdruck von 120 mm Hg erklärbar sein. Allerdings werden in neueren Studien - - hohem Herz Kreislauf Risiko <120–130 mm Hg beträgt - tät hinweisen, wenn der Blutdruck von Patienten mit 20 mm Hg geringeren Werte erklären, die in der Studie - achtungsstudien, die auf eine Erhöhung der Mortali Grenzen halten. Dieses Vorgehen könnte die um etwa - SPRINT Studie mehreren Post hoc Analysen von Beob ärzte den Weisskitteleffekt so weit wie möglich in tervalle zu gewährleisten. Dadurch konnten die Prüf die mit einem Blutdruck von <120 mm Hg verbunde von 140 mm Hg entsprechen. nen Risiken ebenfalls in Zweifel gezogen [9]. Der in der Die Studie war aufgrund des beobachteten Nutzens im SPRINT Studie festgestellte Nutzen im Hinblick auf die Hinblick auf die Mortalität vorzeitig abgebrochen wor Mortalität stand vor allem im Zusammenhang mit der den. Der durchschnittliche systolische Blutdruck be Verringerung der durch Herzinsuffizienz bedingten trug in der Intensivbehandlungsgruppe 121,4 mm Hg, Mortalität, während die Auswirkungen auf die Zahl der in der Standardbehandlungsgruppe 136,2 mm Hg. Die Schlaganfälle gering waren. Es ist deshalb wahrschein wichtigsten Ergebnisse der Studie waren die Verringe lich, dass durch die häufigere Verwendung von Diure rung der Gesamtmortalität um 27% (p <0,001) und die tika die subklinischen Fälle von Herzinsuffizienz be um 25% geringere Zahl kardiovaskulärer Ereignisse (p = 0,003) in der Intensivbehandlungsgruppe. Die verminderte Mortalität war hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Zahl der Herzinsuffizi enzfälle geringer war (–40%). Überraschenderweise - könnte somit unter Standardbedingungen einem Wert Erstaunlich ist, dass keine verringerte Zahl von Schlaganfällen beobachtet wurde, da sie die Komplikation mit der grössten Empfindlichkeit auf eine Blutdrucksenkung darstellen. man nur die anderen kardiovaskulären Komplikatio anfälle festgestellt. Um den Zielblutdruck zu erreichen, nen (Schlaganfall, Infarkt, Angina pectoris), besteht wurden in der Intensivbehandlungsgruppe 2,8 und in möglicherweise kein Unterschied zwischen einem Ziel der Standardbehandlungsgruppe 1,8 Medikamente blutdruck von <120 mm Hg und von <140 mm Hg. eingesetzt. Der Unterschied ist vor allem den Diuretika Erstaunlich ist, dass keine verringerte Zahl von Schlag geschuldet, von denen etwa Chlorthalidon in der in anfällen beobachtet wurde, da Schlaganfälle die kardio tensiv behandelten Gruppe häufiger verschrieben vaskulären Komplikationen mit der grössten Empfind wurde. lichkeit auf eine Blutdrucksenkung darstellen und in Die Auswertung der schwerwiegenden unerwünsch allen früheren Blutdruckstudien eine niedrigere Inzi ten Ereignisse ergab eine signifikante Erhöhung der denz von Schlaganfällen infolge einer Senkung des Blut Fälle von Hypotonie (2,4% gegenüber 1,4%), Synkope drucks festgestellt wurde. Bisher wurde – abgesehen vom (2,3% gegenüber 1,7%), Elektrolytstörungen (3,1% gegen Hinweis auf die relativ niedrige Inzidenz von Schlagan über 2,3%) und akutem Nierenversagen (4,1% gegen fällen in dieser Studie (0,47% pro Jahr) – noch keine über über 2,5%) in der Intensivbehandlungsgruppe, die Zah zeugende Erklärung für diese Beobachtung geliefert. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM 2016;16(11):263–265 merkt und besser behandelt werden konnten. Betrachtet dien nur eine geringe Senkung der Zahl der Schlag wurde im Gegensatz zu allen früheren klinischen Stu 265 lytstörungen, Hypotonie, akutes Nierenversagen). Bei - der Veröffentlichung der SPRINT Studie wurden die Nachteile, die mit diesen häufigeren Nebenwirkungen verbunden sind, als unbedeutend im Vergleich zum Nutzen hinsichtlich der Mortalität und Morbidität dar gestellt. In der Praxis könnten die tatsächlichen Aus wirkungen dieser Nebenwirkungen jedoch grösser und letztendlich ein limitierender Faktor für eine Behand lungsintensivierung sein. Es sei darauf hingewiesen, dass die Studie vorzeitig abgebrochen wurde und die Folgen der Nebenwirkungen möglicherweise signifi kant grösser gewesen wären, wenn die Studie bis zum - Auswirkungen auf die Progression des chronischen Nierenversagens und die Kognitionsstörungen zu ken nen. Wir schlagen daher vor, einstweilen die aktuellen Empfehlungen zu verwenden, wonach der Blutdruck in der ärztlichen Praxis auf <140 mm Hg gesenkt werden sollte [7]. Disclosure statement Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert Literatur 1 Lewington S, Clarke R, Qizilbash N, Peto R, Collins R, Prospective Studies C. 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Als Hauptschlussfolge - rung der SPRINT Studie kann also gelten, dass die Sen kung des systolischen Blutdrucks auf Werte unter 120 mm Hg sicher ist und im Zusammenhang steht mit einer geringeren Gesamtmortalität sowie einer ver minderten Zahl kardiovaskulärer Ereignisse bei über 50 jährigen Hypertoniepatienten (definiert durch einen Prof. Michel Burnier systolischen Blutdruck von >140 mm Hg zum Zeitpunkt - Korrespondenz: Service de Néphrologie (>15% über einen Zeitraum von zehn Jahren). Ein Ziel sofern der Patient die Behandlung verträgt. SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM michel.burnier[at]chuv.ch - 2016;16(11):263–265 - - - blutdruck von <120 mm Hg kann angestrebt werden, - CH 1011 Lausanne Rue du Bugnon 17 - der Diagnose) mit erhöhtem Herz Kreislauf Risiko CHUV - et Hypertension - fehlungen der ESH (European Society of Hypertension) - ven Funktionen vorliegen, sollten die aktuellen Emp - keine Informationen über das Nachlassen der kogniti pharmakologischem Wege behandelt werden. Solange Patienten nicht medikamentös, sondern auf nicht Nach Ansicht der europäischen Experten sollten diese - deln, dass ihre Werte auf unter 120 mm Hg sinken: Blutdruck zwischen 130 und 140 mm Hg so zu behan Grund, unbehandelte Patienten mit einem systolischen dikamenten behandelt. Diese Tatsache ist jedoch kein Blutdruck von >130 mm Hg bereits mit bis zu drei Me - nigten Staaten. Zu Beginn der SPRINT Studie wurden mehr als 90% der teilnehmenden Patienten mit einem besonders auf andere Populationen als die der Verei barkeit der Ergebnisse auf die Gesamtbevölkerung und Darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Übertrag - Ende durchgeführt worden wäre. einbezogen; es wäre jedoch wichtig, zuvor auch die Verschreibung von Diuretika bedingt sind (Elektro Die Ergebnisse der SPRINT Studie werden voraussicht lich in die kommenden internationalen Empfehlungen - Nebenwirkungen, die vor allem durch die häufigere Fazit Zusammenhang mit dem vermehrten Auftreten von Ein Zielblutdruck von 120 mm Hg steht in eindeutigem ktuell A
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