Eigennützige Hungerhilfe Tatmotiv Rassismus? Deutsche Kartoffeln helfen nicht Kenia, sondern nur der eigenen Wirtschaft. Seite 10 Rolf Z. ist vor dem Landgericht Berlin wegen Mordes angeklagt. Seite 11 Der Kabarettist als Journalist Als Kunstfigur Erwin Pelzig rettet FrankMarkus Barwasser die Ehre des kleinen Mannes. Jetzt war er Talkshow-Gast bei Gregor Gysi. Seite 16 Foto: 123rf/Svetlana Kuznetsova Foto: vollmond-konzertfotografie.de Dienstag, 15. März 2016 71. Jahrgang/Nr. 63 Berlinausgabe 1,70 € www.neues-deutschland.de * STANDPUNKT Die Verlierer Tom Strohschneider über die Zukunft solidarischer Mehrheiten Wer Rot-Rot-Grün für eine Option hielt, Veränderungen links der CDU durchzusetzen, hat seit Sonntag viel nachzudenken. Dazu zwingt schon die Mathematik: Mit dem Aufstieg der AfD wird die Bildung von Mehrheiten schwieriger. Hinzu kommt: Unter dem Strich hat das rot-rot-grüne Lager in den drei Ländern über 265 000 Parteistimmen verloren. Bei gestiegener Wahlbeteiligung! Politik ist aber nicht bloß Erbsenzählerei. Es war immer klar, dass Rot-Rot-Grün auch eine Frage gesellschaftlicher Wechselstimmung und des Kurses der beteiligten Parteien ist. Das gilt für alle Beteiligten, aber in einer entscheidenden Frage vor allem für die SPD: Deren glaubwürdige, also radikale Rückbesinnung auf einen sozialdemokratischen Kurs in der Verteilungs- und Wirtschaftspolitik ist Mindestbedingung für Rot-Rot-Grün. Schon, weil es die Voraussetzung für SPD-Ergebnisse oberhalb von 25 Prozent wäre. Es ist ja nicht so, dass niemand soziale Gerechtigkeit möchte. Es ist aber so, dass dieses Versprechen auch aus Parteienmund links der CDU immer weniger zieht: Weil angekündigte Politikwechsel zu bloßem Regierungsaustausch verkümmerten, weil längst SPD und Grüne, aber auch die Linkspartei, mit der Erfahrung verbunden werden, am Ende doch nichts individuell Zählbares für die Wähler zu tun. Wohin das geführt hat? Zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit des rot-rot-grünen Lagers, der in politische Schwäche mündete, die nun mit dafür verantwortlich ist, dass sich die Enttäuschten, weil sie sich Besseres nicht mehr versprechen, rechts sammeln. UNTEN LINKS Deutschland wird wegen seiner Rüstungsexporte immer wieder kritisiert. U-Boote, Kriegsschiffe, Panzer, Gewehre und vieles andere Mordsgerät wird in alle Welt geliefert, gern auch mal an Schurkenstaaten. Der zuständige Exportgenehmigungsminister Gabriel zeigt sich zwar einerseits sensibel, muss aber andererseits erklären, wie seine Unterschrift unter Exportaufträge geraten konnte. Da wurden wir natürlich hellhörig, als jetzt von einer völlig neuen, furchteinflößenden Waffengeneration berichtet wurde: von einem Tortenkatapult. Ein solches menschenverachtendes Kampfinstrument hatten AfDGegner am Wochenende vor dem Tagungsort der Berliner Rechtspopulisten aufgebaut. Zum Glück war die Polizei wachsam und stellte das Rüstungsgut sicher, bevor es zum Kuchenmassaker kommen konnte. Jetzt wollen wir wissen: Wurden deutsche Tortenkatapulte schon in Krisenregionen exportiert? Und was sagt Sigmar Gabriel zum Einsatz deutscher Kalorienbomben im Ausland? wh ISSN 0323-4940 Landtage werden brauner Flüchtlinge fliehen aus Idomeni Wahlerfolge der rechten AfD heizen Debatten über Flüchtlingspolitik an Hunderte Menschen verließen Lager in Richtung mazedonische Grenze Chamilo. Hunderte Flüchtlinge haben am Montag überraschend das provisorische Notlager in Idomeni nahe der griechischmazedonischen Grenze verlassen. Wie freiwillige Unterstützer vor Ort berichteten, hatten sich die Menschen zu Fuß aufgemacht, um die geschlossene Grenze nach Mazedonien zu überqueren. Einige Helfer sprachen von mehr als 1000 Flüchtlingen. Offenbar war der Aufbruch Richtung Grenze bereits länger geplant. Im Camp kursierten Flyer, auf denen die geplante Route verzeichnet ist. Am Nachmittag durchquerte der Marsch die Ortschaft Chamilo und anschließend einen grenznahen Fluss. Noch auf griechischer Seite stoppten Polizisten die Flüchtlinge. Im improvisierten Lager Idomeni spitzte die Lage nach neuen Regenfällen zu. Die Behörden riefen die Migranten abermals auf, das Camp zu verlassen und in andere Lager im Landesinneren zu gehen. Mehr als 10 000 Migranten harren dort weiter aus, um doch noch nach Österreich und und Deutschland weiterreisen zu können. nd/Agenturen Syrien-Dialog in Genf fortgesetzt Vorsichtige Hoffnungen auf Frieden fünf Jahre nach Kriegsbeginn Karnevalswagen beim Rosenmontagszug in Düsseldorf, der am Sonntag nachgeholt wurde Berlin. Nach den Erfolgen der rechten AfD am Wochenende bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt ist der Streit über die Flüchtlingspolitik in der Union erneut entbrannt. »Wir sollten der Bevölkerung sagen, dass wir verstanden haben, und dass wir aus diesem Wahlergebnis auch Konsequenzen ziehen«, forderte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer angesichts der zum Teil deutlichen Stimmenverluste der CDU. Der CSU-Vorsitzende hatte sich immer wieder für eine Obergrenze bei der Aufnahme von Schutzsuchenden ausgesprochen. Diese dürfte allerdings rechtswidrig sein. Bundeskanzlerin Angela Merkel räumte ein, dass der Wahlsonntag ein schwerer Tag für die CDU gewesen sei. Die Parteivorsitzende führte dies darauf zurück, dass die Flüchtlingspolitik das dominierende Thema war. »Wir sind zwar vorangekommen und haben die Flüchtlingszahlen reduziert. Aber es gibt noch keine nachhaltige Lösung«, sagte Merkel. Einen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik schloss die Kanzlerin aus. Sie setze weiter auf eine »europäische Lösung«. Demnach sollen Asylbewerber möglichst weit entfernt von der deutschen Grenze an der Weiterreise gehindert werden. Die Große Koalition hatte das Asylrecht in den vergangenen Monaten schrittweise ausgehöhlt. Zu den Gesetzesverschärfungen gehörten etwa die Androhung von Leistungskürzungen für »ausreisepflichtige Asylbewerber« sowie die Ausweitung sogenannter sicherer Herkunftsstaaten. Linksparteichefin Katja Kipping konstatierte, dass dies vor allem der »zumindest in Teilen faschistischen AfD« geholfen habe. Kipping beklagte ein »gesellschaftliches Klima der Entsolidarisierung und des Rechtsrucks«. Zudem distanzierte sie sich von einer Aussage der Linksfraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht, die in einem Zeitungsinterview am Wochenende gesagt hatte, dass nicht alle Flüchtlinge nach Foto: dpa/Maja Hitij Deutschland kommen könnten. Obergrenzen bei der Aufnahme von Schutzsuchenden würden von der LINKEN klar abgelehnt, erklärte Kipping. Auch christliche und jüdische Vertreter reagierten besorgt auf das Abschneiden der AfD. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich BedfordStrohm, sprach von einer »rechtspopulistischen Protestpartei« und betonte zugleich, die »überragende Mehrheit der Deutschen« wolle schutzsuchenden Menschen auch weiterhin Hilfe zukommen lassen. Eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise, eine entschlossene Mehr zum Thema SPD bleibt trotz Wahlpleiten bei »bewährten« Rezepten Seite 2 AfD-Erfolg als Jobmaschine Seite 3 Schwierige Regierungsbildungen in Mainz und Stuttgart Seite 4 Die AfD und die D-Mark-Büchse Seite 8 Der Rechtsradikale – ein ohnmächtiges Opfer Seite 15 Integrationspolitik und schnelle Asylverfahren seien »das beste Mittel gegen rechtsextreme Stimmungsmache in unserem Land«. Der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, sprach von einem »erschreckenden Rechtsruck der Gesellschaft« und sagte der Wochenzeitung »Jüdische Allgemeine«: »Gemeinsam müssen wir uns gegen die Ausgrenzung und Abwertung von Minderheiten in unserem Land wehren.« Die frühere Präsidentin des Zentralrates der Juden, Charlotte Knobloch, sagte, die AfD habe sich »bewusst jenseits der Grenzen des freiheitlich-demokratischen Spektrums begeben«. Der Wittenberger Theologe Friedrich Schorlemmer forderte von der AfD ein klares Bekenntnis zu demokratischen Grundwerten. Das Positive an dem Ergebnis sei, dass die Auseinandersetzung ins Parlament getragen wird, »wo sie hingehört«, sagte Schorlemmer dem Evangelischen Pressedienst. Die AfD konnte offenbar vor allem mit ihren flüchtlingsfeindlichen Sprüchen bei einem Teil des Wählerspektrums punkten. Funktionäre der Partei hatten etwa sofortige Grenzschließungen gefordert. In der Bundespressekonferenz gaben sie sich am Montag allerdings gemäßigter als bei ihren Auftritten vor rechtsradikalen Demonstranten. Die Vorsitzende Frauke Petry behauptete vor den Hauptstadtjournalisten, dass Kampagnen der Medien das Ziel gehabt hätten, die AfD zu diffamieren. Ihren Wählern versprach Petry, sich für »sozialen Frieden« einzusetzen. Allerdings steht die Partei noch immer für einen neoliberalen Kurs, der die Lage der sozial Abgehängten weiter verschlechtern würde. So lehnt die AfD etwa den Mindestlohn ab. Als wirtschaftspolitische Leitlinien nannte Petry »Freiheit, Verantwortung und Wettbewerb«. Die Zugewinne der AfD und gleichzeitigen Verluste etablierter Parteien haben dazu geführt, dass alle drei bisherigen Landesregierungen keine Mehrheit mehr haben. In Sachsen-Anhalt ist die bisherige schwarz-rote Koalition auf die Unterstützung der Grünen angewiesen. Die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) will die FDP mit ins Boot holen und unter Einschluss der Grünen ein Dreierbündnis bilden. Ansonsten ist in Mainz auch eine Große Koalition aus SPD und CDU möglich. Völlig unklar ist, wer künftig in Baden-Württemberg regieren wird. Ein Bündnis von Grünen und CDU ist ebenso möglich wie Schwarz-Rot-Gelb oder Grün-RotGelb. Allerdings hatte sich die FDP bisher wenig offen für ein Zusammengehen mit Grünen und SPD gezeigt. avr Genf. Bei den Syrien-Friedensgesprächen gibt es nach Angaben des UN-Sonderbeauftragten Staffan de Mistura noch erhebliche Differenzen zwischen den Konfliktparteien. Deshalb werde er sich in den kommenden Tagen weiterhin nur separat mit den Vertretern der Regierung und der Opposition treffen, sagte de Mistura am Montag in Genf. Dort nahm er kurz vor dem fünften Jahrestag des Syrien-Konflikts die Anfang Februar ausgesetzten Friedensgespräche wieder auf und traf sich zunächst mit einer Delegation der Regierung. Die Friedensgespräche sollen den Weg zu einer politischen Lösung für den blutigen Konflikt bahnen. De Mistura will mit den Kriegsparteien über eine Übergangsregierung, eine neue Verfassung sowie Wahlen innerhalb von 18 Monaten verhandeln. Die erste Gesprächsrunde war Anfang Februar ausgesetzt worden, nachdem die Gewalt im Land eskaliert war. Mittlerweile gilt seit über zwei Wochen eine Waffenruhe, die trotz Verstößen hält. dpa/nd Seiten 6 und 10 Merkel warnt vor Judenhass bei Flüchtlingen Kanzlerin sprach auf Berliner Antisemitismuskonferenz Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat Verständnis für Sorgen vor zunehmendem Antisemitismus in Deutschland durch Flüchtlinge gezeigt. Es sei »völlig legitim«, wenn der Zentralrat der Juden Sorgen äußere angesichts von Menschen, »die mit israelfeindlichen und judenfeindlichen Prägungen aufgewachsen sind«, sagte Merkel am Montag bei einer Antisemitismuskonferenz in Berlin. Entscheidend sei jedoch, welche Schlussfolgerungen man daraus ziehe. Merkel sprach bei der Konferenz der Interparlamentarischen Koalition zur Bekämpfung von Antisemitismus. Dort beraten die Experten über den Kampf gegen Judenhass in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Die Tagung findet im Rahmen des deutschen Vorsitzes der OSZE statt. Schwerpunkte liegen auf den Themen Hass im Internet, Antisemitismus im Fußball und Gefahren in der Migrationsgesellschaft. nd/epd Seite 5
© Copyright 2025 ExpyDoc