Statement Martin Litsch - AOK

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Pressekonferenz zum Deutschen Pflegetag 2016
10. März 2016, Berlin
Statement von Martin Litsch
Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes
Warum sitze ich als Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes hier auf dem Podium? Ganz
einfach: weil die Hälfte aller 2,7 Millionen Pflegebedürftigen bei der AOK versichert ist. Sie können
sich also vorstellen, dass wir alles daran setzen, um die Pflegeversicherung wetterfest zu machen. Es
ist unser Anspruch, für unsere Versicherten und ihre Angehörigen in allen entscheidenden Fragen
zur pflegerischen Versorgung und zur finanziellen Absicherung mitzureden und mitzuentscheiden.
Deshalb haben wir uns auch von Anfang an auf dem Deutschen Pflegetag engagiert und als Gründungsmitglied viel für seine Profilierung als zentrale bundesweite Veranstaltung getan.
Mit diesem Vertretungs- und Gestaltungsanspruch bewerten wir auch die Pflegegesetze der 18.
Legislaturperiode, die mit Abstand den gelungensten Teil der Gesundheitsreformen der Großen Koalition darstellen. Damit wurden eine umfassende Modernisierung der sozialen Pflegeversicherung
eingeleitet und die finanzielle Basis gestärkt: Mit den beiden Pflegestärkungsgesetzen stehen ab 2017
rund fünf Milliarden Euro mehr für eine bessere pflegerische Versorgung zur Verfügung. Außerdem
gibt es Milliarden für Übergangs- und Bestandsschutzregelungen. Und im Krankenhausbereich fließen mehr als eine Milliarde Euro durch das Pflegestellenförderprogramm. Diese zusätzlichen Gelder
müssen sich nun aber auch in besserer Pflegequalität „am Bett“, zusätzlichem Pflegepersonal und
verbesserten Arbeitsbedingungen bemerkbar machen. Auf den Pflegevorsorgefonds, in den jährlich eine zusätzliche Milliarde Euro fließt, will ich nicht weiter eingehen. Nur so viel: In der jetzigen
Niedrigzinsphase stellt sich die Frage nach seiner Sinnhaftigkeit noch dringlicher. Womöglich fallen
auch hier noch Minuszinsen an, so dass ich noch einmal an unseren Vorschlag eines Nullzinskontos
erinnere, das etwa die Bundesbank für die soziale Pflegeversicherung einrichten könnte und das wir
schon für kurzfristige Anlagen der Krankenversicherung vorgeschlagen haben.
Die AOK begrüßt auch die Ziele des geplanten Pflegeausbildungsgesetzes, mit dem die Attraktivität des Pflegeberufs gesteigert werden soll. Aus unserer Sicht ist es sinnvoll, die Ausbildung so zu
gestalten, dass sie den Anforderungen an die sich wandelnden Versorgungsstrukturen und zukünftigen Pflegebedarfe für alle Altersgruppen gerecht wird. So ist es positiv, dass die Durchlässigkeit
zwischen den einzelnen Qualifikationsstufen in der Pflege erhöht wird, Wettbewerbsnachteile für
Ausbildungsbetriebe gegenüber Betrieben, die nicht ausbilden, wegfallen und das Schuldgeld für
Pflegeschüler abgeschafft wird. Auch die Möglichkeiten einer akademischen Pflegeausbildung sind
sinnvoll. In der Umsetzungsphase des Gesetzes muss allerdings intensiv darauf geachtet werden, dass
mit den geplanten Maßnahmen die Qualität der Berufsausbildung und die Attraktivität der Pflegeberufe auch tatsächlich steigen.
Was wir in diesem Zusammenhang ausgesprochen kritisch sehen, ist der gewählte Weg zur Reform
der Ausbildungsfinanzierung. Diese soll auf eine einheitliche Finanzierungsbasis der neuen beruflichen
Pflegeausbildung abstellen, wozu man bis zu 16 Landesausbildungsfonds einrichten will. Diese Fonds
Pressekonferenz Deutscher Pflegetag 2016 am 10.03.2016
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lehnen wir ab: Zum einen, weil die Landesausbildungsfonds Doppelstrukturen schaffen und einen
unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand mit sich bringen. Zum anderen, weil das Geld für
diese Landesausbildungsfonds zu rund 90 Prozent von den Beitragszahlern der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung und den Heimbewohnern selbst kommen soll. Wieder stehlen sich die
Länder damit aus ihrer finanziellen Verantwortung, die schulischen Ausbildungskosten angemessen
zu refinanzieren.
In Deutschland ist mit dem dualen Berufsbildungssystem die Finanzierungsverantwortung von Ausbildungsberufen eigentlich klar geregelt. Während die Finanzierung der schulischen Ausbildung und
der Hochschulausbildung den Ländern obliegt, refinanzieren die Ausbildungsbetriebe die Mehrkosten der Ausbildungsvergütung über den Preis. Dieses System wird überall in der Welt als vorbildlich
gelobt, warum wenden wir es also nicht auch auf die Pflegeausbildung an. Damit können die bisher
etablierten Strukturen genutzt werden: Länder übernehmen entsprechend ihrer Zuständigkeit die
vollständigen Kosten der schulischen Ausbildung. Das Land legt die Mindestanforderung an Ausbildungsstätten fest und vereinbart mit den Pflegeschulen jeweils ein Ausbildungsbudget. Die Kosten
der praktischen Ausbildung werden dann über den Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung und die
Ausbildungszuschläge der Krankenhäuser von der GKV refinanziert.
Wir haben vorigen Montag den Pflege-Report vorgestellt und dabei die Bedeutung der pflegenden
Angehörigen für den Versorgungs-Mix unterstrichen. Dabei wurde wieder deutlich, welchen Belastungen pflegende Angehörige ausgesetzt sind und dass sie unbedingt mehr und gezieltere Entlastungsangebote brauchen. Weiter gedacht heißt das aber auch, dass der pflegepolitische Grundsatz
„ambulant vor stationär“ nicht bedeuten kann, dass man ambulante Pflegedienste, Pflegeheime
und pflegende Angehörige gegeneinander ausspielt. Für die Bewältigung der großen pflegerischen
Herausforderungen brauchen wir Mann und Maus – und vor allem viel Kooperation und Ergänzung.
Natürlich müssen wir weiterhin beherzigen, dass Pflegebedürftige so lange wie möglich in ihrer
vertrauten Umgebung bleiben wollen. Aber wir müssen dabei auch realistisch bleiben. Tatsache ist:
Immer mehr Menschen werden pflegebedürftig, immer mehr Menschen leben allein, und immer
mehr Frauen sind erwerbstätig. Bei aller Bedeutung pflegender Angehöriger und ambulanter Pflegedienste – diese Kausalkette macht die stationäre Pflege unverzichtbar, wir werden weiterhin auf
gute stationäre Pflege angewiesen sein. Deshalb haben wir auch für eine unserer Veranstaltungen
die Parole ausgegeben: „Vergesst die Heime nicht“.
Die Politik muss auch für Pflegeheime attraktive Rahmenbedingungen schaffen. Sonst läuft sie Gefahr, Ausweichmanöver von Pflegeheim-Betreiber zu provozieren. Erste Anzeichen dafür, dass die
Stärkung der ambulanten Pflegeversorgung zu Fehlanreizen führt, sind heute schon erkennbar. Stichwort „Ambulantisierung“. Wir beobachten derzeit, dass Pflegeeinrichtungs-Träger zunehmend
Versorgungsstrukturen entwickeln, die ein ambulantes Versorgungsangebot simulieren, eigentlich
aber wie eine stationäre Einrichtung funktionieren. Durch diese Strategie, die man auch einen Etikettenschwindel nennen könnte, optimieren Pflegeeinrichtungen ihre Erlöse, und für die pflegerische
Versorgung ist dadurch nichts gewonnen. Das muss der Gesetzgeber unbedingt korrigieren und für
eine kurzfristige Lösung im Leistungs- und Vertragsrecht sorgen. Einen entsprechenden Vorschlag,
wie man hier Abhilfe schaffen kann, haben wir bereits gemacht.
ANSPRECHPARTNER
Dr. Kai Behrens | Pressesprecher | 030 346 46-23 09 | [email protected]
Pressekonferenz Deutscher Pflegetag 2016 am 10.03.2016