A M WO C H E N E N D E WWW.SÜDDEUTSCHE.DE HF1 MÜNCHEN, SAMSTAG/SONNTAG, 12./13. MÄRZ 2016 72. JAHRGANG / 10. WOCHE / NR. 60 / 2,90 EURO Schöner Schwindel VIEL HARMONIE Lange galt das unfertige Hamburger Konzerthaus als Lachnummer. Mittlerweile ist die Baustelle eine Sehenswürdigkeit, beliebt bei Touristen – und Einheimischen Kosmetikkonzerne werben für ihre Cremes, als seien diese biomedizinische Hightech-Produkte. Sie werden immer teurer, aber was nützen sie eigentlich? WIE GEHT ES IHM? Über eine Frage, die viele bewegt – und nur wenige etwas angeht Die Seite Drei Gesellschaft, Seite 49 Wissen, Seiten 38/39 VERFAHREN Zorneding will nicht Clausnitz sein: Dorf, Kirche und Partei suchen den Neuanfang Bayern, Seite 45 Medien, TV-/Radioprogramm Forum & Leserbriefe München · Bayern Rätsel & Schach Traueranzeigen 46-48 16 45 65 22-23 61010 4 190655 802909 Der Wahl-Thriller Schwere Rüge für Polens Regierung Selten waren so viele hin- und hergerissen wie bei diesen Landtagswahlen in Zeiten der Flüchtlingskrise. Fast die Hälfte der Bürger ist noch unentschieden. Das heißt Hochspannung, nicht nur für Angela Merkel Europarat: Neue Justizgesetze gefährden die Demokratie von detlef esslinger Bisher sind es nur Umfragen, von denen die Kanzlerin auf die Stimmung im Volk schließen kann – am Sonntagabend hingegen wird sie Wahlergebnisse bekommen; die zuverlässigsten Daten, die es in der Politik gibt. In Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt entscheiden die Bürger über die Zusammensetzung der Landtage. Und dass es dabei gewiss nicht nur um Schulen, Mittelrheinbrücken und Windparks geht, spiegelt sich auch in den Beobachtungen, welche die Wahlforscher machen. Michael Kunert, Geschäftsführer von Infratest Dimap, sagt: „Ich kann mich nicht erinnern, dass wir innerhalb so kurzer Zeit noch solche Änderungen bei den Zahlen hatten.“ Merkels Flüchtlingspolitik wühlt das Land auf, viele Bürger sind hin- und hergerissen, ob und wen sie wählen sollen. In den Umfragen der vergangenen Wochen ist die CDU in Baden-Württemberg von den Grünen überholt worden – obwohl sie vor Weihnachten noch einen Vorsprung von zwölf Prozentpunkten hatte. In Rheinland-Pfalz ist Merkels Partei von der SPD inzwischen mal eingeholt, mal überholt worden – hier sind es acht Prozentpunkte Vorsprung, die sie verloren hat. In Baden-Württemberg und vor allem in Sachsen-Anhalt hingegen ist es vor allem die SPD, die diesen Sonntag fürchten muss: Dort stürzte sie in den Umfragen immer weiter ab. Im Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen kam sie am Donnerstagabend in Baden-Württemberg und in Sachsen-Anhalt noch jeweils auf 14 Prozent. In Sachsen-Anhalt läge sie damit deutlich hinter der AfD; diese wird dort inzwischen mit 18 Prozent gehandelt. Vielleicht klammert sich der eine oder andere nervöse Wahlkämpfer ja an jene Alles sollte einfacher werden, überschaubarer, schneller und effizienter. Herausgekommen ist ein heilloses Durcheinander, das Tausende Autofahrer verärgert. Die Pannen häufen sich, seitdem der Bund anstelle der Länder die Kfz-Steuer eintreibt. Wie ein bisher unveröffentlichter Bericht des Bundesrechnungshofs jetzt zeigt, gab es durch die neue Zuständigkeit für die Steuer nicht nur falsche, verwirrende oder unlesbare Bescheide – auch für den Staat ist die Sache finanziell schlecht gelaufen. Seit 2009 schon kümmert sich der Bund um die Kfz-Steuer. Doch für eine Übergangszeit erledigten noch die Kfz-Behörden der Länder das Geschäft. Zum Chaos kam es dann, so der Rechnungshof, als der Bund 2014 die erfahrenen Mitarbeiter durch eine eigene Mannschaft ablöste. „Viele tausend Bürgerinnen und Bürger“ hätten sich seitdem über die neue Verwaltung der Steuer beschwert, schreiben die Prüfer. Einige Beispiele belegen das Tohuwabohu: In einem Bundes- DIZdigital: Alle Alle Rechte Rechte vorbehalten vorbehalten –- Süddeutsche Süddeutsche Zeitung Zeitung GmbH, GmbH, München München DIZdigital: Jegliche Veröffentlichung Veröffentlichungund undnicht-private nicht-privateNutzung Nutzungexklusiv exklusivüber überwww.sz-content.de www.sz-content.de Jegliche Zahlen, die Wahlforscher immer mitliefern. Sie stellen den Anteil derjenigen Bürger dar, die noch nicht genau wissen, ob und wen sie wählen sollen. Dem Politbarometer vom Donnerstag zufolge sind 44 Prozent der Wähler in Baden-Württemberg, 35 Prozent in Rheinland-Pfalz und 43 Prozent in Sachsen-Anhalt noch unschlüssig; drei Tage vor einer Wahl sind das durchaus übliche Werte. Zeigt das nicht, wie viel Bewegung immer noch möglich ist, wie vorsichtig die Umfragezahlen betrachtet werden müssen? Ja und nein. Matthias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen, zuckt immer, wenn jemand seine Umfragen als „Progno- se“ liest. Der Trugschluss mag naheliegen, weil er (und seine Konkurrenten auch) ihre Ergebnisse gern unter der Überschrift „Wenn schon heute Wahl wäre“ publizieren. Jung aber sagt: „Eine Prognose geben wir immer am Wahlabend um 18 Uhr heraus. Jetzt liefern wir eine Stimmung zum Zeitpunkt der Umfrage.“ Und Stimmungen können sich noch ändern; das ist ja gerade die Erkenntnis der zurückliegenden Wochen. Bürger können am Sonntag doch anders abstimmen, als sie es den Demoskopen gesagt haben; es mögen welche zu Hause bleiben, die eigentlich ihre Teilnahme angekündigt haben, oder doch noch zur Wahl gehen, ob- Stunde der Unentschlossenen Die Wahlentscheidung am Sonntag ist sicher: Ja 65 % 57% 56 % Nein 44 % 43% SZ-Grafik: Mainka; Quelle: Forschungsgruppe Wahlen (SZ) Der Wolf geht um in den kargen Ebenen Niedersachsens. Das heißt: nicht einfach der Wolf. „Problemwolf gibt Rätsel auf“, meldet bang der Weser-Kurier. Gewiss, wer je zu später Stunde zwischen Visselhövede und Tötensen beim Schützenfest dem nachhaltigen Konsum lütter Lagen beiwohnte, konnte leicht den Eindruck gewinnen, Problemwölfe seien hier im Ödland Niedersachsens keine ganz so seltene Erscheinung. Der hier angeführte Problemwolf jedenfalls tapert, als habe er selber ein wenig zu hart gefeiert, seltsam ziellos durchs Land, begleitet ungebeten Spaziergänger und schläft neben Flüchtlingsunterkünften, Letzteres womöglich aus Solidarität unter Zugewanderten. Die Flüchtlinge wären freilich erstaunt, verglichen sie ihren Betreuungsschlüssel mit des Problemwolfs. Wo bei ihnen Helfer und Mittel knapp sind, kümmert sich um den herumirrenden canis lupus eine Heerschar aus Wolfsmanagern, Wolfsfachleuten, auf Wölfe spezialisierten Beamten, Wolfsschützern, Wolfsfreunden und fliegenden Wolfsüberwachern, die jeder Bewegung des Tiers aus der Luft nachspürten. Zuletzt wurde seitens des Umweltministeriums ein „Vergrämungsexperte“ aus Stockholm hinzugezogen, der nach ausführlichen Untersuchungen dazu riet, das Tier durch den Einsatz von Gummigeschossen der menschlichen Nähe zu entwöhnen. In seiner schwedischen Heimat habe man mit dieser Methode die glänzendsten Erfolge erzielt und in etwa 30 Prozent der Fälle allzu zutrauliche Wölfe auf Distanz gehalten. Das könnte den Schluss nahelegen, dass der Spaziergänger in den anderen 70 Prozent nicht übel beraten wäre, eine Bockdoppelflinte Beretta Kaliber 20/76 mitzuführen, was aber leider nicht im Sinne eines sozialtherapeutischen Problemwolfmanagements ist. Schließlich geht es ja nicht um einen Schadwolf, um in den Kategorien der Tierkunde zu bleiben, die der damalige bayerische Ministerpräsident Stoiber am Beispiel eines in Bienenstöcken marodierenden Bären entwarf: Bär, Problembär, Schadbär. Die Schadstufe führt zum sofortigen Einsatz schwerkalibriger Langwaffen und wird vom Landesherrn persönlich ausgerufen. Jedenfalls ist das in Bayern so, wo man bekanntlich von jeher etwas fester hinlangt gegen Störer der öffentlichen Ordnung. So gesehen, ist eine sehr prominente, aus Niedersachsen stammende Leitwölfin noch gut davongekommen, die zuletzt eine Tendenz zur Problemwölfin hatte erkennen lassen. Dank einer wohlwollenden akademischen Prüfkommission entging sie der weiteren Mutation zur Schadwölfin, die man dann politisch womöglich aus ihrer Warteposition nach ganz oben geschossen hätte. Dank ihres ausgeprägten Alphaweibchen-Verhaltens hat die Wölfin aber noch jeden Vergrämungsexperten weggebissen. 35% BADENWÜRTTEMBERG RHEINLANDPFALZ SACHSENANHALT Vollgas ins Chaos Für Deutschlands Autofahrer sollte es einfacher werden, Kfz-Steuer zu bezahlen. Nun ist amtlich: Das ging daneben land wurden Neufahrzeuge irrtümlich als Oldtimer eingeordnet und mit der Pauschalsteuer von 191 Euro belastet. Vielfach ging auch der Versuch schief, Leute dazu zu bringen, ihre Steuer per Lastschrift zu zahlen. 6,2 Millionen Schreiben verschickte der Zoll. Etliche davon allerdings an Bürger, die dauerhaft von der Kfz-Steuer befreit waren, was prompt Verwirrung auslöste. Andere hielten die Schreiben wegen der schlechten Druckqualität für einen Versuch von Kriminellen, ihre Kontodaten auszuspionieren. Immerhin erteilten dann doch mehrere Hunderttausend Steuerzahler die ge- wünschte Einzugsberechtigung. Das allerdings stellte die neue Kfz-Behörde vor ein noch größeres Problem. Schnell stapelten sich die Briefe. Klar, man konnte sie ja nur per Hand und nicht maschinell verarbeiten. Um der Flut Herr zu werden, musste zusätzliches Personal angeheuert werden. Kosten laut Rechnungshof: 821 000 Euro. Rückstau gibt es aber auch anderswo. So zählten die Bonner Prüfer insgesamt 12 500 unbearbeitete Straf- und Bußgeldverfahren. Die Summe der unbearbeiteten Vollstreckungen – also des massiven Einforderns von Steuerschulden – liege bei 811 000. Zu wenig Personal, so das wohl sie die ganze Zeit unsicher waren. Michael Kunert von Infratest Dimap sagt: „Wie groß diese Veränderungen sind, lässt sich vorher nicht sagen und hängt insbesondere von der Mobilisierung am Wahltag ab.“ Jedenfalls wird kein Wahlkämpfer die Illusion hegen, 44 Prozent unentschlossene Bürger in Baden-Württemberg kämen für ihn einem Potenzial in dieser Höhe gleich. Entscheidungen in letzter Sekunde – für oder gegen die Wahlteilnahme, für oder gegen eine Partei – verteilen sich in der Regel auf alle Parteien; auf die einen mehr, auf die anderen weniger. Unterschiedliche Ansichten herrschen unter Wahlforschern in der Frage, wie groß das tatsächliche Potenzial der AfD ist. Die einen nehmen an, dass die Partei ihre Wähler paritätisch aus sämtlichen Lagern einsammelt, inklusive dem der Nichtwähler. Andere glauben zusätzlich, dass der Erfolg bei der Kommunalwahl am vergangenen Sonntag in Hessen der Partei zusätzliche Wähler verschaffen wird – nach dem Motto, dass nichts so erfolgreich ist wie der Erfolg. Manfred Güllner wiederum, der Chef des Instituts Forsa, sagt, unter den Wahlberechtigten insgesamt sei die AfD nach wie vor „eher schwach verankert“. Er befragte im vergangenen Jahr Bürger, die bei der Bundestagswahl 2013 noch CDU wählten, dies jetzt aber nicht mehr tun würden. Das Ergebnis: Jeder Zweite gab an, ins Lager der Nichtwähler zu wechseln – aber nur 13 Prozent zur AfD. Das könnte darauf hindeuten, dass das Potenzial der AfD begrenzt ist. Es heißt aber auch, dass das Ausmaß ihres Erfolgs nun abhängt von der Wahlbeteiligung. Seine Umfragen in den drei Ländern führen Güllner zum Schluss: „AfD-Wähler sind in ihrer Entscheidung am sichersten, die der SPD am unsichersten.“ Seiten 2 und 4 Fazit. Das gilt auch für die Stelle, die telefonische Anfragen der Steuerzahler beantworten soll. Laut Plan sollten 115 Beschäftigte 150 000 Anrufe in der Woche annehmen. Zu Spitzenzeiten riefen jedoch bis zu 670 000 Bürger an. Durch kamen anfangs weniger als drei Prozent, zuletzt lag die Quote bei sieben Prozent. Das Bundesfinanzministerium hat nun zumindest versprochen, die Zahl der Telefon-Mitarbeiter auf 160 aufzustocken. Zu allem Ärger ist der Steuertausch für den Bund auch ein Verlustgeschäft. Neun Milliarden Euro bekommen die Länder jedes Jahr vom Bund, um ihnen die Steuer zu ersetzen. Laut Rechnungshof lagen die tatsächlichen Einnahmen aber immer unter diesem Betrag, und zwar im Schnitt um etwa 467 Millionen Euro. Bis zum Jahr 2015 habe der Bund also 2,8 Milliarden Euro mehr an die Länder gezahlt, als er eingenommen habe. Auch für 2016 rechnet Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nur mit 8,8 Milliarden Euro aus der Kfz-Steuer. guido bohsem Straßburg – Der Europarat sieht die Demokratie in Polen durch die umstrittene Reform des Verfassungsgerichts gefährdet. Sie führe zu einer „Unwirksamkeit“ des Gerichts und gefährde somit „nicht nur die Rechtsstaatlichkeit, sondern auch das Funktionieren des demokratischen Systems“, warnte die VenedigKommission des Europarats am Freitag. Sie bezieht sich auf eine Gesetzesänderung, die von der nationalkonservativen Regierung in Warschau durchgesetzt wurde. Diese Reform erschwert die Arbeit der polnischen Verfassungshüter erheblich. Für alle Entscheidungen wäre demnach eine Zweidrittelmehrheit nötig statt wie bisher eine einfache Mehrheit. Zudem müssen bei wichtigen Entscheidungen mindestens 13 der 15 Verfassungsrichter anwesend sein, um ein Urteil fällen zu können. sz Seiten 4, 5 und 9 Flüchtling stirbt bei Polizeikontrolle München – Ein junger Ägypter ist am Freitagmorgen kurz vor München bei einer Kontrolle aus einem Nachtzug gesprungen und dabei tödlich verletzt worden. Schleierfahnder hätten den 17-Jährigen kontrolliert, wie die Polizei mitteilte. Währenddessen öffnete der Jugendliche ein Zugfenster und sprang bei Tempo 160 hinaus. Erst zwei Tage zuvor hatte ihn die Polizei ebenfalls in einem Zug aufgegriffen und nach Österreich zurückgeschickt. dpa München MIT STELLENMARKT Dax ▲ Dow ▲ Euro ▼ Xetra 16.30 h 9781 Punkte N.Y. 16.30 h 17164 Punkte 16.30 h 1,1156 US-$ + 2,98% + 0,99% - 0,0020 DAS WETTER ▲ TAGS 10°/ -4° ▼ NACHTS Im Nordwesten und Westen scheint längere Zeit die Sonne. Sonst überwiegen Wolken- oder Hochnebelfelder. Im Osten und am Alpenrand fällt teilweise Schnee. Die Temperaturen erreichen ein bis zehn Grad. Seite 16 Süddeutsche Zeitung GmbH, Hultschiner Straße 8, 81677 München; Telefon 089/2183-0, Telefax -9777; [email protected] Anzeigen: Telefon 089/2183-1010 (Immobilien- und Mietmarkt), 089/2183-1020 (Motormarkt), 089/2183-1030 (Stellenmarkt, weitere Märkte). Abo-Service: Telefon 089/21 83-80 80, www.sz.de/abo A, B, F, GR, I, L, NL, SLO, SK: € 3,80; dkr. 30; £ 3,50; kn 34; SFr. 5,00; czk 112; Ft 1020 Die SZ gibt es als App für Tablet und Smartphone: sz.de/plus
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