wissen&forschung thema Mobile Marktforschung NUTZERFREUNDLICHKEIT verbessern und technische wie inhaltliche Herausforderungen von Research via Smartphone lösen Z um Jahreswechsel kursieren Prognosen über die digitalen Trends des kommenden Jahres. Je nachdem wen man fragt, sind Internet of Things, Wearables, Virtual Reality, Smart Data, Connected Home oder Digital Commerce die Favoriten für den nächsten digitalen Blockbuster. Nur bei einem Thema sind sich alle Experten einig, weiß Walter Freese: Mobile ist Kern und Treiber der digitalen Evolution. Der Autor Walter Freese ist Associate Director bei TNS Infratest und seit 2012 verantwortlich für den Wachstumsmarkt Mobile. Er ist für die Vermarktung der Studien sowie den Einsatz mobiler Endgeräte in moderner Marktforschung zuständig. Zuvor war er bei der TNS Emnid Medienforschung mit der Erfolgskontrolle im Bereich Corporate Communications und Corporate Publishing betraut. [email protected] 44 planung&analyse 1/2016 Seit Jahren steigt der Besitz mobiler Devices wie Smartphones, Phablets oder Tablets. So verfügen aktuell rund 70 Prozent aller Deutschen über ein Smartphone und rund ein Drittel besitzt einen Tablet-PC. Und in der Altersgruppe der unter 35-Jährigen nutzen mittlerweile mehr als 90 Prozent – de facto also alle – mindestens ein mobiles Device. Auch die Intensität der Nutzung und die Anzahl der Aktivitäten steigen kontinuierlich. Verbrachten 2014 die Nutzer noch 74 Prozent ihrer digitalen Nutzungszeit auf dem PC oder Laptop und nur 24 Prozent auf dem Handy, sind es aktuell schon 32 Prozent fürs Handy und nur noch 65 Prozent für PC/Laptop. Und egal ob Social Networking, Shopping oder das Anschauen von Online-Videos – immer mehr Aktivitäten wandern von der stationären zur mobilen Nutzung. Dies ergab die TNS Stu- dieConnected Life 2016. Ergo: Immer mehr Konsumenten nutzen ihre mobilen Devices immer häufiger für immer mehr Anwendungen. Die Relevanz von Mobile für die Marktforschung Diese Entwicklung berührt natürlich auch die umfrage-basierte Online-Forschung – und zwar sowohl das panel-basierte Geschäft als auch Kundenbefragungen. Nach aktuellen Daten von Lightspeed GMI – einem der größten Anbieter von Online-Panels weltweit – haben sich im dritten Quartal 2015 in Deutschland bereits 30 Prozent der neu rekrutierten Panel-Teilnehmer über mobile Devices auf den Portalen des Anbieters registriert. Dem gegenüber sind aber im gleichen Zeitraum nur sieben Prozent der Online-Fragebögen auf Smartphones oder Tablets aufgefüllt worden. Und 31 Prozent derjenigen, die via Smartphone einen Fragebogen geöffnet haben, sind nicht bis zum Ende gekommen, sondern haben die Beantwortung abgebrochen, was zu einer signifikant höheren Drop-out rate führt als bei Studien, die auf stationären Endgeräten ausgefüllt wurden (siehe LSR / GMI, 2015). In der Regel mangelt es an der Nutzerfreundlichkeit: Versucht ein Proband über sein Smartphone auf einen Online-Fragebogen zu zugreifen, stößt er häufig auf einen zu langen und zu komplexen Fragebo- wissen&forschung ILLUSTRATION: SHPILBERG STUDIOS / FOTOLIA gen, der für die Beantwortung auf einem stationären Rechner konzipiert wurde und via mobile Device nur mit Schwierigkeiten zu beantworten ist. Die schlimmsten Fehler bei Online-Fragebögen, die zu einer negativen User Experience bei Teilnehmern führen können, sind: D Zu lange Dauer: Rund die Hälfte aller Online-Befragungen haben eine Länge von mehr als 15 Minuten. D Kein adäquater Inhalt: Viele Fragen und Antwortvorgaben sind zu lang, zu komplex, oft redundant oder irrelevant für die Forschungsfragen. D Keine passende Programmierung: Der Einsatz von Matrix-/ Grid-Fragen, die auf den kleinen Screens kaum lesbar sind, sowie der Einsatz von Flash-Animationen, die auf Apple-Geräten nicht zu öffnen sind. Die Gefahren durch Mobile Die Folgen für die Marktforschung sind besorgniserregend bis katastrophal. Die mangelnde Berücksichtigung von Mobile bei der Konzeption von Online-Studien und bei der Gestaltung des Fragebogens führen zu: D Sinkender Teilnahmebereitschaft und steigender Abbruchquote. D Steigenden Kosten und längeren Feldzeiten. D Abnehmender Repräsentativität der Stichproben. D Abnehmender Qualität der Daten und damit zu schlechteren Handlungsempfehlungen. Neue Chancen durch Mobile Aber mobile Forschung bietet auch neue Möglichkeiten: Bessere Repräsentativität: Es gibt in der Marktforschung generell schwer erreichbare Zielgruppen. Das sind in der Regel eher junge Teilnehmer, die für telefonische oder persönliche Befragungen nahezu unerreichbar, aber hoch mobile-affin sind. Gelingt es, diese Zielgruppen für Marktforschung via Smartphone zu begeistern, führt das zu besseren Stichproben und der (Wieder-)Gewinnung einer relevanten Zielgruppe. Näher an die Realität durch In-themoment: Bestimmte Forschungsfragen erfordern eine möglichst große zeitliche Nähe zum Zeitpunkt des Kaufs, des Konsums, der Produktverwendung oder der Kundenerfahrung. Die zeitliche Nähe hilft dem Marktforscher, Probleme mit Erinne- rungslücken und verzerrter Erinnerung zu lösen und näher an die Realität zu rücken. Das Smartphone ist dafür ideal geeignet, da die meisten User always on sind. Technische Herausforderung: Der geeignete Approach Bei jeder Online-Befragung muss sich der Marktforscher im Vorfeld überlegen, welche Rolle Mobile beim Studien-Design spielt, da das Auswirkungen auf die Durchführung der Studie hat. Man kann generell die folgenden vier Ansätze unterscheiden: Device agnostic lässt den Befragten die Freiheit, zu jeder Zeit, in jeder Situation und auf jedem Device auf die Online-Fragebögen zugreifen zu können. Um das zu gewährleisten, müssen diese Surveys mobile-first konzipiert und das FragebogenDesign responsiv programmiert werden. Responsiv bedeutet, dass sich die angezeigten Inhalte flexibel an die Größe des Browserfensters anpassen, und den Fragebogen auf jedem Gerät optimal anzeigen. Es empfiehlt sich alle Online-Studien Device agnostic zu designen, da das die beste User Experience bietet. PC specific: Damit sind Fragebögen gemeint, die aufgrund ihre Länge und Komplexität vorrangig für die Beantwortung auf einem stationären Rechner oder einem großen Tablet-PC konzipiert sind und für Zugriffe über Smartphones gesperrt werden sollten. Diese Fragebögen sind typisch für langlaufende Tracking-Studien mit umfangreichem Fragenrepertoire. Langfristig führt dieser Ansatz aber zu sinkender Stichprobenqualität. Device adaptive bedeutet, dass es je nach Gerät oder Screen unterschiedliche Fragebogenversionen gibt – der Fragebogen wird modularisiert. Greift ein Teilnehmer via PC auf die Studie zu, wird diesem ein längerer Fragebogen angezeigt als beim Zugriff via Smartphone. Wer sich für einen solchen Ansatz entscheidet, muss sich im Klaren darüber sein, dass Device adaptive Auswirkungen auf die Auswertung hat, da mit unterschiedlichen Datensätzen gearbeitet werden muss. Für Device adaptive bedarf es daher der vorherigen Konsultation der Experten aus den Methoden- und Statistik-Abteilungen. Mobile specific nennt man Ansätze, bei denen der Einsatz von mobilen Devices unabdingbar ist. Diese Befragungen können nicht auf PCs oder Laptops durchgeführt werden. Mobile specific kommt in der Regel dann zur Anwendung, wenn die Beantwortung der Forschungsfragen stark durch den Verwendungskontext und eine Situation Out-of-home bestimmt wird so- wie eine möglichst große Nähe zum Moment of truth erforderlich ist. Mobile specific kann je nach Studien-Design sowohl als mobile Web Survey als auch via App durchgeführt werden und wird häufig als Tagebuch-Studie mit mehreren Kurz-Befragungen über einen definierten Zeitraum hinweg verwendet. Inhaltliche Herausforderung: Ein mobile-first Mindset Die wirkliche Herausforderung besteht darin, mobile-first in die Köpfe der Verantwortlichen bei Auftraggebern wie bei den Instituten zu bekommen. Die zunehmende Relevanz von Mobile hat ganz klare Konsequenzen für jede Online-Studie. Die zwei wichtigsten Aktionen, um einen Fragebogen für Mobilgeräte zu optimieren, sind Kürzen und Testen. Sowohl beim Schreiben eines neuen Fragebogens, als auch bei Trackings und Wiederholungsstudien muss jede Frage, jeder Satz und jedes Wort auf den Prüfstand gestellt werden – keep it short und simple. Es muss geprüft werden, ob die einzelne Frage zur Beantwortung der übergeordneten Forschungsfragen wirklich notwendig ist und ob Formulierungen oder ganze Fragen redundant sind. Als Richtschnur gilt: OnlineBefragungen sollten nicht länger als 12 bis maximal 15 Minuten dauern. In der Regel ist das ein iterativer Prozess mit mehreren Schleifen, bei dem jede Version des Fragebogens auf unterschiedlichen Geräten getestet werden sollte. Die Vielfalt der Devices, der Screens und der Betriebssysteme macht diesen aufwändigen Testprozess unabdingbar. Zu einem mobile-first Mindset gehört aber nicht nur eine grundlegende Überprüfung des Fragebogens. Man muss sich auch auf andere Daten einstellen. Die Umstellung laufender Trackings von StandardOnline auf Device agnostic führt genauso zu Brüchen in den Trenddaten wie einst die Umstellung von Face-to-Face auf CATI oder von CATI auf Online. Mag der Preis auch hoch sein, die Belohnung ist höher. Best Cases zeigen die positiven Auswirkungen des mobile-first design-thinking auf Online-Studien. Die Teilnehmer weisen eine höhere Zufriedenheit auf, die Drop-outs haben sich halbiert, die Struktur der Stichproben und die Datenqualität lassen sich verbessern. Mobile rules the world – auch in der Marktforschung. Wer sich heute nicht mit den Gefahren und Chancen der zunehmenden Nutzung mobiler Devices auseinandersetzt, wird morgen vom Wettbewerber abgehängt. planung&analyse 1/2016 45
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