Sehr geehrter Herr Vizekanzler, lieber Gerald Bast, liebe Jurymitglieder, meine sehr geehrten Damen und Herren, a warm welcome to Andrea Fraser, es ist für mich eine große Ehre, heute die Laudatio für den Oskar-Kokoschka-Preis 2016 zu halten! Wie wir bereits gehört haben: Der nach Oskar Kokoschka benannte Preis wird seit 1980 alle zwei Jahre an einen Künstler oder eine Künstlerin für herausragende Leistungen im Bereich der Bildenden Kunst verliehen und gehört zu den wichtigsten internationalen Auszeichnungen für ein künstlerisches Lebenswerk. Dieses Jahr geht der Preis an die amerikanische Künstlerin Andrea Fraser, eine der radikalsten, wegweisenden und einflussreichsten Künstlerinnen ihrer Gegenwart. 1965 in Billings, Montana, geboren, studierte sie von 1982 bis 1984 an der School of Visual Arts in New York und absolvierte anschließend das Independent Study Programme des Whitney Museum of American Art. Sie gehört zu den wichtigsten ProtagonistInnen der zweiten Welle der institutionskritischen Schule, die Mitte der 1980er-Jahre vor allem aus einer Generation von StudentInnen des Whitney-Programms hervorging und sich in Anlehnung an die Pioniere der 1960er- und 70er-Jahre der Erforschung der Strukturen des Kunstbetriebs und dessen sozialer, wirtschaftlicher und ideologischer Verflechtungen widmete. Andrea Fraser gebührt der große Verdienst, die künstlerische und politische Praxis der Institutionskritik um wichtige Aspekte erweitert zu haben, indem sie die eigene Eingebundenheit in das System – als Künstlerin und Frau – zum Schlüssel ihrer kritischen Analyse machte. Ihr künstlerisches Oeuvre ist dabei vielseitig und umfasst neben Performance, Video- und Audioarbeiten, Fotografie und Installationen auch das Verfassen von Texten sowie das Engagement in aktivistischen Kollektiven. Nicht zuletzt hat sie sich auch als Theoretikerin und Lehrende den Ruf einer scharfsinnigen Kommentatorin des heutigen Kunstbetriebs erworben. Bekannt wurde Andrea Fraser Mitte der 80er-Jahre mit ihren sogenannten „Gallery Talks“. Hierbei handelte es sich um "Performances in Form von Führungen durch Kunstinstitutionen, in denen sie sich kritisch mit den Präsentationsformen, den Hierarchien und den Ausschlussmechanismen des Kunstbetriebs auseinandersetzte. Die gesellschaftliche Verankerung des Museums, Statusfragen der Trustees oder das konditionierte Verhalten der Besucher kamen in diesem Rahmen ebenso zur Sprache wie psychoanalytisch orientierte Diskurse über Begehren, Verdrängung und andere auf die Institution und ihre Exponate übertragene Projektionen" (Yilmaz Dziewior). Dabei schenkte die Künstlerin scheinbaren Nebenschauplätzen – wie zum Beispiel der Garderobe, den Toiletten oder dem Musemsshop – irritierenderweise dieselbe Aufmerksamkeit wie den eigentlichen Ausstellungsexponaten. Für diese Kunstführungen der etwas anderen Art schlüpfte Andrea Fraser zeitweilig in die Rolle der konservativen Dozentin „Jane Castleton“, eine Rolle, die weniger als individuelle „Figur“, sondern vielmehr als Verkörperung der institutionalisierten Machtstrukturen des Museums fungierte. Das Verhalten der Dozentin konnte im Laufe der Führung zu durchaus humorvollen, ja absurden Situationen führen, etwa wenn sie verzückt und in emphatischer Diktion die Bedeutung und Funktionsweise einer Alarmanlage erläuterte oder sich beim Anblick eines Wärterstuhls zu rhapsodischen Ergüssen über dessen ästhetische Qualitäten hinreißen ließ. In diesen sorgfältig recherchierten und schauspielerisch intensiv vorgetragenen frühen Performances sind zwei wesentliche Aspekte angelegt, die das künstlerische Schaffen von Andrea Fraser bis heute prägen: Zum einen eine kontextualistisch orientierte Arbeitsweise, die auf den institutionskritischen und feministischen Diskursen der 60er- und 70er-Jahre aufbaut und diese zu einer radikal subjektivistischen Position verschränkt; zum anderen die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper als Austragungsort widersprüchlicher sozialer, emotionaler, sexueller wie auch psychologischer Kräfte und Handlungen. Ich freue mich auch persönlich ganz besonders über die Auszeichnung für Andrea Fraser, denn ich kenne die Künstlerin und ihre Arbeit seit vielen Jahren und habe mit großem Interesse und Spannung ihre Entwicklung verfolgt. Zum ersten Mal begegnete ich Ihrer Arbeit 1990 in der Ausstellung 15. November – 15. Dezember in der Galerie Christian Nagel in Köln. Für diese Ausstellung, die parallel zur Art Cologne stattfand, ließ Andrea Fraser den Galerieraum zum Messestand umbauen. Gezeigt wurden in dieser als „Retrospektive“ deklarierten Präsentation jedoch nur wenige Arbeiten. Das Herzstück bildete eine schwarze Mappe, welche, auf einem schlichten Tisch platziert, zum Blättern einlud. Sie beinhaltete eine Art „Biografie“ der Künstlerin, die jedoch nicht bei ihrer ersten Ausstellung einsetzte, sondern mit dem Jahr 1945 – der „bedingungslosen Kapitulation Deutschlands“ – und in eine Dokumentation der deutsch-amerikanischen Nachkriegsbeziehungen überging. Die Mappe enthielt u.a. kopiertes und ausgeschnittenes Archivmaterial, das die Rezeption amerikanischer Kunst in Deutschland, den Fall der Berliner Mauer sowie die Entstehung der Kölner Kunstszene der 1980er-Jahre mit Ereignissen aus dem Leben der Künstlerin zusammen brachte. So inszenierte Andrea Fraser anlässlich ihrer ersten Einzelausstellung in Deutschland eine Genealogie ihrer Rezeption, die sie im erweiterten Kontext der jüngsten deutsch-amerikanischen Kulturgeschichte ansiedelte. Es war für mich eine große Freude – und auch eine besondere Herausforderung – gerade diese Arbeit im mumok anlässlich der Ausstellung to expose, to show, to demonstrate, to inform, to offer, die noch bis vor kurzem dort zu sehen war, wieder auferstehen zu lassen. In dieser Ausstellung, die sich mit künstlerischen Praktiken um 1990 auseinandersetzte, war auch eine weitere Arbeit von Andrea Fraser präsentiert. Das Video May I Help You basiert auf einer ihrer bekanntesten Performances, die erstmals 1991 in einer Ausstellung von Allan McCollum in der Galerie American Fine Art in New York stattfand. Wie bereits in ihren „Gallery Talks“ untersuchte Fraser in May I Help You die Art und Weise, wie Kunst zur Legitimation gesellschaftlicher Hierarchien beiträgt, wobei hier nicht das institutionelle, sondern das soziale Machtgefüge „verkörpert“ wurde. Für diese Performance entwickelte Fraser ein Skript, das auf Interviews mit Künstlern, Sammlern und Galeristen sowie kunstfernen Personen basierte und in Teilen direkt aus Pierre Bourdieus Hauptwerk Die feinen Unterschiede: Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft übernommen war. Die Aufführung delegierte sie erstmals an Schauspielerinnen und Schauspieler, welche die Rolle der Galerieangestellten übernahmen und dazu angehalten waren, die Besucher mit einem 15-minütigen Monolog zu konfrontieren. In diesem Monolog treffen sechs verschiedene Stimmen aufeinander, die jeweils unterschiedliche soziale Positionen repräsentieren – von einem ausgewiesenen Kunstkenner über einen Kritiker bis zu einer Person, die mit zeitgenössischer Kunst nur wenig anfangen kann und ihr jeweiliges Verhältnis zu McCollums monochromen schwarzen Bildern beschreiben, das von ästhetischer Anerkennung bis zu ausgesprochener Ablehnung reicht. Dabei entsteht ein regelrechtes Rauschen, wobei sich die Stimmen gegenseitig implizit oder explizit negieren und somit auch die sozialen Verhältnisse untereinander markieren. Seit den 1990er-Jahren wird Andrea Frasers Arbeit international in bedeutenden Museen und Kunst- und Kulturinstitutionen wie auf der Biennale von Sao Paulo, im Kunstverein Hamburg, im Museum Ludwig, Köln oder in der Tate Modern in London gezeigt. Die Künstlerin blickt auch auf eine lange Geschichte künstlerischer Arbeit in Österreich zurück. In einem Gespräch mit Sabine Breitwieser, welches im Katalog zu ihrer großen Retrospektive im Museum der Moderne in Salzburg erschien, hat Andrea Fraser scherzhaft angemerkt, dass sie sich schon fast wie eine Ehrenbürgerin Österreichs fühlt! Tatsächlich erschien das Skript zu „Museum Highlights: A Gallery Talk“ 1990 zunächst in der Grazer Zeitschrift Durch, noch bevor es auf Englisch publiziert wurde. Neben zahlreichen Galerieund Museumsausstellungen sowie Kollaborationen mit österreichischen Künstlern bespielte Andrea Fraser 1993 auf Einladung von Peter Weibel zusammen mit dem Österreicher Gerwald Rockenschaub und dem Schweizer Künstler Christian Philipp Müller den österreichischen Pavillon auf der 45. Biennale in Venedig. „Stellvertreter“ hieß dieses Projekt, das zum ersten Mal in der Geschichte der Biennale den nationalen Gedanken der Länderpavillons mit einer internationalen Besetzung aufbrach. Was heutzutage Gang und Gebe, ja eine Art kuratorischer Mode geworden ist, war damals ein Skandal! Der Konkurrenzkampf um kulturelle Dominanz und Legitimation, welcher der Biennale-Idee zugrunde liegt, spiegelte sich auch in Frasers Beitrag wider. In Two Audio Installations untersuchte sie das Thema der 45. Biennale Nomadentum und Multikulturalismus aus zwei unterschiedlichen Perspektiven – die der nationalen Beauftragten der Pavillons und die der Biennale-Besucher und Venedig-Touristen – in der Form eines Hörspiels beziehungsweise einer Klanginstallation. Für diese Arbeit verließ sie den Bereich der visuellen Repräsentation gänzlich, um sich, so George Baker, in "beispielloser Radikalität der entkörperlichten Struktur der Stimme zuzuwenden. 1994/95 realisierte Andrea Fraser im Auftrag der Generali Foundation in Wien Ein Projekt in zwei Phasen. Diese Arbeit steht für eine neue Phase ihrer künstlerischen Praxis, die sie mit der Erbringung kritischer Dienstleistungen in bestimmten institutionellen Settings neu definierte. In ihrem Projekt für die Generali Foundation untersuchte Fraser "die Funktion von Kunst für ein Wirtschaftsunternehmen und stellte sich dabei selbst in ihrer künstlerischen Autonomie auf den Prüfstand", so Sabine Breitwieser. Die erste, „investigative“ Phase bestand aus einer Montage von Interviews mit verschiedenen Führungskräften, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie Texten der Künstlerin, die zweite, „intervenierende“ Phase aus zwei Installationen, wobei das Ausstellungskonzept vorsah, alle Kunstwerke aus der Unternehmenszentrale zu entfernen und identisch in dem damals neuen öffentlichen Ausstellungsraum der Foundation zu platzieren. Es gibt, wie ich finde, noch einen über ihre Ausstellungspräsenz hierzulande hinausgehenden Aspekt, der Andrea Fraser mit der österreichischen Kunstszene aufs Engste verbindet, ja auf eine regelrechte Seelenverwandtschaft schließen lässt. Das ist die Radikalität ihrer Auseinandersetzung mit dem Körper sowie den physischen wie psychischen Erfahrungsebenen, die in unmittelbarer Verbindung zu den radikalen Positionen des Wiener Aktionismus der 1960er-Jahre stehen sowie auch Bezüge zu feministischen österreichischen Positionen wie VALIE EXPORT eröffnen. Im Folgenden möchte ich aus einer Rede über das Werk von Andrea Fraser zitieren: „Ihr Werk ist nicht nur einfallsreich, markant und dreist, sondern auch humorvoll. Diese Künstlerin geht keine Kompromisse ein! Bei ihren perfomativen Kritiken handelt es sich um auf akribischen Untersuchungen basierende, offizielle Quellen ausnutzende erhellende Porträts von Institutionen, die sich allerdings durch eine quälende Mehrdeutigkeit auszeichnen. Zudem hat sie in der Vergangenheit erfolgreich innovative Modelle künstlerischer Praxis erforscht, die den Künstler von den Einengungen der traditionellen Kunstproduktion als Warenerzeugung befreien könnten". Tatsächlich ist dieses Zitat Bestandteil einer Performance von Andrea Fraser, Official Welcome aus dem Jahr 2001, die von der MICA Foundation in Auftrag gegeben wurde. In dieser Live-Performance, die vor geladenen Gästen in der New Yorker Wohnung von Barbara und Howard Morse, dem Gründerpaar von MICA, aufgeführt wurde, parodierte Andrea Fraser just das Ritual der Eröffnungsrede beziehungsweise Laudatio! Die Performance beginnt damit, dass die Künstlerin zunächst ihren Förderern sowie dem Gastgeberpaar dankt und die Arbeit der Stiftung würdigt – dabei steht sie souverän, im kleinen Schwarzen und auf high heels, hinter einem Rednerpult – doch unmerklich ändert sich die Position der Künstlerin von einer, die über ihre Förderer redet, zu einer, die in der Rolle eines Förderers über die Künstlerin, also über sich selbst redet. In Laufe ihres Vortrags nahm Fraser nacheinander noch acht weitere unterschiedliche Rollen und Perspektiven ein, welche die komplexe Beziehung und wechselseitigen Verstrickungen zwischen Künstlern und ihren Förderern thematisiert. Auch für diese Performance hatte sie ein präzises Skript erarbeitet, das auf Fragmenten von Künstlerinterviews, Ausstellungsbesprechungen, Sponsorenprofilen sowie Reden von Kuratoren beruhte. So weit so gut. Doch im Verlauf des Vortags begann die Künstlerin sich wie beiläufig Stück für Stück zu entkleiden, wobei sie aber ungerührt weiter sprach, bis sie komplett entblößt vor ihrem Publikum stand. Die Entblößung der Frau vor dem voyeuristischen Publikum ist ein starkes Bild für die Objektwerdung des Künstlers in den Fängen des Kunstbetriebs; es kommentiert die Rede auf einer erweiterten non-verbalen Ebene. Official Welcome ist eine situationsspezifische Performance, die an unterschiedliche Orte angepasst werden kann. Ich habe diesen Vortrag anlässlich der Eröffnung von Frasers Ausstellung im Hamburger Kunstverein erlebt und war von der extremen körperlichen Beherrschung und Souveränität, die ihrer Arbeit zugrunde liegt, zutiefst beeindruckt. Die Frage nach der Konstruktion (und Dekonstruktion) künstlerischer Selbstbilder liegt auch der Performance Kunst muss hängen zugrunde, die Andrea Fraser 2001 in Köln präsentierte. Der Live-Akt basierte auf einer Rekonstruktion einer Tischrede von Martin Kippenberger, die dieser 1995 anlässlich einer Ausstellungseröffnung seines Freundes Michel Würthle, dem Besitzer der Berliner Paris Bar, im österreichischen Club an der Grenze hielt. Der deutschen Sprache nicht mächtig, lernte Andrea Fraser die Rede mithilfe einer Videoaufzeichnung in einer sechswöchigen Vorbereitungszeit Wort für Wort auswendig. Auch die körperlichen Gesten, die Brüche und Verzögerungen in der Sprache des angetrunkenen Kippenbergers wurden von der Künstlerin akribisch einstudiert. Die Ambivalenz, die Kippenbergers performancehafte Selbstdarstellung kennzeichnet – seine legendären Reden waren gespickt mit nicht enden wollenden Witzen, übertriebenen Komplimenten und Publikumsbeleidigungen – erfährt in der Wiederaufführung durch Andrea Fraser eine Doppelung, zum einen durch die verfremdete sprachliche Wiedergabe, zum anderen durch die vorliegende Gender-Differenz und Gegenüberstellung zweier vermeintlich diametral entgegengesetzter künstlerischer Positionen. Die Ambivalenz wurde dadurch noch verkompliziert, dass Andrea Fraser, in einen schwarzen Männeranzug gekleidet, nicht nur Kippenbergers Rolle als Laudator einnahm, sondern auch die Position seines Freundes, des Objekts seiner Rede, indem sie ihre Performance vor einer Galeriewand hielt, auf der sie eigene minimalistische Bilder präsentierte. Der Titel der Performance geht auf eine persönliche Anekdote zurück. Kippenberger hatte in Frasers erster Ausstellung in Köln sechs Aluminiumscheiben mit Smileys erworben. Als er sie in der Paris Bar aufhängen wollte, fielen diese immer wieder von der Wand herab, so dass er die Künstlerin bei ihrer nächsten Begegnung mit dem paternalisierenden Spruch „Kunst muss hängen“ bedachte. Tatsächlich ist Frasers Performance eine respektvolle Hommage an ihren Künstlerkollegen, dessen künstlerische Praxis der performativen Selbstobjektivierung viel mit ihrem eigenen körperlich-schauspielerischen Einsatz gemein hat, ein Einsatz, den sie im Folgenden noch intensivierte. Die Arbeit Untitled aus dem Jahr 2003 gehört wohl zu den radikalsten und kontroversesten Arbeiten im Werk von Andrea Fraser. Sie besteht aus einem einstündigen Video, welches eine sexuelle Begegnung zwischen der Künstlerin und einem Sammler in einem New Yorker Hotelzimmer aufzeichnet. Das Projekt wurde durch eine ihrer Galerien vermittelt und beinhaltete bestimmte Auflagen: So musste der Sammler im Vorfeld bezahlen und sich mit der Veröffentlichung des Videos einverstanden erklären, wobei er die erste in einer Auflage von fünf vorliegenden Kopien erhielt. Es liegt nahe, die Struktur der Arbeit als Kommentar zum Thema Kunst als Ware beziehungsweise der Künstler/die Künstlerin als Prostituierte zu sehen. Tatsächlich haben, so Fraser, die "entscheidenden Faktoren in dem Projekt weitaus weniger mit den vertraglich geregelten Bedingungen des ökonomischen Tauschs zu tun als mit den emotionalen und ethischen Bedingungen des persönlichen Austauschs zwischen zwei Menschen". Die formalen Entscheidungen – das Video wurde mit der vorhandenen Beleuchtung und einer fest montierten Kamera aufgenommen und ungeschnitten und ohne Ton präsentiert – unterminieren zudem jegliche Form des sensationshungrigen Voyeurismus. Stattdessen konfrontiert es den Betrachter mit der fast verstörenden Intimität zweier Menschen, deren Beziehung allein auf der Grundlage einer vertraglichen Verabredung basiert. Letztendlich sind in Untitled viele Fragen und Themen zusammengefasst, die sich durch Andrea Frasers gesamtes Oeuvre ziehen, wie zum Beispiel die Dienstleistung beziehungsweise das Moment der Selbstinstrumentalisierung, sowie die Analyse der Beziehung zwischen Sammler, Galerien und Künstler. Ergänzt werden diese Untersuchungen, und nicht erst seit Untitled, durch eine psychologische Introspektion, welche die Eingebundenheit der Künstlerin in die beschriebenen gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen auf einer radikal subjektiven Ebene reflektiert. Die Überzeugung, dass man psychologische und politische Interessen nie voneinander getrennt betrachten sollte, liegt auch der Arbeit Projection (2008) zugrunde. Hier inszenierte Fraser eine Psychotherapie-Sitzung in Form einer Doppelprojektion, in der sie abwechselnd die Rolle der Patientin und der Therapeutin übernahm und ihre eigenen Konflikte und Widersprüche, die sie als Kunstschaffende im aktuellen Kunstbetrieb erlebte, thematisierte. Dabei verkörperte die Künstlerin, wie sehr man Zitat Shannon Jackson „zum Teil der Ökonomie einer Kunstinstitution gehört, die man doch nach außen, außerhalb des Ichs „projizieren“ will" (Zitatende). Die Psychoanalyse bringt uns zurück nach Wien in die Stadt von Sigmund Freud und es erscheint nur folgerichtig, dass das mumok diese Arbeit für seine Sammlung angekauft hat. Bleibt mir nur noch an dieser Stelle auf die Verbindung zwischen Andrea Fraser und den Namensgeber des Preises hinzuweisen. Ähnlich wie bei Oskar Kokoschka – er war Maler, Schriftsteller, Dramatiker und Regisseur – zeichnet sich die Arbeitsweise von Andrea Fraser durch einen experimentellen Umgang mit verschiedenen Gattungen und Medien sowie deren Grenzüberschreitungen aus. Auch Kokoschka schuf psychologisch aufgeladene Porträts, bei denen der Körper als Austragungsort emotionaler, sexueller, aber auch spiritueller Kräfte fungiert. Liebe Andrea, ich freue mich sehr, dass Dir der österreichische Staatspreis zuteil wird. Herzlichen Glückwunsch!
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