Einmal noch das Meer sehen

Rat & Hilfe
Einmal noch das Meer sehen
Nazan Aynur leitet
das Projekt „Wünschewagen“ des ArbeiterSamariter-Bunds (ASB)
Abschied nehmen In Essen fahren engagierte Helfer sterbenskranke
Menschen mit einem „Wünschewagen“ an einen Ort ihrer Wahl
Kranke und ihre Angehörigen fahren
kostenlos. Langfristig finanziert sich
das Projekt durch Spenden.
Wie viele Fahrten haben Sie
schon unternommen?
Etwa 90. Seit Herbst 2014 transportieren wir Fahrgäste aus NordrheinWestfalen, seit Dezember 2015 gibt
es das Angebot auch in SchleswigHolstein. Bald werden Wünschewagen bundesweit unterwegs sein.
Welche Fahrt hat Sie persönlich
tief berührt?
Wir hatten die Anfrage von einem gelähmten Mann, der uns mithilfe eines Sprachcomputers mitgeteilt hat,
dass er noch einmal den FC Bayern
München live erleben möchte. Wir
haben ihn zum Stadion begleitet.
Dann erinnere ich mich auch noch
40 Senioren Ratgeber 02/2016
02/2016
Foto: W&B/Markus Feger
Senioren Ratgeber: Frau Aynur, dass der Kranke kurz nach der Fahrt
Sie erfüllen Todkranken ihre letzgestorben ist, friedlich, fast wie beten Reisewünsche. Wohin geht es? freit, weil er etwas Wichtiges in seiNazan Aynur: Viele wollen ans nem Leben noch erledigen konnte.
Meer. Noch einmal das Meer zu se- Wie ist Ihr Auto ausgestattet?
hen scheint eine tiefe Sehnsucht in Wie ein moderner Krankentransporuns zu sein. Andere Fahrgäste beglei- ter halt, aber sehr viel komfortabten wir zum Theater oder zur Kom- ler. Die Fahrt soll ja eine angenehmunion ihres Enkels. Häufig fahren me Reise sein. Verdunkelte Panowir Kranke auch zu einem Hospiz, ramafenster ermöglichen eine gute
das sie besichtigen möchten. Denn Rundumsicht. Da der Reisende wähsolche Fahrten zahlt die Kasse nicht. rend der Fahrt meist liegt, ist die Matratze besonders weich. Das Licht ist
gedämpft, die sanitätstechnischen
Die Stimmung ist sehr entspannt.
Geräte sind dezent hinter Schränken
Da passiert etwas, das verzaubert
verstaut. Der Patient kann sogar seine Lieblingsmusik hören.
Wie ist die Stimmung während
Wer ist noch mit an Bord?
einer solchen Fahrt?
Neben dem Fahrer kümmert sich ein
Da passiert etwas, das einen verzau- weiterer Betreuer um den Kranken.
bert. Die Stimmung im Wagen ist Wir haben ein Team von 135 Ehrensehr entspannt, oft sogar fröhlich. amtlichen, die das Projekt unterstütDie todkranken Menschen mobilisie- zen – alles medizinisch qualifizierte
ren alle ihre Kräfte. Sie können zum Fachkräfte. Rettungssanitäter, NotBeispiel auf einmal laufen, obwohl ärzte, Krankenschwestern, Pfleger.
sie vorher im Rollstuhl saßen.
Dürfen Angehörige mitfahren?
Ja. Im Wagen gibt es eigens einen
Intensive Momente des Glücks ...
Angehörige, mit denen wir danach in Sessel für eine Begleitperson.
Kontakt bleiben, erzählen uns häufig, Wer bezahlt die Fahrt?
sehr gut an einen älteren Herrn, den
wir nach Oberhausen fuhren.
Was war daran so besonders?
Seine Tochter lebt im Ruhrgebiet und
wollte, dass er in ein Hospiz in ihrer
Nähe verlegt wird. Auf der Fahrt zu
seiner Familie ist der sehr gebrechliche Mann aus Vorfreude sichtlich
aufgelebt. Plötzlich bat er uns während der Fahrt, anzuhalten.
Warum?
Er wollte eine Bockwurst essen.
Kaum vorstellbar: Der Mann hatte
eine Magensonde und konnte eigentlich gar nicht mehr essen. Die
Bockwurst hat er aber ohne Probleme verspeist. Am nächsten Morgen
ist er im Beisein der Tochter ruhig
gestorben.
Kontakt:
ASB Regionalverband Ruhr
e.V., Tel:
02 01/
87 00 10,
E-Mail:
wuenschewa­
gen@asb-ruhr.
info
Interview: Raphaela Birkelbach
Senioren Ratgeber 41