Ich kam als Putzfrau, jetzt bin ich mein eigener Chef

„Ich kam als Putzfrau, jetzt bin ich mein eigener Chef"
Auf eigenen Beinen stehen, das war es, was ich immer
wollte“, erzählt Aynur Boldaz und wirbelt zum
Telefon. In einem fort beantwortet die energiegeladene
junge Frau Kundenanfragen und organisiert die
Einsätze ihrer 20 Beschäftigten. Vor gut einem Jahr
gründete die 32-Jährige die Reinigungsfirma „Forever
clean" in Berlin, und wer ihr heute begegnet, hat eine
selbstbewusste, moderne Frau vor sich. Doch das war
nicht immer so.
„Wenn ich meine Eltern in der Türkei besuche,
erkennt man mich dort oft nicht weder", beschreibt
Aynur Boldaz ihre Wandlung, Aufgewachsen ist sie in
einem kleinen Dorf in Ostanatolien als eines von 13
Kindern. Ziegen hüten, Brot backen, Geschwister
versorgen, das waren ihre Aufgaben als
Bauerntochter. „Wie in einem Indianerdorf'. So kommt
ihr das
damalige Leben heute vor. Mit 19 dann die Heirat, und anderthalb Jahre später folgte sie
ihrem türkischen Mann nach Berlin, in eine für sie unbekannte Welt. ..Ich war völlig
schockiert von der riesigen Stadt, hatte mir gar keine Vorstellung gemacht, was mich in
Deutschland überhaupt erwarten würde."
Nach der Ankunft in Berlin traute sie sich kaum aus dem Haus
Nur mit Schrecken erinnert sich Aynur an die erste Zeit. Ganz ohne Deutschkenntnisse,
traute sich die junge Frau, die damals schwanger war. nicht einmal zum Einkaufen. Ein
Arztbesuch, bei dem sie sich nicht verständlich machen konnte, gab den Ausschlag, ihr
Leben endlich in die Hand zu nehmen. Sie lernte Deutsch und suchte sich
einen Job. Zunächst als
einfache Putzkraft in einer
Reinigungskolonne. Doch ihr
Eifer war geweckt, und sie arbeitete sich
nach oben - bis zur
Objektleiterin. Aus schmerzlichen
Erfahrungen weiß Aynur,
wie schwer es ausländische Frauen
haben. Ihr eigenes
Unternehmen betrachtet sie daher als
eine Art Schule für ihre
meist türkischen Mitarbeiterinnen. Mut
sollen sie bei ihr bekommen.
Mut zur Selbstständigkeit und zur
Emanzipation. „Viele
türkische Frauen nehmen die männliche
Macht als gegeben hin",
weiß Aynur. Sie selbst hat sich vor
zwei Jahren scheiden lassen.
Doch die elfjährige Tochter
erzieht sie gemeinsam mit
ihrem Ex-Mann, zu dem sie ein
freundschaftliches
Verhältnis hat. „Ich hatte bis dahin nie
allein gelebt und eine Heidenangst es nicht zu schaffen", erzählt Aynur von der
härtesten Zeit ihres Lebens. Sowohl ihre Verwandten als auch frühere gemeinsame
Freunde wandten sich von ihr ab. Inzwischen haben sich aber ihre Eltern, insbesondere
der Vater, mit der Scheidung abgefunden und sind stolz auf den beruflichen Erfolg ihrer
Tochter. In die Türkei zurückkehren möchte die Jungunternehmerin nicht mehr: „Meine
Heimat ist Berlin", sagt sie. Zwar hat auch sie Erfahrungen mit Ausländerfeindlichkeit
In der Politik macht sich Aynur jetzt für Frauenfragen stark
gemacht - sie fand Post die rechten Szene in ihrem Briefkasten und wurde telefonisch
belästigt -, doch das trüb ihre Begeisterung für die(Freiheiten, die das Land ihr bietet,
nicht. Als stellvertretende Bürgerdelegierte de CDU Neukölln engagiert sie sich in der
Politik - besonders für Frauenfragen. Dass sie als Türkin deutsche Politik macht, ist
typisch für Aynur offene und selbstbewusst Denkart. ,Ich fühle mich jetzt auch
gleichermaßen als Türkin, Kurdin und Deutsche was auch nicht zusammen passt". lacht
sie - und beweist allen das Gegenteil.
Rebekka Mildenberger