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Ophthalmologische Nachrichten
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11.2015
Astigmatismen möglichst völlig neutralisieren
Markierungssysteme zur Bestimmung der Implantationsachse von torischen und multifokal-torischen IOL
KÖLN Torische IOL haben mittlerweile
einen festen Platz im Armamentarium der
refraktiven Kataraktchirurgie. Jedoch hat
sich das IOL-Design gewandelt, und die
Indikationen zur torischen IOL-Implantation haben sich deutlich erweitert2,3, seit
wir 1994 in der Augenklinik am Neumarkt
die ersten torischen IOL bei hohem Astigmatismus nach Keratoplastik implantiert
haben1.
D
ie Ansprüche an das refrak­
tive Ergebnis werden höher;
gleichzeitig werden zuneh­
mend optisch komplexere torische IOL
wie zum Beispiel multifokal-torische
IOL implantiert. Wenn hier ein
Gesamtastigmatismus von > 1 dpt ver­
bleibt, ist eine Nutzung des Multi­
fokal-Effektes für den Patienten kaum
mehr möglich. Ähnliches gilt für
phake IOL; auch in diesen Fällen geht
es um die möglichst komplette Neut­
ralisation des Astigmatismus. Dazu ist
vor die exakte Übereinstimmung von
kornealer Astigmatismus-Achse und
Torus-Achse der IOL entscheidend.
Eine Fehlrotation der IOL von zirka
15° bedingt bereits eine Halbierung
der gewünschten ZylinderkorrekturStärke. Hinzu kommt die Achsdrehung
des resultierenden Zylinders.
Für eine derartig achsgenaue
Implantation braucht der Operateur
intraoperativ verlässliche Hilfsmittel.
Zur Sicherung der Zylinder-Implanta­
tionsachse eignen sich mechanische
und optische Instrumente. Vier
­korneale Markierungsmethoden wur­
den wissenschaftlich gegeneinander
getestet (Pendel-Markeur, Spalt­
lampenmarkierung, WasserwaagenPrinzip und Tonometer-gehaltene
Markeure), dabei hat sich der Pendel­
markeur als die am zuverlässigste und
genaueste Methode gezeigt. Die ande­
ren Methoden zeigten erheblich
­höhere Abweichungen.4 Das P
­endel
Gerten (4)
14
Systeme benutzt werden, die auf ver­
schiedenen optischen Prinzipien beru­
hen (Abb. 2). Das Verion-System®
(Fa. Alcon®) zum Beispiel braucht eine
präoperative Infrarot­
aufnahme des
Auges. Es findet dann die präoperativ
erkannten Strukturen intraoperativ
wieder und errechnet daraus die kor­
rekte Implantations­achse. Diese wird
schwer. Sie brauchen viel Platz unter
dem Mikroskop und schlucken Licht,
beides fehlt dem Operateur bei der OP.
Bei allen optischen Systemen hat
der Operateur derzeit kaum Anhalts­
punkte oder Kontrolle, falls das
System eine falsche oder gar keine
­
Achse anzeigt. Insgesamt scheinen die
intraoperativen Mess-Systeme sehr
Georg Gerten
sorgt automatisch für die richtige
Ausrichtung des Markeurkopfes, des­
halb kann sich der Operateur auf das
exakte Aufsetzen des Markeurkopfes
auf das Patientenauge konzentrieren
und muss nicht, wie zum ­Beispiel bei
Markeuren mit Wasserwaagen-Prin­
zip, gleichzeitig auch noch eine waa­
gerechte Haltung des Markeurs garan­
tieren. Bei den Pendelmarkeuren sind
wiederum solche mit freiem Durch­
blick auf das Patientenauge zu bevor­
zugen. Die neueste Generation der
Markeure ist mit mehr als zwei Klin­
gen zum Aufsetzen (z. B. Markeur
G-33797 – Fa. Geuder®, ­Heidelberg)
ausgestattet, sodass es beim Aufsetzen
des Markeurkopfes auf das Patienten­
auge nicht zu Verdrehungen kommt
(Abb. 1).
Abb. 1: Präoperatives Markieren
der Implantationsachse: PendelMarkeur n­ euester Generation mit
vier Klingen und freiem Durchblick
(Modell G-33797 – Fa. Geuder,
Heidelberg): Achse bei 110°
­eingestellt, sicheres und
zentriertes ­Aufsetzen.
Abb. 2: Zu Beginn der
Kataraktoperation: Marken des
Pendel-Markeurs (Modell G-33797
– Fa. Geuder, Heidelberg) und des
optischen Systems (Verion™
Fa. Alcon®, Fort Worth) stimmen
überein. Beide sind auf 110°
ausgerichtet.
Markierung vor der OP
am sitzenden Patienten
Ein Nachteil aller mechanischen Sys­
teme ist, dass diese den „Work flow“
im OP beeinflussen, denn die Markie­
rung muss vor der OP am sitzenden
Patienten gemacht werden. Durch die
oben genannten Neuerungen sind die
Markeure aber nicht mehr so stark von
der Kooperation des P
­ atienten und der
korrekten Hand­habung und damit von
der Erfahrung des Operateurs abhän­
gig, deshalb ist der Zeitbedarf für das
Markieren des Patientenauges insge­
samt geringer geworden. Alternativ
können intraoperativ auch Mess-­
Abb. 3: Am Ende der refraktiven
Kataraktoperation sind die
optischen Drei-Punkt-Hilfslinien
der multifokal-torischen IOL
(schwarze Pfeile) perfekt auf die
­präoperativen KorneaMarkierungen ­ausgerichtet. Dabei
zeigen die beiden unterbrochenen
Kornea-Markierungen (schwarze
Pfeile) die Implantationsachse für
die IOL an (hier: Restor, Fa. Alcon®,
Fort Worth); zusätzlich eignen sich
die beiden glatten Markierungen
als Zentrierhilfe.
dann digital im OP-Mikroskop ange­
zeigt. Da das Gerät während der OP
keine optischen Eigenschaften erken­
nen kann, sondern – ähnlich wie ein
Eye-Tracker – präoperative mit intra­
operativen ­
Bildern vergleicht, muss
die präoperative Messung genau sein
und darf auch nicht vergessen
­werden!
Wellenfrontmessgeräte (IOWA®,
Eyesight & Vision, Nürnberg, ORange
Wavetec® Vision, USA, Orange) kön­
nen prinzipiell intraoperativ optische
Eigenschaften erkennen, insbesondere
die Gesamtrefraktion inklusive Astig­
matismus des Patientenauges, ja theo­
retisch sogar Fehler höherer Ordnung.
Sie brauchen daher keine präopera­
tiven Messungen.
Tücken
der Online-Messung
Eine Online-Messung während der OP
hat aber ihre Tücken, der Patient kann
in der Regel nicht mehr exakt fixieren,
die Drucksitua­
tion im Auge ist
schwankend, die optischen Grenz­
flächen sind nicht optimal, Bewegun­
gen stören und darauf reagieren diese
sehr empfindlichen Geräte stark. Dar­
über hinaus sind Wellenfront-Systeme
noch recht unhandlich und sehr
vielversprechend, aber es besteht noch
Entwicklungs-Potenzial. Bei allen
Systemen schreckt auch noch der
Preis. Jedoch lassen die nächsten ein
bis zwei Jahre einige sehr interessante
Neuentwicklungen erwarten. Bis auf
Weiteres wenden wir optische Systeme
und Pendelmarkeur parallel an, um für
unsere Patienten die besten Ergebnisse
zu produzieren (Abb. 3).
Postoperativ muss die Implanta­
tionsachse der torischen IOL überprüft
werden. Dazu stellt man den Spalt der
Lampe schmal ein und rotiert ihn bei
weiter Pupille auf die Achsmarkierun­
gen der IOL. Meist sitzt die torische
IOL nach den obigen Maßnahmen
exakt auf Achse… aber was, wenn
nicht? Welche Abweichung ist tole­
rierbar?
Dazu muss man sich nochmals ver­
gegenwärtigen, dass sich die physika­
lisch-optischen Beziehungen zwi­
schen astigmatischer Kornea und
torischer IOL – wie oben im Text –
zwar gut beschreiben lassen, aber die
zugrundeliegenden Prinzipien auf der
vereinfachenden Vorstellung von
­idealen sphäro-zylindrischen Optiken
beruhen, die in Praxi so nicht gegeben
Fortsetzung siehe Seite 16 (
16
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( Fortsetzung von Seite 14
sind. Die individuelle Patientenkornea
(Vorder- und Rückfläche) weicht im
Einzelfall mehr oder weniger vom
­idealen sphäro-zylindrischen Modell
ab. Alle Korneae weisen mehr oder
weniger starke „irreguläre“ Astigma­
tismus-Anteile beziehungsweise Feh­
ler höherer Ordnung auf, die durch die
Angabe eines Astigmatismuswertes
als einzelner Vektor in Polarkoordina­
ten (z. B. -3 dpt bei 5°) nicht erfasst
werden können. Die Kornea-Referenz­
achse wird in Abhängigkeit von der
Untersuchungsmethode (Keratometer,
Scheimpflug-Aufnahme, Placidogestützte Topographie etc.) in der
Ophthalmologische Nachrichten
Regel leicht unterschiedlich gemessen
beziehungsweise errechnet.5 Als resul­
tierende Faustregel kann man Achs­
fehlstellungen einer torischen IOL bis
zu 10° meist akzeptieren.
Sollte doch einmal eine Nachrota­
tion erforderlich sein, wird diese idea­
lerweise in der zweiten bis sechsten
postoperativen Woche durchgeführt.
Wird zu früh nachrotiert, kann die IOL
leicht wieder in ihre alte Position dre­
hen, wird zu spät nachrotiert, ist dies
durch die bereits eingetretene Kapsel­
sack-Schrumpfung und Fibrosierung
unnötig traumatisch.
Insbesondere sollte aber keine
YAG-Laser-Eröffnung der hinteren
Kapsel erfolgen, bis die IOL nicht
sicher in der korrekten Achse einge­
heilt ist – das würde eine Rotation
erheblich erschweren und das Risiko
eines Glaskörpervorfalles provozieren.
Insgesamt ist aber die Wahrschein­
lichkeit einer Nachrotation in den
letzten Jahren durch die Verbesserun­
gen der Messtechnik, der OP-Technik
und der IOL-Materialien nochmals
deutlich unter fünf Prozent gesunken.
Zusammenfassend ist die Implanta­
tion von torischen und multifokaltorischen IOL ein geeignetes und
bewährtes Verfahren zur Verbesserung
der postoperativen unkorrigierten
Sehschärfe. Bei höheren Astigmatis­
men ist auch eine absolute Steigerung
der Sehschärfe nicht ungewöhnlich,
selbst wenn diese präoperativ als
amblyop diagnostiziert wurden.
Bei der derzeitigen Studienlage und
aus eigenen Erfahrungen sehen wir
prinzipiell ab einem Hornhaut-Astig­
matismus mit einem orthogonal-regu­
lären Anteil von > 1,0 dpt eine Indika­
tion zur torischen IOL-Implantation
für gegeben an. W
( Autor: Dr. Georg Gerten
Ärztlicher Direktor, Augenklinik am Neumarkt
Schildergasse 107–109, 50667 Köln
E-Mail: [email protected]
Literatur
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