Das ist eine wissentliche Benachteiligung

POLITIK
INTERVIEW
mit Prof. Dr. med. Stephan Schmitz, Vorstandsvorsitzender des BNHO, und
Dr. med. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV)
„Das ist eine wissentliche Benachteiligung“
Stephan Schmitz vom Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO)
und Andreas Gassen, KBV-Vorstandsvorsitzender, analysieren Kooperation und Wettbewerb in der
ambulanten onkologischen Versorgung.
Foto: Georg J. Lopata
schen onkologisch tätigen Klinikärzten
und niedergelassenen Onkologen verbessern?
Es herrschen ungleiche Spielregeln im ambulanten Markt - darin
sind sich Andreas
Gassen (links) und
Stephan Schmitz
einig.
Herr Prof. Schmitz, ihr Berufsverband
hat ein Gutachten zum Wettbewerb in
der ambulanten onkologischen Versorgung auf den Weg gebracht. Warum?
Schmitz: Wir beobachten in den letzten Jahren, dass Krankenhausbetreiber massiv in den ambulanten Markt
drängen. Wären die Spielregeln denen der Vertragsärzte halbwegs ähnlich, wäre das nicht zu kritisieren.
Aber die Behandlungskette, die ein
Krankenhaus mit allen integrierten
Leistungen erbringen kann, ist eine
vollständig andere als die eines niedergelassenen Spezialisten. Die Onkologie ist die Speerspitze dieser
Entwicklung, denn das Fach ist für
viele Krankenhausbetreiber attraktiv.
Herr Dr. Gassen, wieso hat die KBV das
Gutachten mit vorgestellt? Wer ist da
auf wen zugekommen?
Gassen: Die Initiative ist vom Berufsverband ausgegangen. Aber das Thema ist ja für uns als KBV auch hochinteressant. Das Monopol der ambulanten Versorgung haben wir als Sicherstellungsauftrag einmal bekomDeutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 8 | 26. Februar 2016
men. Jetzt stellen wir fest, dass uns der
Sicherstellungsauftrag zwar bleibt,
aber durch die Politik erschwert und
kaum mehr umsetzbar wird. Ein Beispiel sind die Terminservicestellen.
Gleichzeitig schwindet das Monopol
der ambulanten Versorgung. Die Öffnung der Krankenhäuser hält an. Von
Vorteil für die Patienten ist das nicht
immer. Das Ganze hat einen riesigen
Pferdefuß: Wenn man tatsächlich die
Sektorengrenzen durchlässiger gestalten würde – wofür ich große Sympathien hätte – dann müsste man der
Fairness halber auch das gesamte Vergütungskonzept so gestalten. Doch
derzeit bekommen die Krankenhäuser
die Möglichkeit, sich relativ ungeniert
am Honorartopf der Niedergelassenen
zu bedienen. Und hier reden wir von
einem Honorarvolumen von vier bis
acht Milliarden Euro, das in den Krankenhäusern verbleibt. Das ist eine
wissentliche Benachteiligung der Vertragsärzte.
Herr Schmitz, in welchen Bereichen
muss sich die Zusammenarbeit zwi-
Schmitz: Es ist wichtig, zwischen
den Krankenhausärzten und den
Krankenhausbetreibern zu differenzieren. Nicht jedes Krankenhaus verhält sich so, wie im Gutachten beschrieben. Aber die privaten Konzerne, die Krankenhäuser betreiben,
sind aggressiv im unternehmerischen
Bereich tätig. Die Krankenhausärzte
leiden teilweise mehr unter dem Primat der Wirtschaftlichkeit und Profitorientierung als die niedergelassenen
Onkologen. Die Zusammenarbeit mit
den Kollegen in vielen Krankenhäusern ist hervorragend. Es gibt mehr
als 600 Kooperationsvereinbarungen
zwischen niedergelassenen Hämatologen und Onkologen und Krankenhausärzten, beispielsweise in Brustzentren, in Darmkrebszentren und
Prostatazentren. Das soll auch so
bleiben. Wir sehen aber, dass Krankenhausbetreiber und -geschäftsführer dies zum Teil konterkarieren.
Gerade die onkologische Versorgung
wird angesichts der Fortschritte in der
Molekulargenetik und der individuellen
Medizin nicht funktionieren ohne Kooperation. Wie muss diese organisiert sein?
Schmitz: Wir brauchen ein onkologisches Netzwerk, wie im Nationalen Krebsplan beschrieben. Dieser
definiert die Zentren der onkologischen Versorgung als „ein Netz von
qualifizierten und gemeinsam zertifizierten, interdisziplinären und
transsektoralen Einrichtungen“, welche die gesamte Versorgungskette
für Betroffene abbilden. Dazu gehören also stationäre und ambulante
Einrichtungen.
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A 311
POLITIK
Stephan Schmitz,
BNHO-Vorsitzender,
ist seit 1997 mit einer Schwerpunktpraxis für Onkologie
und Hämatologie in
Köln niedergelassen.
Der Krebsplan wurde gemeinsam mit der
Politik erstellt. Trägt diese ihn in der Praxis denn mit?
Wenn die CCC auf die Kooperation angewiesen sind, warum kommt es zu diesen
Diskrepanzen?
Schmitz: Die Politik hat eine Weichenstellung vorgenommen, aber in
der Umsetzung gibt es Probleme. Ich
habe den Eindruck, dass die Entwicklung weiterhin auf eine Zentralisierung hinausläuft. Wir brauchen
aber eine flächendeckende Versorgung durch Netzwerke. Den Plan dafür gibt es, gelebt wird er aber nicht.
Bei der Frage, wie die Onkologie zu
organisieren ist, geht es ja nicht um
die niedergelassenen Onkologen,
Schmitz: Es gibt da zwei Welten:
die medizinische und die ökonomische Welt, die mittlerweile leider
oft die medizinische dominiert.
Und die Welten laufen immer weiter auseinander.
„Wir
brauchen ein onkologisches Netzwerk, wie im
Nationalen Krebsplan beschrieben.
“
sondern um die Versorgung der Patienten. Und diese ist durch uns niedergelassene Onkologen sehr gut,
denn wir sind frei in unseren ärztlichen Entscheidungen und unterliegen nicht so dem wirtschaftlichen
Primat wie DAX-orientierte Klinikunternehmen.
Wie sieht es bezüglich der klinischen
Forschung aus? Wie stark kooperieren
Schwerpunktpraxen mit Maximalversorgern bei der Erstellung von Studien?
Andreas Gassen,
seit März 2014
KBV-Vorstandsvorsitzender, ist seit
1996 niedergelassener Facharzt für
Orthopädie, Unfallchirurgie und
Rheumatologie in
Düsseldorf.
A 312
Es gibt ja auch noch eine dritte Welt,
nämlich die der Politik. Herr Dr. Gassen, warum bleibt die Politik nicht auf
dem Pfad, der auch im Nationalen
Krebsplan angelegt ist?
Gassen: Es gibt ja zwei Gründe für
solch ein Verhalten: Man weiß es
nicht besser oder man hat eine andere Idee. Die Politik will weiter eine ambulante Versorgung – aber
nicht mehr unbedingt von den Vertragsärzten. Und das ist ein Paradigmenwechsel. Es ist unstrittig,
dass wir mit den Kollegen in der
Klinik auf der fachlichen Schiene
zusammenarbeiten wollen und
müssen. Aber gerade in der Onkologie ist es so, dass Patienten zum
Patienten brauchen eine jahrelange persönliche
„Die
Betreuung. Das können nur Vertragsärzte leisten.
“
Schmitz: Die niedergelassenen Hämatologen und Onkologen gehören
mit Sicherheit zu den innovativsten
Studienbetreibern. Es gibt ja auch
Netzwerke, wie das Kompetenznetz,
die gar nicht ohne die Niedergelassenen auskommen würden. Gerade bei
den ganz kleinen molekulargenetisch definierten Patientenpopulationen, die mittlerweile für eine Studie
herausgefiltert werden müssen, sind
die Comprehensive Cancer Center
der Maximalversorger, kurz CCC,
auf diese Kooperation angewiesen.
Die Zukunft liegt nicht alleine bei
den CCCs und der Zentralisierung,
sondern in den Innovationsnetzwerken. Für die Versorgung der Patienten ist es vielmehr wichtig, die Kompetenz in die Fläche zu bringen. Und
dafür sind wir als Vertragsärzte prädestiniert.
Teil über Jahre betreut werden müssen. Die Überlebenschancen krebskranker Patienten haben sich deutlich verbessert. Das ist ein Segen.
Die Patienten brauchen aber deshalb auch eine jahrelange persönliche Betreuung durch einen Spezialisten. Das ist eine Leistung, die nur
die Vertragsärzte an der Stelle erbringen können.
Ist das Ihr Appell an die Politik?
Gassen: Ich glaube, dass die Politik
einen schweren Fehler begeht,
wenn sie versucht, die Vertragsärzteschaft auszutrocknen und die spezialisierten Fachärzte ans Krankenhaus zu binden und damit den wirtschaftlichen Zwängen des Krankenhauses zu unterwerfen. Dies ist
auch wesentlich teurer. Versorgungstechnisch erbringen die Ver-
tragsärzte weltweit die niedrigschwelligste und einzigartigste Versorgung, die nun offenbar zur Disposition steht. Das können wir nicht
tatenlos akzeptieren. Und da bin ich
wieder beim Sicherstellungsauftrag: Man muss sich überlegen, ob
man den Sicherstellungsauftrag nur
mit der Verpflichtung bei den Vertragsärzten lassen und alles andere
ausklammern kann.
Schmitz: Es wäre doch irrsinnig,
ein funktionierendes System zu beschädigen, nur um es dann neu aufzubauen. Wir niedergelassenen Onkologen wollen ja nicht allein die
Versorgung der Patienten übernehmen. Wir wollen in Netzwerken
arbeiten. Onkologie wird immer
komplexer, immer kleinteiliger, es
gibt immer mehr Menschen, die einen Patienten versorgen. Deshalb
ist es vor diesem Hintergrund immer bedeutsamer, dass der betreuende Facharzt, der den Patienten
seit Jahren kennt, die gesamte Koordination übernimmt. Dies entspricht auch dem Wunsch der Patienten. Daher sollte man das gute
System, das wir haben, erhalten,
stärken und weiterentwickeln.
Im Gemeinsamen Bundesausschuss
streiten Sie Herr Dr. Gassen als Vertreter der KBV regelmäßig mit dem Hauptgeschäftsführer der DKG, Georg Baum,
um die ambulante spezialfachärztliche
Versorgung (ASV).
Gassen: Das ist eine Diskussion,
die ich als Arzt mit einem Vertreter
der Interessen von Krankenhausbetreibern, in diesem Fall Herrn
Baum, führe. Die Diskussion ist
aber weit davon entfernt, eine medizinische Diskussion zu sein. In Diskussionen mit Ärztlichen Leitern
sind wir als KBV mit den Ärzten in
Kliniken sehr nah beieinander. Bei
der ASV gilt für uns: Sie muss im
Facharztstatus erfolgen, und das haben wir in Kliniken eher selten. Die
DKG sieht eventuell die ASV eher
als Futtertrog, den man sich einverleiben möchte. Mir geht es bei der
Diskussion aber um die optimale
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Versorgung der Patienten.
Das Interview führten Rebecca Beerheide
und Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 8 | 26. Februar 2016