DIE WELT, 15. April 2015

„Laetitia, du lebst, um zu lernen“
Elfjährige spricht mehrere Sprachen und spielt virtuos Klavier. Mit 14 will sie Abitur machen
M
it einer Wasserpistole
bewaffnet, öffnet Philip
Hahn die
Haustür.
Dann rennt er zu seiner
Schwester Laetitia. Sie
spielen Fangen im Wohnzimmer, der
Parkettboden knarrt. Laetitia Hahn studiert an der Uni Münster. Sie ist elf Jahre alt. Unter der Woche mag sie zwischen Erwachsenen sitzen und die Unibank drücken, doch zu Hause ist sie immer noch Kind. Ein Wunderkind sagen
viele, denn Laetitia zählt zu den talentiertesten Klavierspielerinnen der
Welt. Gern hören ihre Eltern den Ausdruck jedoch nicht: „,Wunderkind‘ verkennt vielleicht, dass jede Menge harte
Arbeit und Disziplin dahinter steckt, um
das Ganze aus seinem Potenzial zu holen“, sagt Vater Christian Hahn.
Wunder erklären nicht Laetitias Talent. Dies hat die Neuntklässlerin ihrer
enormen Auffassungsgabe zu verdanken.
Sie hat einen IQ von 145 und spricht
Englisch, Französisch, Alt-Chinesisch
und Spanisch. Neu-Chinesisch will sie
als Nächstes vertiefen. Auch Bruder Philip ist mit seinen fünf Jahren hochbegabt
und spielt beeindruckend sicher Bach
auf dem Flügel. Sein IQ ist mit 142 ähnlich hoch wie der seiner Schwester. Die
Hochbegabung, bei der man ab einem
IQ-Wert von über 130 spricht, liegt den
Hahn-Kindern in den Genen. So richtig
bewusst wurde dies Vater Christian (IQ
137) erst, als er nach einer Schule für seine Tochter suchte. Mit sechs Jahren
wurde beim heutigen Immobilienberater
ebenfalls ein hoher IQ festgestellt, doch
er hat damals keine entsprechende Förderung erfahren. In der Schule fühlte
sich Christian Hahn eher unterfordert.
Ihm fehlten die Erfolgserlebnisse, Herausforderungen gemeistert zu haben.
Diesen Frust sollte Laetitia nicht erleben, schwor er. Vier Umzüge haben die
Hahns deshalb hinter sich.
Laetitia geht auf eine Privatschule. Ihren Lernstoff bekommt sie über iTunes
U auf ihr iPad geschickt. So lassen sich
auch unterwegs zur Uni oder zum Klavierlehrer die Hausaufgaben erledigen.
Dass ihre Tochter etwas Besonderes ist,
bemerkte Annette Hahn, als Laetitia etwa acht Wochen alt war und ihr erstes
Wort sprechen konnte: „Haare“. Die Ärzte hielten sie zunächst für verrückt, doch
mit zwei Jahren konnte Laetitia lesen,
mit drei Jahren Englisch sprechen. Mit 14
dürfte sie ihr Abiturzeugnis erhalten –
und womöglich einen akademischen Abschluss. Als Junior-Musikstudentin an
der Uni Münster sammelt sie Nachweise
in den Kursen, die mit Erlangen des
Abiturs vollends anerkannt werden.
Annette Hahn (IQ 132) ist Philosophin, doch erschrak, als die Neugierde
ihre Tochter bereits im Kindergartenalter zu fundamentalen Fragen trieb. „Mama, wenn alle Menschen sterben, die geboren werden, warum leben wir dann?“
Sie antwortete: „Laetitia, du lebst, um
zu lernen.“ Laetitia könnte mit der Schule fertig sein, ehe die Pubertät so richtig
angefangen hat. Mit ihren 1,49 Metern
mischt das junge Mädchen bereits in der
Welt der Großen und Erwachsenen mit,
doch die Berührungsängste davor hatte
sie bereits am ersten Uni-Tag verloren,
als zwei Kommilitonen bei einer Musik-
geschichtsvorlesung einschliefen und
dabei noch laut schnarchten.
Sogar sportlich ist die Kleine, fährt
Skateboard und hat in der Vergangenheit
schon einmal einen Skiwettbewerb gewonnen. Die meisten Urkunden erhielt
Laetitia jedoch für ihr Klavierspiel. Auszeichnungen pflastern eine ganze Wand
im Erdgeschoss des Häuschens der
Hahns in Velbert (Nordrhein-Westfalen),
in dem gleich zwei Flügel stehen. Selbst
in der Küche darf ein Klavier nicht fehlen. Bruder Philip, der mit Zweitnamen
passenderweise Amadeus heißt, träumt
von einem Cembalo. Laetitia war es, die
den Namen für ihn ausgesucht hatte.
Der Wunsch nach dem antiquierten Instrument kam ebenso von Philip selbst
PA/RTN - RADIO/ULRIKE BLITZNER
FRANCOIS DUCHATEAU
Geige spielt sie ebenfalls: Laetitia Hahn,
Junior-Musikstudentin in Münster
wie die Bitte, ihn mit vier Jahren einzuschulen. Annette und Christian Hahn
betonen, ihren Kindern nichts aufzuzwingen. Der Wissensdurst komme einzig vom Nachwuchs. Ihr Klavierlehrer
Heribert Koch pflichtet bei: „Versuchen
sie der Laetitia einmal etwas beizubringen, worauf sie keine Lust hat.“ Früher
war das schwieriger. Sie schaffte zwar jede Aufgabe. „Doch man merkt an ihrem
Klavierspiel, dass viel mehr Gefühl dahintersteckt, wenn sie für eine Sache so
richtig brennt.“ Laetitia war in Talkshows zu Gast und bei „TV Total“. Für
das chinesische Fernsehen traf sie den
Pianisten Lang Lang. Derzeit bereitet
Laetitia Konzerte vor, auch Auftritte mit
Orchester. Im Hintergrund laufen die
Arbeiten für die erste eigene CD. Sie
spielt Haydn, Beethoven, Chopin.
Neid ist nichts Neues für die Hahns,
die Buh-Rufe bei Schulkonzerten kennen. In der Grundschule war das ein
Problem, mit zunehmendem Alter nahm
dies jedoch ab. Ihre älteren Mitschüler
sind gern mit Laetitia in einer Klasse.
„Das Thema Jungs ist noch nicht aktuell“, sagt Annette Hahn, doch schon
erreichen Laetitia via Facebook und EMail Heiratsanträge von älteren Jungs
und Männern. Nachdem sie über Monate Probleme mit einem Stalker hatten
und miterlebten, wie versucht wurde,
Auftritte von ihr zu sabotieren, sind die
Hahns vorsichtig geworden. Sie filtern
die Fanpost und Kommentare unter
YouTube-Videos vor. Auch über Philip
wird dort geschrieben. Mit vier sei er
bereits schlagfertiger als Stefan Raab
gewesen, heißt es an einer Stelle. Und
musikalisch begabter sowieso.