Übungen im Wirtschaftsrecht FS2015 Fall 10: Handicap auf dem Finanzparkett 5./6./7. Mai 2015 Alex Christen, MLaw, Rechtsanwalt [email protected] Universität Bern Institut für Wirtschaftsrecht Grundlagen Themenschwerpunkte Revision Unabhängigkeit der Revisionsstelle Kapitalverlust inkl. Sanierungsmassnahmen Überschuldung Buchführung und Bewertung Verantwortlichkeit des Verwaltungsrates Literaturhinweis: PETER V. KUNZ: Sanierungen von Kapitalgesellschaften: Wann und wie kann oder muss saniert werden? In: recht 32 (2014), 175 – 185 (zu finden auf der Homepage des Instituts bei den Publikationen von Herrn Prof. Kunz) 5./6./7. Mai 2015 2 1 Grundlagen Lernziele Die Studierenden können für die Bachelor-Prüfung im Wirtschaftsrecht die Anforderungen bzw. Voraussetzungen: der Revision; der Revisionsstelle; des Kapitalverlustes inkl. Sanierungsmassnahmen; der Überschuldung; der Buchführung und Bewertung; sowie der Verantwortlichkeitsklage formulieren, auf einen konkreten Sachverhalt anwenden und daraus die logischen Schlüsse ziehen. 5./6./7. Mai 2015 3 Sachverhalt I AK: CHF 300’000.- Aktionariat/ ACI AG Fiduzia AG Mia Lehmann Tim Woods Eva Seeholzer 1/3 AK 1/3 AK 1/3 AK VR VR 5./6./7. Mai 2015 4 2 Aufgabe 1 a) Welche Art von Revision muss die ACI durchführen? 5./6./7. Mai 2015 5 Aufgabe 1 a) (1/7) Revisionsarten Ordentliche Revision (Art. 727 OR) Publikumsgesellschaften; wirtschaftlich bedeutende Gesellschaften; konsolidierungspflichtige Gesellschaften; gegebenenfalls auf Verlangen von Aktionären die 10% des Aktienkapitals vertreten; oder bei einem «opting-up» durch GV-Beschluss. Eingeschränkte Revision (Art. 727a OR) übrige Gesellschaften 5./6./7. Mai 2015 6 3 Aufgabe 1 a) (2/7) Revisionsarten Reduzierte Revision «Opting-down» = reduzierte Revision, die den Anforderungen der eingeschränkten Revision nicht entspricht. Voraussetzung: sämtliche Voraussetzungen an ein «opting-out» sind erfüllt. Verzicht auf Revision «Opting-out» = Verzicht auf die eingeschränkte Revision bzw. selbst gewählte Form der Überprüfung (Art. 727a Abs. 2-4 OR). 5./6./7. Mai 2015 7 Aufgabe 1 a) (3/7) Prüfung der Voraussetzungen für eine ordentliche Revision betreffend die ACI AG 5./6./7. Mai 2015 8 4 Aufgabe 1 a) (4/7) Publikumsgesellschaft (Art. 727 Abs. 1 Ziff. 1 OR) Gesellschaften mit börsenkotierten Beteiligungspapieren (lit. a) Gesellschaften mit ausstehenden Anleihensobligationen (lit. b) Tochtergesellschaften im Konzern, die mindestens 20% der Aktiven oder des Umsatzes zur Konzernrechnung einer Gesellschaft nach lit. a oder b beitragen (lit. c) Fazit: Die ACI AG bildet keine Publikumsgesellschaft. 5./6./7. Mai 2015 9 Aufgabe 1 a) (5/7) Wirtschaftlich bedeutende Gesellschaften (Art. 727 Abs. 1 Ziff. 2 OR) «Gesellschaften, welche zwei der nachstehenden Grössen in zwei aufeinander folgenden Jahren überschreiten: a. Bilanzsumme von 20 Millionen Franken, b. Umsatzerlös von 40 Millionen Franken, c. 250 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt» Fazit: Die ACI AG bildet kein wirtschaftlich bedeutendes Unternehmen. 5./6./7. Mai 2015 10 5 Aufgabe 1 a) (6/7) Konsolidierungspflichtige Gesellschaft (Art. 727 Abs. 1 Ziff. 3 OR) Fazit: Die ACI AG ist nicht konsolidierungspflichtig. 5./6./7. Mai 2015 11 Aufgabe 1 a) (7/7) Ordentliche Revision aufgrund Opting-up Die ACI AG hat kein Opting-up vorgenommen. Fazit: Die ACI AG ist nicht zur ordentlichen, sondern zur eingeschränkten Revision verpflichtet (Art. 727a Abs. 1 OR). 5./6./7. Mai 2015 12 6 Aufgabe 1 b) Beurteilen Sie den Vorschlag von Eva betreffend die Fiduzia AG als Revisionsstelle 5./6./7. Mai 2015 13 Aufgabe 1 b) (1/5) Vorliegend ist zu prüfen, ob die Fiduzia AG: 1. die Anforderungen an die Revisionsstelle bei einer eingeschränkten Revision erfüllt; und ob sie 2. die Anforderungen an die Unabhängigkeit der Revisionsstelle erfüllt. 5./6./7. Mai 2015 14 7 Aufgabe 1 b) (2/5) Revisionsstelle bei eingeschränkter Revision Bei einer eingeschränkten Revision ist ein zugelassener Revisor als Revisionsstelle zu bestimmen (Art. 727c OR). In casu ist die Fiduzia AG ein staatlich beaufsichtigtes Revisions- unternehmen, womit sie die Voraussetzungen sogar übertrifft. 5./6./7. Mai 2015 15 Aufgabe 1 b) (3/5) Unabhängigkeit der Revisionsstelle Art. 729 Abs. 1 OR «Die Revisionsstelle muss unabhängig sein und sich ihr Prüfungsurteil objektiv bilden. Die Unabhängigkeit darf weder tatsächlich noch dem Anschein nach beeinträchtigt sein.» «indepence in fact» und «indepence in appearance» Objektivität und Neutralität Die Sicht Dritter massgebend. Die Revisionsstelle ist unabhängig «wenn jeder äussere Anschein der Befangenheit fehlt» (Botschaft, BBl 2004 3969, 3999, Hervorhebung hinzugefügt). 5./6./7. Mai 2015 16 8 Aufgabe 1 b) (4/5) Unabhängigkeit der Revisionsstelle Art. 729 OR enthält keine Liste von Sachverhalten die mit der Unabhängigkeit nicht vereinbar sind. Nach Botschaft sind aber die Sachverhalte von Art. 728 OR betreffend die ordentliche Revision als Leitlinien zu beachten (Botschaft, BBl 2004 3969, 4026) In casu ist Eva in beiden VR = Doppelte Einsitznahme, die folglich auch bei der eingeschränkten Revision unzulässig ist (Art. 728 Abs. 2 Ziff. 1 OR analog). Fazit: Die Fiduzia AG darf auch bei bloss eingeschränkter Revision nicht für die ACI AG tätig werden. 5./6./7. Mai 2015 17 Aufgabe 1 b) (5/5) Mögliche Lösung ohne Verzicht von Eva auf eines ihrer VR-Mandate Opting-down i.S.v. Art. 727a Abs. 2 OR Verzicht auf eingeschränkte Revision mit Zustimmung sämtlicher Aktionäre; dann «reduzierte» Revision möglich, bei welcher die Unabhängig- keitsbestimmungen nicht anwendbar sind, d.h. eine beliebige Revisionsstelle wählbar ist (umstritten). 5./6./7. Mai 2015 18 9 Sachverhalt II «Nachdem in den ersten Jahren der Geschäftstätigkeit der ACI AG durch glückliche Investitionen grössere Gewinne erzielt werden konnten, verspekulieren sich Tim, Mia und Eva immer häufiger.» 5./6./7. Mai 2015 19 Aufgabe 2 a) Wie beurteilen Sie die Bilanz aus rechtlicher Sicht? 5./6./7. Mai 2015 20 10 Aufgabe 2 a) (1/13) Interne Bilanz Adventure Capital Investment AG 31.12.2005 (Beträge in Tausend CHF) Aktiven Passiven Flüssige Mittel 100 Kreditoren Debitoren 20 10 Kredit Bank S. 400 Wertschriften 290 Aktienkapital 300 Immobilien 100 Gesetzliche Gewinnreserve Bilanzverlust 250 750 30 750 5./6./7. Mai 2015 21 Aufgabe 2 a) (2/13) Unterbilanz Aktiven Passiven Umlaufvermögen Fremdkapital Nennkapital AK+PK Eigenkapital = Anlagevermögen Gesetzliche Reserven Bilanzverlust 5./6./7. Mai 2015 gesetzliches Haftungssubstrat Freie Reserven 22 11 Aufgabe 2 a) (3/13) Unterbilanz Passiven übersteigen die bilanzierten Aktiven bei Auftauchen des Begriffs «Bilanzverlust» beginnt die «Ampelnorm», Art. 725 OR, zu leuchten. Folglich sind Kapitalverlust und Überschuldung zu prüfen. 5./6./7. Mai 2015 23 Aufgabe 2 a) (4/13) Kapitalverlust (Art. 725 Abs. 1 OR) «Zeigt die Jahresbilanz, dass die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven nicht mehr gedeckt ist [liegt ein Kapitalverlust vor]». Summe Aktienkapital und gesetzliche Reserven (Art. 671 ff. OR) ist kleiner als bilanzierte Aktiven oder Bilanzverlust ≥ ½ x (AK + GesRs) 5./6./7. Mai 2015 24 12 Aufgabe 2 a) (5/13) Arten von Reserven Gesetzliche Reserven (Art 671 – 671b OR) Allgemeine gesetzliche Reserve (Art. 671 OR) Reserve für eigene Aktien (Art. 671a OR) Aufwertungsreserven Art. (670 und 671b OR) vgl. dazu die folgende Folie Reserven (Art. 671 ff. OR) Statutarische Reserven (Art. 672 und 673 OR) Stille Reserven Erweiterung der allgemeinen gesetzlichen Reserve (Art. 672 Abs. 1 OR) Reserve für Wohlfahrtszwecke zugunsten des Personals (Art. 673 OR) Ad-Hoc Reserven (Art. 674 OR) 5./6./7. Mai 2015 25 Aufgabe 2 a) (6/13) «Gesetzliche Reserven» nach neuem Rechnungslegungsrecht Mit dem neuen Rechnungslegungsrecht wurden die soeben genannten bisherigen gesetzlichen Reserven (allgemeine gesetzliche Reserve, Reserve für eigenen Aktien, Aufwertungsreserve) angepasst. Neu gibt es nur noch eine gesetzliche Kapitalreserve und eine gesetzliche Gewinnreserve (Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 lit. b und c OR). Art. 671–671b OR sind aber nach wie vor in Kraft. Zwei verschiedene Vorschriften, die denselben Sachverhalt regeln. 5./6./7. Mai 2015 26 13 Aufgabe 2 a) (7/13) Wichtige Punkte Die «allgemeine gesetzliche Reserve» ist neu zu unterteilen in die gesetzliche Kapitalreserve und die gesetzliche Gewinnreserve (Art. Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 lit. b und c OR). Das Verhältnis von Art. 671a OR und Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 lit. e OR ist in der Lehre umstritten. Die h. M. tendiert zur ausschliesslichen Anwendbarkeit von Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 lit. e OR. Gemäss Art. 959a Abs. 2 Ziff. 3 lit. e OR sind eigene Kapitalanteile als Minusposten beim Eigenkapital zu buchen. Nach h.L. Reserve für eigene Aktien damit de facto abgeschafft. Da für die Aufwertungsreserve keine ähnliche Norm im neuen Rechnungslegungsrecht geschaffen wurde, kann im Sanierungsfall die Aufwertung von Beteiligungen und Grundstücken – unter Bildung einer entsprechenden Aufwertungsreserve – bis auf Weiteres durchgeführt werden. 5./6./7. Mai 2015 27 Aufgabe 2 a) (8/13) Kapitalverlust (Art. 725 Abs. 1 OR) «Zeigt die Jahresbilanz, dass die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven nicht mehr gedeckt ist [liegt ein Kapitalverlust vor]». Summe Aktienkapital und gesetzliche Reserven (Art. 671 ff. OR) ist kleiner als bilanzierte Aktiven oder Bilanzverlust ≥ ½ x (AK + GesRs) 5./6./7. Mai 2015 28 14 Aufgabe 2 a) (9/13) Kapitalverlust Aktiven Passiven Umlaufvermögen Fremdkapital Anlagevermögen Nennkapital AK+PK 50 % Gesetzliche Reserven 50 % Kapitalverlust Bilanzverlust 5./6./7. Mai 2015 29 Aufgabe 2 a) (10/13) Überschuldung (Art. 725 Abs. 2 OR) «Ergibt sich aus der Zwischenbilanz, dass die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger [durch die Aktiven] weder zu Fortführungs- noch zu Veräusserungswerten gedeckt sind, [liegt eine Überschuldung vor]». Fremdkapital > Aktiven oder Bilanzverlust > Eigenkapital 5./6./7. Mai 2015 30 15 Aufgabe 2 a) (11/13) Überschuldung Aktiven Passiven Umlaufvermögen Fremdkapital Anlagevermögen Überschuldung Nennkapital AK+PK Bilanzverlust = Eigenkapital Gesetzliche Reserven 5./6./7. Mai 2015 31 Aufgabe 2 a) (12/13) Bilanzsituation im vorliegenden Fall Interne Bilanz Adventure Capital Investment AG 31.12.2005 (Beträge in Tausend CHF) Aktiven Flüssige Mittel Debitoren Passiven 100 Kreditoren 10 Kredit Bank S. Wertschriften 290 Aktienkapital Immobilien 100 Gesetzliche Gewinnreserve Bilanzverlust 250 750 5./6./7. Mai 2015 20 400 300 30 750 32 16 Aufgabe 2 a) (13/13) Berechnungen 1. Prüfung Überschuldung Aktiven 500‘000.- Fremdkapital 420‘000.Nettovermögen 80‘000. Fazit: Es liegt keine Überschuldung vor. 2. Prüfung Kapitalverlust Aktienkapital 300‘000.+ gsRs 30‘000.330‘000.x½ 165‘000. < Bilanzverlust = 250‘000.- Fazit: Die Bilanz weist einen Kapitalverlust von CHF 85‘000.- aus. 5./6./7. Mai 2015 33 Aufgabe 2 b) Wie hätten die Organe der ACI AG Ende 2005 auf diese Bilanz reagieren müssen? 5./6./7. Mai 2015 34 17 Aufgabe 2 b) Art. 725 Abs. 1 OR Liegt ein Kapitalverlust vor, «so beruft der Verwaltungsrat unverzüglich eine Generalversammlung ein und beantragt ihr Sanierungsmassnahmen.» Einberufung einer ausserordentlichen Generalversammlung Sanierungsmassnahmen Spezialfall: VR und GV identisch (3 VR = 3 Aktionäre): Einberufung Universalversammlung ohne Einhaltung der zwingenden Vorschriften betr. Einberufung und Traktandierung (Art. 701 Abs. 1 OR). 5./6./7. Mai 2015 35 Aufgabe 2 c) Wie kann die Bilanz im vorliegenden Fall rasch saniert werden? 5./6./7. Mai 2015 36 18 Aufgabe 2 c) (1/6) Sanierungsmassnahmen 1. Verwendung der allgemeinen Reserve zur Deckung des Verlustes (Art. 671 Abs. 3 OR) In casu Verrechnung gesetzlichen Reserve mit dem Bilanzverlust. 5./6./7. Mai 2015 37 Aufgabe 2 c) (2/6) Interne Bilanz Adventure Capital Investment AG 31.12.2005 (Beträge in Tausend CHF) nach Verrechnung Allg.Rs/Bilanzverlust Aktiven Flüssige Mittel Debitoren Passiven 100 Kreditoren 10 Kredit Bank S. Wertschriften 290 Aktienkapital Immobilien 100 Gesetzliche Gewinnreserve (-30) Bilanzverlust (-30) 220 720 5./6./7. Mai 2015 20 400 300 0 720 38 19 Aufgabe 2 c) (3/6) Sanierungsmassnahmen 2. Aufwertung der Liegenschaft durch Auflösung der stillen Reserven nach Art. 670 Abs. 1 OR Voraussetzungen: Kapitalverlust; Grundstücke oder Beteiligungen mit stillen Reserven; Bildung einer Aufwertungsreserve (Art. 670 Abs. 1 OR); und schriftliche Bestätigung der Revisionsstelle zuhanden der GV, dass die gesetzlichen Vorschriften eingehalten sind, insbesondere betreffend den Wert des aufzuwertenden Aktivums (Art. 670 Abs. 2 OR). 5./6./7. Mai 2015 39 Aufgabe 2 c) (4/6) Unterschied Wertschriften – Beteiligungen Gemäss Art. 960d Abs. 3 OR sind Beteiligungen Anteile am Kapital eines anderen Unternehmens, die langfristig (mindestens 12 Monate, vgl. Art. 960d Abs. 2 OR) gehalten werden und einen massgeblichen Einfluss vermitteln. Dieser wird vermutet, wenn die Anteile mindestens 20% der Stimmrechte gewähren. Beteiligungen stellen Anlagevermögen dar und werden auch als solches verbucht. Alle Beteiligungsrechte, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, stellen Wertschriften dar. Wertschriften sind Umlaufvermögen und werden in der Bilanz entsprechend aufgeführt. Nur Beteiligungen dürfen im Rahmen von Art. 670 Abs. 1 OR aufgewertet werden, Wertschriften nicht. 5./6./7. Mai 2015 40 20 Aufgabe 2 c) (5/6) Interne Bilanz Adventure Capital Investment AG 31.12.2005 (Beträge in Tausend CHF) nach Verrechnung GesRs/Bilanzverlust + Aufwertung Aktiven Passiven Flüssige Mittel 100 Kreditoren Debitoren 10 Kredit Bank S. 20 400 Wertschriften 290 Aktienkapital 300 Immobilien (+150) 250 Gesetzliche Gewinnreserve (-30) Bilanzverlust (-30) 220 Aufwertungsreserve (+150) 150 870 870 0 5./6./7. Mai 2015 41 Aufgabe 2 c) (6/6) Berechnungen Prüfung Kapitalverlust Aktienkapital + gsRs x½ 300‘000.150‘000.450‘000.225‘000.- > Bilanzverlust = 220‘000.- Fazit: Der Kapitalverlust konnte mit den Sanierungsmassnahmen beseitigt werden. 5./6./7. Mai 2015 42 21 Sachverhalt III ACI AG Erwerb Beteiligung USKreditinstitut Bilanzierung der Beteiligung durch die ACI AG 2006 CHF 200’000.- 2008 effektiver Wert CHF 200’000.CHF 100’000.- 5./6./7. Mai 2015 43 Aufgabe 3 a) Muss die Bilanz betreffend die Anteile am US-Kreditinstitut angepasst werden; ist ein Zuwarten möglich? 5./6./7. Mai 2015 44 22 Aufgabe 3 a) (1/2) Anpassung Bilanz ACI bezüglich Wert der Beteiligung Art. 960a Abs. 3 OR: «Wertverluste [auf Aktiven] müssen durch Wertberichtigungen berücksichtigt werden» und zwar «nach den allgemein anerkannten kaufmännischen Grundsätzen». «Sie sind direkt oder indirekt bei den betreffenden Aktiven zulasten der Erfolgsrechnung abzusetzen und dürfen nicht unter den Passiven ausgewiesen werden.» Die BT am US-Kreditinstitut, welche aktuell mit CHF 200’000.- bilanziert ist, muss auf ihren aktuellen wirklichen Wert von CHF 100’000.wertberichtigt werden. 5./6./7. Mai 2015 45 Aufgabe 3 a) (2/2) Ist ein Zuwarten möglich? Vorsichtsprinzip (Art. 960 Abs. 2 OR i.V.m. Art. 958c Abs. 1 Ziff. 5 OR) «Die Bewertung muss vorsichtig erfolgen.» Nach dem sog. Imparitätsprinzip, sind sich anbahnende Verluste sogleich, absehbare Gewinne dagegen erst bei deren Realisierung zu verbuchen (Realisationsprinzip). Art. 960 Abs. 3 OR «Bestehen konkrete Anzeichen für eine Überbewertung von Aktiven oder für zu geringe Rückstellungen, so sind die Werte zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.» Fazit: Es ist eine sofortige Wertberichtigung vorzunehmen; ein Zuwarten ist unzulässig. 5./6./7. Mai 2015 46 23 Aufgabe 3 b) Welche Konsequenzen könnte die Änderung des Bilanzwerts der Wertschriften nach sich ziehen? 5./6./7. Mai 2015 47 Aufgabe 3 b) (1/3) Interne Bilanz Adventure Capital Investment AG 1.12.2008 (Beträge in Tausend CHF) Aktiven Flüssige Mittel Vm = 650 NA = 5 Debitoren Wertschriften Immobilien Bilanzverlust Passiven 100 Kreditoren 10 Kredit Bank S. 490 Aktienkapital 50 Gesetzliche Gewinnreserve 600 300 5 FK= 645 EK= 305 300 950 5./6./7. Mai 2015 45 950 48 24 Aufgabe 3 b) (2/3) Interne Bilanz Adventure Capital Investment AG 1.12.2008 (Beträge in Tausend CHF) Aktiven Flüssige Mittel Vm = 550 NA = -95 Debitoren Wertschriften (-100) Immobilien Bilanzverlust (+100) Passiven 100 Kreditoren 10 Kredit Bank S. 390 Aktienkapital 45 600 300 50 Gesetzliche Gewinnreserve 5 FK = 645 EK = 305 400 950 950 Art. 960a Abs. 3 OR: «[Wertberichtigungen] sind direkt oder indirekt bei den betreffenden Aktiven zulasten der Erfolgsrechnung abzusetzen und dürfen nicht unter den Passiven ausgewiesen werden.» 5./6./7. Mai 2015 49 Aufgabe 3 b) (3/3) Folge der Wertberichtigung = Überschuldung (Art. 725 Abs. 2 OR) Die Aktiven von CHF 550'000.- decken das Fremdkapital von CHF 645'000.- nicht mehr; oder m.a.W. der Bilanzverlust von CHF 400’000.- ist grösser als das Eigenkapital von CHF 305’000.- Fazit: Die ACI AG ist überschuldet. Der VR muss sofort Massnahmen nach Art. 725 Abs. 2 OR vornehmen => Erstellen Zwischenbilanz(en); Überschuldungsanzeige beim Konkursgericht. 5./6./7. Mai 2015 50 25 Aufgabe 3 c) Was kann Eva gegen die drohende Konkurseröffnung unternehmen? 5./6./7. Mai 2015 51 Aufgabe 3 c) Konkursaufschub Art. 725a Abs. 1 OR «Der Richter eröffnet auf die Benachrichtigung [der Überschuldung] hin den Konkurs. Er kann ihn auf Antrag des Verwaltungsrates oder eines Gläubigers aufschieben, falls Aussicht auf Sanierung besteht» (sog. Konkursaufschub). Legitimation nur VR (als Gremium) sowie die Gläubiger, nicht aber die Aktionäre. Eva ist als einzelnes VR-Mitglied nicht legitimiert Gesuch wird nur bewilligt, wenn Aussicht auf Sanierung besteht, z.B. bei Rangrücktritt (Art. 725 Abs. 2 OR; Art. 219 SchKG) oder umgehender Rekapitalisierung. Fazit: I.c. ist kein Konkursaufschub möglich. 5./6./7. Mai 2015 52 26 Sachverhalt IV ACI AG in Liquidation Aktionariat/ VR Mia Lehmann Tim Woods José Rodrigues (Gl) Eva Seeholzer 5./6./7. Mai 2015 53 Aufgabe 4 Unter welchen Voraussetzungen ist Eva haftbar? Prüfen Sie diese im konkreten Fall. 5./6./7. Mai 2015 54 27 Aufgabe 4 (1/10) Verantwortlichkeitsklage nach Art. 754 OR I. II. Prozessuales a. Aktivlegitimation b. Passivlegitimation Materielles a. Schaden b. Widerrechtlichkeit/Pflichtverletzung c. Kausalität d. Verschulden 5./6./7. Mai 2015 55 Aufgabe 4 (2/10) I. Prozessuales a. Aktivlegitimation (1) Gemäss Gesetz (Art. 754 und 755 OR) drei Gruppen: Gesellschaft, Aktionäre, Gläubiger. Nicht allen stehen dieselben Ansprüche zu. Unterscheidung: Ansprüche ausser Konkurs (Art. 756 OR) und Ansprüche im Konkurs (Art. 757 OR) Ausser Konkurs: bei unmittelbarem Schaden Aktionäre und Gläubiger; bei mittelbarem Schaden nur Aktionäre aktivlegitimiert. Im Konkurs: Aktionäre und Gläubiger legitimiert. 5./6./7. Mai 2015 56 28 Aufgabe 4 (3/10) I. Prozessuales a. Aktivlegitimation (2) Art. 757 Abs. 1 OR «Im Konkurs der Gesellschaft sind auch die Gesellschaftsgläubiger berechtigt, Ersatz des Schadens an die Gesellschaft zu verlangen. Zunächst steht es jedoch der Konkursverwaltung zu, die Ansprüche geltend zu machen.» Art. 757 Abs. 2 OR «Verzichtet die Konkursverwaltung auf die Geltendmachung dieser Ansprüche, so ist hierzu jeder Aktionär oder Gläubiger berechtigt.» Fazit: Rodriguez ist als Gläubiger zur Verantwortlichkeitsklage aktivlegi- timiert. 5./6./7. Mai 2015 57 Aufgabe 4 (4/10) I. Prozessuales b. Passivlegitimation Art. 754 Abs. 1 OR «Die Mitglieder des Verwaltungsrats und alle mit der Geschäftsführung oder mit der Liquidation befassten Personen». Fazit: I.c. ist Eva Verwaltungsrätin; folglich ist sie nach Art. 754 Abs. 1 OR passivlegitimiert. 5./6./7. Mai 2015 58 29 Aufgabe 4 (5/10) II. Materielles a. - Schaden (1): Begriffe Besteht in der Unfreiwilligen Vermögenseinbusse durch Verminderung der Aktiven, Vermehrung der Passiven oder entgangenem Gewinn. - Mittelbarer und unmittelbarer Schaden - Sachschade, Personenschaden und reiner Vermögensschaden. 5./6./7. Mai 2015 59 Aufgabe 4 (6/10) II. Materielles a. Schaden (2): Subsumtion I.c. Vergrösserung der Verschuldung der Konkursitin durch Verminde- rung der Aktiven, infolge der verspäteten Überschuldungsanzeige bzw. Konkurseröffnung; folglich liegt ein Schaden vor. Vergleich der Aktiven im Zeitpunkt der Verletzung der Benachrichtigungspflicht mit dem (höheren) Verlust im Zeitpunkt der tatsächlichen Konkurseröffnung (BGE 132 III 222 ff., Hervorhebungen hinzugefügt). Höhe: 5./6./7. Mai 2015 60 30 Aufgabe 4 (7/10) II. Materielles b. Widerrechtlichkeit/Pflichtverletzung Verstoss gegen die gesetzlichen oder statutarischen Pflichten (Art. 717 OR; objektivierter Verschuldensmassstab) reiner Vermögensschaden; nach der objektiven Widerrechtlichkeitstheorie, nur wenn Verstoss gegen den Schutzzweck einer Norm I.c. Verstoss gegen Sorgfaltspflicht durch Unterlassung der umgehenden Benachrichtigung des Konkursgerichts (bereits «[w]enn begründete Besorgnis einer Überschuldung besteht») trotz Überschuldung und fehlender Sanierungsaussichten. Schutznorm: Art. 725 Abs. 2 OR 5./6./7. Mai 2015 61 Aufgabe 4 (8/10) II. Materielles c. Kausalzusammenhang zwischen Sorgfaltswidrigkeit und Schaden I.c. kann die frühere Benachrichtigung des Richters nicht hinzugedacht werden, ohne dass sich die Überschuldung verringern würde (conditio sine qua non). Das Pflichtwidrige Unterlassen der rechtzeitigen Benachrichtigung des Konkursgerichts ist nach allg. Lebenserfahrung und dem üblichen Lauf der Dinge geeignet bei den Gläubigern einen Konkursschaden herbeizuführen. Fazit: Ein Kausalzusammenhang liegt demzufolge vor. 5./6./7. Mai 2015 62 31 Aufgabe 4 (9/10) II. Materielles d. Verschulden Leichte Fahrlässigkeit genügt; objektivierter Verschuldensmassstab = es wird jene Sorgfalt erwartet, die ein gewissenhafter und vernünftiger Mensch unter diesen Umständen als erforderlich betrachten würde. Fazit: I.c. leichtfertiges Vertrauen von Eva auf Besserung der Marktlage, womit ein Verschulden klar zu bejahen ist. Gesamtfazit: Die Haftungsvoraussetzungen für eine Klage von José gegen Eva sind erfüllt; letztere haftet für den Schaden aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit nach Art. 754 OR. 5./6./7. Mai 2015 63 Aufgabe 4 (10/10) III. Regress Art. 759 Abs. 1 OR: „Sind für einen Schaden mehrere Personen ersatzpflichtig, so ist jede von ihnen insoweit mit den anderen solidarisch haftbar, als ihr der Schaden aufgrund des eigenen Verschuldens und der Umstände persönlich zurechenbar ist.“ Art. 759 Abs. 3 OR „Der Rückgriff unter mehreren Beteiligten wird vom Richter in Würdigung aller Umstände bestimmt.“ Fazit: I.c. Regress möglich, da der Verwaltungsrat als Gesamtgremium es unterlassen hat, den Richter zu benachrichtigen (vgl. Art. 716a Ziff. 7 OR) 5./6./7. Mai 2015 64 32 Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Alex Christen, MLaw, Rechtsanwalt Universität Bern Institut für Wirtschaftsrecht Schanzeneckstrasse 1 CH-3001 Bern Tel.: 031 / 631 55 87 [email protected] www.iwr.unibe.ch 33
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