Referenzverfahren zur Messung von

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Methoden der Zellzählung
Referenzverfahren zur Messung
von Stammzellkonzentrationen
JÖRG NEUKAMMER 1 , MARTIN KAMMEL 1 , JANA HÖCKNER 2 , ANDREAS KUMMROW 1 ,
ANDREAS RUF 2
1 PHYSIKALISCH-TECHNISCHE BUNDESANSTALT (PTB), BERLIN
2 STÄDTISCHES KLINIKUM KARLSRUHE
Reference measurement procedures are indispensable to reliably determine blood cell concentrations, since medical diagnosis, initiation of therapy and control of blood products are often based on concentration limits
of specific cell subpopulations. We have developed a reference procedure
to directly determine stem cell concentrations. In the same measurement
both established routine protocols, i.e. relative enumeration with respect
to calibration particles or leukocytes, are simultaneously applied.
DOI: 10.1007/s12268-015-0577-8
© Springer-Verlag 2015
Apheresat
PBS mit 2 % Albumin
in EDTA-Röhrchen
Sysmex XN
verdünntes Apheresat
CD45 – FITC (BD)
CD34 – PE (BD)
15 min, dunkel
immunmarkiertes
Apheresat
PeliLyse (Sanquin)
15 min, dunkel
immunmarkiertes
lysiertes Apheresat
PTBReferenzgerät
TruCount (BD)
¯ Abb. 1: Probenpräparation zur
Bestimmung der
Stammzellkonzentration mit dem PTBReferenzgerät. Zum
direkten Vergleich
mit der Ein-PlattformMethode wurde die
Probe in ein Röhrchen mit TruCount™Kalibrationspartikeln
gegeben. Bei der Auswertung entsprechend der Zwei-Plattform-Methode werden die mit einem
Hämatologieanalysator (Sysmex XN)
gemessenen Leukozytenkonzentrationen
benötigt.
ó Die Transplantation hämatopoetischer
Stammzellen wird mit zunehmender Häufigkeit zur Behandlung schwerer Erkrankungen
durchgeführt. Eine Dosis von mehr als 4 × 106
vitale Stammzellen pro Kilogramm Körpergewicht des Empfängers wird für allogene
Transplantationen angestrebt, um eine erfolgreiche Behandlung zu ermöglichen [1]. Die
durchflusszytometrische Zellzählung ist hierbei für die Ermittlung der Stammzelldosis
einzelner Stammzellprodukte und damit für
die Qualifizierung der Produkte und deren
Qualitätssicherung unverzichtbar. Referenzmessverfahren gestatten die Bewertung von
Routineverfahren. Im Folgenden beschreiben
wir die Anwendung des Referenzmessverfahrens zur direkten Konzentrationsbestimmung hämatopoetischer Stammzellen. Die
Proben wurden dabei so vorbereitet, dass sich
aus den mit dem Referenzgerät gemessenen
Daten auch die Ergebnisse der beiden als Einund Zwei-Plattform-Methode bezeichneten
Routineverfahren ergeben.
Routineverfahren: Ein- und ZweiPlattform-Methode
Eine spezifische immunologische Färbung
mit den Antikörpern gegen CD34 und CD45
erlaubt die Identifikation der Stammzellen
[2]. In der Probe befinden sich außerdem
Leukozyten, die kein CD34 exprimieren. Die
Relativmessung von Stammzellen zu der
Leukozytenanzahl ist eines der bisher verwendeten Routineverfahren und wird als
Zwei-Plattform-Methode bezeichnet, da
neben einem optischen Durchflusszytometer eine weitere Plattform, in der Regel ein
Hämatologieanalysator, benötigt wird. Die
Ein-Plattform-Methode setzt dagegen auf
fluoreszierende Partikel als Kalibratoren, die
der Mess-Suspension hinzugefügt werden.
Die Anzahl der Stammzellen wird relativ zur
Anzahl dieser Partikel bestimmt. Zur Angabe der Konzentration der Stammzellen muss
bei der Zwei-Plattform-Methode die Konzentration der Leukozyten und bei der EinPlattform-Methode die des Kalibrators
bekannt sein.
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Präparation zum Vergleich des
Referenzverfahrens und der
Routineverfahren
Zur gleichzeitigen Messung von Konzentrationen mit dem Referenzverfahren und den
beiden Routineverfahren wurde zunächst die
für die Zwei-Plattform-Methode erforderliche
Leukozytenkonzentration nach geeigneter
Verdünnung des Apheresats mit einem Hämatologiegerät bestimmt (Abb. 1). Das vorverdünnte Apheresat wird zur Färbung 15 Minuten mit den Antikörpern CD34 und CD45
inkubiert. Als Fluorochrome wurden Fluoresceinisothiocyanat (FITC) und Phycoerythrin (PE) verwendet. Nach der Färbung erfolgte die Lyse der Erythrozyten. Vor der Messung mit dem Referenzgerät der PhysikalischTechnischen Bundesanstalt (PTB) wurde die
Probe zur Anwendung der Ein-PlattformMethode in TruCount™-Röhrchen mit Kalibrationspartikeln bekannter Anzahl oder Konzentration hinzugefügt. Bei der anschließenden Messung ergibt sich die Konzentration
der CD34-positiven Stammzellen aus (1) ihrer
direkten Zählung und Bestimmung des Pro-
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˚ Abb. 2: Genaue Volumendosierung mittels einer gravimetrisch kalibrierten Spritze. Der Sprit-
zenvorschub erzeugt einen erhöhten Druck des Luftpolsters über der Probe, die dadurch in den
Flusskanal injiziert wird. Temperatur- (T) und Drucksensoren (p) dienen der Kontrolle, dass sich
während der Fluoreszenzmessung keine Änderungen der stationären Bedingungen ergeben.
benvolumens, (2) ihrer relativen Anzahl zu
der der CD45-positiven Leukozyten (entsprechend der Zwei-Plattform-Methode) und
(3) aus ihrer Anzahl bezüglich der Kalibrationspartikel (entsprechend der Ein-PlattformMethode).
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während der Messung kontrolliert. Für die
Volumenmessung wurde eine relative Messunsicherheit von kleiner 0,25 Prozent bei
einer Zugabe von 200 Mikrolitern erreicht.
Eine weitere Modifikation betrifft die direkte
Verbindung zwischen Probe und der Durchflusszelle durch eine Platin-Iridium-Kanüle. In
Routinegeräten werden Schläuche eingesetzt,
die eine genaue Volumenmessung verhindern
und zu Hämolyse und Adhäsionsverlusten
führen können.
Ergebnisse und Diskussion
˚ Abb. 3: Fluoreszenz-Streudiagramm zur Zählung der CD34-positiven Stammzellen. Gleichzeitig
werden die Anzahl der Leukozyten und der Kalibrationspartikel (Beads) registriert. Damit können
die Ergebnisse der direkten Referenzmessung mit den Relativmessungen der Ein- und der ZweiPlattform-Methode verglichen werden (weitere Details siehe Text).
Metrologische Rückführung mit
Referenzverfahren
Referenzmessverfahren bieten gegenüber
Routineverfahren eine höhere Messgenauigkeit und liefern Werte, die möglichst nah am
wahren Wert der entsprechenden Größe liegen. Da ein höherer Zeitaufwand erforderlich
ist, werden sie für bestimmte Anwendungen
eingesetzt, etwa zur Bestimmung von Zielwerten bei Ringversuchen zur externen Qualitätssicherung in der Laboratoriumsmedizin
[3]. Ein Beispiel ist die Konzentrationsbestimmung von roten Blutzellen [4], für die
das Referenzmessverfahren in einem nationalen Standard beschrieben ist [5]. Referenzmessverfahren werden auch eingesetzt,
um Kalibratoren Referenzwerte zuzuweisen
und um die in ISO 17511 beschriebene Rückführung auf (abgeleitete) SI-Einheiten sicherzustellen [6]. Die Rückführungskette beinhaltet Kalibratoren und eine zuverlässige
interne Qualitätssicherung der klinischen
Anwender. Die Durchführung von Ringversuchen und der Vergleich von Referenzmesswerten mit Werten, die in der klinischen Routine bestimmt werden, erlauben damit eine
Validierung der gesamten Rückführungskette, vorausgesetzt der Endanwender erreicht
den Referenzmethodenwert innerhalb der
festgelegten Bewertungsgrenzen [3].
Referenzmessgerät
Derzeit sind keine kommerziellen Durchflusszytometer oder Hämatologieanalysatoren verfügbar, mit denen Referenzmesswerte
bestimmt werden können. Die in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt entwickelten Referenz-Durchflusszytometer [4] für
die Bestimmung von Zielwerten bei Ringversuchen zum kleinen Blutbild und das auf der
Anfertigung einer Verdünnungsreihe beruhende Referenzverfahren sind nicht für den
Einsatz in einem klinischen Laboratorium
geeignet. Um Referenzmessverfahren auch in
der Routine einzusetzen, wurde ein kommerzielles Durchflusszytometer (Partec
CyFlow ML) mit der in Abbildung 2 dargestellten Probendosierung ausgestattet. Die
Volumenmessung erfolgt durch eine gravimetrisch rückgeführte Spritze [7], die von
einem Linearmotor angetrieben wird. Die
Druckerhöhung aufgrund des Vorschubs des
Spritzenkolbens bewirkt die Injektion der Probe durch eine Kanüle in die Flusszelle des
optischen Durchflusszytometers. Druck (p)
und Temperatur (T) des Gaspuffers werden
Abbildung 3 zeigt ein typisches Ergebnis
einer Messung von Stammzellen. In dem Fluoreszenz-Streudiagramm ist die normierte
Intensität der CD34-PE-Fluoreszenz gegen die
der CD45-FITC-Fluoreszenz aufgetragen. Die
Darstellung zeigt drei Punktwolken, die den
Stammzellen, den Leukozyten und den Kalibrationskügelchen entsprechen. Aus der
Anzahl der Stammzellen und der Volumenmessung folgt der Referenzmethodenwert für
die Konzentration zu CRMW= (245 ± 6) μl–1.
Aus der relativen Anzahl bezüglich der Leukozyten erhalten wir den Wert für die ZweiPlattform-Methode C2P = (258 ± 46) μl–1, aus
dem Verhältnis zu der Anzahl der Kalibrationspartikel folgt die Konzentration basierend auf der Ein-Plattform-Methode
C1P = (238 ± 12) μl–1. Die Ergebnisse stimmen gut überein, allerdings unterscheiden
sich die Messunsicherheiten drastisch. Bei
der Referenzmessmethode sind die Unsicherheiten von 2,5 Prozent durch die Genauigkeit der Volumenmessung und die Zählstatistik bestimmt. Bei der Zwei-Plattform-Methode tragen die Messunsicherheiten der Leukozytenmessung erheblich zur Gesamtmessunsicherheit bei und betragen im ungünstigsten Fall 18 Prozent, da derartige Abweichungen vom Zielwert für Leukozytenmessungen bei der externen Qualitätssicherung
zulässig sind [3]. Bei der Ein-Plattform-Methode kommt zu den statistischen Beiträgen noch
die Messunsicherheit der Anzahl von Kalibrationspartikeln, die wir für diese Charge
von TruCount™-Röhrchen zu 2,1 Prozent
bestimmt haben.
Unsere Ergebnisse demonstrieren den Einsatz eines Referenzmessverfahrens zur
Stammzellzählung in einem klinischen Laboratorium. Die direkte Messung des Volumens
lieferte im Vergleich zu den Relativmessungen
auf Basis der Ein-Plattform- oder Zwei-Plattform-Methode geringere Messunsicherheiten.
Derzeit führen wir systematische Untersuchungen zum Vergleich der Referenzmethode
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mit den derzeit etablierten Ein- und ZweiPlattform-Methoden an frischen und kryokonservierten Apheresaten beim Einsatz
mit verschiedenen Kalibrationspartikeln
durch. Zusätzlich wird in diesen Experimenten die Anwendbarkeit der Resultate
auch auf Routinegeräten verschiedener
Hersteller geprüft. Ziel ist die Quantifizierung der Messunsicherheiten, die Bestimmung der Abweichungen vom Referenzmesswert im klinisch relevanten Konzentrationsbereich, um die am besten für Routinemessungen geeignete Methode zu validieren.
der Konzentration der Erythrozyten – Referenzmethode.
DIN 58932-3
[6] Deutsches Institut für Normung (2003) In-vitroDiagnostika – Messung von Größen in Proben biologischen Ursprungs – Metrologische Rückführbarkeit von
Werten, die Kalibriermaterialien und Kontrollmaterialien
zugeordnet sind. DIN EN ISO 17511
[7] Reitz S, Kummrow A, Kammel M et al. (2010)
Determination of micro-litre volumes with high accuracy
for flow cytometric blood cell counting. Meas Sci Technol 21,
doi: 10.1088/0957-0233/21/7/074006
Danksagung
Wir danken Frau Nicole Bock und Frau
Dagmar Oehmichen für ihre Unterstützung
bei der Durchführung der Experimente.
Die Arbeiten wurden gefördert durch das
BMWi-Förderprogramm „Transfer von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen
(FuE) durch Normung und Standardisierung“ und von der Europäischen Union
und EURAMET im European Metrology
Research Programme (EMRP) SIB-54, 2012
‘BioSITrace’.
ó
Literatur
[1] Bundesärztekammer (2014) Richtlinie zur
Herstellung und Anwendung von hämatopoetischen
Stammzellzubereitungen. Dtsch Arztebl 111, doi: 10.3238/
arztebl.2014.rl_haematop_sz01
[2] Sutherland DR, Anderson L, Keeney M et al. (1996)
The ISHAGE guidelines for CD35+ cell determination by
flow cytometry. J Hematotherapy 5:213–226
[3] Bundesärztekammer (2014) Richtlinie der
Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen. Dtsch Arztebl
111:A1583–A1618
[4] Kammel M, Kummrow A, Neukammer J (2012)
Reference measurement procedures for the accurate
determination of cell concentrations: present status and
future developments. J Lab Med 36:25–35
[5] Deutsches Institut für Normung (1994) Bestimmung
der Blutkörperchenkonzentration im Blut – Bestimmung
Korrespondenzadressen:
Dr. rer. nat. Jörg Neukammer
Abteilung „Medizinphysik und metrologische
Informationstechnik“
Physikalisch-Technische Bundesanstalt
Abbestraße 2–12
D-10587 Berlin
Tel.: 030-3481-7241
Fax: 030-3481-7505
[email protected]
PD Dr. med. Andreas Ruf
Abteilung für Transfusionsmedizin und
Hämostaseologie
Städtisches Klinikum Karlsruhe gGmbH
Moltkestraße 90
D-76133 Karlsruhe
Tel.:0721-974-1701
Fax: 0721-974-1709
[email protected]
AUTOREN
Jörg Neukammer, Martin Kammel, Jana Höckner, Andreas Kummrow und Andreas Ruf
(v. l. n. r.)
An der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt werden in der Arbeitsgruppe „Durchflusszytometrie und Mikroskopie“ (Leitung: Dr. Jörg Neukammer) Referenzmessverfahren zur Konzentrationsbestimmung von Zellen in Körperflüssigkeiten entwickelt. Die Untersuchungen zur Bestimmung
der Stammzellkonzentrationen wurden im Klinikum Karlsruhe in der Abteilung für Transfusionsmedizin und Hämostaseologie durchgeführt (Leitung: PD Dr. med. Andreas Ruf).
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