Pressemitteilung

Information für die Presse
01.04.2015
Neuartiger Regulationsmechanismus steuert Differenzierung embryonaler
Stammzellen
Stammzellen besitzen ein großes Selbsterneuerungspotential und die Fähigkeit, in
verschiedene Zell- und Gewebetypen auszudifferenzieren. Die Aufklärung der
zugrunde liegenden Mechanismen, die diese Funktionen regeln, ist daher
entscheidend für das Verständnis der embryonalen Entwicklung und den Aufbau
von Geweben und Organen. Forscher des Leibniz-Instituts für Altersforschung –
Fritz-Lipmann-Institut
(FLI)
in
Jena
untersuchten
nun,
wie
ein
spezieller
Kontrollmechanismus der Zellen, der „Nonsense-Mediated mRNA Decay“, die
embryonale
Entwicklung
von
Stammzellen
beeinflusst.
Fehlt
die
Schlüsselkomponente Smg6, dann können sich embryonale Stammzellen nicht
mehr differenzieren.
Ein Mensch besitzt hunderttausende verschiedene Proteine. Benötigt eine Zelle ein
bestimmtes Protein, so wird die in der Erbsubstanz, der DNA, gespeicherte Information zur
Produktion dieses Proteins in Boten-RNA umgeschrieben. Diese dient dann anschließend
den zellulären Proteinfabriken, den Ribosomen, als Bauplan für die Proteinsynthese.
Aufgrund der komplexen biochemischen Vorgänge, die bei diesem „Decodierungsprozess“
ablaufen, passieren jedoch auch Fehler, so dass Boten-RNAs mit defekten ProteinBauplänen
entstehen
können.
Daher
besitzen
unsere
Zellen
einen
speziellen
Kontrollmechanismus, der diese defekten Boten-RNAs erkennt und effizient abbaut.
Dieser in eukaryotischen Zellen als „Nonsense-Mediated mRNA Decay“ (NMD)
bezeichnete besonders wichtige Kontrollvorgang erkennt unerwünschte, vorzeitig gesetzte
Stopcodons in der Boten-RNA und baut die schadhaften RNAs mittels einer Endonuklease
(Smg6) ab. Das verhindert deren Expression in verkürzte Proteine und schützt so
gegebenenfalls
vor
der
Akkumulation
von
(möglicherweise)
toxischen
Polypeptidfragmenten.
Vorstand
Wissenschaftlicher Direktor
Prof. Dr. K. Lenhard Rudolph
Administrativer Vorstand
Dr. Daniele Barthel
Pressekontakt
Dr. Kerstin Wagner
Tel.: +49 (0)3641 656378 / E-Mail: [email protected]
Die genetische Anpassung bei den Wirbeltieren lässt vermuten, dass der NMDKontrollmechanismus wichtig für die Entwicklung von Zellen und Geweben ist, obwohl der
zugrunde liegende Mechanismus bisher kaum verstanden ist. Forscher des Jenaer
Leibniz-Instituts für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) untersuchten daher nun
in einer aktuellen Studie, welche Auswirkungen der Verlust der Endonuklease Smg6 des
NMD-Kontrollmechanismus auf die embryonale Entwicklung hat. Die Ergebnisse wurden
jetzt in der renommierten Fachzeitschrift The EMBO Journal publiziert.
Embryonale Stammzellen können sich fast unendlich oft vermehren (Selbsterneuerung)
und Tochterstammzellen generieren, die in verschiedene Zell- und Gewebetypen
ausdifferenzieren (Differenzierung) – sie sind pluripotent. Diese Eigenschaften bestimmen
das Wachstum und die Diversifizierung von Geweben und Zelltypen. „Die Aufklärung der
zellulären und molekularen Mechanismen, die die Selbsterneuerung und Differenzierung
von Stammzellen regeln, ist daher grundlegend für das Verständnis der embryonalen
Entwicklung und weist möglicherweise biomedizinische Implikationen auf“, berichtet Prof.
Zhao-Qi Wang, Forschungsgruppenleiter am FLI.
„Für unsere aktuelle Studie generierten wir spezielle embryonale Knockout-Stammzellen,
denen die Schlüsselnuklease des NMD-Mechanismus Smg6/EST1 fehlte“, erläutert Dr.
Tangliang Li, Postdoc in der Arbeitsgruppe Wang. „Wir konnten zeigen, dass durch den
Verlust von Smg6 die Differenzierung der embryonalen Stammzellen geblockt war“. Ein
Ergebnis, das bereits für andere Knock-out-Varianten für NMD-Faktoren in Mäusen und
Zebrafischen nachgewiesen werden konnte.
Die meisten NMD-Faktoren, wie z.B. Smg1, Upf1, Upf2, Smg5, Smg6, und Smg7, sind
auch am Erhalt der Telomere, den Schutzkappen der Chromosomenenden, beteiligt.
Smg5, Smg6 und Smg7 sind Säugetier-Homologe des „Ever shorter telomere 1“ (Est1Gen), das ursprünglich als Telomerase-assoziierter Faktor in der Bäckerhefe entdeckt
wurde und dessen Verlust bei der Hefe eine Telomer-Verkürzung und Zell-Seneszenz
bewirkt. „Das erschwert die Interpretation der phänotypischen Effekte, die aus der NMDInaktivierung resultieren“, merken die Jenaer Forscher kritisch an. „Weiterführende
Studien
ergaben
jedoch,
dass
die
geblockte
Differenzierung
der
embryonalen
Stammzellen allein durch die Smg6-Funktion im NMD-Mechanismus, die die Expression
pluripotenter Gene regelt, nicht aber durch die Telomer-assoziierte Funktion, verursacht
wird“, berichtet Prof. Wang.
„In der vorliegenden Studie konnten wir zeigen, dass Smg6 von essentieller Bedeutung für
die embryonale Entwicklung ist, nicht nur wegen seiner Telomer-Funktion, sondern vor
allem aufgrund seiner wichtigen Rolle als NMD-Faktor bei der Steuerung der
Differenzierung embryonaler Stammzellen. Damit haben wir NMD als neuartigen
Regulationsmechanismus bei der Differenzierung pluripotenter Stammzellen identifiziert,
der auch andere Mechanismen der zellulären Neuprogrammierung und Steuerung der
Zellidentität verbindet“.
Publikation
Li T, Shi Y, Wang P, Guachalla LM, Sun B, Joerss T, Chen YS, Groth M, Krueger A,
Platzer M, Yang YG, Rudolph KL, Wang ZQ. Smg6/Est1 licenses embryonic stem cell
differentiation via nonsense-mediated mRNA decay. EMBO J. 2015 Mar 14. pii:
e201489947. doi: 10.15252/embj.201489947
Hintergrundinfo
Das Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) in Jena widmet sich seit
2004 der biomedizinischen Alternsforschung. Über 330 Mitarbeiter aus 30 Nationen forschen zu
molekularen Mechanismen von Alternsprozessen und alternsbedingten Krankheiten. Näheres
unter www.fli-leibniz.de.
Die
Leibniz-Gemeinschaft
verbindet
89
selbständige
Forschungseinrichtungen.
Deren
Ausrichtung reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-,
Raum- und Sozialwissenschaften bis zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute bearbeiten
gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevante Fragestellungen. Sie betreiben erkenntnisund
anwendungsorientierte
Grundlagenforschung.
Sie
unterhalten
wissenschaftliche
Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt
Schwerpunkte im Wissenstransfer in Richtung Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
Leibniz-Institute pflegen intensive Kooperationen mit den Hochschulen ‑ u.a. in Form der
WissenschaftsCampi ‑, mit der Industrie und anderen Partnern im In- und Ausland. Sie unterliegen
einem maßstabsetzenden transparenten und unabhängigen Begutachtungsverfahren. Aufgrund
ihrer gesamtstaatlichen Bedeutung fördern Bund und Länder die Institute der LeibnizGemeinschaft gemeinsam. Die Leibniz-Institute beschäftigen rund 17.200 Personen, darunter
8.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Gesamtetat der Institute liegt bei 1,5
Milliarden Euro. Näheres unter www.leibniz-gemeinschaft.de.
Kontakt:
Dr. Kerstin Wagner
Leibniz-Institut für Altersforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI)
Beutenbergstr. 11, 07745 Jena
Tel.: 03641-656378, Fax: 03641-656351, E-Mail: [email protected]
Bild 1
Der Verlust der Endonuklease Smg6 des NMD-Kontrollmechanismus hat Einfluss auf die
embryonale Entwicklung, denn er blockiert die Differenzierung embryonaler Stammzellen.
[Grafik: Kerstin Wagner / FLI; Quelle: Fotolia.com © Andrea Danti]
Hinweis:
Das zur Verfügung gestellte Bildmaterial darf nur im Zusammenhang mit dieser
Pressemitteilung genutzt werden. (Quelle u.a. fotolia.com)