tz: „Stammzellen sollen Arthrose heilen“

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München+Region
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Stammzellen sollen
Arthrose heilen
S
tammzellen gelten als die Senkrechtstarter der
modernen Labormedizin, sie werden bereits als
eine Art körpereigenes Wundermittel gegen
unterschiedlichste Krankheiten gepriesen –
zumindest im von Natur aus euphorischen Amerika.
Ganz so weit wollen sich die allermeisten, eher konservativen deutschen Mediziner nicht aus dem Fenster lehnen, aber auch hierzulande schwören immer
mehr Spezialisten verschiedener Fachrichtungen auf
die neuen Therapiemöglichkeiten mit Stammzellen.
„Sie werden auch die Behandlung von Arthrose revolutionieren“, glaubt der erfahrene Münchner Orthopäde
Dr. Martin Marianowicz. Er wendet ein entsprechendes Spezialverfahren bereits an und hat dazu in seinem Bogenhausener Medizin-Zentrum eigens ein
„Zentrum für bioregenerative Orthopädie“ eingerichtet. In einem großen Gesundheits-Report beleuchtet
die tz diese neue Methode.
ANDREAS BEEZ
Ein paar Dutzend Patienten haben Dr. Marianowicz und seine
Kollegen bereits mit autologen
Stammzelltransplantationen(siehe
Info-Artikel rechts) behandelt –
hauptsächlich an Hüften und Knien. Weitere Anwendungsgebiete
sind Sprunggelenke, Wirbelsäule
und Schultern. Praktisch in allen
großen Gelenken sollen Stammzellen das leisten, was bislang als
unmöglich gilt: degenerierten – auf
Deutsch:verschlissenen–Knorpel,
zu reparieren beziehungsweise
nachwachsen lassen. Und das alles
ohne große Operation, mit einer
vergleichsweise sanften, ambulanten Behandlung.
Dazu wird dem Patienten
Bauchfett und Blut abgenommen.
In Hightech-Zentrifugen werden
Blutplasma und Stammzellen herausgefiltert, aufbereitet und dem
Patienten wieder in sein erkranktes Gelenk gespritzt. Der Eingriff
dauert etwa eine Stunde.
Dr. Marianowicz spricht von
einem „Meilenstein“ im
Kampf gegen Arthrose – einer VolksDr. Martin
krankheit, an der
Marianowicz
sich bereits ganze
(oben) und
ForschergeneratioDr. Willibald Walter
nen die Zähne ausbehandeln Arthogebissen haben. Sie
se mit Stammkonnten zwar Therazellen
pien entwickeln, die
das Fortschreiten der Verschleißerkrankung verlangsamen,
unter Umständen sogar stoppen.
Aber heilen lässt sich Arthrose
In den nächsten Jahren müssen
mit den bereits etablierten Verfah- die Stammzelltherapien noch den
ren bis heute nicht. Dank der neu- wissenschaftlichen Nachweis eren Stammzelltherapien sei das bringen, dass sie auch in der Breite
nun endlich machbar, behauptet und nachhaltig wirken. „NaturgeDr. Marianowicz.
mäß liegen dazu noch keine LangKlingt in der Tat revolutionär, zeitstudien dazu vor“, räumt der
aber warum setzen dann nicht Orthopäde ein. „Diese laufen geschon viel mehr Mediziner die ent- rade, unter anderem sind große
sprechenden Therapien ein? Einer amerikanische Kliniken daran beder wesentlichen Gründe: Es han- teiligt.“ Mehrere Pharma-Riesen,
delt sich um vergleichsweise neue die entsprechende Verfahren entVerfahren, viele Varianten sind wickelt haben, finanzieren die vorerst seit Kurzem für den deutschen geschriebenen klinischen TestreiGesundheitsmarkt
zugelassen hen. Gerade in Amerika, das quaworden. Dementsprechend über- si als Mutterland der Stammzellschaubar sind die Erfahrungswer- therapie gilt, sind bereits sehr
te. Dazu kommt: Die Ausbildung vielversprechende Zwischenerder Ärzte an den Hightech-Gerä- gebnisse veröffentlicht worden.
ten steckt noch in der Anfangs- Und auch bei kleineren klinischen
phase. „Es muss sichergestellt Studien in Australien und Vietwerden, dass der Eingriff von trai- nam habe sich bereits das riesige
nierten Spezialisten gemacht Potenzial herauskristallisiert.
wird“, betont Marianowicz.
Das will auch die Industrie nutTrotzdem, so der Münchner zen. „In Kalifornien werden für
Mediziner, müsse sich kein Patient Arthrose-Behandlungen mit Fettals Versuchskaninchen fühlen. zellen schon mal 30 000 Dollar
„Diese Art der Stammzelltherapi- aufgerufen“, weiß Dr. Marianoen gelten als sehr sicher. Weltweit wicz. In seinem Medizin-Zentrum
sind bereits etwa 10 000 Patienten veranschlagt er „nur“ 3000 bis
mit Fettstammzellen behandelt 4000 Euro. Die Crux dabei: Noch
worden – ohne größere Komplika- halten sich die meisten Krankentionen und Nebenwirkungen. Die kassen bei der Kostenübernahme
Risiken sind gering. Natürlich zurück. „Das wird sich ändern“, ist
kann man auch bei einem ambu- der Arzt überzeugt. „Denn unlanten Eingriff eine Infektion nie term Strich ist die Stammzellthehundertprozentig ausschließen, rapie günstiger als der Einbau
und es kann auch mal zu kleineren eines künstlichen Gelenks,
Transplantationsreaktionen wie das am Ende einer ArthHautrötungen kommen. Aber sol- rose-Erkrankung oft unche Komplikationen sind selten.“
vermeidlich ist.“
MITTWOCH, 23. DEZEMBER 2015
■ Neue Therapie in
Münchner Zentrum
■ Wie der ambulante
Eingriff abläuft
■ Welche Patienten
infrage kommen
Die Infos zur Behandlung
Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Arthrose-Behandlung mit
Stammzellen im tz-Infoblock:
■ Was sind eigentlich Stammzellen?
„Stammzellen sind Körperzellen in
einem sehr frühen Entwicklungsstadium“, erklärt der stellvertretende
Leiter des neuen Zentrums für bioregenerative Orthopädie, Dr. Willibald Walter. „Sie können sich teilen,
vermehren und zu spezialisierten
Zellen weiterentwickeln.“ Das
Grundprinzip kann man sich – vereinfacht beschrieben – ungefähr so
vorstellen: „Die Stammzelle passt
sich ihrem natürlichen Umfeld an,
bekommt entsprechende Anweisungen von ihren neuen Nachbarzellen“, erklärt Dr. Walter. „Wenn
man die Stammzellen also beispielsweise innerhalb von Knorpelgewebe aussetzt, wird sie zur
Knorpelzelle. Dadurch können sich defekte Gewebestrukturen praktisch selbst
reparieren.“
■ Was bedeutet autologe
Stammzelltransplantation?
Beim Begriff Stammzelltransplantation denken viele Menschen an
die Behandlung von
Leukämie. Allerdings unterscheidet
sich diese Methode grundsätzlich
von dem hier vorgestellten Verfahren
gegen
Arthrose. So
wird im Kampf
gegen
Blutkrebs in der
Regel eine allogene Transplantation
vorgenommen – das
Fremd-
wort besagt, dass der Empfänger
die Stammzellen von einer anderen
Person, also einem Spender bekommt. In manchen Fällen kann
diese allogene Transplantation mit
Nebenwirkungen verbunden sein –
im schlimmsten Fall mit einer Abstoßungsreaktion. „Dieses Risiko
muss der Patient bei einer autologen
Transplantation nicht fürchten, weil
dabei ausschließlich seine körpereigenen Stammzellen verwendet werden“, erklärt Dr. Marianowicz.
In den Gelenken
sollen Stammzellen zerschlissenes Knorpelgewebe reparieren
Fotos: ddp, Your Photo,
■ Warum werden die Stammzellen
ausgerechnet aus Bauchfettgewebe
entnommen? „Zum einen eignen sich
die Stammzellen aus dem Bauchfett
für unsere Arthrosebehandlung besonders gut, weil sie dort in großer
Zahl vorhanden sind. Zum anderen
muss dieser spezielle Typ nach der
Entnahme auch nicht bearbeitet,
beispielsweise zur Vermehrung angeregt werden – anders als bei
Stammzellen aus dem Knochenmark“, erklärt Dr. Marianowicz.
„Dazu kommt, dass sich die Stammzellen aus dem Bauchfett leicht entnehmen lassen und die meisten Patienten froh sind, wenn sie an dieser
Stelle etwas Füllmaterial verlieren.“
Marianowicz Medizin
Hier entnimmt der Arzt Bauchfett
Die Fett-Stammzellen werden mit
Blutplasma vermischt und bestrahlt
■ Wie läuft die Behandlung ab? In einem ersten Schritt wird dem Patienten Blut abgenommen, um daraus
Blutplasma zu gewinnen. „Das Plasma wird benötigt, weil darin eine
sehr hohe Konzentration von Wachstumsfaktoren steckt. Wachstumsfaktoren sind bestimmte Eiweiße.
Zum einen hemmen sie die Entzündung im Gelenk, zum anderen regen
sie die Stammzellen zur Teilung und
Vermehrung an“, so Dr. Walter.
Dann zieht der Arzt mit einer
dünnen Nadel etwa 30 bis 40 Milliliter flüssiges Fettgewebe aus dem
Bauch. In weiteren Arbeitsschritten
werden die Stammzellen herausgefiltert und gemeinsam mit dem Blutplasma des Patienten zu einer Art
natürlichem Medikament aufbereitet. Dabei kommen Hightech-Geräte zum Einsatz – unter anderem Zentrifugen und spezielle Lichtbestrahlungsapparate. „Durch die Bestrahlung mit einer bestimmten Wellenlänge wird die Stammzelle aktiviert,
also – bildlich umschrieben – ihr Reparaturmodus eingeschaltet.“
Der Verarbeitungsprozess erfolgt
unter strengen Sicherheitsauflagen.
„Das Blut verlässt das Behandlungszimmer nicht – und alle Arbeitsschritte werden von ein- und demselben Arzt durchgeführt“, betont Dr.
Walter.
Im letzten Behandlungsschritt
wird die Mixtur aus Blutplasma und
Stammzellen direkt an die erkrankte Stelle gespritzt – beispielsweise in
die Hüfte oder ins Knie. Der Eingriff erfolgt ohne Narkose, an den
Einstichstellen bekommt der Patient
eine örtliche Betäubung. Nach einer
Ruhephase in der Praxis kann er am
selben Tag nach Hause gehen.
Die Mixtur wird ins Gelenk gespritzt
■ Welche Einschränkungen hat der
Patient nach der Behandlung? „Er darf
das Gelenk sofort wieder belasten,
sollte allerdings einige Tage noch etwas langsam tun“, erläutert Dr. Walter. „Spaziergänge oder leichtes
Radlfahren sind erlaubt, aber größere sportliche Belastungen sollte man
drei Monate lang vermeiden.“
■ Welche Patienten können von dem
Verfahren profitieren? „Diese Stammzellbehandlung richtet sich vor allem
an Patienten mit mittelgradigen
Knorpelschäden. Je überschaubarer
das Ausmaß des Defekts, desto größer sind die Chancen, dass er vollständig wieder ausheilt. Aber selbst
wenn die Stammzellen die Schäden
nur begrenzt reparieren können,
birgt das Riesenchancen – gerade
für jüngere Patienten unter etwa 60
Jahren. Sie gewinnen dadurch Zeit,
können den Einbau eines künstlichen Gelenks eventuell vermeiden
oder zumindest erheblich hinauszögern“, sagt Dr. Marianowicz. „Ob
die Methode auch bei schwersten,
sogenannten hochgradigen Knorpelschäden Erfolg hat, wissen wir
derzeit noch nicht. Dazu müssen wir
noch Langzeitstudien abwarten.“
ANDREAS BEEZ