Hefte für marxistische Theorie und sozialistische Politik Bulletin Ausgabe 43 / Januar 2015 Spendenempfehlung: 1€ + Porto Inhalt dieser Ausgabe: Editorial Seite02 2 Neue Herausforderungen für DIE LIN- Seite 24 KE und die Verantwortung des Ältestenrates Die Gemeuchelten sind nicht tot Seite 05 Der Sonderparteitag im Dezember 1989 - zwischen SED und PDS Geschichte für heute Seite 07 Gelungener Jahresauftakt für Antikapi- Seite 31 talistInnen Gegen jede Kriegsbeteiligung Seite 08 Solidarität mit Syriza - Seite 33 70 Jahre Ende des II. Weltkriegs, Befreiung und Potsdamer Konferenz Seite 13 Offenbarungseid der Linkspartei Seite 34 LINKE auf Deligitimierungskurs Seite 19 Schuld und Sühne: Der 8. Mai 1945 – Seite 36 Ein der „Tag der Befreiung“? Die Wahl wird Folgen haben Seite 23 Amboss oder Hammer - Gespräche über Kuba Seite 27 Seite 38 editorial... Das neue Jahr begann, wie das alte endete: mit Toten, Hunger und Elend in den Kriegsgebieten, schrecklichen Terroranschlägen, nunmehr sogar in Frankreich und Belgien, mit beunruhigenden Nachrichten über den Zustand des Euro und der kapitalistischen Weltwirtschaft, mit der Bekräftigung der aggressiven Politik gegenüber der Russischen Föderation. Papst Franziskus rief für das neue Jahr zu mehr Zusammenarbeit für Frieden Gerechtigkeit und Menschenrechte auf. In China gilt 2015 als ein Jahr des (Holz-)Schafes – friedlich, freundlich, konsensorientiert. Die Realitäten allerdings signalisieren Gefahr im Verzuge und Anzeichen für eine Welt, die aus den Fugen gerät, und eine Politik, die alles noch schlimmer macht. Im Gange ist ein Spiel mit dem Feuer eines großen Krieges in Europa. Die Politik der USA, die Russische Föderation zu schwächen und als eigenständige, in ihrem Interesse handelnde Großmacht auszuschalten, trifft sich mit einer offen auf Krieg setzenden Politik der Regierung Jazeniuk und seinen faschistischnationalistischen Anhang. Dessen Besuch Anfang Januar in Berlin war begleitet von Säbelrasseln und Public Relation für NATO-Waffen und einen bevorstehenden Waffengang. Man wolle “alles dafür“ machen, so Jazeniuk, „damit die Ukraine mithilfe unserer westlichen Partner vereint wird“. Die Armee soll unverzüglich um 100.000 Mann aufgestockt werden. Um den Flugplatz in Donezk toben heftige Kämpfe. NATO-Generalsekretär Stoltenberg fordert die drastische Erhörung der Militärausgaben. Präsident Poroschenko will „jeden Zentimeter“ in der Ostukraine zurück erobern. Widerspruch aus Berlin kam nicht, 2 auch nicht als Jazeniuk für seine an Hitlerdeutschland orientierte Sicht vom Ende des II. Weltkrieges um „Solidarität“ bei der deutschen Bundesregierung warb: „Wir können uns alle sehr gut an den sowjetischen Angriff in die Ukraine und nach Deutschland erinnern.“ che tun, ist es noch lange nicht dasselbe. Um Wahrheit überhaupt nur hörbar zu machen, ist Klartext reden, zum Gebot der Stunde geworden, auch in Bezug auf andere politische Themen, ebenfalls in Bezug auf Positionen der Führung der LINKEN. Diese entfernt sich immer offensichtlicher Nach dem „Ausblick auf das Neue Jahr“ von Paul Craig Roberts, Publi- von Grundsätzen des Erfurter Prozist und stellvertretender Finanzmi- gramms wie dessen am gesellschaftnister unter Ronald Reagan, hat die lichen Kräfteverhältnis orientierten „Aggression der NATO gegen Russ- Politikbegriff, der unbedingten Abland“ längst begonnen. 2015 könnte lehnung von Hartz IV, der Abgrenzung gegenüber den neoliberalen der Konflikt „heftig ausfallen“. Parteien sowie einer ausgewogenen Einschätzung der DDR. Sie wackelt Im Nahen Osten zeichnet sich neben fortschreitendem Chaos vor al- selbst in der Friedensfrage, so hinlem in Libyen eine weitere Eskalati- sichtlich des konsequenten Neins zu Militäreinsätzen der Bundeswehr on der militärischen Auseinandersetzungen ab. Unter der Flagge des im Ausland. Kampfes gegen den grausamen Terror des mittlerweile im Irak und Sy- In Griechenland zeichnet sich mit rien ein Gebiet von der Größe Groß- den vorgezogenen Neuwahlen des Parlaments am 25. Januar eine britanniens kontrollierenden „Islamischen Staates“ wird die Mili- Mehrheit von Syriza ab. Schon komtärmacht der USA ausgebaut. Assad men Drohungen aus dem Umfeld der Bundeskanzlerin, einen derartisoll endlich gestürzt werden. Der gen Wahlsieg mit einem Ausschluss Iran ist weiter im Fadenkreuz. Die Bundesrepublik erweitert den Ein- Griechenlands aus der Euro-Zone zu beantworten. Das Wort der Kanzlesatz mit dem „Patriot-Raketenabwehrsystem“ der Türkei um militä- rin von der „marktkonformen Demokratie“ hat offenbar genau den rische Ausbilder der Bundeswehr, Sinn: Demokratie Ja, aber nur, wenn die sie nach Syrien schickt. sie die Finanzmärkte nicht durcheiMit dem Terroranschlag auf die Re- nander bringt und die Interessen daktion von Charlie Hebdo steht in des deutschen Kapitals stärkt. neuer Schärfe die Frage nach den Ursachen des islamistischen Terrors Zurück nach Deutschland: Im Jahr 2014 war die Zahl der Asylsuchenaber auch nach der Verurteilung den, insbesondere aus den Ländern des Staatsterrors, wie er im Zuge der vom USA-Imperialismus ausge- des in Flammen stehenden Nahen Ostens auch in die BRD mit rund henden Terroraktionen im Namen 200.000 deutlich größer als in den von Demokratie und Freiheit sich ausbreitet. Gregor Gysi wies in der vorangegangenen Jahren. Vor allem die Kommunen müssen die Lasten Bundestagsdebatte am 15. Januar tragen. Wieder einmal wächst die darauf hin, dass es „ohne falschen Irak-Krieg“ den „Islamischen Staat“ Ausländerfeindlichkeit in breiten nicht gäbe. Sahra Wagenknecht be- Schichten der Bevölkerung. Dies und Ängste vor allem in den Mittelzeichnete die Drohnenangriffe der klassen vor sozialen Abstieg hat mit USA, mit denen Tausende Menschen getötet wurden, als genau so der PEGIDA in Dresden und ähnlichen Demonstrationen in anderen „schrecklich“ wie der TerroranStädten eine rechtspopulistische Beschlag in Paris. Die Empörung der wegung von Unzufriedenen entsteVertreter des politischen Mainhen lassen, die offenbar das Potenzistreams kam sehr kategorisch daal für eine Massenbewegung im Zeiher. „Solch einen Zusammenhang gibt es nicht.“ Wenn zwei das Glei- chen von Rassismus, Menschen- marxistische Theorie und sozialistische Politik Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog feindlichkeit und Deutschtümelei hat. Feindbild ist Islamisierung und Überfremdung. Parolen gegen die „Lügenpresse“ und gegen „die Politiker“ signalisieren ein Weltbild, das von den wirklichen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen im Kapitalismus nicht viel weiß und nichts wissen will. Aktueller denn je ist, was kluge Marxisten wie August Thalheimer und Wolfgang Abendroth aus der Geschichte der Weimarer Republik schlussfolgerten: Kern einer erfolgreichen Strategie gegen rechte und faschistische Massenbewegungen muss eine linke Politik sein, in deren Ergebnis „die Arbeiterklasse sich zu einer wirkungsvollen Alternative gegen die monopolkapitalistische Herrschaft entwickelt“ und so „diejenigen Teile der abhängig Arbeitenden, die in ihrer Verzweiflung dazu neigen, zu den Faschisten überzugehen, politisch an die Arbeiterklasse gebunden werden“. (W. Abendroth, Ein Leben in der Arbeiterbewegung, Frankfurt am Main 1976, S. 135.) Offensichtlich ist diese Grunderkenntnis bei vielen Politikern der LINKEN nicht vorhanden. Sie setzen auf Klassenzusammenarbeit auf der Basis der Leitbilder, der Freund- und Feindbilder des bürgerlichen Politikbetriebes. Ergebnis der bisherigen Regierungsbeteiligungen der Partei in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg war stets: Diese Landesregierungen wurden ein wenig besser (ohne dass sie irgendwo eine politischen Wende gegen Sozialabbau, Reichtumsvermehrung, Prekarisierung und soziale Unsicherheit herbeiführen konnten). Die Partei DIE LINKE wurde infolge dieser Beteiligungen überall schlechter. Sie erreichte viele Unzufriedene nicht mehr, weil „ihre Alternative“ keine war. Sie geriet in eine Glaubwürdigkeitskrise, verlor z. T. (wie zuletzt in Brandenburg) dramatisch an Stimmen. Hinter dieser Entwicklung steht augenscheinlich eine völlige Fehleinschätzung der politischen Kräfteverhältnisse in der BundesreAusgabe 43 Januar 2015 publik. Die gegebene stabile Herrschaftskonstellation zugunsten des Kapitals bedingt, dass derzeit (im Unterschied zu Lateinamerika) jede Regierungsbeteiligung zur Festigung der Kapitalherrschaft führt. Notwendig ist eine Oppositionspolitik auf der Grundlage eines politischen, an den Interessen der abhängig Arbeitenden orientierten Klassenprojekts, das konsequent die neoliberale Politik bekämpft, die Verteilungsfrage, aber auch zeitgemäß die Eigentums- und Machtfrage stellt und grundlegende sozialökonomische Veränderungen fordert. rung in der Koalitionsvereinbarung. Die Aufnahme eines öffentlichen Beschäftigungssektors wurde von der SPD verworfen. Eine Glaubwürdigkeitskrise der LINKEN auch in Thüringen ist unvermeidlich und vorhersehbar. Schon jetzt ist in einem Punkt die Bilanz verheerend. Mit der Verurteilung der DDR als Unrechtsstaat in der Präambel des Koalitionsvertrages hat DIE LINKE in Thüringen eines ihrer wesentlichen Alleinstellungsmerkmale aufgegeben: das einer gerechten und differenzierten Bewertung der DDR als Sozialismusversuch unter schwierigen BedinIn Thüringen hat nun Anfang Degungen. An die Stelle der Verteidizember 2014 nach einem großen Wahlerfolg der LINKEN am 14. Sep- gung der DDR ist die Delegitimierung der DDR getreten. Nicht mehr, tember 2014 ein Regierungsbündnis von DIE LINKE, SPD und Grünen wie bisher, wird die Auflösung der seine Arbeit aufgenommen. Minis- Stasiunterlagenbehörde gefordert, terpräsident ist Bodo Ramelow, der sondern Bodo Ramelow will geals solcher die Richtlinien der Lan- meinsam Arm in Arm mit deren despolitik bestimmt und Thüringen Chef Roland Jahn, gewissermaßen (...) im Bundesrat vertritt. Alles deu- als Speerspitze dieser Behörde, allenthalben die „Alltagsdiktatur der tet darauf hin, dass sich in den DDR aufarbeiten“. Nur acht der 45 nächsten Jahren das gerade skizzierte Schema linker Regierungsbe- Mitglieder des Parteivorstandes der LINKEN lehnten diese Kapitulation teiligung auf Landesebene in Thüvor dem Ungeist und dem Vokaburingen wiederholen wird. In drei lar des Kalten Krieges ab. Punkten ist die Landespolitik ein wenig besser geworden: Die Zahl Es ist die herrschende Politik im der Lehrerinnen und Lehrer wird Umgang mit der Geschichte der definitiv um 500 (statt wie bisher geplant um 400) jährlich erhöht. Es DDR, die sich Bodo Ramelow und gibt ein kostfreies Kita-Jahr. Und bis die ihn unterstützende Landes- und 31. März gilt ein Abschiebestopp für Fraktionsvorsitzende der LINKEN Susanne in Thüringen HennigAsylbewerber. Aber ansonsten ist alles vage oder verläuft im bisheri- Wellsow zu eigen machen. Zu dieser gen politischen Rahmen. Die Regie- Politik gehört auch die Aussage der Bundeskanzlerin in ihrer Neujahrung Ramelow unterwirft sich der Schuldenbremse, lehnt neue Kredit- resansprache: „Hunderttausende deaufnahmen ab und erkennt faktisch monstrierten 1989 für Demokratie und Freiheit und gegen eine Diktadamit das Diktat der sogenannten leeren Kassen an. 123 Aufgaben in tur, die Kinder in Furcht aufwachsen ließ.“ Zu dieser Politik passt der Koalitionsvereinbarung sind auch der Umgang mit dem bevor„Prüfungsversprechen“ (z. B. wohstehenden 70. Jahrestag der Befreinortnahe Versorgung mit Gesundheitseinrichtungen oder fahrschein- ung vom Faschismus am 8. Mai loser öffentlicher Nahverkehr) und 1945. Der Kampf der Völker der stehen damit unter Finanzierungs- Sowjetunion und ihrer Streitkräfte, vorbehalt bisher lediglich auf dem die die Hauptlast dieses Krieges zu tragen hatten, wird geschmälert Papier. Von Reichtumsbremse ist keine Rede, nicht einmal die Anglei- und negiert, wo es nur geht. Vorreichung der Gehälter und Rentenent- ter ist dabei der Regierungschef der geltwerte im Osten steht als Forde- Ukraine in Berlin, dem die Bundes3 kanzlerin selbst bei dessen Parteinahme für Hitlerdeutschland nichts zu entgegnen hatte. Zu den Feierlichkeiten anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung des faschistischen Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar hat die polnische Seite die Russische Föderation und deren Präsidenten nicht eingeladen. Protest der Kanzlerin, Nachfrage der „Leitmedien“ - Fehlanzeige. In dieser 43. Ausgabe des Bulletins „Geraer Sozialistischer Dialog“ wollen wir unsere Positionen zu den anstehenden Problemen und Herausforderungen verdeutlichen. Dabei stimmt nicht jeder Beitrag völlig mit den Positionen des redaktionellen Beirates überein. Jedoch macht die Auswahl der Beiträge unsere Sicht der Dinge deutlich. Das Jahr begann mit den Ehrungen für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Anton Latzo hat dazu den Beitrag „Die Gemeuchelten sind nicht tot“ verfasst. Ebenfalls von Anton Latzo stammt der Artikel „Geschichte für heute“, Bezug nehmend auf den 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus schreibt er zur Rolle der Sowjetunion in der Antihitlerkoalition und zur Politik der Westmächte in der Nachkriegszeit in Deutschland. Auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz der „jungen Welt“ am 10. Januar 2015 hielt Oskar Lafontaine eine viel beachtete Rede zur internationalen Situation, zur Kriegsgefahr und zur Verantwortung der LINKEN. Diese Rede war eine Absage an jene Politik, die Gregor Gysi unlängst wiederum mit Bezug auf das Jahr 2017 als Forderung nach Regierungsbeteiligung auf Bundesebene vertrat, ungeachtet dessen, dass dies nur möglich wäre, wenn DIE LINKE zu einer Kriegspartei und Hartz IV-Partei mutiert. Mit freundlicher Genehmigung haben wir diese Rede im vollen Wortlaut übernommen. 4 scheint besonders nach 25 Jahren und angesichts der Beschwörung eines angeblichen antistalinistischen Gründungskonsensus der PDS auf diesem Parteitag wichtig. Der damalige Parteitag verurteilte eben nicht pauschal die DDR. Er forderte nicht das Ende, sondern die Demokratisierung der DDR. Es gab einen eindringlichen Appell von Hans Modrow, damals Ministerpräsident der DDR, dass diese Partei bleiben muss. Sie ist geblieben, In seinem Beitrag „LINKE auf Deligi- wenn auch mit anderen Namen und leider zunehmend mit Inhalten, die timierungskurs „ setzt sich Ekimmer weniger mit den Anforderunkehard Lieberam mit den Problemen der Thüringer Koalitionsregie- gen zu tun haben, die aktuell und rung auseinander. Dies ist ein The- strategisch im 21. Jahrhundert auf ma, das uns auch in der nachfolgen- DIE LINKE zukommen. den Zeit weiter unter dem Gesichtspunkt, Koalitionsregierungen unter Der bundesweite Zusammenschluss „Antikapitalistische Linke (AKL)“ linker „Verantwortung bzw. Beteilung“ weiter beschäftigen muss. Zu hat am 11. Januar, unmittelbar im diesem Thema gehört auch der Bei- Anschluss an die Ehrungen für Karl und Rosa seine Jahresversammlung trag von Nina Hager, den wir mit freundlicher Genehmigung der Re- durchgeführt. Wir veröffentlichen darüber den Bericht und eine Erklädaktion der „UZ“ übernommen haben: „Die Wahl wird Folgen haben. rung. Nach der Wahl Bodo Ramelows zum Die Redaktion erreichte ein LeserThüringer Ministerpräsidenten“. brief von Valentin Prohacek mit der Der Ältestenrat der Partei DIE LIN- Überschrift „Offenbarungseid der KE hat am 4. Dezember 2014 ein Po- Linkspartei“, den wir hiermit unkommentiert veröffentlichen. sitionspapier beschlossen, das wir im vollen Wortlaut übernommen Abschließend, wie mittlerweile Trahaben. „Neue Herausforderungen dition, stellt Andreas Schlegel, Mitfür DIE LINKE und die Verantworglied des SprecherInnen und Koortung des Ältestenrates.“ Der Ältestenrat, er wurde mit Beschluss des dinierungsrates des Geraer Sozialis1.Parteitages der PDS im Jahr 1990 tischer Dialog, das Buch „Die zweite Schuld oder von der Last Deutscher als „Rat der Alten“ gegründet, zu sein“, von Ralph Giordano mit spricht in diesem Dokument über seine Verantwortung in Bezug auch einer ausführlichen Besprechung auf die Politik der Partei und seines vor. Mit Titelseite und einem kurgewählten Vorstandes. Es ist ein Do- zen Text verweisen wir auf die Neuerscheinung des Buches „Amboss kument, das für die Vorbereitung des Bielefelder Parteitages der Par- oder Hammer“. Gespräche über Kuba von Volker Hermsdorf mit Hans tei DIE LINKE am 6./7. Juli 2015 Modrow. wichtige inhaltliche Impulse gibt. Gedenken an die Befreiung vom Faschismus und Kampf für die Erhaltung des Friedens sind die politischen Schwerpunkte im Jahr 2015. Ludwig Elm hat dazu auf dem 21. Friedensratschlag am 6./7.Dezember 2014 in Kassel unter dem Thema: „70 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs, Befreiung und Potsdamer Konferenz“ ein Referat gehalten, das er uns für diese Ausgabe des Bulletins zur Verfügung stellte. Rückblickend auf den Herbst 1989 und seine Ereignisse geben wir Gregor Schirmer mit seinem Artikel, „Der Sonderparteitag im Dezember 1989 – zwischen SED und PDS“ das Wort. Ein Blick auf die Tage, in denen aus der SED die PDS entstand, marxistische Theorie und sozialistische Politik Anton Latzo Ekkehard Lieberam Michael Mäde Jochen Traut Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog Die Gemeuchelten sind nicht tot Das schrieb Clara Zetkin im Februar 1919 über Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. „Ihr Herz schlägt in der Geschichte fort, und ihr Geist leuchtet weit über diese düsteren und doch nicht hoffnungslosen Tage hinaus. Das Proletariat wird das reiche Erbe antreten, das ihm Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg in Wort und Tat, in Lebenswerk und Beispiel hinterlassen. Die Gemeuchelten leben, sie werden die Sieger der Zukunft sein.“ (Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften , Bd. II, Berlin 1960, S. 92) lismus zum Sozialismus. Rosa und Karl zu ehren, bedeutet, das in ihren Reden, Schriften und revolutionären Handlungen hinterlassene revolutionäre Erbgut aufzugreifen, es sich anzueignen und für das konkrete Handeln in unserer Zeit aufzuarbeiten. Dieses Erbgut widerspiegelt nicht nur die historischen Voraussetzungen und Begleitumstände ihrer Zeit. Es vermittelt grundlegende Erkenntnisse für alle Kommunisten, Sozialisten, Marxisten im Prozess und in den verschiedenen Phasen des Klassen- Und so war man in dem Entscheidungsjahr 1914 an dem Punkt angekommen, an dem aus der einst revolutionären Sozialdemokratie eine kleinbürgerlichdemokratische Reformpartei übriggeblieben war. Die fast hundertjährige Geschichte der Würdigung dieser Revolutionäre war stets auch Prozess des Erinnerns an ihre Erfahrungen, an ihre Erfolge und ihre Niederlagen. Jeder, der sich mit diesen Persönlichkeiten, diesen Gewaltigen der marxistischen Erkenntnis und revolutionären Tatkraft, diesen Meistern des Wortes und der Feder (Hermann Duncker) beschäftigte und beschäftigt, muss, ob er will oder nicht, im Klassenkampf, im Kampf zwischen marxistischleninistischer und bürgerlicher Ideologie, Partei ergreifen. Mit seinen Schlussfolgerungen und seiner Haltung entscheidet er so über seinen eigenen Platz in den Kämpfen der Zeit, über seine Stellung im revolutionären Prozess des Kampfes für die Durchsetzung des gesellschaftlichen Fortschritts, in der Epoche des Übergangs vom Kapita- Ausgabe 43 Januar 2015 kampfes, so auch in jenen, in denen die Arbeiterklasse noch keine eigene Revolution konkret in Angriff nehmen kann. So ergibt sich für die kommunistische, marxistische Partei in dieser Phase der Entwicklung des kapitalistischen Staates und des Klassenkampfes die Aufgabe, das Recht auf Revolution zu verteidigen und sich mit den notwendigen Fähigkeiten für die Revolution zu rüsten, damit sich die Geschichte nicht wiederholt. Die Bedingungen für den Kampf werden dabei nicht einfacher. Die Bourgeoisie hat 1918 mit Hilfe der rechten Führer der Sozialdemokratie dem Volke in feierlichsten Erklärungen die „Sozialisierung“ versprochen. Als aber das revolutionäre Proletariat gefordert hat, die Versprechungen einzulösen, wurde es seiner Führer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg beraubt und dann etappenweise niedergeschlagen. Schon 1848 hatte man in Preußen das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht versprochen. Durch den Staatsstreich vom 5. Dezember 1848 wurde aber dem Volk das schmachvolle Dreiklassenwahlrecht aufgezwungen. Die Vorkämpfer des Proletariats wurden 1849 unter Anklage des Hochverrats vor Gericht gestellt. Im Unterschied zu 1918 wurden sie von bürgerlichen Gerichten noch freigesprochen. Das änderte sich jedoch mit dem Aufkommen des deutschen Imperialismus. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wurden meuchlings ermordet! Ernst Thälmann musste das gleiche Schicksal erleiden. Seit 1918 stehen ununterbrochen Kommunisten vor Gericht und werden niemals freigesprochen. Das war auch so, als Mitte der 1950er Jahre die KPD und die Jugendorganisation FDJ auf Betreiben der Bundesregierung verboten wurden und wurde auch nach 1989, nach der Einverleibung der DDR, praktiziert. Einen wichtigen Beitrag leisteten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Kampf gegen den sich ausbreitenden Revisionismus. Das geschah vor allem im Sinne eines Rückgreifens auf den unverfälschten Marxismus und auf Auswertung der internationalen Erfahrungen. Das stand am Anfang des Weges zu einer starken kommunistischen Partei! Es erfolgte zweitens in der theoretischen Erschließung der neuen ökonomischen, politischen und ideologischen Probleme, die die Etappe des Imperialismus und der ersten proletarischen Revolution aufwarfen. Zu Beginn vollzog sich der Kampf gegen den Reformismus noch im Schoße der alten Sozialdemokratie. Man hoffte eben noch, die alte 5 Sozialdemokratische Partei vor dem reformistischen Ansturm retten zu können. Hinzu kam auch, dass das ganze Ungeheuer des künftigen politisch ausgewachsenen Reformismus nicht in der Breite im voraus klar zu erkennen war. Man empfand die Versuche von Bernstein & Co eben doch als „Versuche“ , die Partei umzugestalten, den Marxismus zu revidieren bzw. auszuschalten. Man übersah in der Sozialdemokratie auch, dass die Steigerung der Quantität der opportunistischen „Entgleisungen“ in revisionistische Qualität umschlagen. Und so war man in dem Entscheidungsjahr 1914 an dem Punkt angekommen, an dem aus der einst revolutionären Sozialdemokratie eine kleinbürgerlichdemokratische Reformpartei übriggeblieben war. Im Kampf von Karl Liebknecht und besonders von Rosa Luxemburg gegen die reformistische Theorie und Praxis, der zum Ausgangspunkt für die Herausarbeitung der Grundlagen der Kommunistischen Partei in Deutschland wurde, ist besonders Rosa Luxemburgs „Sozialreform oder Revolution“ herauszuheben. Dieses „Dokument der Auferstehung des Kommunismus in Deutschland“ (Hermann Duncker) legt das Wesen des Reformismus bloß und liefert notwendige Argumente für den aktuellen Kampf gegen ihn und für die organische Verknüpfung des praktischen Tageskampfes mit dem Endziel. Überschauen wir das Wirken von Karl und Rosa so ragt als weiterer Schwerpunkt ihre unbändige Gegnerschaft zum Krieg hervor, die sich aber niemals auf Pazifismus beschränken lässt. Angesichts der in Waffen starrenden Welt und der sich in imperialistischen Militärpakten zusammenschließenden europäischen Großmächte war für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg der antimilitaristische Kampf zu einer Aufgabe ersten Ranges geworden. Sie leiteten diese Aufgabe nicht nur aus dem Zustand der Gesellschaft und der Politik der Herrschenden ab, sondern auch aus dem Zustand in der Partei, in der sich Revisionismus, Reformismus und Zentrismus immer mehr ausbreiteten. Im Militarismus sah Karl Liebknecht dasjenige Instrument der Gesellschaft, dessen „Zweck und Wesen die Gewalt ist“, wie er in seiner Schlussrede im Prozess vom 10. Oktober 1907 erklärte, der gegen ihn wegen seiner Broschüre „Militarismus und Antimilitarismus“ geführt wurde. Der Militarismus stellt die höchste Konzentration der brutalen Gewalt des Kapitalismus dar. Militarismus ist aber nicht nur die Armee in ihren verschiedenen Gestalten. Er greift weit aus in die bürgerliche Welt, unser ganzes öffentliches Leben umklammernd und bis in seine feinsten Fasern durchdringend, stellte Karl Liebknecht fest. Rosa Luxemburg bezeichnete den Militarismus als den Todfeind aller Kultur. Militarismus, Marinismus, die Jagd nach Kolonien und die Reaktion sind internationale Erscheinungen und bringen eine permanente internationale Kriegs- gefahr mit sich, darum sollte der Alliance der internationalen Reaktion das Proletariat eine internationale Protestbewegung entgegensetzen. (Internationaler SozialistenKongress zu Paris, 25. bis 27 September 1900 Berlin 1900, S. 27) Das wesentliche Ziel der antiimperialistischen Propaganda, schlussfolgerte Karl Liebknecht auf der I. Internationalen Konferenz der sozialistischen Jugendorganisationen in Stuttgart, 26. Mai 1907, „ist die Zermürbung und Zersetzung des militaristischen Geistes zur Beschleunigung der organischen Zersetzung des Militarismus. Aufklärung des Proletariats über das Wesen des Kapitalismus, des Militarismus und seiner besonderen Funktionen innerhalb des Kapitalismus, das ist die Grundlage, das breite Fundament eines jeden möglichen Antimilitarismus, ein Fundament, an das weder Polizei noch Justiz ernstlich herankommen“. Daraus folgt, dass Friedenskundgebungen, ganz gleich welcher Art, nicht zu einer Abart der Speakers' Corner werden dürfen. In tiefer Erkenntnis der Rolle der Massen im Kampf um das Recht der Völker erklärte Karl Liebknecht im Prozess, der 1907 vor dem Reichsgericht gegen ihn stattfand: „Ich verfolge den Zweck, die Entscheidung über Krieg und Frieden aus dem Dunkel der Kabinette und Diplomatenschleichwege herauszuholen und an das Licht der Öffentlichkeit zu ziehen“. Auch das ist eine Lehre! Anton Latzo „Sie lügen wie gedruckt wir drucken wie sie lügen.“ 6 marxistische Theorie und sozialistische Politik Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog Geschichte für heute Die Jahrestage lassen uns nicht los. Zwei davon ragen im Jahre 2015 heraus. Das ist der 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus sowie die Vereinbarung des Potsdamer Abkommens und der 25. Jahrestag der Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands durch die Einverleibung der DDR in den Machtbereich des deutschen Kapitals. Die Zerschlagung des Faschismus durch die Antihitlerkoalition, in deren Rahmen die Sowjetunion den entscheidenden militärischen und politischen Anteil leistete und die größten menschlichen und materiellen Opfer brachte, führte zur Zerschlagung des Faschismus und Militarismus und schuf tiefgreifende Veränderungen im internationalen Kräfteverhältnis. Unter diesen Bedingungen wurde die Tür für die nachfolgende demokratische und friedliche Bedingungen in Europa und in Deutschland geöffnet. Auf der Grundlage ihrer gestärkten internationalen Stellung wurde die Sowjetunion zum Anwalt der nationalen Interessen des deutschen Volkes in der internationalen Arena. Sie hat entscheidend dafür gewirkt, dass auf der Potsdamer Konferenz die Alliierten gegenüber Deutschland eindeutig festgelegt haben: „Der deutsche Militarismus und Nazismus werden ausgerottet, und die Alliierten treffen nach gegenseitiger Vereinbarung in der Gegenwart und in der Zukunft auch andere Maßnahmen, die notwendig sind, damit Deutschland niemals mehr seine seine Nachbarn oder die Erhaltung des Friedens in der ganzen Welt bedrohen.“ Gleichzeitig wurde durch die Alliierten die Zerschlagung der übermäAusgabe 43 Januar 2015 ßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, der Monopole, die Entmilitarisierung usw. vereinbart. Gemeinsam sprachen sie sich für die Erhaltung der staatlichen Einheit Deutschlands aus. Die Sowjetunion unterbreitete darüber hinaus der Konferenz einen Vorschlag über die Bildung einer zentralen deutschen Regierung, doch die Westmächte lehnten ihn ab, weil sie offensichtlich fürchteten, dass die Bildung deutscher Organe für alle Besatzungszonen den Einfluss der antifaschistischen und antiimperialistischen Kräfte in Deutschland stärken und ihre damals schon vorhandenen antikommunistischen Ziele gefährden könnte. Ihre Ziele wurden mit der Bildung der BRD angestrebt und dann 1990 auch erreicht. Nachdem die Westmächte und die deutsche Reaktion, unterstützt von den rechten Führern der SPD, alles getan hatten, um eine antifaschistisch-demokratische Entwicklung in Westdeutschland zu verhindern, wurde 1949, unter Bruch des Potsdamer Abkommens und bei aktiver Beihilfe der Westmächte der westdeutsche Separatstaat geschaffen. Mit dem Ausbau dieser Grundlage für monopolkapitalistische Verhältnisse, mit der Schaffung der dazu gehörigen politischen, staatlichen, juristischen, militärischen und sicherheitspolitischen Instrumentarien (Remilitarisierung, NATO-Mitgliedschaft, Verbot der KPD, Notstandsgesetze, Berufsverbote usw.) schufen sie das System, das sie brauchten, um 1989, im Verbund mit ihren verbündeten Großmächten in der Lage zu sein, zum großen antikommunistischen Schlag auszu- holen, um die Hauptkraft, den Sozialismus, zu beseitigen, der der Verwirklichung ihrer expansiven und aggressiven Plänen im Wege stand. Das ist die Linie, die zu solchen Verhältnissen in Deutschland und in Europa geführt hat, die den obersten Repräsentanten des gegenwärtigen Deutschland erneut sagen lassen, dass Deutschland „eine Zurückhaltung, die in vergangenen Jahrzehnten geboten war, vielleicht ablegen sollte zugunsten einer größeren Wahrnehmung von Verantwortung“. Zur gewünschten aktiveren Rolle Deutschlands in der Welt gehöre auch, „den Einsatz militärischer Mittel als letztes Mittel nicht von vornherein zu verwerfen“ usw. (Tagesspiegel, 14.06.2014) Die „Vereinigung“ der zwei deutschen Staaten ist Kettenglied dieses Prozesses. Sie ist keine Vereinigung, kein freiwilliges Zusammengehen zweier gleichberechtigter Partner in Verwirklichung ihrer grundlegenden Interessen, sondern der Anschluss des einen, der DDR, durch das schlagartige und überfallartige Überstülpen des wirtschaftlichen, politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Systems der alten Bundesrepublik über das Anschlussgebiet. Bis heute wird ein Prozess der Unterwerfung betrieben. Darin liegen die tatsächlichen Wurzeln für den Berg von ungelösten Problemen, mit denen wir konfrontiert sind und die böse Folgen erwarten lassen. Die Existenz, der Aufbau und die Politik der DDR zeigte, dass die konsequente Verwirklichung der Lehren des 2. Weltkrieges und der Festlegungen des Potsdamer Abkommens zu friedlichen inneren und äußeren Verhältnissen in Europa und in den einzelnen Ländern führen, Frieden reproduzieren und gegenseitige Achtung erzeugen kann. Anton Latzo 7 Gegen jede Kriegsbeteiligung Wenn Journalisten und Politiker in Bataillonsstärke zur aktiven Teilnahme an Militäreinsätzen verpflichtet wären, hätte der Spuk ein schnelles Ende. Rede auf der XX. Rosa-Luxemburg-Konferenz am 10. Januar 2015 Ich habe heute morgen France Inter gehört und habe dort die Diskussion hinsichtlich der Ereignisse in Frankreich, der terroristischen Anschläge und der Ermordeten, verfolgt. Und dann war jemand dort, der über das Täterprofil dieser Leute gesprochen hat. Es stellte sich erwartungsgemäß so dar: jung, männlich, muslimischen Glaubens, sozial entweder ausgegrenzt oder in einer Tarn-Berufsgruppe und so weiter und so weiter. Ich habe mir das dann gar nicht länger angehört, denn mir ist es durch den Kopf gegangen, dass wir Terroristen in aller Welt haben, und dass das Täterprofil der Terroristen in aller Welt das gleiche ist – mangelnde Liebe zum Menschen und mangelnde Liebe zum Leben. Und wenn wir die Debatte nicht so führen, dass wir die Frage stellen, wo haben wir denn überall Terrorismus, und wenn wir die Debatte nicht so führen, dass wir uns die Frage stellen, ob nicht auch bei uns im angeblich guten Westen Verantwortung für terroristische Anschläge besteht, wenn wir uns nicht die Frage stellen, was ist Terrorismus überhaupt, dann werden wir keine vernünftige Debatte führen können und auch keine Ergebnisse haben können. Ausgrenzung und Ohnmacht Ich habe jahrelang im Deutschen Bundestag die Kanzlerin immer wieder gefragt, was denn Terrorismus sei. »Sie wollen Terrorismus bekämpfen«, war meine Aussage, 8 »also bitte sagen Sie uns, was Terrorismus ist, denn sonst kann man ihn ja nicht bekämpfen.« Es kam nie eine Antwort, und das hat Gründe. Irgendein Beamter hat dann ein sogenanntes Antiterrorgesetz geschrieben, demzufolge – hört genau zu – Terrorismus die rechtswidrige Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Belange ist. Gott sei dank wird gelacht. Ich habe das im Bundestag vorgetragen und gesagt: »Wissen Sie, was Sie gerade beschlossen haben? Sie haben gerade beschlossen«, das war damals noch nicht so lange nach dem Irak-Krieg, »dass Bush, Blair und alle anderen, die den Irak-Krieg unterstützt haben, Terroristen sind.« Ich will es nur an diesem Beispiel deutlich machen: Wenn wir nicht lernen, dass das zumindest in der arabischen Welt so gesehen wird, dass etwa Bush ein großer Terrorist ist, weil Hunderttausende ermordet worden sind aufgrund seiner Fehlentscheidung, dann werden wir im Westen niemals eine Diskussion darüber führen können, wie der Terrorismus in dieser Welt zu bekämpfen ist, niemals. Und ich habe mir immer die Frage gestellt und versucht, diese in Diskussionen auch im Bundestag einzubringen: »Wie nehmt ihr eigentlich die Welt wahr? Was glaubt ihr eigentlich, was bei jungen Leuten, was in den Herzen von jungen Leuten vorgeht, die dann sehen, dass ihre ganze Familie ausgelöscht wird, weil sich eine Drohne in eine Hochzeitsgesellschaft verirrt hat, wo dann viele unschuldige Menschen ums Leben kommen? Da geht ihr zur Tagesordnung über, aber wenn jetzt hier ein terroristischer Anschlag geschieht, dann ist die Empörung groß.« So kann man nicht herangehen. Eine Voraussetzung muss sein, dass wir die Doppelmoral endlich aufgeben, die marxistische Theorie und sozialistische Politik Grundlage der großen Irrtümer in der Welt ist. Ausgrenzung und Ohnmacht, das waren zwei Wörter, die ich in vielen Kommentaren gelesen habe. Im Zentrum der Überlegungen stand, dass Ausgrenzung und Ohnmacht Reaktionen provozieren; das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen weltweit, das lässt sich nicht unbedingt lokalisieren. Und überall dort, wo Ausgrenzung und Ohnmacht festgestellt werden, muss man mit Gewalt rechnen. Das gilt auch für unsere Gesellschaft. Es gibt viele Menschen, die fühlen sich ausgegrenzt, es gibt viele Menschen, die fühlen sich ohnmächtig – in allen Ländern dieser Welt, in allen Systemen dieser Welt, und irgendwann glauben diese Menschen, sie können sich nur mit Gewalt zu Wehr setzen. Und daraus ist doch nur eine Lehre zu ziehen: Wir müssen Gesellschaftsordnungen aufbauen, die Menschen nicht ausgrenzen und sie nicht das Gefühl von Ohnmacht und Ratlosigkeit fühlen und empfinden lassen. Wenn man über Terrorismus spricht, muss man sagen, was man unter Terrorismus versteht. Wenn man beispielsweise Mord verurteilt, dann muss man Mord verurteilen, wo immer er begangen wird und von wem er auch begangen wird. Und daran fehlt es im großen Umfang in der westlichen Gesellschaft. Diese Ereignisse müssen doch eine Diskussion über die Außenpolitik provozieren und lassen nur eine einzige Schlussfolgerung zu. Die Interventionskriege, diese terroristischen Kriege, sind die Grundlage für die Ausbreitung des weltweiten Terrors. Man kann sicherlich über dieses und jenes reden, über eines jedoch nicht: Wenn es denn einmal dazu kommen sollte – ich muss den Fall ja sehr hypothetisch hier diskutieren –, dass die Linke eingeBulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog laden wird, sich an einer Bundesregierung zu beteiligen, dann muss eines klar sein: Eine solche Regierung darf sich niemals an Interventionskriegen beteiligen, niemals, das muss die Grundbedingung sein. Was denken sich diejenigen eigentlich, die solche Kriege beschließen? Was empfinden sie? Wie kommen sie überhaupt dazu, andere zu beauftragen, Krieg zu führen? Macht man sich überhaupt eine Vorstellung davon, was das heißt? Und da muss man doch heute zu der Antwort kommen: Diejenigen, die den Auftrag geben, können sich gar nicht mehr vorstellen, welche Aufträge sie eigentlich vergeben. Und dass sie noch weniger Phantasie haben, darüber nachzudenken, was das eigentlich heißt. Man kann hier auf den alten Kant verweisen. Ich tue das gerne, eben weil ich ja Leute erreichen will, die nicht schon so denken, wie wir denken. Sie sollen mal darüber nachdenken, warum der alte Kant in seiner Schrift zum ewigen Frieden einen richtigen Gedanken geäußert hatte. Sinngemäß sagte er: »Wenn diejenigen, die zu beschließen haben, auch die Drangsale des Krieges zu erleiden hätten, dann würden sie diese Beschlüsse nicht fassen«. Und wenn ich zornig bin, dann sage ich: Wir bräuchten nur ein Bataillon von Interventionskriege befürwortenden Journalisten und ein Bataillon von kriegsbefürwortenden Politikern, die sofort eingesetzt werden können, wenn solche Kriege geführt werden, dann wäre der ganze Spuk zu Ende. Wir hätten das dann alles nicht. gung – kann der Frieden auf der Welt nur dann erreicht werden, wenn eine Gesellschaftsordnung aufgebaut wird, die wirklich demokratisch ist. Das heißt eine Gesellschaftsordnung, in der sich die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen, weil wir davon ausgehen können, dass die Mehrheit der Bevölkerung, das sehen wir im Afghanistan-Krieg, das sehen wir überall, keine Kriege beschließen würde, weil sie ihre Kinder, weil sie ihre Männer, weil sie ihre Frauen nicht in Kriege schicken würde. Und deshalb brauchen wir demokratische Gesellschaften, die wir derzeit nirgendwo auf der Welt haben. Und demokratische Gesellschaften sind nun untrennbar verbunden mit einer Wirtschaftsordnung, in der der Mensch eben im Mittelpunkt steht. In der die Ausbeutung des Menschen beendet wird. In der das gemeinsam erarbeitete Vermögen auch denen zukommt, die es erarbeitet haben. Wir leben in einer Gesellschaftsordnung, in der eine Minderheit reich wird, weil sie die große Mehrheit für sich arbeiten lässt. Wir wollen aber eine Gesellschaftsordnung, in der das Vermögen denen bleibt, die es erarbeitet haben – und das ist die große Mehrheit der Bevölkerung. Denn auch das ist ja kein neuer Gedanke: Immer dann, wenn durch diese Art von Einkommens- und Vermögensverteilung sich Vermögen ballt – dann ist keine Demokratie möglich. Großes Vermögen verträgt sich nicht mit Demokratie, weil es niemals demokratisch zustande gekommen ist. Wie wenig das gelernt wurde – bis zum heutigen Tag –, sieht man ja Kein Vermögen ohne daran, dass Herr Chodorkowski in Verbrechen So, nun will ich zum Thema dieser den westlichen Gesellschaften als Konferenz kommen – »Frieden statt großer Freiheitskämpfer empfanNATO«. Daraus ergibt sich die Fra- gen wird. Da fasst man sich nur ge: Wofür stehen wir, welche Über- noch an den Kopf. Man muss kein zeugung haben wir, wie kann man Marxist sein, man muss nur Balzac dazu beitragen, dass Frieden über- gelesen haben, um zu wissen, dass haupt entsteht? Nach meiner tiefen hinter jedem großen Vermögen ein großes Verbrechen steht. Wir sollÜberzeugung – ich darf wohl sagen: nach unserer tiefen Überzeu- ten endlich aufhören, Verbrecher Ausgabe 43 Januar 2015 zu bejubeln und sie zu empfangen. Wenn SPD und Grüne doch nur begreifen würden, was da in der Ukraine geschehen ist. Als hätte das irgend etwas mit Demokratie zu tun, dass man ein Oligarchensystem durch ein anderes abgelöst hat – und das noch in Form eines Putsches. Wenn wirklich um Demokratie gekämpft würde, dann wären wir ja dabei. Aber wir wollen keine Oligarchenwirtschaft, die nach wie vor das Volk brutal ausbeutet. Im Gegensatz zu dem Pfarrer, der zum Bundespräsidenten gewählt wurde und zur Pfarrerstochter, die Kanzlerin ist, hat der Papst in Rom die Bibel gelesen und weiß daher, was darin steht. Da steht nicht, »Du sollst Kriege führen«. Die Kernbotschaft des Bibeltextes lautet vielmehr, »Du sollst den anderen lieben wie dich selbst«. Und das verträgt sich nun mal nicht mit Kriegen und Ausbeutung. Das ist die Kernbotschaft, und deshalb ist es gut, dass dieser Papst sagt, »Wir leben im dritten Weltkrieg, und es gibt Wirtschaftssysteme, die können ohne Krieg nicht sein. Und deshalb werden Waffen produziert und verkauft«. Das ist doch die Wahrheit, die jemand endlich mal ausspricht. Ich begrüße das sehr, dass der Papst diese Botschaft mittlerweile in aller Welt verbreitet. Wir, die Linke, können aber nicht sagen: »Warten wir, bis eine bessere, eine andere Wirtschaftsordnung da ist.« Damit würden wir uns für den Rest der Zeit aus der Politik verabschieden. Wir müssen schon versuchen, die minimalen Spielräume, die wir haben, zu nutzen. Und ich scheue mich dann auch nicht zu sagen: »Ja, man kann darüber nachdenken, ob eventuell eine Regierungsbeteiligung möglich ist. Aber dann muss man wirklich wissen, was man will. Dann darf man nicht einknicken, und ich habe ja eine Grundbedingung vorhin genannt. Diese Grundbedingung ist aber noch viel umfassender. Eine solche Regierungsbeteiligung ist überhaupt nur vorstellbar, wenn 9 die Außenpolitik eine grundsätzliche Neuorientierung erfährt. Und das heißt: Wir brauchen die Auflösung der NATO, und wir brauchen den Aufbau einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa unter Einschluss Russlands. Etwas anderes ist überhaupt nicht möglich. Und das heißt auch gute Nachbarschaft. Das heißt Entspannung. Das heißt, auf den anderen eingehen. Das heißt, dessen Ängste und Sorgen ernst zu nehmen. Wie verkommen die Diskussion ist, zeigt sich ja schon an dem Wort »Putinversteher«. Man muss im Grunde, wenn man Außenpolitik machen will, versuchen, den anderen zu verstehen. Man muss auch versuchen, Putin zu verstehen, sonst kann man mit ihm keinen Frieden erreichen. Wir müssen zu »Russlandverstehern« werden, wir müssen einander verstehen, sonst schaffen wir keinen Frieden, liebe Freundinnen und Freunde. NATO auflösen Der erste Generalsekretär der NATO, Lord Ismay, sagte kurz nach Kriegsende: »Die NATO ist geschaffen worden, um die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten.« Und deswegen fragt euch mal, was sich eigentlich heute geändert hat. Es ist wirklich nicht mehr nachvollziehbar, dass all das, was in den Jahren der Brandtschen Ostpolitik an Entspannung und Verständigung erreicht werden konnte, dass all das verspielt worden ist. Ich sage, wir können aus unserer Geschichte lernen: Deutschland braucht gute nachbarschaftliche Beziehungen zu Russland. Das ist in unserem ureigensten Interesse. Damals hieß es, wir können den Frieden nur miteinander erreichen, nicht gegeneinander. Und das gilt heute nach wie vor. Dieses ganze Kriegsgerede, diese ganzen Sanktionen – das ist alles spannungsverschärfend. Wir brauchen eine Politik der Entspan10 nung und der guten Nachbarschaft anstelle der Merkelschen Russlandpolitik. Und das heißt, eine Regierung, an der wir mitwirken können, müsste in jedem Fall nein sagen zu jeder weiteren NATO-Osterweiterung. Der ständige Versuch, Russland einzukreisen, ist doch eine Ursache der Spannungen. Es war ein Versprechen, dass man die NATO nicht ausdehnen und an die Grenzen Russlands heranschieben würde. Dieses Versprechen ist gebrochen worden. Jeder Konflikt hat eine Vorgeschichte, und mit dem Bruch dieses Versprechens beginnt der Ukrainekonflikt. Man schob die NATO immer weiter nach vorn und sagte schließlich, auch die Ukraine brauchen wir. Die Ukraine müsse in die EU, sie müsse in die NATO. Das ist gegen Russland gerichtet. Das war eine völlig falsche Politik, die abgelöst werden muss durch eine Politik der Verständigung mit Russland, sonst werden wir den Frieden niemals erreichen. Es geht also nicht nur darum, dass wir keine Osterweiterung in irgendeiner Form mittragen können, es geht auch aktuell darum, dass keine Truppen an der Grenze zu Russland stationiert werden dürfen. Die spinnen doch langsam. Welche Gründe haben wir, Truppen an der Grenze zu Russland zu stationieren? Es werden die alten Märchen des Kalten Krieges erneut aufgetischt, indem man sagt, Russland bedrohe uns. Man muss sich das mal vorstellen. Die NATO gibt tausend Milliarden für die Rüstung aus. Russland gibt – das sind die Zahlen von 2013 – 88 Milliarden aus. Die sind doch nicht mehr ganz richtig im Kopf, dass sie sagen, »von einem Land, das 88 Milliarden ausgibt, fühlen wir uns, die wir tausend Milliarden ausgeben, bedroht. Wir müssen weiter aufrüsten«. Wie lange glaubt man eigentlich, der Bevölkerung einen solchen Schwachsinn noch auftischen zu können?! Und deshalb ist in diesem Kontext ein weiterer Punkt anzusprechen: marxistische Theorie und sozialistische Politik Die Sanktionen müssen sofort gestoppt werden! Es ist doch wirklich nicht allzu schwer zu begreifen, dass dann, wenn ein Land destabilisiert wird, wenn die Wirtschaft eines Landes in immer größere Turbulenzen gerät, wenn dieses Land immer stärker gefährdet wird, dass dann kein Mehr an Sicherheit gewonnen wird, sondern dass dann die Situation immer weiter eskaliert. Und wir müssen wissen, dass heute zur Kriegsführung nicht nur Truppen und technisches Gerät gehören, sondern auch ökonomische Mittel. Man muss wissen, dass der IWF nichts anderes ist als ein verlängerter Arm der USPolitik. Genauso wie die NATO. Und deshalb müssen beide völlig reformiert und völlig anders gestaltet werden. Und das heißt, der IWF muss zu einer demokratischen Organisation umgewandelt werden. Und seine ganze Politik muss sich ändern. Es darf doch nicht sein, dass der IWF eingesetzt wird, um ökonomische Interessen Amerikas durchzusetzen bei gleichzeitiger Destabilisierung der betroffenen Länder. Aber das ist doch das, was vorgeht, liebe Freundinnen und Freunde. BRD kein souveränes Land Es geht heute nicht mehr nur um die Eroberung von Territorien, sondern es geht vielmehr um die Eroberung von Märkten. Man muss sich nur anschauen, welche Konzerne in der Ukraine mittlerweile Verträge abgeschlossen haben. Noch immer gilt das alte Verdikt: Außenpolitik ist nichts anderes als der ständige Kampf um Rohstoffe und Absatzmärkte. Das brauchen wir nicht – weder mit kriegerischen Mitteln noch durch sogenannte internationale Finanzinvestitionen. Man kann auch fairen freien Handel treiben, ohne den anderen in die Knie zwingen zu wollen. Eine große Rolle hat über viele Jahre hinweg die NATOBulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog Infrastruktur gespielt. Die Forderung: »Ausscheiden aus der NATOInfrastruktur« ist ein Synonym für all das, was ich bisher gesagt habe. Denn sie war bisher das Instrument, um die von mir genannte Politik – die Amerikaner drinnen, die Russen draußen und die Deutschen unten zu halten – zu verwirklichen. Mit Brzeziński, dem ehemaligen Sicherheitsberater der US-Regierung, gesprochen: Durch dieses Instrument sind die Staaten Westeuropas und Mitteleuropas mehr und mehr Vasallen oder Tributpflichtige. Und natürlich muss man wissen, was Ziel der US-Außenpolitik bis zum heutigen Tag ist – man kann es bei Leuten wie Brzezeński nachlesen. Ihr Ziel ist die Aufrechterhaltung ihrer Weltmachtstellung. Niemand soll diese gefährden. Von wegen demokratische Weltordnung, an der im Sinne des Westfälischen Friedens alle Staaten gleichberechtigt mitwirken! Nein, sie schreiben wörtlich »Wir wollen die Vormachtstellung Amerikas in aller Welt mit allen Mitteln verteidigen«. Aber natürlich wird da immer wieder auch in der öffentlichen Diskussion hierzulande mit der Erzählung gearbeitet, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat, es gehe um den Ausbau der Demokratie, es gehe um Frauenrechte, es gehe um Menschenrechte. Nein, es geht um die erwähnte Machtpolitik. Wirkliche Demokratien dage- Ausgabe 43 Januar 2015 gen würden die damit verbundenen Opfer, die man der eigenen Bevölkerung zumutet, aber auch den anderen zumuten will, gar nicht mittragen. Und das ist richtig. Hier hat man wiederum Anlass zu sagen, man braucht, um eine friedliche Welt einmal erreichen zu können, den systematischen Aufbau demokratischer Gesellschaften. Die NATO-Infrastruktur ist eben, wenn man so will, der Stein des Anstoßes, wenn darüber diskutiert wird, was sich hier verändern soll, damit dieses Vasallentum und diese Tributpflicht abgeschafft werden. Bei allen Kriegen wurde diskutiert, ob wir uns beteiligen. Die Bundesrepublik Deutschland war praktisch an jedem Krieg beteiligt, den die Vereinigten Staaten von Amerika geführt haben, weil alle Kriege, die sie geführt haben, auf US-Einrichtungen in Mitteleuropa zurückgegriffen haben. Wir waren niemals unbeteiligt. Und solange das so ist, sind wir kein souveränes Land. Ich hatte vor kurzen die Ehre, mit einer Politikerin der Grünen, mit Frau Göring-Eckardt, im Fernsehen zu diskutieren. Ich habe ihr die Frage gestellt, wie sie denn zu den Drohnenkriegen stehe, die auch vom Boden der Bundesrepublik Deutschland aus geführt werden. Dieser Frage wich sie permanent aus. Wie wollen wir denn über deutsche Außenpolitik diskutieren, wenn wir diese Frage ausklammern? Wie wollen wir uns denn über Terrorismus empören, wenn wir einfach ausklammern, dass ohne Rechtsgrundlage Tausende Menschen mit Drohnen ermordet werden, auch von deutschem Boden aus? Wie wollen wir das überhaupt moralisch rechtfertigen? Ehe wir mit dem Finger auf andere zeigen, müssen wir bei uns anfangen und müssen aufhören, unser Terrain zur Verfügung zu stellen, damit Drohnenmorde in aller Welt durchgeführt werden. Wer dazu schweigt, der soll sich in die jetzige Diskussion am besten überhaupt nicht einmischen, weil er erkennbar mit zweierlei Maß misst. Deswegen war ich so dankbar, dass Willy Wimmer kürzlich in der jungen Welt dazu eine Bemerkung gemacht hat. Man müsse sich vorstellen, führte er aus, wie es denen geht, die durch diese Drohnenmorde ihre ganze Familie verlieren, ihre ganze Verwandtschaft. Das ist nichts als blanker Terrorismus. Wir können ihn weltweit nur dann bekämpfen, wenn wir damit beginnen, unseren eigenen Terrorismus zu bekämpfen. Ein Hinweis zur Abhörtechnik. Dass eine Regierung, die vom Grundgesetz her verpflichtet ist, die Freiheit ihrer Bürgerinnen und Bürger zu schützen, dass eine solche Regierung noch nicht mal mehr in der Lage ist, einem Verbündeten zu sagen, »es geht nicht, 11 dass unsere ganze Bevölkerung abgehört und ausspioniert wird« – das ist doch wirklich ein Zeichen dafür, dass Vasallentum und Tributpflicht womöglich noch zu harmlose Vokabeln sind. Wo bleibt denn überhaupt ein Begriff von Freiheit, wenn man den totalen Verlust der Privatheit durch eine verbündete Macht akzeptiert und praktisch nichts dagegen unternimmt? Die Waffenexportpolitik müssen wir sofort ändern. Ein erster Schritt müsste sein, dass unverzüglich Waffenlieferungen in Spannungsgebiete sofort und unwiderruflich eingestellt werden. Unsere Bundeskanzlerin hat im vergangenen Jahr wörtlich gesagt, ich habe das zweimal gelesen, Saudi-Arabien sei ein wichtiger Partner im Kampf gegen den Terrorismus. Dann aber regen sie sich über die Verbrechen des IS auf! Es ist richtig, dass man sich darüber aufregt, aber Enthauptungen, Steinigungen usw. werden doch in Saudi-Arabien ebenfalls durchgeführt, das ist eine reaktionäre autoritäre Diktatur, die auch die eigene Bevölkerung mit Terror überzieht. Und deshalb kann man doch diesen Staat nicht zum wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus erklären. Das ist die Doppelmoral, die dazu führt, dass die Welt immer unfriedlicher wird. Pervertiertes Gebot Und bei allem Bemühen, die Bundesrepublik Deutschland immer stärker in diese Politik zu integrieren, wird immer versucht, mit vorgeschobenen humanen Argumenten eine Notwendigkeit dieser Politik zu begründen. Immer wenn irgendwo, das bisher letzte Mal war es beim Konflikt zwischen dem IS und den Kurden, immer wenn irgendwo Verbrechen begangen werden, dann wird irgendwann ein Konflikt herausgegriffen, dann wird gesagt, hier müssen wir uns jetzt militärisch engagieren, das gebietet die Menschlichkeit. Es 12 gibt immer wieder Leute, auch bei den Linken, auch bei den Gewerkschaften, bei den Kirchen usw., die auf dieses Argument hereinfallen. Der evangelische Bischof Wolfgang Huber hat in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einen Beitrag verfasst, in dem er schreibt, dass das christliche Gebot »Du sollst nicht töten« auch heiße, »Du sollst nicht töten lassen«. Mit anderen Worten: »Du musst militärisch intervenieren, wenn irgendwo Konflikte bestehen.« Diese Argumentationslogik findet sich immer wieder, und viele fallen darauf hinein. Es gibt ein simples Gegenargument. Wenn ich auf der einen Seite die Wahl habe, bei den ungezählten Konflikten dieser Welt tausend Menschenleben zu retten, ohne jemanden töten zu müssen und auf der ande- Begriffen. Die werden, mit Ausnahme der jungen Welt, nirgendwo hinterfragt. Da wird beispielsweise vom US-amerikanischen Verteidigungsminister, vom US-amerikanischen Verteidigungsetat und so weiter gesprochen. Als würden sich die Vereinigten Staaten gegen irgend jemand verteidigen, das ist doch eine einzige Lüge! Die ganze Außenpolitik ist ein Lügengebäude, und wir haben die Aufgabe, diese Lügen zu durchbrechen, wenn wir wirklich zu einer friedlichen Außenpolitik kommen wollen, liebe Freundinnen und Freunde. Ich kann es in einem Satz zusammenfassen: Auch wir haben unsere Geschichte und wir müssen aus dieser Geschichte unsere Lehren ziehen, aus den Weltkriegen, aus dem Faschismus. Und aus dieser Geschichte muss doch ein moralischer Impuls erwachsen, der da »Von deutschem Boden heißt, wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, um die Welt darf niemals wieder friedlicher zu machen, nach allem, Krieg ausgehen!« was war. Es gab einen Satz nach dem Krieg, und an dem sollten wir ren Seite die Wahl, in einem Krieg uns immer orientieren – ich sage tausend Menschenleben zu retten, das gegen alle Zweifler, ich werde aber dabei leider eben auch Hunkeine andere Politik mittragen derte töten muss, dann dürfte doch können –, dieser Satz lautet: »Von die Entscheidung nicht allzu deutschem Boden darf niemals schwer fallen, wo ich in erster Liwieder Krieg ausgehen!« nie versuche werde, meine Hilfe zu leisten. Das Schlimme ist jedoch, Eine Beilage mit den Hauptreferadass die Humanität dieser Menten der Rosa-Luxemburg-Konferenz schen immer nur erwacht, wenn 2015 erscheint am 28. Januar, Mitsie zu den Waffen rufen können, te März eine Broschüre, die die aber niemals, wenn sie helfen kön- Beiträge der gesamten Konferenz nen, ohne töten zu können. Das sowie vorbereitende Artikel entmacht die Brutalität dieser Diskus- hält. Link zur Videoaufzeichnung sion aus. Woran unsere Gesellder Lafontaine-Rede: kurzlink.de/ schaft krankt, lässt sich daran zei- lafontaine gen, dass eine geringere Summe dafür zur Verfügung gestellt wird, Flüchtlinge zu ernähren als für Waffenlieferungen. Oskar Lafontaine Ich fasse zusammen: Winston Churchill, der ein Zyniker war, hat Erstveröffentlichung in der Ausgaeinmal gesagt, im Krieg ist die be der Tageszeitung „junge Welt“ Wahrheit so kostbar, dass sie stets vom 14. Januar 2015 von einer Leibgarde von Lügen Die Veröffentlichung erscheint mit umstellt sein muss. Dieser Zynisfreundlicher Genehmigung der mus charakterisiert die gesamte Redaktion „junge Welt“ Außenpolitik. Es beginnt ja mit den marxistische Theorie und sozialistische Politik Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog 70 Jahre Ende des Zweiten Weltkriegs, Befreiung und Potsdamer Konferenz Referat im Plenum und Einführung in Workshop „Deutsche Erinnerungskultur“ auf dem 21. Friedenspolitischen Ratschlag, Kassel, 6./7. Dezember 2014: Politik für den Frieden – statt permanenten Krieg. Die Folgen von Militärinterventionen: Chaos und Gewalt - Deutscher Imperialismus reloaded? Kriege um Ressourcen1 Hundert Jahre nach 1914: Die europäische Krise und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 beherrschten die Geschichtsdebatten des zu Ende gehenden Jahres; fortgesetzt anlässlich des 75. Jahrestages des Beginns des Zweiten Weltkriegs sowie schließlich nach 25 Jahren erinnernd an den Mauerfall und die 1989/90 in Europa und darüber hinaus vollzogenen oder eingeleiteten Umbrüche. Jahrestage und Jubiläen sind Anlässe für Forschungen, Debatten, Feiern und Erinnern; verstärkt im diesjährigem Fall durch den inneren historischpolitischen Zusammenhang der Entwicklungen und Ereignisse, der Wege der Akteure und aller Beteiligten von 1914 über 1918/19, 1933, 1938/39, 1945 bis 1989/90 und heute – in Deutschland, Europa und global. Nunmehr befinden wir uns vor dem 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges und der Befreiung vom Faschismus. Es stellen sich Fragen: Wie einordnen und wie bewerten? Welche Ergebnisse und Impulse wirken bis in unsere Zeit? Gibt es Erfahrungen und Lehren, die hilfreich sind, heutige und absehbare Probleme zu bewältigen? Welcher Rang kommt der Zäsur von 1945 im letzten Jahrhundert zu? Wie gehen die herrschende Geschichtsschreibung, Politik und Medien damit um? Gibt es wesentliche Streitfragen? Nicht zufällig kommt es immer wieder zu intensivem Streit um Kriege von gestern und heute, über die Anlässe, Ursachen und Triebkräfte, Verantwortung und Schuld, Zwangsläufiges und VermeidAusgabe 43 Januar 2015 rungen in der Erinnerungs- und Gedenkkultur zu. Das Europäische Parlament erklärte am 23. September 2008 den 23. August zum „Europäischen Gedenktag an die Opfer von Stalinismus und Nazismus“. Es nahm am 2. April 2009 die Entschließung „Europas Gewissen und der Totalitarismus“ an und bestätigte darin den 23. August als 2014 kam es wiederum zu Debatten „europaweiten Gedenktag an die Opfer um den deutschen Schuldanteil 1914 aller totalitären und autoritären Reund den anderer Mächte. Dabei trat gime“. Die Stiftung SED-Diktatur präerneut – geradezu als unvermeidlich sentiert seit Herbst 2013 im In- und erscheinend – das Bemühen auf, das Ausland ihre Ausstellung „Diktatur deutsche Kaiserreich, lies: die herrund Demokratie im Zeitalter der Extreschenden Oberschichten sowie die politische und militärische Führung, zu me. Streiflichter auf die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert“. Darin entlasten. Wie steht es jedoch um die Ursachen, den Ausbruch und die Ver- heißt es zu jenem Pakt: „Die Annäheantwortung 1939? Also damit des Zwei- rung der Diktatoren ebnete den Weg in den Krieg.“ ten Weltkrieges, dessen Beginns soeben gedacht wurde und an dessen Verlauf, Ergebnisse und Auswirkungen Der Bundestag führte am 10. Septemin den nächsten Monaten nachdrückber 2014 eine Gedenkstunde aus Anlich erinnert werden sollte. 1939 erlass des 75. Jahrestages des Beginns scheint die Alleinschuld Nazideutschdes Zweiten Weltkriegs durch, in der lands eindeutig. Sie ist kaum zu beBundestagspräsident N. Lammert äustreiten; trotzdem gibt es längst Bemü- ßerte: „Dem deutschen Überfall war hen, sie vor allem indirekt zu relativie- ein diplomatisches Schurkenstück ren – innerhalb eines insgesamt antivorausgegangen: Der deutsch-sowjetkommunistischen Geschichtskonzepts. ische Nichtangriffspakt“, ein „AngriffsNunmehr verbindet sich dies mit der pakt zweier ideologischer Antipoden“, Europäisierung des Geschichtsdiskurdie sich „darauf verständigt hatten, ses. Das ist besonders auffällig bei der Mittelosteuropa mit imperialistischer Mobilisierung der antisowjetischen Brutalität in Einflusssphären untereiTraditionen und Potentiale in baltinander aufzuteilen“. 2 Übrigens illustschen Ländern sowie Ost- und Südost- rieren auch seine Bemerkungen zum Widerstand die unverändert ideoloeuropas, die nicht zu trennen ist von gisch verengte Perspektive der deutder Rehabilitierung der jeweiligen nationalkonservativen, antisemitischen schen Konservativen: Nach dem Warschauer Ghetto-Aufstand 1943 und und faschistischen Erbschaften, wie dem umstrittenen Warschauer Aufjüngere Erfahrungen in der Ukraine, baltischen Ländern, Polen und anders- stand der polnischen Heimatarmee 1944 folgen nur „die Frauen und Mänwo zeigen. ner der Weißen Rose und des 20. Juli“. Ohne die Leistungen und Opfer der Roten Armee bei der Befreiung Polens Gedenktag „23. August“ in seiner Rede auch nur mit einem Der Abschluss des deutschWort zu erwähnen, resümierte Lamsowjetischen Nichtangriffspaktes mert, dass die deutsche Kapitulation „Hitler-Stalin-Pakt“ - am 23. August 1945 „für die Polen zunächst keine 1939 ist ein bevorzugter Einstieg für Freiheit“ brachte. Aus Letzterem Geschichtsrevisionismus. Er sei hier exemplarisch als ein aktuelles Muster spricht eine unsägliche deutsche Arroganz gegenüber jenen, die nach eigener für den Umgang mit Schuldfragen beim Kriegsausbruch am 1. September Verfolgung, Leid und Demütigung un1939 erörtert. Längst kommt ihm eine ter der deutschen Okkupation nach Schlüsselrolle unter den Stereotypen in 1945 das verwüstete Land wieder aufbauten sowie beiden deutschen StaaGeschichtsbildern sowie Desorientiebares, um Opfer, Sühne und Lehren. Das sind Kontroversen, die die Friedenskräfte unmittelbar und intensiv angehen, da Geschichtsdeutungen jeweils auch wieder für Feindbilder und aggressive Strategien aktualisiert werden können. 13 absichtlich und prinzipiell verfälscht wird sowie mit der des deutschen Verbrecherstaates und Aggressors mehr oder weniger gleichgesetzt werden soll. Die Rede des Bundespräsidenten bei der Gedenkfeier am 1. September 2014 Letzterer wird damit entlastet und auf der Westerplatte wies die gleichen schließlich auch der entscheidende Beitrag der UdSSR zur Befreiung EuroDefizite und Fehlurteile auf. Der jahrpas ins Zwielicht gerückt. zehntelangen, tendenziell pronazistischen Version vom „Zusammenbruch 1945“ folgt inzwischen die antikommu- 2013 erschien in Prag – laut Untertitel nistische Version vom Ausbleiben der - „Ein Lesebuch für Schüler höherer Klassen überall in Europa“ unter dem Freiheit in SBZ/DDR, Polen u. a. LänHaupttitel „Damit wir nicht vergessen. dern – bis 1989/90. Die Beendigung eines europaweiten Okkupationsnetzes Erinnerung an den Totalitarismus in und massenmörderischen Herrschafts- Europa“. Es wurde finanziell vom „Prosystems im Mai 1945 wird zum neben- gramm für Bürgerinnen und Bürger“ der Europäischen Union unterstützt. sächlichen Geschehen, das für das Die Einführung schrieb der französiGesamturteil ziemlich belanglos ersche Historiker Stéphane Courtois, der scheint. Ende der neunziger Jahre als maßgebliDer Gastredner Präsident Komorowski cher, militanter Autor des „Schwarzbuch des Kommunismus“ international wurde am 10. September den Erwartungen der Mehrheit des Bundestages bekannt wurde. In der Einführung gerecht, als er in einem Atemzug sagte: schrieb er damals: „Der Vertrag vom 23. August, der Deutschland der Ge„Wir gedenken des 1. September und vergessen dabei nie den 17. September, fahr eines Zweifrontenkrieges enthob, löste den Zweiten Weltkrieg aus.“4 Der als sowjetische Streitkräfte, die VerSammelband von 2013 enthält Beiträge bündete Hilerdeutschlands waren, nach Polen einmarschierten.“3 Tatsäch- aus 16 europäischen Ländern, in denen lich waren jedoch der Überfall auf individuelle Schicksale der Verfolgung Polen und seine Unterwerfung in der und des Widerstandes sowohl unter NS faschistischen Führung längst entschie- -Besatzung als auch im Staatssozialisden und ohne sie hätte es keinen sow- mus geschildert werden. Das Leitmotiv jetischen Einmarsch in die ostpolniist wiederum, beide politische Systeme zu parallelisieren und in den Bewerschen, ehemals zu Russland gehörenden, weißrussischen und ukrainischen, tungen zu nivellieren, um insgesamt Gebiete gegeben. Die Rote Armee war das antikommunistische geschichtsideologische Hauptanliegen umzusetzen. kein „Verbündeter Hitlerdeutschlands“, so wenig die polnischen Streitkräfte Verbündete der Wehrmacht Zur objektiveren Charakteristik des waren, als sich Polen bei der Zerschla- „Hitler-Stalin-Paktes“ sei in unserem gung der CSR das Gebiet Teschen Rahmen auf einen Unverdächtigen nahm. Komorowski erwähnte weder verwiesen, der sowohl prominenter den polnisch-deutschen Nichtangriffs- Zeitzeuge als auch Autor war: Der Antipakt von 1934 noch die destruktive kommunist Winston S. Churchill, neRolle Polens gegenüber einem rechtzei- ben Roosevelt und Stalin einer der tig und ausreichend gegen die deutGroßen Drei der Antihitler-Koalition, sche Bedrohung gerichteten Pakt mit britischer Premierminister von Mai Frankreich und England unter Ein1940 bis Juli 1945 (und nochmals 1951schluss der UdSSR. Neben seinem eige- 1955). Er kommt hier mit seinem Werk nen Geschichtsbild war es wohl auch „Der Zweite Weltkrieg“ zu Wort, für das ein - moralisch fragwürdiges - Zeichen er den Nobelpreis für Literatur 1953 gegenüber den Berliner Gastgebern, erhielt. Das Kapitel zum September dass er ebenfalls den späteren kriegs1938 lautet: „Die Tragödie von Münentscheidenden Beitrag der UdSSR chen“. Churchill leitet es mit einem überging. langen Zitat aus der „warnenden Erklärung“ des sowjetischen AußenminisUm Missverständnisse auszuschließen: ters Litwinow vor dem Völkerbund am Es gibt genügend Aspekte, Stalin, Stali- 21. September 1938 ein, in der die nismus und sowjetische Politik zwiBereitschaft der UdSSR zum Beistand schen August 1939 und Juni 1941 zu für die bedrohte Tschechoslowakei kritisieren. Hier geht es jedoch gegen bekräftigt wurde. Mit Blick auf das die Gleichsetzungen, mit denen die wenige Tage später geschlossene Rolle der Sowjetunion in jenen Jahren „Münchner Abkommen“ fügt er an: ten trotz allem versöhnungsbereit gegenübertraten. 14 marxistische Theorie und sozialistische Politik „Diese öffentliche und unbedingte Erklärung einer der größten an der Frage beteiligten Mächte spielte keine Rolle in Chamberlains Verhandlungen oder in Frankreichs Verhalten. Das Angebot Russlands wurde einfach übergangen. Man warf die Macht der Sowjets nicht in die Waagschale gegen Hitler und behandelte die Russen mit einer Gleichgültigkeit – um nicht zu sagen Verachtung - , die in Stalins Einstellung ihre Spuren zurückließ. Die Ereignisse nahmen ihren Lauf, als ob Russland nicht existierte. Dafür mussten wir später teuer bezahlen.“5 Nach dem offenen Bruch des Münchner Abkommens durch Nazideutschland im März 1939 zeichnete sich nach Österreich und der CSR die akute Bedrohung Polens ab. „Wenn man bedenkt,“ schrieb Churchill im Kapitel „Am Rande des Abgrunds“, „wie die Sowjetregierung bisher behandelt worden war, konnte jetzt nicht viel von ihr erwartet werden. Am 16. April machte sie dennoch ein formelles Angebot, dessen Text nicht veröffentlicht wurde, für die Schaffung einer gemeinsamen Front zu gegenseitiger Hilfeleistung zwischen Großbritannien, Frankreich und der UdSSR. Die drei Mächte, wenn möglich mit Teilnahme Polens, sollten außerdem die Grenzen derjenigen Staaten in Mittel- und Osteuropa garantieren, die von der deutschen Aggression bedroht waren.“6 Churchill äußerte, dass dass das Bündnis von England, Frankreich und Russland im Jahre 1939 Deutschland beunruhigt hätte und niemand könne beweisen, dass der Krieg sich nicht noch hätte verhüten lassen. Mit überlegener Macht hätten die Alliierten den nächsten Schritt unternehmen können. Statt britischer (und französischer) Zustimmung seien jedoch langes Schweigen und Halbheiten gefolgt. „Durch München und vieles andere war die Sowjetregierung davon überzeugt, dass England und Frankreich nicht kämpfen wollten, bevor man sie angriff, und dass sie auch dann nicht viel taugen würden. Der aufziehende Sturm war im Begriff loszubrechen. Russland musste für seine Sicherheit sorgen.“7 Der Abschluss des deutschsowjetischen Paktes am 23. August 1939 stellte, Churchill zufolge, „den Höhepunkt der diplomatischen Misserfolge dar, welche die britische und französische Außenpolitik seit mehreren Jahren verzeichnet hatten.“ Die Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog territorialen Entscheidungen der Sowjetunion nannte er für sie „lebenswichtig“ und „kaltblütig“, „jedenfalls damals auch im höchsten Maße realistisch.“8 Ergänzend sei auf eine kompetente französische Stimme verwiesen, die Churchills Analyse und Urteil bestätigt: Robert Coulondre, von 1936 bis 1938 französischer Botschafter in Moskau sowie 1938/39 in Berlin. Er stand in engster Beziehung zur politischen, diplomatischen und militärischen Führung Frankreichs und zeichnete in seinen 1950 erschienenen Erinnerungen kritisch die Fehleinschätzungen und das Versagen in Paris (und London) in jener schicksalhaften Zeit nach.9 In diesem Rahmen soll es bei der vorläufigen Feststellung bleiben, dass die bundesdeutschen und europäischen geschichtsideologischen Anstrengungen, den Vertrag vom 23. August 1939 vorrangig antisowjetisch auszulegen sowie ihn in diesem Sinne für eine rechtsgerichtete, kontinentale Gedenkpolitik zu stilisieren und zu instrumentalisieren, auf groben Entstellungen der tatsächlichen Vorgänge von 1938/39 in Europa beruhen. Das gilt vorrangig für die Politik der UdSSR, aber auch dafür, dass die Rolle Großbritanniens, Frankreichs und Polens bei der Nichteinmischungspolitik gegenüber dem spanischen Bürgerkrieg, der Hinnahme der nazistischen Einverleibung Österreichs, der Preisgabe der Tschechoslowakei und beim Scheitern eines gegen Hitlerdeutschland gerichteten politisch-militärischen Bündnisses unter Einbeziehung der Sowjetunion äußerst lückenhaft und weithin wahrheitswidrig dargestellt wird. 2015 an herausragende Ereignisse von 1945 erinnern ihren friedenspolitischen und antifaschistischen Gehalt neu erschließen nichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee bildet den Beginn der Befreiung aller KZ, ihrer unzähligen Außenlager und der nazistischen Sklaverei, die Beendigung der Todesmärsche sowie zahlreicher, schwerster Endphasenverbrechen in Städten, Dörfern und Lagern. 4. bis 11. Februar 1945 – Nach Teheran (28. November bis 1. Dezember 1943), findet in Jalta der zweite Gipfel mit Churchill, Roosevelt und Stalin statt, der als Krim-Konferenz in die Geschichte einging. Es wurde mitgeteilt, dass die militärischen Pläne für „die endgültige Niederwerfung des gemeinsamen Feindes“ festgelegt worden sind und erklärt: „Es ist unser unbeugsamer Wille, den deutschen Militarismus und Nationalsozialismus zu zerstören und dafür Sorge zu tragen, dass Deutschland nie wieder imstande ist, den Weltfrieden zu stören.“ 8. Mai - Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht in der Kommandantur der Sowjetarmee in Berlin-Karlshorst: Ende des Krieges in Europa und Befreiung vom Faschismus. Am 23. Mai werden in Flensburg der Hitler-Nachfolger Karl Dönitz und seine „Geschäftsführende Reichsregierung“ verhaftet. Am 2. September besiegelt die Kapitulation Japans das globale Ende des 2. Weltkrieges. Der 8. Mai ist in der DDR für einige Jahre und später bei runden Jubiläen Feiertag. In der Bundesrepublik wird er von weiten Kreisen zunächst als Tag des „Zusammenbruchs“ beklagt, ignoriert oder als zwiespältig hingenommen. Nach mehr als vierzig Jahren setzte sich gegen andauernde Vorbehalte und Widerstände die Würdigung als Befreiungstag durch. Bis heute wird das Leitmotiv auf Kriegsende reduziert, um die faschistische Diktatur höchstens beiläufig zu erwähnen. Runde Jahrestage werden mit Rücksicht auf ihre internationale Würdigung (UNO, Westeuropa, USA, Israel u. a.) sowie der Erwartungen der Opferverbände öffentlich stärker beachtet und zelebriert. bruch einer Kontinuität seit 1871, 1914 und 1933. Die anstehenden Verfügungen und Maßnahmen werden konkret genannt, beispielsweise nach Art. 11 die Festnahme der „hauptsächlichen Naziführer“ und aller Personen, die im Verdacht stehen, Kriegs- oder ähnliche Verbrechen begangen, befohlen oder ihnen Vorschub geleistet zu haben. 26. Juni 1945 – San Francisco: Verabschiedung der Charta der Vereinten Nationen mit der Unterzeichnung durch fünfzig Gründungsmitglieder. Sie beginnt mit den Worten: „Wir, die Völker der Vereinten Nationen, entschlossen, die künftigen Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren, der zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat“. Weltfrieden, gemeinsame internationale Sicherheit und friedliche Konfliktlösung, Menschenrechte und Toleranz bildeten Leitmotive der Gründung der UNO; sie bestimmten deren Weltoffenheit, Wirkungsfelder sowie ihre Strukturen und Arbeitsweise. 17. Juli bis 2. August 1945 - Die Potsdamer Konferenz der Großen Drei; Präsident H. Truman (USA) nimmt als Nachfolger des im April verstorbenen Roosevelt teil. Nach einer mit Rücksicht auf die britische Unterhauswahl erfolgten zweitägigen Unterbrechung (26./27. Juli) wurde die Konferenz mit dem Wahlsieger Premierminister Clement R. Attlee (Labour Party) als Vertreter Großbritanniens fortgesetzt und beendet. Die Bedeutung der Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin - bekannt als Potsdamer Abkommen - vom 2. August 1945 besteht darin, dass es von Teilnehmerkreis, Zeitpunkt und Ort sowie im Hauptinhalt die grundlegende gemeinsame Willensbekundung der Alliierten im Ergebnis des Krieges in ihren historisch-politischen Feststellungen, Einschätzungen und Schlussfolgerungen ist. Im Abschnitt III Deutschland, A. PolitiGrundsätze, werden unter den Dieses Anliegen soll hier knapp an„Zielen der Besetzung“ an erster Stelle hand einiger hauptsächlicher Daten skizziert werden, um es zu veranschau- 5. Juni - Erklärung zur Übernahme der genannt: „(I) Völlige Abrüstung und Entmilitarisierung Deutschlands“, belichen und anzuregen, wertvolle Doku- obersten Regierungsgewalt durch die mente und Aktivitäten des Umbruchs Regierungen der vier Mächte; der alli- sonders durch Ausschaltung und Überierte Kontrollrat nimmt in Berlin seine wachung der Kriegsproduktion. Weiteund Neubeginns angesichts heutiger re Maßnahmen wie Verbote, AuflöHerausforderungen zu vergegenwärti- Tätigkeit auf. Damit erfolgt ein entschiedener, aber bloß vorläufiger und sung, Vernichtung aller militärischen gen. nicht an die Wurzeln greifender Abund nazistischen Institutionen, Organi27. Januar – Die Befreiung des VerAusgabe 43 Januar 2015 sche 15 sationen etc. erfolgen, „um damit für immer der Wiedergeburt oder Wiederaufrichtung des deutschen Militarismus und Nazismus“ vorzubeugen. Sämtliche NS-Organisationen sind aufzulösen; „es sind Sicherheiten dafür zu schaffen, dass sie in keiner Form wieder auferstehen können; jeder nazistischen oder militaristischen Betätigung und Propaganda ist vorzubeugen.“ Unter den Wirtschaftlichen Grundsätzen wird die Produktion von Kriegsmaterial verboten sowie gefordert: „In praktisch kürzester Frist ist das deutsche Wirtschaftsleben zu dezentralisieren mit dem Ziel der Vernichtung der bestehenden übermäßigen Konzentration der Wirtschaftskraft, dargestellt insbesondere durch Kartelle, Syndikate, Trusts und andere Monopolvereinigungen.“ Durchgängig und ausdrücklich werden in den Verlautbarungen der Alliierten Militarismus und Nazismus zusammenhängend benannt und bewertet. Das entspricht der historisch-politischen Genesis der deutschen Rechten, insbesondere hinsichtlich ihres inneren wechselseitigen sozioökonomischen, machtpolitisch-funktionalen und ideologischen Zusammenhangs in der deutschen Geschichte: Vom feudalaristokratischen Autoritarismus und Antidemokratismus bis zur nazistischen Volksund Menschenverachtung, von preussischem Militarismus, groß- und finanzkapitalistischer Machtkonzentration und weltweitem Expansionsdrang bis zu missionarischen Deutschtumsideologien mit mörderischen rassistischen – insbesondere antisemitischen – Ambitionen; schließlich militanter Antisozialismus. Alles hatte sich seit 1871 zu einem breiten nationalkonservativvölkischen Strom geformt, der sich ab August 1914 in mehrjährigem Völkermord entlud, nach 1919 sowie beschleunigt ab 1929 radikalisierte und 1933 in die faschistische Diktatur mündete. Diese Quellen und ihre terroristisch-rassistische Umsetzung im NS prägten den Verbrecherstaat – im Sinne seiner treffenden Bestimmung durch Karl Jaspers. (a) Verbrechen gegen den Frieden; (b) Kriegsverbrechen; (c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit. militärischen Blockbildung. Alle einschlägigen Analysen haben die Gründungs- und Frühperiode der Bundesrepublik in den Mittelpunkt zu rücken, 20. November 1945 – Mit dem Proda sie den Schlüssel zum Verständnis zess gegen die Hauptkriegsverbrecher ihrer Erbschaften, Grundlagen und beginnt die Folge von Nürnberger Pro- Wesenszüge, damit auch ihrer gesamzessen; das Urteil wird am 1. Oktober ten folgenden Geschichte bis heute 1946 verkündet. Es kommt anschliebilden. Dieser postfaschistische deutßend zu zwölf Nachfolgeprozessen, sche Staat konstituierte sich in soziodarunter gegen die IG-Farben-, den ökonomischen, gesellschaftspolitischen Flick- und den Krupp-Konzern, OKW, und weithin ideologischen KontinuitäSS, Diplomaten, Ärzte, Juristen und ten seit 1871, 1918/19 und 1933. Er Militärs. Es sollte auch an die umfasformierte sich in offener oder verdecksenden Ermittlungen gegen die Deutter Gegnerschaft nicht nur zum Versche und die Dresdner Bank erinnert mächtnis des deutschen Widerstandes werden. Beispielsweise wurden bereits und der Emigration, sondern in hohem 1947 zur Deutschen Bank in eigenen Maße auch zu den ursprünglichen Kapiteln Arisierung und Zwangsarbeit alliierten Grundpositionen, darunter zu thematisiert und und - wie kriminelle Potsdamer Abkommen und Nürnberger Aktivitäten in besetzten Ländern – mit Prozessen. dem damaligen Kenntnisstand dokumentiert. Die Empfehlungen des USFür eine grundsätzliche Einschätzung Teams lauteten: ist es notwendig, den Wesenszusam„Es wird empfohlen, dass: 1. die Deutmenhang von Restauration und Versche Bank liquidiert wird, 2. die verant- gangenheitsverdrängung zu benennen. wortlichen Mitarbeiter der Deutschen Es konnte in Deutschland nach der Bank angeklagt und als KriegsverbreVorgeschichte seit 1871, 1914 und cher vor Gericht gestellt werden, 3. die 1933 keine Bewahrung oder Wiederleitenden Mitarbeiter der Deutschen herstellung kapitalistischer EigentumsBank von der Übernahme wichtiger verhältnisse, bürgerlich-aristokratischoder verantwortlicher Positionen im er und klerikaler Hierarchien sowie wirtschaftlichen Leben Deutschlands entsprechender Ideenwelten geben ausgeschlossen bleiben.“ 10 ohne die jüngste Geschichte grob zu entstellen und zu verdrängen. Nach Die belastenden Ermittlungsergebnisse Zustand und Entwicklung der bürgerliund die darauf gründenden Empfehlun- chen Gesellschaft bis 1933 und 1945 gen versandeten ab 1947/48 ergebnis- bedingten sich beide Grundprozesse los und wurden für Jahrzehnte vergegenseitig. Die bürgerlichen Nachfoldrängt, obwohl – oder weil? - sie den geparteien – CDU, CSU, FDP, DP u. a. Forderungen im Potsdamer Abkommen besaßen keine nennenswert antifaentsprachen. Chefbanker Hermann schistische und antimilitaristische HerJosef Abs kam nicht in den Knast, son- kunft und Tradition; sie öffneten sich dern wurde Finanzberater von Bundes- weit und unkritisch den nazistischen kanzler Adenauer. Gefolgschaften und Tätern. Sie hatten nicht zuletzt in Führungsschichten eine mehrheitlich belastete Mitglied- , WähRestauration bedingte Verdrängung ler- und Anhängerschaft. Die im Sepvon Schuld und Sühne tember 1949 in Bonn formierte MitteMit der restaurativen Wende ab Rechts-Koalition unter Kanzler K. Ade1947/48 kommt es in einem komplenauer nahm wesentlich deren Interesxen und widersprüchlich verlaufensen wahr. Folgerichtig erwiesen sich den, innerlich jedoch zusammenhänerklärter Antifaschismus und Antimiligenden Prozess zu Abbruch und Umtarismus sowie Bestrebungen zur gekehr. Die Gründung der Bundesrepub- sellschaftlichen Grunderneuerung als 8. August 1945 – Abkommen der vier lik erwuchs aus diesem restaurativen Störfaktoren für die Restauration, die Mächte „über die Verfolgung und BeWandel, verfestigte ihn mit der SpalWestbindung und die Wiederaufrüsstrafung der Hauptkriegsverbrecher tung Deutschlands 1948/49 und mach- tung und wurden nicht hingenommen. der Europäischen Achse“ sowie Verein- te ihn damit unumkehrbar, von außen Bereits ab 1950 werden kommunistibarung über das Statut für den Interna- begünstigt durch die Entfremdung und sche, linkssozialistische und pazifistitionalen Militärgerichtshof. zunehmende Konfrontation innerhalb sche Strömungen, Organisationen und Es benennt die Verbrechenskategorien der Antihitler-Koalition sowie den Gruppen sowie weitere Kritiker der der Anklage: Übergang in den Kalten Krieg und zur Politik Adenauers offen verfolgt und 16 marxistische Theorie und sozialistische Politik Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog unterdrückt. Der restaurative - lies: bürgerliche Führungsanspruch gegenüber den Arbeiterparteien, Gewerkschaften, pazifistischen, linksliberalen und radikaldemokratischen Richtungen und Gruppen war durch die Geschehnisse und Verläufe spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts sowie ihre Resultate nicht legitimiert. Die ideell-politische Logik der Restauration eliminierte weitgehend die frühen, eher zutreffenden Urteile und Folgerungen. Seither werden diejenigen marginalisiert und denunziert, die solche damals gültigen Analysen gegen das erdrückende Übergewicht der herrschenden Ideologie weiterhin vertreten. voller Kontinuität und Äußerung des historisch-politischen Selbstverständnisses von Bundeswehr und Parteien sowie eines Netzes von Traditionsverbänden, Vereinen, Verlagen, Periodika, Gedenkorten u. ä. Das erfolgte und offenbarte sich bis in neunziger Jahre recht unverhohlen; bis heute wirkt es in vielen Tendenzen manifest oder verdeckt fort. Der Wehrmachtskult reichte von den regierenden Unionsparteien und der FDP und weiteren rechtskonservativen Gruppierungen bis ins alt- und neonazistische Lager. Erst seit den neunziger Jahren erzwangen die Kontroversen um die Rehabilitierung der Deserteure, die Wehrmachts-Ausstellung, die Traditionspflege der Gebirgsjäger in Mittenwald und weitere Anlässe einen überfälligen Wandel. In vier Hauptpunkten sollen Wesenszüge der restaurativen Weichenstellung umrissen werden: Die Bundesrepublik ist – im Gegensatz zur DDR - der UNO-Konvention zur Erstens erfolgte eine Abkehr von we- Nichtverjährung der NS- und Kriegssentlichen Prinzipien des Potsdamer verbrechen nie beigetreten. Nach der Abkommens und der Nürnberger Pro- Verjährung von Totschlag 1960 war zesse, bei Letzteren besonders hinsicht- die von der Erhard-Regierung (der lich der Urteile gegen Banken und mehrere Minister der CDU, CSU und Konzerne sowie gegen Gruppen der FDP mit NS-Vergangenheit angehörten) bürgerlichen Elite in Justiz, Diplomatie, seit Herbst 1964 vorbereitete GeMedizin, Wissenschaft u. a. Nach der samtverjährung der NS-Verbrechen Gründung der Bundesrepublik münde- zum 9. Mai 1965 nicht mehr durchsetzte dies in eine offene Frontstellung und bar. Nach einem Aufschub wurde 1969 die Delegitimierung von Potsdam und die Verjährung von Mord generell Nürnberg. Die extremsten Äußerungen aufgehoben. waren die Einstellung von Ermittlungen zu NS-Verbrechen und der Verfol- Ein Beispiel für die substantielle Geggung von Tätern sowie ein schonender nerschaft zu erklärten Positionen der bis schützender Umgang mit Letzteren. Alliierten sei genannt: W. Churchill Gnadenerlasse der Alliierten, Straffrei- hatte in einer Botschaft an Stalin am heit und Amnestien, die Gesetzgebung 13. Oktober 1943 auf Art und Ausmaß zu Artikel 131 GG, Verjährungen und der NS-Verbrechen in den okkupierten Kalte Amnestie begünstigten auf Dauer Ländern verwiesen und eine Erklärung unzählige Täter von NSDAP, SS, SD, SA und Warnung der USA, Großbritanniund Gestapo. Selbst Akteuren und ens und der UdSSR „im Namen der 32 Vordenkern aus der Himmlerschen vereinigten Nationen“ vorgeschlagen, Mordzentrale Reichssicherheitshaupt- denen zufolge werden mit Kriegsende amt (RSHA), Blutrichtern einschließlich „diejenigen deutschen Offiziere und Militärrichtern, Soldaten, Offizieren Soldaten sowie Mitglieder der Naziparund Generälen der Wehrmacht, aber tei, die für die obenerwähnten Grauauch Schreibtischtätern und Mordgesamkeiten, Massaker und Exekutionen hilfen aus Bildungs-, Sozial- und Geverantwortlich sind oder freiwillig sundheitswesen sowie Wissenschaft – daran teilgenommen haben, in jene vor allem Juristen und Mediziner – Länder zurückgeschickt, in denen sie blieben weithin Verfolgung und Straihre abscheulichen Verbrechen beganfen, zumindest verhältnismäßige Urtei- gen haben, damit sie nach den Gesetle erspart. zen dieser befreiten Länder und der in ihnen eingesetzten freien Regierungen Die Wehrmachtstradition bildete in der gerichtet und bestraft werden. Listen Geschichte der Bundesrepublik über werden mit allen nur möglichen EinzelJahrzehnte ein besonders aufschlussheiten von diesen Ländern aufgestellt, reiches Feld fortwirkender, verhängnis- insbesondere für die besetzten Teile Ausgabe 43 Januar 2015 Russlands, für Polen und die Tschechoslowakei, Jugoslawien und Griechenland einschließlich Kretas und anderer Inseln, Norwegen, Dänemark, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich und Italien.“11 Alle beteiligten Deutschen sollen wissen, dass sie „an den Schauplatz ihrer Verbrechen zurückgebracht und an Ort und Stelle von den Völkern, denen sie Gewalt angetan haben, gerichtet werden.“ Die sowjetische Seite stimmte mit kleinen Abänderungen zu und diese alliierte Position wurde als „Moskauer Erklärung“ veröffentlicht. Die alliierten Besatzungsmächte handelten nach 1945 entsprechend dieser Orientierung. Die Bundesrepublik ging mit ihrer Konstituierung ab Mai 1949 den entgegengesetzten Weg: Die Verfasser des Grundgesetzes nahmen im Mai 1949 auf: „Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden.“ (Art. 16 GG, Abs. 2) Der damit geleistete Beistand auch für im Ausland verurteilte NS-Täter kann in der Folgezeit bis heute besichtigt werden. In den folgenden Jahrzehnten mündete das in die weitgehende Missachtung der aus anderen Ländern zugestellten Ermittlungsergebnisse sowie Anträgen auf Strafverfolgung von NS-Tätern. Beispielsweise schrieb die tschechische Historikerin Lenka Sindelárová über das Wirken der 1965 eingesetzten Tschechoslowakischen Regierungskommission zur Verfolgung von NSKriegsverbrechern. Ausgelöst wurde der Schritt durch die westdeutschen Vorbereitungen für die MordVerjährung ab 9. Mai 1965. Bis 1980 bearbeitete die Kommission 180 Verfahren gegen 662 Personen, die als verantwortlich für den Tod von 14.056 Menschen angesehen wurden. Bis 1983 gingen 89 Denkschriften an die Bundesrepublik, darunter die Leiter der Gestapo von Prag und Brünn betreffend. Davon galten 79 als erledigt: „Sämtliche dieser Verfahren waren ohne Anklageerhebung und somit ohne einen ordentlichen Prozess vor Gericht eingestellt worden.“12 Die Autorin weist exemplarisch nach, mit welch umfassender Materialbasis die Einzelfälle belegt waren. Es kam jedoch „in der Bundesrepublik zu keiner einzigen rechtskräftigen Verurteilung als Folge der aus der Tschechoslowakei zur Verfügung gestellten Unterlagen“. 13 Zweitens wurden die Bewegungen für 17 radikale Umgestaltung und Sozialisierung, Erneuerung der Gesellschaft wie Vergesellschaftung wirtschaftlicher Schlüsselbereiche, Zerschlagung der Monopole bei Banken und Unternehmen, Bodenreform, weitreichende Mitbestimmung, Brechung des Bildungsprivilegs der Oberschichten u. a. sozialistische und radikaldemokratische Forderungen und Ziele ausgehöhlt und marginalisiert, bald auch offen unterdrückt. Das betraf Forderungen aus der Emigration, von SPD und KPD, das Ahlener Programm der CDU der britischen Zone von 1947 u. ä., die sich im weitgehenden Einklang mit dem Potsdamer Abkommen sowie Verlautbarungen des Kontrollrates und der Besatzungsmächte in den Zonen befanden. Die sozioökonomische, personelle und weithin ideell-moralische Kontinuität in den Führungskreisen aller gesellschaftlichen Bereiche wird zum spezifischen und gravierenden Markenzeichen der Bundesrepublik, auch und vor allem im Vergleich zur DDR serteure, Emigranten und durch Arisierung Enteignete; darüber hinaus bis heute bei Opfern der Kriegsgefangenschaft sowie von Massakern und Exzessen in Osteuropa, Griechenland, Italien u. a. Ländern. zugehen? Sind nicht unverzüglich alle erreichbaren Unterlagen darüber zu ermitteln und zu veröffentlichen? Die Dringlichkeit dafür wäre allerdings wesentlich größer und die Argumente ungleich stärker gewesen als sie es 1990 oder 2014 waren oder sind. Die Viertens schaffen die schrittweise, Charakteristik der Mitte-Rechts-Regieraber zielstrebige Spaltung Deutschung, ihrer Programmatik und Tätiglands und die Westbindung die äuße- keit, beantwortet, warum Geschichtsren Bedingungen der Restauration. Die vergessenheit konstitutives Gebot und BRD beteiligt sich mit der Bereitschaft Erfolgsbedingung war. zur Wiederaufrüstung an der politischmilitärischen Blockbildung und trägt Seit 1999 lebt der Primat des Antikommaßgeblich dazu bei, die Elemente des munismus im Bundeskonzept der Eringlobalen Kalten Krieges zu etablieren nerungs- und Gedenkstättenpolitik und zu verhärten. Sie findet ihren exparteienübergreifend – außer PDS/DIE ponierten Platz in den Spannungen, LINKE – mit der Formel fort, dass im Krisen und Entscheidungen. Insbeson- Mittelpunkt die Erinnerung an „beide dere verschärft und vertieft die Bundeutsche Diktaturen und ihre Opfer“ desregierung friedensfeindliche Strate- stehen müsse. Sie signalisiert die gegien u. a. mit ihrer Alleinvertretungsschichtspolitische Strategie und ideoloanmaßung gegenüber der DDR, der gische Ambition, einerseits die DDR Ablehnung der Oder-Neiße-Grenze und definitiv zu delegitimieren und ächten, von Abrüstungsinitiativen. Der Altandererseits die faschistische Barbarei und Neofaschismus und entspannungs- zu historisieren und zu relativieren. feindlicher Revanchismus nehmen Beide Momente dienen dazu, die geDrittens wurden die Hauptkräfte der einschließlich ihrer nationalistischen schichtliche Legitimation der bürgerliArbeiterbewegung, des Antifaschismus und rassistisch-antisemitischen Kompo- chen Eigentums- und Herrschaftsverund des Pazifismus fortschreitend nenten seit der Gründung der Bundes- hältnisse sowie ihrer politischen Akausgegrenzt, herabgesetzt und eines republik einen legalen und geschützteure und Repräsentanten dauerhaft nennenswerten Einflusses beraubt, ten, teils auch protegierten Platz im aufzuwerten und deren apologetische – schließlich aus den Schlüsselpositiopolitischen System ein. auch historische - Selbstdarstellung zu nen der Macht verdrängt sowie von befördern. Der Primat des Antikommuentscheidenden Weichenstellungen Eine Anmerkung aus aktuellem Anlass nismus wurde gewahrt sowie damit die ausgeschlossen; die Rückkehr der im Herbst 2014: Es wäre ein wirklichChance, ihn ab 1990 in Gestalt eines Emigranten unterblieb weitgehend, da keits- und geschichtsfremdes Hirngerechtsgerichteten Totalitarismuskonnicht gewollt; sie wird hintertrieben spinst, sich vorzustellen, es hätte im zepts für die dauerhafte und fortschreioder ihnen werden Chancen und die Spätsommer 1949 als Voraussetzung tende Relativierung des VerbrecherErfüllung begründeter Erwartungen – einer Koalitionsbildung eine Verständi- staates, die Ächtung der DDR und die mit Ausnahmen - verweigert. Es gung über den Charakter des vorange- geschichtsfälschende Legitimation der kommt zu jahrzehntelangen Defiziten gangenen Staatswesens geben können. großbürgerlich-aristokratischen Oberder Rehabilitierung und Wiedergutma- Beispielsweise zu Fragen wie: Was war schichten, ihres Anhangs sowie ihrer chung gegenüber NS-Opfern und Verdas Dritte Reich und wie sieht seine wohldotierten Parteien und Politiker folgten, darunter Sinti und Roma, Euvollständige Verbrechensbilanz aus, zu mobilisieren. thanasie-Opfer und Homosexuelle, wer waren seine Träger und VerantLudwig Elm Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, Dewortlichen und wie ist mit Schuld um1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 18 Für die Veröffentlichung redigierte, vollständige Fassung des auf der Tagung gekürzt vorgetragenen Beitrags Zit. nach: Das Parlament, Nr. 38-39, 15. September 2014. Dokumentation, S. 1 Ebenda, S. 2 Stéphane Courtois, Nicolas Werth u. a. : Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterddrückung, Verbrechen und Terror, München – Zürich 1998, S. 17 Winston S. Churchill: Der Zweite Weltkrieg. Mit einem Epilog über die Nachkriegsjahre, Bern – München – Wien (1948), Sonderausgabe 1995, S. 156f. Ebenda, S. 176f. Ebenda, S. 178 Ebenda, S. 187 Robert Coulondre: Von Moskau nach Berlin 1936 – 1939. Erinnerungen des französischen Botschafters, Bonn 1950 O. M. G. U. S. Office of Military Government for Germany, United States. Finance Division – Financial Investigation Section: Ermittlungen gegen die Deutsche Bank -1946/1947 - , Nördlingen 1985, S. 11 Briefwechsel Stalins mit Churchill, Attlee, Roosevelt und Truman 1941-1945, Berlin 1961, S. 219 (Kommission für die Herausgabe diplomatischer Dokumente beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR. A. A. Gromyko, Vorsitzender der Kommission u. a. ) Lenka Sindelárová: Denkschriften an die Bundesrepublik. Die Arbeit der Tschechoslowakischen Regierungskommission zur Verfolgung von NSKriegsverbrechern (1965-1990), in: Martin Cüppers/Jürgen Matthäus/Andrej Angrick (Hrsg.): Naziverbrechen. Täter, Taten, Bewältigungsversuche, Darmstadt 2013, S. 285 Ebenda, S. 286. Vgl. auch Lenka Sindelárová: Finale der Vernichtung. Die Einsatzgruppe H in der Slowakei 1944/45, Darmstadt 2013 marxistische Theorie und sozialistische Politik Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog LINKE auf Deligitimierungskurs tiert oder empört über die Bereitschaft, ein wichtiges Alleinstellungsmerkmal im Interesse von Regierungstauglichkeit zu entsorgen. Am 23. September 2014, im 2. Sondierungsgespräch nach der Landtagswahl am 14. September, stimmten vier Vertreter (Bodo Ramelow, Susanne Hennig-Wellsow, Steffen Dittes und Birgit Keller) der Bezeichnung der DDR als „Unrechtsstaat“ und weiteren herabsetzenden Sprüchen zu. Bereits bei Sondierungsgesprächen im Jahre 2009 hatte es ein ähnliches Papier gegeben, einschließlich einer Passage, nicht mit Organisationen zusammen zu arbeiten, „die das DDR Unrecht relativieren wollen“. 1 Am 20. November 2014, im „Koalitionsvertrag zwischen den Parteien DIE LINKE, SPD BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für die 6. Wahlperiode des Thüringer Landtages“, finden wir fast all das wieder: Der DDR fehlte „durch unfreie Wahlen bereits die strukturelle demokratische Legitimation staatlichen Handelns“ Weil „jedes Recht und jede Gerechtigkeit in der DDR ihr Ende haben konnte, wenn einer der kleinen und großen Von Verteidigung zur Kriminali- Mächtigen es so wollte, weil jedes sierung Recht und jede Gerechtigkeit für diejenigen verloren waren, die sich Der Konflikt zwischen Politikern nicht systemkonform verhielten, der LINKEN, die nun zum großen war die DDR in der Konsequenz ein Angriff auf die Rechtmäßigkeit der Unrechtsstaat.“ Es gehe nun „um DDR aufrufen und einer Anhänger- eine konsequente und schonungsloschaft, die in ihrer großen Mehrheit se Aufarbeitung der Alltagsdiktadie LINKEN bisher als Verteidiger tur“, um die „uner-trägliche Einder Rechtmäßigkeit der DDR ansa- flussnahme in alle Bereiche des hen und schätzten, hat das Potenti- Lebens in der DDR durch den von al für eine anhaltende Parteikrise. der SED geführten Staat“. InquisitiDie Politiker signalisieren Anpasonstribunale als „Bildung zur Demosung und damit Regierungstaugkratie“? Die für den Bereich Aufarlichkeit. Wähler und Mitglieder beitung der DDR in der Erfurter sind in ihrer großen Mehrheit irriDie alte Erkenntnis, dass Regierungsbeteiligungen linker Parteien in Ländern mit einer stabilen Machtkonstellation zu Gunsten des Kapitals die zu bildende Regierung oft ein wenig besser, die betreffende Partei aber auf jeden Fall schlechter macht, bestätigt sich derzeit im Freistaat Thüringen auf besondere und auf erschreckende Weise. Die Inthronisierung einer neuen Landesregierung unter Bodo Ramelow kann, wenn sie denn heute im Landtag gelingt (und wenn die ökonomisch und politisch Mächtigen in diesem Lande sie nicht alsbald kippen), einige wichtige soziale und politische Verbesserungen erreichen. Sie wird aber gewiss die seit Ende September deutlich gewordene Kluft zwischen führenden Politikern sowie Mitgliedern und Anhängern in Sachen DDR vor allem im Osten verschärfen. Nicht unbeachtet bleiben darf allerdings, dass bei der Mitgliederabstimmung der LINKEN in Thüringen sich nur 7 Prozent gegen die Koalitionsvereinbarung mit SPD und Grünen aussprachen. Ausgabe 43 Januar 2015 Staatskanzlei zuständigen Grünen (!) werden das sicher versuchen. Katja Kipping war mit der Charakterisierung der DDR als Unrechtsstaat nach wenigen Tagen sehr einverstanden. Wolfgang Gehrcke sagte „Nein“. Bernd Riexinger stellte sich erst einen Monat später „voll und ganz“ hinter diese „Formulierung“. Gregor Gysi nahm sie mit Vorbehalt hin. Dietmar Bartsch und Roland Claus verloren in der Bundestagsdebatte zum „Tag der Deutschen Einheit“ am 8. November kein Wort darüber. Der Parteivorstand bekundete in seiner Sitzung vom 18./19. November Verständnis für die „unterschied-lichen Bewertungen“. Katja Kipping, Bernd Riexinger und Gregor Gysi setzten dann mit einer gemeinsamen Erklärung noch einen drauf. Am 8. November entschuldigten sie sich nicht nur für „begangenes Unrecht“ in der DDR, sondern für die DDR selbst. Dem Staat DDR und „dessen Handeln (fehle) durch die Abwesenheit freier Wahlen die demokratische Legitimation“. Die „politische Willkür“ konnte „jederzeit Recht und Gerechtigkeit ersetzen“. Sahra Wagenknecht fiel dazu und „nach den „Pöbeleien von Biermann im Bundestag und dem begeisterten Applaus, den ihm einige Linke-Abgeordnete gespendet haben“, nur das „schöne Zitat“ von Erich Kästner ein: „Nie dürft ihr so tief sinken, von dem Kakao, durch den man euch zieht, auch noch zu trinken.“ DDR-Geschichte als Sozialismusversuch In der Endphase der DDR und nach der Vereinigung gab es jeweils eine 19 Im Zusammenhang mit der Ausarbeitung des PDS-Parteiprogramms vom Januar 1993 übernahm UweJens Heuer, rechtspolitischer Sprecher der Bundestagsgruppe PDS/ Linke Liste, die Aufgabe, den Entwurf zum Abschnitt RealsozialisZunächst sahen Exponenten der mus für das Programm auszuarbei„sich reformierenden“ SED noch eine Chance für eine demokratisch- ten. In der entsprechen Arbeitssozialistische Erneuerung der DDR. gruppe arbeitete ich mit. Weil sie auf die pauschale Abwertung der Gefordert wurde die Beseitigung autoritärer und diktatorischer poli- DDR abzielten, verwarf Heuer von vornherein die Kampfbegriffe des tischer Strukturen. Stalinismus Unrechtsstaates und der totalitären lautete der verquere Begriff im Referat von Michael Schumann auf Diktatur. Den innerhalb der PDS dem Dezember-Parteitag 1989, auf zirkulierenden Begriff des Stalinisdem sich die SED in SED-PDS umbe- mus lehnte er aus dem gleichen nannte. Irreal angesichts der politi- Grund ab. Er legte fünf Thesen in schen Kräfteverhältnisse hatte die- Frageform vor. Die ersten drei lauses Konzept nur ein kurzes Leben. teten: In der DDR nahmen westdeutsche Politiker, Banken und Konzerne das „Das Scheitern des Sozialismusversuchs und seine Konsequenzen Heft in die Hand. Sie ging nach einem Dreiviertel Jahr als Staat 1. Problemkomplex unter, mutierte zum „BeitrittsWaren die realsozialistischen Gegebiet“ und erhielt in § 17 Einisellschaften ein Sozialismusversuch gungsvertrag das Etikett „SED-Unrechtsregime“. Justizminister Klaus oder nicht? Kinkel bezeichnete sie kurz zuvor auf dem 41. Richtertag im Septem- 2. Problemkomplex Ist das Scheitern dieses Versuchs ber 1991 „als in weiten Teilen genauso unmenschlich und schreck- eine Niederlage, ein Sieg des histolich…wie das faschistische Deutsch- rischen Fortschritts in Gestalt einer land“ und verlangte von der Justiz, nachholenden Revolution o. ä. m.? „das SED-System zu delegitimieren“. Alsbald war die Rede von der DDR 3. Problemkomplex als Unrechtsstaat und als totalitäre Was waren die inneren und äußeren Ursachen für dieses Scheitern? Diktatur. Die mit beiden Begriffen Welche dieser Ursachen waren einher gehende Kriminalisierung der DDR hatte besonders die Funk- letztlich entscheidend?“2 tion, den Ostdeutschen den aufrechten Gang zu nehmen und fortan Antworten waren: Es war kein Sieg, alles zu rechtfertigen, was an Verei- sondern eine Niederlage, eine weltnigungsunrecht über die Ostdeuthistorische Niederlage im Kampf schen kam: die Verscherbelung des um eine sozialistische GesellVolkseigentums, die Massenentlas- schaftsordnung. Es war ein Sozialissungen im öffentlichen Dienst, das musversuch und nicht Stalinismus. Rentenunrecht für „Staatsnahme“, Dieser Versuch war legitim. Er fand die strafrechtliche Verfolgung von unter schwierigen geschichtlichen DDR-Politikern, das Prinzip Umständen statt. Er war nicht von „Rückübertragung vor Entschädivornherein chancenlos. Mit dem gung“ bei Grundstücken. Begriff des Sozialismusversuchs treten wir im Rahmen unserer AufDie PDS stand vor der Situation, arbeitung der DDR-Geschichte als entweder mitzumachen oder dage- Sozialisten für eine differenzierte gen zu halten. Mitmachen wäre ihr und gerechte Bewertung der DDR Untergang als „Ostpartei“ gewesen. ein. Der 2. Abschnitt „Das Scheitern des sozialistischen Versuchs“ im Programm von 1993 bekräftigte diese Positionen: „Zum Sozialismusversuch in der DDR gehören wertvolle Ergebnisse und Erfahrungen im Kampf um soziale Gerechtigkeit, um die Bestimmung der Ziele der Produktion im Interesse des werktätigen Volkes, um ein solidarisches Gemeinwesen auf deutschem Boden. Es gab jedoch auch Fehler, Irrtümer, Versäumnisse und selbst Verbrechen. … Die DDR war einer Bedrohungs- und Konfrontationspolitik ausgesetzt … Der Sozialismus in Osteuropa war nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt. … Für die Geschichte, Gegenwart und Zukunft Deutschlands wie auch für die Politik demokratischer Sozialistinnen und Sozialisten in diesem Land ist es ebenso wichtig, sich mit den Defiziten der DDR-Gesellschaft auseinanderzusetzen, wie die Berechtigung und Rechtmäßigkeit einer über den Kapitalismus hinausgehenden Entwicklung auf deutschem Boden zu verteidigen.“ 20 Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog intensive Diskussion in der SED, dann in der PDS um die Bewertung der DDR. Die Akzente und Leitbegriffe dieser Diskussion waren verschieden und änderten sich. marxistische Theorie und sozialistische Politik Im geltenden Erfurter Programm der LINKEN von 2011 wird der Begriff Sozialismusversuch beibehalten. Es wird auf positive und negative Erfahrungen der Menschen mit diesem Versuch im Osten Deutschlands hingewiesen. Das Programm bleibt bei dem Prinzip der abgewogenen Einschätzung der DDR. Gesprochen wird auch vom „Bruch mit dem Stalinismus“. Die Geschichte der DDR und der SED jedoch auf Stalinismus zu verkürzen, sei „unhistorisch und unwahr“. Diskussionen mit Politikern auf Anpassungskurs können zu keinem Konsens führen. „Was in einem Programm nicht verboten ist, ist erlaubt“, sagte kürzlich Susanne Hennig-Wellsow in Erfurt auf meine Feststellung, dass das Konstrukt vom Unrechtsstaat dem geltenden Grundsatzprogramm von Erfurt widerspreche. Der Begriff Unrechtsstaat und die Entschuldigung für die DDR als „erlaubte“ Ergänzung ror vor einer „neuen DDR“ lähmt des Programms? Offensichtlich nicht, aber was nützt das, wenn die das bloße Nachdenken über eine sozialistische Alternative. Deutungshoheit nicht bei denen liegt, die Anpassung verweigern. Er gibt keinerlei Raum für eine historische Einschätzung der DDR, für die Analyse ihrer WidersprüchUnrechtsstaatsbegriff: lichkeit, „ihres individuellen, geselleine Mehrzweckwaffe schaftlichen und politischen Daseins“ (Karl-Heinz Schöneburg), für Begriffe machen häufig eine komdie Beachtung der objektiven und plizierte Karriere durch. Der Rechtswissenschaftler Gustav Rad- subjektiven Umstände ihrer Gebruch sah im Begriff des Unrechts- schichte. staates 1946 einen richtigen Ansatz Der Begriff Unrechtsstaat verallgezur Kennzeichnung der Menschmeinert das von antikommunistiheits- und Kriegsverbrechen des schen Vorbehalten geprägte AllNazifaschismus. Gegenüber dem tagsdenken einer großen Mehrheit sperrigen Begriff der totalitären der Westdeutschen über die DDR Diktatur hat es nun dieser Begriff und er richtet sich gegen das Allbei der offiziösen Bewertung der tagsdenken einer Mehrheit der DDR nach ganz vorne geschafft, nicht zuletzt als Formel zur Gleich- Ostdeutschen. Er ist ein Schimpfsetzung von Nazistaat und DDR. Er wort. Er sanktioniert die absurdesten Lügen über die DDR. Er umist der Geßlerhut, um eine Metapher von Günter Gaus zu nehmen, rahmt, wie die verschiedenen Paden jeder zu „grüßen“ hat, der über piere aus Thüringen zeigen, ein Horrorbild von Halb- und Unwahrdie DDR spricht. Wer aber Unheiten über die DDR jenseits von rechtsstaat sagt und die Sprüche aus Thüringen akzeptiert, denkt an Gerechtigkeit und Rechtssicherheit. der wirklichen Geschichte der DDR Siege in den geschichtlichen Auseivorbei. nandersetzungen sind immer nur dann komplett, wenn sich die BeIn der Linken hat dieser Begriff besonders die Aufgabe, mit Vorstel- siegten den politisch-ideologischen Leit- und Feindbildern der Sieger lungen Schluss zu machen, dass unterwerfen. Eine Mehrheit der die DDR und ihre Geschichte ein Objekt sozialistischer Gesellschafts- Ostdeutschen tut das bis heute nicht. Die Linke in Thüringen gestaltung ist. Sie soll von nun an schafft Abhilfe. Wieder einmal spiedurch die Brille antikommunistilen sich Politiker als Historiker auf. scher Totalkritik betrachtet werDarüber, dass kein einziger promiden. nenter Historiker aus den Reihen Der Begriff Unrechtsstaat hat eine der LINKEN ihnen zur Seite tritt vielgestaltige Bedeutung. Er ist eine und angesehene Historiker wie Mehrzweckwaffe, mit deren Hilfe Günter Benser vehement widersprechen, wird kaum berichtet. Ein verschiedene politische Ziele verherrschaftsfreier Dialog war in der folgt werden. Partei Die Linke vorgestern. Er verlangt geradezu eine Kriminalisierung der DDR. Er ist eine poli- Bezeichnend ist, dass die Papiere tisch-ideologische Keule. Er richtete aus Thüringen Formulierungen entund richtet sich gegen widerständi- halten, die ähnlich wie die Beschulges Denken und Handeln: einst im digungen im Verbotsverfahren gegen die KPD Anfang der fünfziger Zusammenhang mit dem VereiniJahre lauten und bei der Strafvergungsunrecht, heute beim Kampf folgung bzw. bei Berufsverboten gegen das Unrecht des Kapitalismus und dessen Klassenrecht. Hor- gegen Kommunisten und Verfech- Ausgabe 43 Januar 2015 ter eines Dialogs mit der DDR eine Rolle spielten. Das wurde damals mit dem Argument gerechtfertigt, die Betreffenden wollten ja eine „Gewalt- und Willkürherrschaft“ (§ 88 StGB) wie in der DDR errichten. Die Kehrseite der Akzeptanz des Begriffes Unrechtstaat DDR ist die Verbeugung vor dem Rechtsstaat BRD. An die Stelle einer richtigen Position des Kampfes um den Rechtsstaat im Interesse der abhängig Arbeitenden und Benachteiligten gegen dessen permanente Verletzung (Hartz IV trotz Sozialstaatsgebot des Art. 20, Vereinigung entgegen Art. 146, Kriegsvorbereitung und Kriegsführung gegen Art. 26 GG) tritt die Verklärung des Klassenstaates BRD als Rechtsstaat an und für sich. DDR: Rechtstaatlichkeit und Rechtsordnung Rechtsstaat ist im Gegensatz zum politischen Propagandabegriff des Unrechtsstaates ein Begriff der Rechtswissenschaft. Die DDR hat ihn bis 1988 abgelehnt, vor allem weil sie die gerichtliche Überprüfbarkeit aller staatlichen Handlungen ablehnte. Einzelne Rechtswissenschaftler wie Karl Bönninger aus Leipzig und Roland Meister aus Jena haben sich als Verfechter eines sozialistischen Rechtsstaates verstanden. Im Marxschen Konzept der politischen Form nach dem Vorbild der Pariser Kommune war kein Platz für das Prinzip der Gewaltenteilung. Diktatorische Formen der Machtausübung in der DDR fanden ihre Rechtfertigung in der Bedrohung durch den politischen Gegner. Autoritäre Strukturen, so die Ablehnung von Verfassungs- und Verwaltungsgerichten, dienten auch bürokratischen Interessen. Die Abkopplung vom rechtsstaatlichen Erbe negierte den Umstand, dass staatliche Machtapparate im sich entwickelnden Sozialismus der DDR in ihrer Bedeutung noch zunahmen und eine entschiedene Kontrolle nötig war. Unbe- 21 rungsfristen wurden aufgehoben. Herausgekommen ist bei 105.000 Ermittlungsverfahren die Verurteilung von 48 Personen zu Freiheitsstrafen, darunter viele Urteile (wie die gegen Egon Krenz und Heinz Kessler), obwohl Gesetze der DDR Es ist eine Lüge in der Anlage 1, die überhaupt nicht verletzt worden waren. Immer wieder ist von DDR zu beschuldigen, in ihr wäre Willkür üblich gewesen, in ihr hät- furchtbaren Verbrechen der Stasi die Rede, auch in der Linken. Allerte jeder Mächtige, Recht und Gerechtigkeit außer Kraft setzen und dings konnten nur 143 Mitarbeiter andere drangsalieren können. Wer des MfS überhaupt angeklagt werso etwas zu Papier bringt, hat keine den. „Acht wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt, die in sieben Fällen Ahnung vom Leben in der DDR, zur Bewährung ausgesetzt wurvon dem bürgernahen Recht in den.“ (Friedrich Wolff) zahlreichen Rechtsbereichen, von den zum Teil sogar weitaus besseren Möglichkeiten, Mächtigen (dem Angst vor DDR-Erinnerung Der wohl wichtigste Schwachpunkt Betriebsdirektor, dem Chef des Kreisbauamtes, dem Bürgermeister der Unrechtsstaatsdebatte bleibt aus gutem Grund draußen vor: Die usw.) Paroli zu bieten: vor allem Diffamierung der DDR findet im mittels des Arbeitsrechts und des Eingabenrechts. In der DDR gab es Alltagsdenken der Ostdeutschen kaum Zustimmung. Jeder kann sich jährlich etwa eine Million Beschwerden bzw. Eingaben. Es galten an Hand der Meinungsumfragen strenge Regeln der Bearbeitung. 80 zur DDR seit 25 Jahren3 über die bis 90 Prozent wurden zu Gunsten sich wandelnde politische Erinneder Bürgerinnen und Bürger entrung an die DDR, zu Unrecht und schieden. Insofern existierten naUnrechtsstaat, zu Recht, Rechtstürlich subjektive Rechte des Bür- staat und Gerechtigkeit informiegers gegen den Staat und gegen die ren. Eine Erinnerung, bestimmt von „Mächtigen“. Mitbestimmungsrech- Drangsalierung, Repression und te der Werktätigen in den BetrieUngerechtigkeiten ist das nicht. ben, Einrichtungen und in der (Wobei nur noch etwa 60 Prozent Rechtspflege waren sogar weitaus der Ostdeutschen tatsächlich Erfahumfassender als in der BRD. Und rungen mit dem politischen Leben Kriminalität war rückläufig. In eiin der DDR haben). Die DDRnem Halbjahr werden heute allein Bevölkerung hat ihr gesellschaftliin Brandenburg etwa so viele Straf- ches und politisches Leben sehr taten verübt wie einst in der gesam- wohl ständig mit dem der BRD verten DDR in einem Jahr. glichen, nicht mit dem Nazistaat. Dem Begriff des Unrechtsstaates Natürlich gab es in der DDR vielfäl- stimmen nach der jüngsten Umfratiges Unrecht. Aber nunmehr über ge von Emnid (veröffentlicht am 5. 22 Jahre lang konnten Rechtsverlet- Oktober 2014) 72 Prozent der Westzungen angezeigt und strafrechtlich deutschen zu, aber nur 30 Prozent verfolgt werden. Sogar alle Verjäh- der Ostdeutschen. streitbar ist jedoch, dass es in der DDR wichtige rechtsstaatliche Grundsätze und eine Rechtsordnung gab, die bei zukünftigen Sozialismusversuchen Beachtung verdienen. Noch Ende 1989/Anfang 1990 als die DDR von einer tiefen politischen Krise erfasst war, sprachen sich bei Umfragen zwischen 55 und 83 Prozent für die Bewahrung der DDR als souveränen Staat aus. Im Januar 1990 waren lediglich 23 Prozent für einen kapitalistischen Weg. Nach einer Untersuchung der Adenauer-Stiftung hielten 1991 33 Prozent der Ostdeutschen die Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik für ungerecht; 2005 waren es 68 Prozent. Eine Emnid-Umfrage von 2009 zum Thema „Die DDR – ein Unrechtsstaat“ ergab, dass von den Ostdeutschen 49 Prozent an der DDR mehr gute als schlechte Seiten und acht Prozent nur gute Seiten sahen. Die Angst vor der DDR muss bei den Regierenden in diesem Lande sehr groß sein, wenn sie noch 25 Jahre nach Ende des Kalten Krieges, nunmehr gemeinsam mit LINKEN-Politikern, die DDR-Debatte so führen wollen, als ob wir auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges sind. Ekkehard Lieberam 1. Die zitierten Passagen ohne besondere Quellenangabe, sind in der Dokumentation „Der Kniefall von Thüringen“ nachzulesen. 2. Quelle: persönliches Archiv. 3. Vgl. Der Kniefall von Thüringen, S. 64 ff. www.sozialistischer-dialog.de 22 marxistische Theorie und sozialistische Politik Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog Die Wahl wird Folgen haben Nach der Wahl Bodo Ramelows zum Thüringer Ministerpräsidenten Als am vergangenen Freitag im Thüringer Landtag in Erfurt Bodo Ramelow bereits im zweiten Wahlgang zum neuen Ministerpräsidenten gewählt wurde, war der Jubel groß. Gregor Gysi war so stolz über den Erfolg, dass er gegenüber dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) gar erklärte: „Heute ist einfach ein großer, ein schöner Tag auch in meinem Leben, das muss ich sagen. Dass ich das noch erlebe.“ Zuvor war nicht sicher, ob Ramelow bereits im zweiten Wahlgang alle Stimmen aus den Fraktionen der Linkspartei, der SPD und der Grünen erhalten würde. Nicht nur wegen der „Unrechtsstaat“-Debatte, die in Teilen der Partei „Die Linke“ und in ihrem Umfeld für große Empörung sorgte und zu Parteiaustritten führte. Auch weil andererseits im Vorfeld der Wahl massiv Stimmung gegen die Kandidatur Ramelows und die Koalition aus Linkspartei, SPD und Grünen gemacht und Druck ausgeübt wurde. So wandten sich beispielsweise in einer Anzeige „SED-Staat in der Mitte Deutschlands?“ Träger des Thüringer Verdienstordens, unter ihnen Schriftsteller wie Reiner Kunze und Universitätsprofessoren, an die Abgeordneten des Thüringer Landtages. Sie behaupteten: „Jetzt soll ganz legal stattfinden, was die Kommunisten die Konterrevolution nannten: Die Befreiung durch die Revolution von 1989 soll in Thüringen revidiert werden. Und die Revolutionäre von damals sollen ihnen dabei behilflich sein! Verkehrte Welt!“ Kundgebungen wurden organisiert, auf denen auch Mitglieder der SPD ihren Unmut bekundeten. Wochenlang wurden zudem mehrere Abgeordnete der Partei „Die Linke“ massiv bedroht, Autos beschädigt und Parteibüros angegriffen. Ausgabe 43 Januar 2015 Dass die CDU in der Opposition und womöglich teilweise Hand in Hand mit der AfD der neuen Regierung, der vier Minister der Partei „Die Linke“, drei der SPD und zwei der Grünen angehören, das Leben schwer machen will, haben deren Vertreter bereits angekündigt und kommt nicht unerwartet. Sie hoffen darauf, dass die neue Regierung vorzeitig scheitert. Doch in den vergangenen Tagen gingen auch die Angriffe auf Parteibüros der Partei „Die Linke“ weiter. Ramelow selbst versuchte noch am Wahltag die rechten Gemüter zu beruhigen. Bereits in seiner ersten Rede entschuldigte er sich bei SED-Opfern und kündigte an, er wolle „versöhnen statt spalten“. Einen Tag später erklärte er – entgegen vieler Stimmen in der eigenen Partei – gegenüber der „Thüringischen Landeszeitung“, er wolle die „Aufarbeitung der SEDDiktatur zu Chefsache“ machen. Ein deutliches Signal an die Opposition im Landtag und darüber hinaus... Die Wahl wird Folgen haben. Vor allem für die eigene Partei. Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Bundestag, erklärte bereits, die Wahl Ramelows werde die Linkspartei verändern. „Aber auch die anderen. Es ist ein Durchbruch, was das politische Klima betrifft…“ Gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung sprach er von „größerer Verantwortung“. Seine Partei müsse sich „in bestimmter Hinsicht etwas disziplinieren. Die gewachsene Verantwortung wird sich auswirken. Alle müssen sich den Realitäten beugen.“ Welcher Realitäten? Den realen Erfordernissen sozialer und politischer Kämpfe, der Organisation von Widerstand gegen Sozial- und Demokratieabbau, gegen Kriegspolitik? Oder der rea- len Situation, dass man erstmals eine Landesregierung anführt und sich einbinden lässt in die herrschende Politik mit Blick auf ein mögliches Mitregieren im Bund? Vielleicht gehört dann dazu, dass man dabei auch die eigene Geschichte entsorgen will und sich dem Mainstream anpasst? Was das aber heißt, lehrt uns die Geschichte, auch die der Sozialdemokratie. Noch wird – wie es im Referat von Ellen Brombacher auf der Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform am vergangenen Sonntag hieß – in Thüringen der Regierungswechsel mit der Hoffnung auf einen Politikwechsel im Land verbunden. „Das Leben wird zeigen, wie realistisch diese Hoffnung ist“. Doch die breite Zustimmung zum Koalitionsvertrag durch 94 Prozent der Mitglieder der Partei „Die Linke“ (bei einer Beteiligung von 79 Prozent) sei „keine Defacto-Zustimmung zum unsäglichen Umgang mit unserer Geschichte, wie zuvörderst Bodo Ramelow sie jüngst betrieb. Niemand sollte hier etwas verwechseln. Die Empörung über die erlittenen Demütigungen ist bei vielen Genossinnen und Genossen, nicht nur in Thüringen, groß“. Nina Hager Erstveröffentlichung: UZ „unsere zeit“ Sozialistische Wochenzeitung der DKP. 12. Dezember 2014. Nr. 50. 46. Jahrgang. Seite 1. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin 23 Neue Herausforderungen für DIE LINKE und die Verantwortung des Ältestenrates Der Ältestenrat hat in seinem Bericht an die 2. Tagung des 4. Parteitages im Mai 2014 sein 2007 erteiltes Mandat zurückgegeben und dem neu gewählten Parteivorstand entsprechend § 20, Abs. 7 der Bundessatzung empfohlen, einen Ältestenrat neu zu berufen. Der Bundesausschuss hat diese Empfehlung ausdrücklich unterstützt. Der Parteivorstand ist damit herausgefordert, seine Entscheidung zu treffen. Die erstmalige Berufung eines Ältestenrates an der Jahreswende 1989/90 verfolgte das Ziel, in den Prozess der Erneuerung der Partei Erfahrungen aus den Kämpfen der Arbeiterbewegung und des nationalen und internationalen Widerstands gegen den Faschismus, überhaupt Erfahrungen aus dem geschichtlichen Gewordensein der Partei einzubringen. Der Ältestenrat sah sich in der Verantwortung für das Miteinander der Generationen in der Partei. Gegenseitige Achtung der Erfahrungen unterschiedlicher Generationen und sich gemeinsam der Verantwortung aus der Geschichte zu stellen, das sind wichtige Quellen für die Entwicklung einer konsequent linken Partei und für ihren Platz in der Gesellschaft. All das gilt auch heute und hat Konsequenzen für die Stellung und das Wirken des Ältestenrates in der Partei DIE LINKE. Entstanden ist der Ältestenrat mit der Gründung der PDS. Im Prozess der Verschmelzung von PDS und WASG erfolgte die Neugründung der Partei DIE LINKE und mit ihr 2007 die Berufung eines neuen Ältestenrates. Die Mitgliedschaft der Partei hat sich inzwischen weitgehend verändert und neue Füh- 24 rungsgenerationen haben die Verantwortung übernommen. Da die in der Satzung festgelegten Grundsätze für das Wirken des Ältestenrates in den vergangenen Jahren im Führungsprozess durch den Parteivorstand kaum Beachtung fanden, sollte geprüft werden, ob bei den Veränderungen in der Zusammensetzung der Mitgliedschaft und der neuen Führungselite ein Ältestenrat mit den Erfahrungen seiner Mitglieder für die Politik der Partei angesichts neuer Herausforderungen noch einen zu beachtenden Beitrag leisten kann. Die jüngste Praxis - auch nach dem Berliner Parteitag - setzt eher Zeichen, dass ein solcher Rat kaum gebraucht wird. Arbeit entwickelt sich in einer nie gekannten Breite, Tiefe und in verschiedenen Ausdrucksformen. Offensichtlich ist der Kapitalismus außerstande, für die grundlegenden Fragen der Entwicklung der Menschheit, für die zentralen Fragen zukünftiger Gesellschaftsentwicklung Lösungen zu finden. Wird dem nicht Einhalt geboten, führt das zum Untergang der Menschheit. In diese Prozesse ordnen sich der wachsende Anspruch des deutschen Kapitals und die Rolle des deutschen Staates nach einer Führungsrolle in Europa ein. An der Seite der USA sind die führenden Kräfte mit Frau Merkel und Herrn Gauck an der Spitze auf dem Weg, aus dem imperialistischen Deutschland eine Führungsmacht in der Allerdings muss die Partei die ver- Welt zu machen, die einen entspreänderten gesellschaftlichen, politi- chenden Platz für die Durchsetschen und ökonomischen Rahmen- zung ihrer Interessen im Wandel bedingungen in Deutschland, in der gegenwärtigen KräfteverhältEuropa und in der Welt gründlich nisse einfordert. analysieren, um strategische Schlussfolgerungen für ihr Wirken Mit seinem Wirken in der Ukraineim parlamentarischen Kampf und Krise trägt Deutschland nicht zur als politische Kraft zu ziehen, die Lösung dieses Konfliktherdes bei, zum herrschenden kapitalistischen sondern handelt aktiv als Teil der System in Deutschland in grundle- Kräfte in Europa und in der Welt, gender Opposition steht – und das die Russland isolieren und zum auch, wenn sie in dem einen oder „Bösewicht“ der Welt stempeln anderen Bundesland an der Regie- wollen. Russland ist, wie die anderung beteiligt ist. ren Länder in dieser Krise auch, eine kapitalistische Macht, die ihre In den letzten Jahren vollzieht sich Interessen vertritt. Die Geschichte in Europa, vor allem in Deutschzeigt jedoch: Ohne oder gar gegen land eine weitgehende Zäsur. Die Russland wird es in Europa keinen Gesellschaft ist durch tiefe, dem Frieden geben. Wo nur von Kapitalismus eigene Widersprüche „Verantwortung“ die Rede ist und gekennzeichnet. Unsere Welt ist Misstrauen geschaffen wird, wererneut mit der Gefahr des Versuden Wege zur Krisenlösung verches konfrontiert, den Ausweg aus baut. DIE LINKE sollte alle ihre der Krise in einem globalen bewaff- Kräfte auf Vertrauensbildung richneten Konflikt zu suchen. Der Witen; nur so kann ein Weg aus der derspruch zwischen Kapital und Krise entstehen. Der 70. Jahrestag marxistische Theorie und sozialistische Politik Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog des Endes des 2. Weltkrieges mit dem Sieg der Alliierten und der Befreiung der Völker Europas vom faschistischen Joch sollte ein Anlass dafür sein. Die besondere Verantwortung Deutschlands und vor allem der deutschen Linken besteht im aktiven Engagement für den Frieden, für friedliche Beziehungen der Völker und Länder untereinander und im nichtnachlassenden Kampf gegen Neofaschismus und Rechtsextremismus. D as alles sind neue Herausforderungen für die linke Opposition in Deutschland, für die Partei DIE LINKE. Es steht die Frage, ob die Partei auf diese Herausforderungen genügend vorbereitet, ob sie ihnen in ihrer gegenwärtigen Verfasstheit gewachsen ist. Die Debatten um die Wahlergebnisse der letzten Landtagswahlen, insbesondere um das unbefriedigende Ergebnis der LINKEN mit 8 Prozent Stimmenverlust in Brandenburg, haben deutlich gemacht, dass die selbstkritische Sicht auf Ursachen der Wahlergebnisse nicht ausreicht. Eine wirkliche komplexe Analyse der gesellschaftlichen Situation im Land, der Situation in der Wirtschaft, im Bildungswesen, in der Verwaltung, auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Gebiet von Wissenschaft und Kultur, eine wirkliche Analyse der Stimmungen in der Bevölkerung und in der potentiellen Wählerschaft fehlt. Das gilt auch für die Entwicklung und die aktuelle Situation, für das politische Profil und die Aktionsfähigkeit der Partei selber. Ohne eine solide und kontinuierlich zu leistende analytische Arbeit wird es kaum möglich sein, ein linkes Konzept für die Arbeit der Partei generell und insbesondere unter den Bedingungen der Mitverantwortung in einer Landesregierung zu entwickeln, das die Gestaltung linker Politik im Alltag sichert und das sozialistische Profil der Partei DIE LINKE als grundlegende Oppositionskraft in Deutschland deut- Ausgabe 43 Januar 2015 lich sichtbar und für Bürgerinnen und Bürger auch spürbar und zustimmungsfähig macht. Das ist mit Sicherheit kein Problem nur für Brandenburg, sondern gilt für alle Bundesländer und nicht zuletzt für das Wirken als gemeinsame Bundespartei in ganz Deutschland. Die Koalitionsverhandlungen in Brandenburg und Thüringen und deren Ergebnisse machen ein weiteres Problem der Arbeit und der Entwicklung der Partei deutlich: Zweifellos ist es den Vertretern unserer Partei gelungen, eine Vielzahl guter und richtiger Vorschläge und Forderungen zu Fragen der Gestaltung von Wirtschaft, Bildung und Kultur, öffentlichem Nahverkehr, Daseinsvorsorge und generell zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in die Vereinbarungen einzubringen. Das muss in den kommenden Jahren realisiert und über die Medien in der Öffentlichkeit kommuniziert werden. Offen ist aber, wie sich die Partei im Rahmen der Koalition mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowohl im Parlament als auch vor allem im außerparlamentarischen Rahmen als linke sozialistische Partei, die das gesellschaftliche System in Deutschland nicht nur kritisch sieht, sondern sich mit Alternativen im Sinne eines demokratischen Sozialismus profiliert. Nur wenn sie in den kommenden Jahren als linke sozialistische Partei kenntlich ist, kann sie begründet bei den nächsten Wahlen für sich werben und auf Zustimmung hoffen. Beachtet werden muss jedenfalls die Gefahr - das ist eine Lehre aus den vergangenen 5 Jahren Mitregierung in Brandenburg, dass die Partei sich faktisch ausschließlich an der Koalitionsvereinbarung misst. Eine Koalitionsvereinbarung mit ihrem Kompromiss darf die im Parteiprogramm formulierten Ziele nicht unkenntlich werden lassen. Der letzte Maßstab und grundlegende Orientierung für das Wirken der Partei DIE LINKE muss das Erfurter Programm sein und bleiben. Die Partei DIE LINKE kann die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen nur erfolgreich bewältigen, wenn sie sich auf Grundlage des in Erfurt beschlossenen Parteiprogramms als konsequent linke sozialistische Partei weiterentwickelt. Das ist nicht nur ein Problem der Altersstruktur im Osten, der Strukturschwäche in nicht wenigen Landesteilen bzw. des ungenügenden Zustroms junger Kräfte in die Partei. Der Schwung, der mit der Vereinigung von PDS und WASG 2007 die Entwicklung der Partei vorangebracht hat, ist offensichtlich aufgebraucht und hat dem politischen Alltag, darunter nicht zuletzt den Wahlkämpfen und den Kämpfen um parlamentarische Mandate bzw. Mehrheiten Platz gemacht. Hinzu kommen Debatten um politische Orientierungen und unterschiedliche Interpretationen bestimmter Aussagen des Parteiprogramms, z. B. um ein Streben nach linker Mitte im parlamentarischen Raum oder das Suchen nach Bündnissen bzw. Zusammenwirken mit anderen linken Kräften im Land. Aktuelle Geschehnisse wie die von den Thüringer Koalitionsverhandlungen ausgelösten Debatten um das DDR-Bild unserer Partei, Diskussionen um Israel-Kritik und Antisemitismus an Stelle notwendiger Bestrebungen für eine konsequente Zwei-Staaten-Lösung im Sinne der UN oder um Positionsbestimmungen in der Ukraine-Krise verdeutlichen, wie schnell politische Unsicherheiten die Partei von ihrer grundlegenden Orientierung ablenken und ihre politische Handlungsfähigkeit einschränken können. Offensichtlich geht zurzeit ein Riss durch die Mitgliedschaft der Partei. Nicht zu übersehen ist, dass sich die Partei an einem kritischen Punkt ihrer Entwicklung befindet. Nach unserer Meinung brauchen wir ein grundlegendes, auf solide Analysen beruhendes Konzept der Entwicklung der Partei als linke sozialistische Kraft in Deutschland, das ein weiterentwickeltes Ver- 25 ständnis von linkem Pluralismus einschließt und überzeugend charakterisiert, wie sich die Partei ihrer politischen Verantwortung im Land, in den Bundesländern und darüber hinaus in Europa stellt. Der geplante Zukunftskongress im April 2015 könnte einen Beitrag in dieser Richtung leisten. Erforderlich ist dazu aber ein weiterentwickeltes Konzept, das ohne Wenn und Aber das Erfurter Programm zum Ausgangspunkt nimmt und auf seine Verwirklichung gerichtet ist. richten will, muss sie einem gesamtdeutschen Anspruch gerecht werden. Wie kann es eine „innerdeutsche Grenze“ geben, wenn beide als souveräne Staaten 1973 in die Vereinten Nationen aufgenommen wurden. Die Führungskräfte der Partei DIE LINKE sollten ihre Aussagen genauer, kenntnisreicher und geschichtsbewusster abwägen. Juristen wissen, dass es den Begriff „Unrechtsstaat“ nicht gibt. Wenn DIE LINKE sich auf diesen Begriff einlässt, lässt sie sich im Wesen auf die von der herrschenden Elite vorgegebene Es ist nicht zufällig, dass bestimmte historische Ereignisse, insbesondere solche, die mit der Entwicklung der Arbeiterbewegung und den Kämpfen gegen Krieg, Reaktion und Faschismus zusammenhängen, Diskussionen in der Partei auslösen. Das belegt, dass bei aller Orientierung auf praktische Politik von heute das Verhältnis zur Geschichte für viele Parteimitglieder ein zentrales, ihr Verhältnis zur Partei wesentlich mitbestimmendes Thema ist. Und es ist nicht nur ein Thema der älteren Parteimitglieder, sondern auch der Jungen, die sich für das Gewordensein der Partei interessieren und damit ein Bindeglied der Generationen in der Partei. der DDR orientiert. Darüber hinaus belegt jeder Jahresbericht zur Deutschen Einheit im Bundestag die noch immer bestehende reale Ungleichheit. Ein kritischer Umgang mit deutscher Nachkriegsgeschichte ist nur glaubhaft und tragfähig, wenn er die beiden deutschen Staaten erfasst. Einer Erinnerungskultur, die Züge einer Unkultur enthält, darf sich DIE LINKE nicht anpassen. DIE LINKE ist herausgefordert, ihren Beitrag zu leisten. Spätestens auf dem Juni-Parteitag Seit dem Beitritt der DDR zur BRD mit einem Einigungsvertrag und dem Zweiplus-Vier-Vertrag der vier Siegermächte sind 25 Jahre vergangen. Geschichtsklitterung ein. Wie weit dann auch die Kultur der Sprache verloren geht, zeigen vielfältige Bemerkungen zur Regierungsbildung in Thüringen. Die Geschichte beider deutscher Staaten und die Geschichte des vereinten Deutschlands stehen nach 25 Jahren auf der Tagesordnung. Die Bundesrepublik hat sich 1949 mit dem VerSeit dem Beitritt der DDR zur BRD ständnis gegründet, das Deutsche mit einem Einigungsvertrag und Reich ohne wirklichen Bruch mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag der dem Faschismus fortzusetzen. Die vier Siegermächte sind 25 Jahre DDR sah ihre Gründung als Teil vergangen. Beide deutsche Staaten der Entstehung einer antifaschissind Ergebnis deutscher Nachtisch-demokratischen Ordnung. kriegszeit und haben ihre eigene Vereinigt haben sich die beiden Geschichte. Aber noch immer gedeutschen Staaten 1990 im Verben Parlamente und Regierung ständnis der Völkergemeinschaft eine Erinnerungskultur vor, die und der vier Siegermächte als nur den einen Staat, die DDR, begleichberechtigte deutsche Staaten. trifft und zwar negativ. Jedes Erin- Bei dieser Ausrichtung sollte der nern an Leben unter sozialistischen Politikwechsel in Deutschland heuBedingungen, an sozialistisches te ansetzen, da sich in den 25 JahGedankengut, soll diskreditiert ren einer vereinten Bundesrepubwerden. Wenn DIE LINKE ihr Wir- lik Deutschland Staatspolitik noch ken auf einen Politikwechsel ausimmer an der „Delegitimierung“ 2015 hat DIE LINKE ganz in der Tradition von Karl Liebknecht ihr kategorisches „NEIN“ zu Krieg, Rüstungsexport und Auslandseinsätzen klar auszusprechen und immer wieder zu bekräftigen. Die Führungsverantwortung für eine konsequente Opposition im Deutschen Bundestag gegen die immer weiter wirkende konservativ geprägte Politik der Regierung, der jetzigen Großen Koalition, sollte Maßstab für 2017 sein. Welche Farben Landesregierungen auch immer tragen, auch hier wird DIE LINKE nur glaubhaft sein, wenn Opposition im Bund und Mitregieren im Land sich nicht im Gegensatz befinden. Auch solche Überlegungen gehören auf den nächsten Parteitag. 26 Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog marxistische Theorie und sozialistische Politik 04. Dezember 2014 Ältestenrat Der Sonderparteitag im Dezember 1989 - zwischen SED und PDS Der turnusgemäße XII. Parteitag der SED hätte im April 1991 sein sollen. Erich Honecker ließ den Termin um ein Jahr auf den 15. bis 18. Mai 1990 vorverlegen. Berichterstatter: Erich Honecker und Willi Stoph. Nur Optimisten konnten glauben, die Vorverlegung sei der späten Einsicht der Partei-Oberen zu verdanken, dass eine baldige politische Reform nötig ist. Realisten sahen darin die Absicht, unter der Losung „Kontinuität und Erneuerung“ und „Sozialismus in den Farben der DDR“ die Fortsetzung der „bewährten“ Politik unter der alten Führung abzusichern. Es war ein deutliches Zeichen aufbegehrenden Missfallens für Gorbatschows Perestroika und Glasnost, dass der Parteitag der SED terminlich vor den der KPdSU gelegt wurde, der für den Juli 1990 festgesetzt war. Die SED-Führung wollte von der Sowjetunion nicht mehr siegen lernen. Der Weg zum Sonderparteitag verlief äußerst turbulent. Die nachHoneckersche SED-Führung unter Egon Krenz hat sich zunächst beharrlich geweigert, den Forderungen aus der Parteibasis nachzugeben, fünf Monate vor dem regulären Parteitag noch einen außerordentlichen Parteitag durchzuführen. Es war schon ein Zugeständnis, dass das ZK stattdessen für den 15. Dezember 1989 eine Parteikonferenz einberief. Dagegen erhob sich ein massiver Protest in Grund-, Kreis- und Bezirksorganisationen der Partei, die einen Parteitag wollten, da nur dieser, nicht aber eine Parteikonferenz eine neue Führung wählen konnte. Unter diesem Druck blieb dem ZK nichts anderes übrig, als einen außerordentlichen Parteitag zum 15. bis 17. Dezember einzuberufen. Auf der Tagesordnung sollte stehen: Referat des Ausgabe 43 Januar 2015 Generalsekretärs Egon Krenz über die aktuelle Lage und die Aufgaben der Partei, Wahl des Zentralkomitees. Es kam anders. Unter dem Eindruck ständig neuer „Enthüllungen“ in den Medien über Machtmissbrauch und Korruption führender Partei- und Staatsfunktionäre wurden Forderungen nach Rücktritt des neuen Generalsekretärs und seines Politbüros immer lauter und entschiedener. Auf den Kreisdelegiertenkonferenzen, auf denen die Parteitagsdelegierten gewählt wurden, waren diese Forderungen unüberhörbar. Egon Krenz berief zum 3. Dezember eine Sondersitzung des ZK ein, um Auswege aus der entstandenen Lage zu beraten. Auf der vor der Sitzung stattgehabten Beratung des Politbüros mit den neu gewählten 1. Bezirkssekretären verlangten diese ultimativ den geschlossenen Rücktritt nicht nur des Generalsekretärs und des Politbüros, sondern auch des ganzen ZK. Das ZK schloss schnell noch Genossen der alten Führung aus dem ZK und aus der Partei aus, darunter Erich Honecker, Willi Stoph, Horst Sindermann und Erich Mielke (Günter Mittag und Joachim Hermann waren schon ausgeschlossen). Dann trat das ZK zurück ohne dass sich aus seinen Reihen eine Stimme dagegen erhoben hätte. Egon Krenz nannte das später ein würdeloses Auseinanderlaufen. Die Regie für die Vorbereitung des Außerordentlichen Parteitags übernahm ein zeitweiliger Arbeitsausschuss unter Leitung des neuen 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung Erfurt Herbert Kroker. Der erste Beschluss des Arbeitsausschusses war die Einsetzung einer Kommission unter Leitung von Gregor Gysi zur Untersuchung von Verstößen gegen das Parteistatut und gegen die Gesetzlichkeit durch ehemalige und jetzige Funktionäre der SED. Diese Kommission übernahm das Regiment im Hause des ehemaligen ZK. Der Arbeitsausschuss beschloss, „angesichts der bedrohlichen Lage im Lande“ den Beginn des Außerordentlichen Parteitags um eine Woche vorzuverlegen. Am Abend des 8. Dezember 1989 trafen sich über 2.700 Delegierte in der Berliner Dynamo-Sporthalle zur ersten Runde des Außerordentlichen Parteitags. Auflösung oder Erneuerung der Partei? Gegen Forderungen, die Partei aufzulösen, hatte Hans Modrow schon in seiner Eröffnungsrede die Delegierten beschworen: „Lasst uns diese Partei, die sich auf Karl Marx und Friedrich Engels, Wilhelm Liebknecht und August Bebel, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Ernst Thälmann und Rudolf Breitscheid, Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl beruft, lasst diese Partei nicht zerbrechen, nicht untergehen, sondern macht sie sauber und stark.“ Auch Gregor Gysi hatte schon in seiner ersten Parteitagsrede vor einer Auflösung der Partei als „im hohen Maße verantwortungslos“ gewarnt. Nichtsdestotrotz kam gegen Mitternacht der Eklat. Ein Delegierter forderte im Auftrag seiner Genossen die Auflösung der Partei und eine Abstimmung darüber „ob die Partei bestehen bleibt oder nicht“. Die Tagung wurde unterbrochen und nachts um ein Uhr in geschlossener Sitzung fortgesetzt. Hans Modrow hielt eine dramatische Rede, die mit dem beschwörenden Satz endete: „Ich muss hier in aller Verantwortung sagen: Wenn bei der Schärfe des Angriffes auf unser Land dieses 27 Land nicht mehr regierungsfähig bleibt, weil mir, dem Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik, keine Partei zur Seite steht, dann tragen wir alle die Verantwortung dafür, wenn dieses Land untergeht!“ Heinz Vietze, damals 1. Bezirkssekretär der SED Potsdam, schlug nach Abstimmung mit den anderen 1. Bezirkssekretären das weitere Procedere vor: Wahl des Parteivorsitzenden und des Parteivorstands, Fortsetzung des Parteitags in einer Woche und damit Erhalt der Partei. Tagungsleiter Wolfgang Pohl fragte: „Wer dafür ist, dass wir unsere Partei auflösen, den bitte ich um das Kartenzeichen.“ Es wurde keine einzige Karte erhoben. Die Auflösung der Partei war vom Tisch. Sie hätte das Land vollends ins Chaos gestürzt. Die Entscheidung für den Fortbestand der Partei in der Nacht vom 8. zum 9. Dezember 1989 war aus meiner Sicht die historisch bedeutsamste Tat des Außerordentlichen Parteitags. Ohne sie gäbe es heute keine Partei DIE LINKE. Nach einem nervenaufreibenden und nicht immer fairen 14stündigen Marathon ging die erste Runde des Parteitags mit der Wahl zu Ende: Vorsitzender Gregor Gysi, Stellvertreter Hans Modrow, Wolfgang Berghofer, der sechs Wochen später mit seiner Dresdener Entorage die Partei verließ, Wolfgang Pohl, plus 97 weitere Mitglieder des Vorstands, darunter nur 19 Frauen. Die zweite Runde war am 16. Und 17. Dezember. Die Tage vor und bis zum Ende des Parteitags waren voller Dramatik. Am 28. November hatte Bundeskanzler Helmut Kohl sein ZehnPunkte-Programm verkündet, in dem er in Punkt 5 die „Schaffung konföderativer Strukturen“ für „sogar denkbar“ erklärte. Voraussetzung sei „allerdings eine vom Volk legitimierte und demokratisch gewählte Regierung der DDR“. In Punkt 10 wurde die alte Formel von einem „Zustand des Friedens in Europa“ wiederholt, „in dem das 28 deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt“. Das Signal auf baldige „Wiedervereinigung“ unter kapitalistischem Vorzeichen war gesetzt. Die Protestdemonstrationen hielten an, waren aber noch nicht in die Einheits-Euphorie umgeschlagen. Am 29. November war der Vorstand des FDGB zurückgetreten. Die größte Massenorganisation der DDR hatte sich selbst enthauptet. Am 1. Dezember hatte die Volkskammer auf Antrag aller Fraktionen, auch der SED, den Passus von der „Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistischleninistischen Partei“ ohne Debatte aus dem Artikel 1 der Verfassung der DDR gestrichen, nachdem die führende Rolle der SED bereits praktisch verspielt war. Der Passus, wonach die DDR „ein sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern“ ist, den die CDU-Fraktion weg haben wollte, blieb erhalten. Der „Demokratische Block“ der Parteien und Massenorganisationen und die Nationale Front waren in Auflösung begriffen. Am 2. und am 7. Dezember wurden Haftbefehle des Generalstaatsanwalts der DDR gegen acht Mitglieder des Politbüros erlassen und bis auf die gegen Erich Honecker, der krank war und Hermann Axen, der zur Krankenhausbehandlung in Moskau weilte, vollzogen. Am 6. Dezember trat Egon Krenz von seinen Funktionen als Vorsitzender des Staatsrats und des Nationalen Verteidigungsrats zurück. Am 7. Dezember, einen Tag vor Eröffnung des Parteitags, war der Zentrale Runde Tisch unter der Regie von Kirchenfunktionären zum ersten Mal zusammengetreten. Die SED war dort nur noch eine von vielen Teilnehmern. Außer den anderen Volkskammer-Parteien, die ihr Block-Dasein schnell hinter sich gelassen hatten, waren die im September/Oktober gegründeten oppositionellen Vereinigungen Neu -es Forum, Demokratie jetzt, Demokratischer Aufbruch, Initiative Frieden und Menschenrechte, Sozialdemokratische Partei in der DDR marxistische Theorie und sozialistische Politik am Runden Tisch präsent. Das waren allenthalben Frauen und Männer, die - jedenfalls damals und so wie sie das kundtaten – die DDR positiv verändern, aber nicht abschaffen wollten. Die ModrowRegierung war die einzige Institution, die relativ stabil war und die DDR vor dem Versinken im Chaos bewahren konnte. Die Akteure Der Sonderparteitag war von ganz anderer Art als die sterilen und einem vorher festgelegten Drehbuch unterworfenen Parteitage der SED. Es ging überaus lebendig zu. Etwa 300 Mal nahmen Delegierte in Diskussionsbeiträgen, zu Anträgen und mit Bemerkungen das Wort. Ein Glanzpunkt demokratischer Kultur war das jedoch nicht. Streckenweise verlief das Unternehmen chaotisch und in emotional aufgeheizter Atmosphäre. Natürlich zogen Funktionäre vor und hinter den Kulissen Fäden und übten maßgeblichen Einfluss auf die Parteitagsmeinung aus. Nach meiner Wahrnehmung waren das mit Abstand vor allen anderen Gregor Gysi, seine drei Stellvertreter Wolfgang Berghofer, damals noch Oberbürgermeister von Dresden, Hans Modrow und Wolfgang Pohl, dann die Referenten Michael Schumann, Philosophie-Professor an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften PotsdamBabelsberg und Dieter Klein, Politökonomie-Professor an der Humboldt-Universität zu Berlin, auch die neuen Bezirksvorsitzenden der SED-PDS, darunter Roland Claus, Halle und Heinz Vietze, Potsdam und nicht zuletzt Lothar Bisky, Rektor der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam als Vorsitzender der Redaktionskommission des Parteitags, für SED-Verhältnisse junge Leute, der Älteste der Genannten 61, der Jüngste 34. Mitglieder der alten Parteiführung – ob aus Honeckers Zeiten oder aus den Krenz-Wochen – hatten keine Chance, sich zu äußern. Die Tatsache, dass Egon Krenz und kein anderer die Ablösung Honeckers geBulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog wagt hatte, dass unter seiner Leitung erste, wenn auch noch inkonsequente Schritte einer Erneuerung in Partei und Gesellschaft gegangen wurden, dass er den Befehl gegeben hatte, keine Waffengewalt anzuwenden, hat der Parteitag nicht honoriert. Im Gegenteil. Krenz musste als Sündenbock herhalten. Gegen demokratische Spielregeln wurde beschlossen, „nieman -den von der alten Führung hier reden“ zu lassen. Kommentar des Tagungsleiters Berghofer: „Das war eine wichtige Entscheidung.“ Wahrscheinlich hatte er recht. Die Stimmung auf dem Parteitag gegen alles, was nach Honecker`scher Abkunft roch, war so aufgeheizt, zuweilen hasserfüllt, dass jeder Angehörige der ehemaligen Führung erbarmungslos ausgepfiffen worden wäre, was immer er gesagt hätte. Delegierte aus dem Bezirk Dresden hatten beantragt, dass ehemalige Politbüromitglieder das Tagungsgebäude verlassen sollten. Das war dem Tagungsleiter denn doch zu viel. Der von einigen Mitgliedern des zurückgetretenen ZK vorgelegte selbstkritische Bericht „Zu Ursachen der Krise der SED und der Gesellschaft“ und Berichte der Zentralen Parteikontrollkommission und der Zentralen Revisionskommission der SED wurden ohne große Diskussion als nicht den Erwartungen entsprechend zur Kenntnis genommen. Das Aktionsprogramm, das die 10. Tagung des ZK beschlossen hatte, war vergessen, obwohl Eckpunkte daraus in Beschlüssen und Reden auf dem Parteitag auftauchten. Ausländische Gäste waren zum Parteitag nicht eingeladen. Außergewöhnlich: Ein Parteitag der Noch -SED ohne eine Delegation der KPdSU! Michail Gorbatschow hat erst der 2. Runde des Parteitags ein Grußschreiben zukommen lassen, in dem es hieß, die DDR erwerbe „als Staat und als Gesellschaft eine neue Qualität“, ein klares Wort zur Fortexistenz der DDR als souveräner Staat aber fehlte. In der Woche zwischen den zwei ParteitagsrunAusgabe 43 Januar 2015 den hatte es zwei Telefonate zwischen Gorbatschow und Gysi sowie ein Treffen Gysis mit dem Mitglied des Politbüros der KPdSU Jakowlew gegeben. Die Niederschriften lassen aufscheinen, dass in Moskau Pläne zum Aufgeben der DDR zugunsten der BRD weit gediehen waren. Bindende Zusicherungen für die DDR wurden nicht gegeben. Gorbatschow hatte schon auf dem Gipfeltreffen des Warschauer Vertrags am 4. Dezember darüber philosophiert, dass „allmählich eine Verantwortungsgemeinschaft“ der zwei deutschen Staaten entstehe. A uch die Möglichkeit einer Konföderation bedeute nicht die Abschaffung der Existenz der beiden Staaten. Das sei ein „sehr flexibler Gedanke“. Im Telefonat am 10. Dezember fand er in den Reden von Modrow und Gysi besonders den „Kampf um Erhalt der Eigenständigkeit der DDR für beachtenswert, „obwohl man in der Sowjetunion sehe, dass neue Bedingungen entstanden seien, die in nächster Zeit zu beachten seien“. Im Telefonat vom 14. Dezember beruhigte er Gysi, dass er Kohl und anderen westlichen Politikern die sowjetischen Positionen bezüglich „Wiedervereinigungsforderungen sehr deutlich dargelegt habe. Der Hauptgedanke der sowjetischen Position bestehe darin, dass alles nur ein Ergebnis des gesamteuropäischen Prozesses sein dürfe.“ Die Nachtigall trapste hörbar! Was für eine Partei? Die Beschlüsse des Parteitags gingen mit Selbstverständlichkeit davon aus, dass die erneuerte Partei eine marxistische sein würde. Niemand sah im Bekenntnis zum Marxismus einen Widerspruch zu dem anderen Diktum: „Wir brechen unwiderruflich mit dem System des Stalinismus“ über das Michael Schumann eindringlich und ausgewogen referiert hat. Dass dieser Bruch notwendig und endgültig ist, war die einhellige Position des Parteitags. Die scharfe Kritik am Stalinismus mündete bei Schumann keineswegs in ein allgemeines Verdammungsurteil der DDR. Das Referat von Michael Schumann wurde einstimmig als Arbeitsgrundlage bestätigt. Im Dokument „Für die DDR – für demokratischen Sozialismus“ und im Beschluss „Zu den nächsten Aufgaben der SED/PDS“ hieß es, die Partei „führt das Werk von Marx, Engels und Lenin fort“. Dieter Klein, der über das Herangehen an die Ausarbeitung eines neuen Parteiprogramms referierte, hielt die Marxsche Theorie „als dialektisch-materialistische und historische Denkweise glänzend für vorurteilslose Analysen und entwicklungsoffene Wissenschaft geeignet“. „Ewige Wahrheiten in Form eines fertigen Systems des Marxismus-Leninismus, die gibt es nicht, aber es gibt ein Weiterdenken mit der Denkstruktur von Marx, Engels und Lenin über ihre Zeit hinaus, und das ist unser Denken.“ Das neue Statut begann mit dem Satz: „Die Partei ist eine marxistische sozialistische Partei.“ Die nächsten Sätze lauteten: „Die Partei stützt sich auf die Traditionen und das theoretische Erbe der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung. Ihre Hauptwuzeln liegen in der kommunistischen und sozialdemokratischen Arbeiterbewegung sowie auch in sozialistischen, antifaschistischen, pazifistischen und internationalen linken Traditionen, besonders denen Lenins. Theoretische Grundlage der Partei ist der Marxismus. Sie verarbeitet schöpferisch alle theoretischen und konzeptionellen Impulse anderer theoretischen und konzeptionellen Impulse anderer geistiger und politischer Strömungen, die der Entfaltung der Persönlichkeit in der sozialistischen Gesellschaft und der Sicherung des Überlebens der Menschheit dienen. Sie stützt sich in ihrer Politik auf moderne Gesellschaftswissenschaften. Die Partei tritt für eine Gesellschaft ein, in der die freie Entwicklung 29 eines jeden die Bedingung für die Freiheit aller ist.“ Im Statut war die organisatorische Verankerung der Partei in Betrieben, Genossenschaften und Einrichtungen noch nicht aufgegeben. „Einheitliches Handeln der Mitglieder für die Verwirklichung mehrheitlich gefasster Beschlüsse“ war gefordert. Das an sich konfliktträchtige Thema des Namens der erneuerten Partei ging in geschlossener Sitzung dank Gysis diplomatischen Geschicks problemlos über die Bühne. Angesichts dessen, dass es um existentielle Fragen, „auch wirklich um Fragen der Erhaltung des Friedens“ geht, dürfen wir uns „an der Frage des Namens nicht spalten. Dazu haben wir nicht das Recht.“ Aber viele Genossen würden meinen, „zu einem wirklichen Neuanfang gehört auch ein neuer Name“. Der salomonische Kompromissvorschlag Gysis, wir nennen uns vorläufig SED-PDS, wurde ohne Diskussion mit 2.434 gegen 172 Stimmen bei 39 Enthaltungen angenommen. Schon am 4. Februar 1990 beschloss der Parteivorstand, den Namensteil „Sozialistische Einheitspartei Deutschlands“ zu streichen. 30 Unser Land Für die Delegierten des Parteitags war die Vereinigung der zwei deutschen Staaten – auf welchem Weg auch immer – kein Thema. Hans Modrow meinte in seiner Eröffnungsrede, eine Vereinigung von DDR und BRD sei keine Frage der aktuellen Politik und plädierte für eine Vertragsgemeinschaft zwischen beiden souveränen deutschen Staaten. „Unsere erste Aufgabe wird darin bestehen, dieses Land zu bewahren“. Der Parteitag ging auch davon aus, dass der Sozialismus nicht abgeschafft, sondern erneuert werden würde und könnte. Das war auf dem Parteitag bei allem sonstigen Streit selbstverständlicher Konsens. Die Grundsatzrede von Gregor Gysi am letzten Beratungstag war geradezu „staatstragend“ im Sinne eines allseitigen Vorschlags von Schritten für die Neugestaltung sozialistischer Staats-, Rechts-, Wirtschaftsund Gesellschaftsverhältnisse in fortbestehender Eigenständigkeit und Eigenstaatlichkeit der DDR. Die Rede wurde mit sehr viel Zwischenbeifall bedacht und ohne Diskussion als Arbeitsgrundlage angenommen. Man mag das – zu- marxistische Theorie und sozialistische Politik mal nach der Öffnung der Grenze vier Wochen vorher und dem erkennbaren Fallengelassen-Werden durch den „Großen Bruder“– für eklatanten Realitätsverlust halten. Nicht dass die tödliche Gefahr des Aufgefressen-Werdens der DDR durch die BRD nicht erkannt worden wäre. Aber es herrschte die Entschlossenheit vor, für die Fortexistenz unseres Landes zu kämpfen. Dass das eine Illusion war, mindert in meinen Augen nicht im Mindesten die historische Berechtigung des damaligen Ringens um Erhalt und Erneuerung einer sozialistischen DDR. Mit dem so schnellen Ende der DDR hatte im Übrigen im Dezember 1989 kaum jemand in Ost und West gerechnet. Sechs Wochen später hatte sich das Thema „Gestaltung des demokratischen Sozialismus in der DDR“ erledigt. Gregor Schirmer Mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion „Neues Deutschland“ Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog Gelungener Jahresauftakt für AntikapitalistInnen Bericht von der AKL-Bundesmit- zung von möglichen fortschrittli- nächst Michael Aggelidis vom gliederversammlung am 11. Januar chen Maßnahmen rot-grüner Regie- NRW-Landesvorstand. Er plädierte rungen anbieten könne. Das gelte ausdrücklich dafür, positiv an dem in Berlin Mit 130 Mitgliedern und sieben Gästen war die Bundesversammlung der Antikapitalistischen Linken (AKL) zum Jahresauftakt deutlich besser als erwartet besucht. Wer zu spät von der Luxemburg/ Liebknecht- Gedenkdemonstration in die benachbarte „Kiezspinne“ in Berlin- Lichtenberg kam, fand keine freien Stühle mehr. Göttingen Die AKL hat sich durch sehr konstruktive Diskussionen über die umstrittene Regierungsfrage, über Antworten auf ausländerfeindliche Aufmärsche und den Wahlkampf in Griechenland für die politischen Herausforderungen in der LINKEN gut aufgestellt. Regierungsfrage Viele TeilnehmerInnen hatten zuvor an der Gedenkdemonstration und am Vortag an der „junge-Welt“Konferenz für Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht teilgenommen, um die marxistischen Ideen dieser Vorkämpfer der deutschen Arbeiterbewegung wach zu halten. Die Kritik von Rosa Luxemburg am Eintritt von SozialistInnen in bürgerliche Regierungen stand auch im Hintergrund der Debatten über die Frage, ob und unter welchen Bedingungen sich DIE LINKE an solchen Regierungen beteiligen kann. Sascha Stanicic eröffnete diesen Tagesordnungspunkt, für den ein umfangreicher Reader und ein neuer Diskussionsbeitrag von Ekkehard Lieberam vorlagen, mit einem von drei kurzen Referaten, in dem er sich grundsätzlich gegen Koalitionen der LINKEN mit Kriegsund Kürzungsparteien aussprach, auch wenn sie bei der Präsentation dieser Haltung auf Illusionen in der Bevölkerung Rücksicht nehmen und eine EinzelfallunterstütAusgabe 43 Januar 2015 auch für Thüringen: Wenn DIE LINKE mit einem sozialistischen Regierungsprogramm angetreten wäre und Forderungen wie ein Nein zur Schuldenbremse, Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnund Personalausgleich für die Landesbeschäftigten, öffentliche Investitionsprogramme und die Auflösung des Verfassungsschutzes u.ä. aufgestellt hätte, wären SPD und Grüne sicher nicht einmal zu Sondierungsgesprächen erschienen. Thies Gleiss referierte eine Mittelposition in der AKL: Zwar gäbe es kein „linkes Lager“; und mit SPD und Grünen seien antikapitalistische Forderungen objektiv nicht durchsetzbar. Dies habe sich auch in Brandenburg und Thüringen schon wieder bestätigt. Trotzdem dürfe DIE LINKE solche Bündnisse nicht prinzipiell ausschließen, sondern müsse das jeweils neu am konkreten Beispiel untermauern. Es sei jedenfalls gut, dass Ramelow die Chance genutzt habe. Alle Mitglieder der LINKEN seien sich immerhin darin einig, dass wir keine neue SPD bräuchten. Auch Christian Leye aus Bochum erklärte in seinem Input für den erkrankten Wolfgang Zimmermann, dass zwar alle AKLMitglieder im Grundsatz eine Koalition mit SPD und Grünen ablehnen würden, dass aber diese Position in der Partei nicht mehrheitsfähig sei und deshalb nur durch die Verteidigung der roten Haltelinien vermittelt werden könne. Die AKL solle eine Regierungszusammenarbeit deshalb von schärfer formulierten Bedingungen (zum Beispiel ein Nein zur Schuldenbremse) abhängig machen und sie damit indirekt blockieren, anstatt sie offen abzulehnen. Ähnlich äußerte sich dann in der kontrovers, aber sehr solidarisch geführten Plenumsdebatte zu- jüngsten Vorschlag vom Fraktionsvorsitzenden der LINKEN im Bundestag, Gregor Gysi, anzuknüpfen, der Führung von SPD und Grünen jetzt Gespräche über eine rot-rotgrüne Bundesregierung anzubieten. AKL-VertreterInnen sollten sich daran beteiligen, um konkret zu beweisen, dass mit ihnen kein wirk -licher Politikwechsel (zum Beispiel in der Umweltpolitik) möglich sei. Karin Binder, Bundestagsabgeordnete aus Ba.-Württemberg meinte, dass man die Regierung von Ramelow in Thüringen zunächst unterstützen müsse, um den angekündigten Politikwechsel nicht ausgerechnet an der LINKEN scheitern zu lassen. Andere RednerInnen entgegneten, dass ein Politikwechsel mit Hartzund Kürzungsparteien und auf der Grundlage der Schuldenbremse gar nicht möglich sei und dass die roten Haltelinien des Erfurter Programms in den Koalitionsvereinbarungen auch keine Rolle gespielt hätten. Die gebrochenen Versprechungen hätten der LINKEN insbesondere in den außerparlamentarischen Bewegungen geschadet und sie gerade unter den wahlmüden Opfern des Systems unglaubwürdig gemacht. Landesregierungen unter Beteiligung der LINKEN seien deshalb kein „Exportschlager“, wie das von der Parteivorsitzenden Katja Kipping bezeichnet wurde, sondern im Gegenteil eine Belastung für den Aufbau der LINKEN als Systemalternative. DIE LINKE könne sich nur gemeinsam mit anderen systemkritischen Parteien an Regierungen beteiligen, wenn sie sich dabei – wie aktuell in Griechenland - auf eine breite Mobilisierung der Bevölkerung stützen könne. Wenn das die Überzeugung der AKL sei, dann müssten solche Wahrheiten auch dann offen ausge31 sprochen werden, wenn sie noch unbequem und erklärungsbedürftig bleiben. Immer wieder wurde in der Diskussion geäußert, dass die roten Haltelinien nicht ausreichen würden. Alle RednerInnen und die Bundesversammlung insgesamt bestätigten in der Debatte die gemeinsame Positionierung des AKL-Gründungsaufrufs, demzufolge die „Veränderung der gesellschaftlichen Machtund Eigentumsverhältnisse nicht über Regierungskoalitionen mit bürgerlichen Parteien (…) erzeugt werden kann“, auch wenn es weiterhin unterschiedliche Akzente in der öffentlichen Präsentation dieser Haltung gibt. AKL-Strategie und PEGIDA-Aufmärsche Den zweiten Tagesordnungspunkt zu den aktuellen Aufgaben der AKL leitete Jürgen Aust (vom Landesverband NRW) auf der Grundlage seines Papiers „AKL 2015“ ein. Darin befürwortet er eine Konferenz zum „Friedenswinter“. Unter anderem begründete er das damit, dass das Forum Demokratischer Sozialismus (FDS) rechtslastige Wortführer von sogenannten „Mahnwachen“ zur Diskreditierung friedenspolitischer Grund -sätze und Kampagnen der Partei zu benutzen versuche. Außerdem solle sich die AKL an der Kampagne gegen prekäre Arbeitsverhältnisse, an der Vorbereitung des „Zukunftskongresses“ und am Kampf gegen das Gesetz zur Tarifeinheit beteiligen. Anschließend berichtete Heidrun Dittrich über den Tarifkampf bei den Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst. In diesem Zusammenhang stellte Lucy Redler, die gemeinsam mit Sylvia Gabelmann die Tagungsleitung übernommen hatte, eine Resolution zu den PEGIDA-Aufmärschen vor, die im Plenum für sehr engagierte Debatten sorgte. Darin soll die Mobilisierung zu Gegendemonstrationen und Blockaden mit dem Kampf gegen die sozialen Ursachen und wirklichen Verantwortlichen für Fremden- und Islam32 feindlichkeit verbunden werden. Zudem soll die Heuchelei der „Kritik“ seitens der Regierungsparteien an den Organisatoren dieser Aufmärsche und an der AfD aufgezeigt werden. Anders als von der Parteiführung befürwortet, sollen bürgerliche Parteien nicht als Bündnispartner bei Gegendemonstrationen betrachtet werden. Anträge auf Streichung dieser Passagen der Resolution wurden damit begründet, dass Gegendemonstrationen durch möglichst breite Bündnisse einschließlich der bürgerlichen Parteien getragen werden sollten, während andere Mitglieder betonten, dass Sozialabbau und Rassismus von oben den jüngsten Entwicklungen erst den Boden bereitet hätten. Diese Position erhielt in Tendenzabstimmungen eine knappe Mehrheit, nachdem die Bundestagsabgeordnete Inge Höger ihre Streichungsanträge zum Teil zurückgezogen hatte und Lucy Redler mit einer Überarbeitung der Resolution durch den BundessprecherInnenrat einverstanden war. Die Bundesversammlung bekräftigte in der Diskussion die Stellungnahmen von BundessprecherInnenrat und Länderrat zur FDSKampagne gegen den vermeintlichen Antisemitismus sowie gegen angebliche Querfrontbestrebungen im linken Parteiflügel. Auch wenn diese Fragen nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Eingreifens stehen werden, soll eine Arbeitsgruppe um Jürgen Aust eine Konferenz zur Debatte über den „Friedenswinter“ vorbereiten. Griechenland Immer wieder in der Debatte wurde auf die anstehenden Wahlen in Griechenland und die Chance für Syriza, die Regierung zu übernehmen, Bezug genommen, unter anderem von dem Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko und Michael Aggelidis. Andrej berichtete, dass die Absage von Syriza an Regierungskoalitionen mit der sozialdemokratischen PASOK erst deren marxistische Theorie und sozialistische Politik Aufschwung zur stärksten Partei in Griechenland ermöglicht habe, während die Abspaltung Dimar aufgrund ihres Eintritts in die von der konservativen ND geführte Regierungskoalition 2012 mittlerweise bedeutungslos geworden sei. Syriza müsse gegen die Erpressungskampagnen insbesondere der deutschen Regierung unterstützt werden, weil ein Syriza-Erfolg der Austeritätspolitik in ganz Europa einen schweren Schlag versetzen und massive Reaktionen des Kapitals und der Europäischen Union hervorrufen würde. Zudem wurde ein Resolutionvorschlag von Inge Höger zur Solidarität mit Syriza im griechischen Wahlkampf behandelt. Torsten Sting aus Rostock schlug vor, die Aufgabe einer Syriza-Regierung, mit den Eigentumsverhältnissen zu brechen, in die Resolution aufzunehmen, die vom BundessprecherInnenrat überarbeitet werden soll. Die Resolution wurde einstimmig verabschiedet. Fazit Die Mitgliederversammlung konnte nach vier Stunden sehr diszipliniert und in freundschaftlicher Atmosphäre geführter Debatten trotz der umfangreichen Tagesordnung, der Behandlung von Anträgen und vielen Plenumsbeiträgen pünktlich um 17 Uhr von der Tagungsleitung beendet werden. Die Antikapitalistische Linke hat gezeigt, dass inhaltliche Kontroversen und gemeinsames, zielorientiertes Handeln kein Widerspruch sein müssen. Die AKL stand im letzten Jahr stark unter Beschuss. Mit ihrem Jahresauftakt in Berlin können AntikapitalistInnen in der LINKEN zusammen mit anderen Mitgliedern des linken Parteiflügels nun eine Gegenoffensive einleiten. Heino Berg Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog Solidarität mit Syriza - Für ein Ende der Austeritätspolitik in Griechenland und Europa Die Wahlen in Griechenland sind eine Chance für einen Kurswechsel im Land, weg von der Umsetzung der Troikapolitik. Die griechische Bevölkerung hat nun die Möglichkeit, dem neoliberalen Austeritätsspuk ein Ende zu machen. Die Austeritätspolitik von Merkel und Co. hat das Land verwüstet und zu massiver Armut und Ausgrenzung eines großen Teils der Bevölkerung geführt. Nun kann in einem der von der Krise am stärksten betroffenen Länder eine Regierung gewählt werden, die Alternativen zu den aufgezwungenen Einsparprogrammen der Troika durchsetzen will. Es gibt Alternativen zu der angeblich alternativlosen Politik der EU und nicht diese Alternativen destabilisieren sondern die Politik zur Rettung von Banken und Konzernen. Die Linkspartei Syriza hat ein Wahlprogramm beschlossen, in dem der „Logik der unrealistischen primären Haushaltsüberschüsse“ eine Absage erteilt wird. Das Programm sieht eine „Übereinkunft auf Werkzeuge für ein Wirtschaftswachstum“ vor, von dem alle Bürgerinnen profitieren sollen. In Verhandlungen innerhalb der europäischen Union und der europäischen Institutionen soll über die Bedienung der griechischen Schulden neu entschieden werden. Dabei strebt Syriza die Streichung des größten Teils der Schulden und die Rückzahlung des Restes abhängig vom Wirtschaftswachstum des Lan-des an. Ein möglicher Sieg von SYRIZA bei den kommenden Wahlen in Griechenland gibt Hoffnung auf einen möglichen Richtungswechsel der Politik in Europa. Ein anderes soziales, friedliches, ökologisches und demokratisches Europa erscheint möglich. Auch wenn die Schwierigkeiten der Umsetzung des Wahlprogrammes erst nach der Wahl beginnen werden. Schon jetzt werden Drohungen und Druck von Seiten der Staats- und Regierungschefs der EU, der Troika und der Finanzinstitutionen ausgeübt, um die Wahl der grie- Ausgabe 43 Januar 2015 chischen Bevölkerung zu beeinflusDie eigentliche Aufgabe liegt aber sen. Das ist inakzeptabel. vor Syriza, sollte die Partei nach den Glaubt man den Erklärungen aus den Wahlen die stärkste Partei werden. Reihen der Athener Regierungskoali- Dann geht es darum, das tion, dann „drohe Griechenland das Wahlprogramm umzusetzen. Schritte, Chaos“, sollte Syriza als Siegerin aus wie kostenlose Energie- und Gesundden Parlamentswahlen hervorgehen. heitsversorgung für bedürftige FamiVor einer „irreparablen Schädigung lien, ein Wohnraumprogramm und der griechischen Wirtschaft“ auf- die Erhöhung des Mindestlohnes kratzen noch nicht an den kapitalistigrund der entstandenen „politischen Instabili- schen Eigentumsverhältnissen. Aber tät“, warnte Yiannis Stournaras, Prä- Syriza wird es mit der versammelten sident der griechischen Zentralbank Wirtschaftsmacht im Euroraum zu und bis Mai 2014 Finanzminister in tun bekommen, die keine Änderung der Regierung Samaras. Unterstützt der bestehenden Verhältnisse wolwird die Angstkampagne vor einem len. möglichen Regierungswechsel durch ranghohe EU-Funktionäre, wie den Die griechische Bevölkerung brau-cht Präsidenten der Europäischen Kom- bei der Wahrnehmung ihrer demomission, Jean-Claude Juncker. In kratischen Rechte keine ungebeteBrüssel sehe man lieber „vertraute nen Ratschläge von außen, vor allem Gesichter“ in einer zukünftigen grie- keine Drohungen durch die wirtschaftlich Mächtigen und durch Rechischen Regierung. Auch führende deutsche Regierungs- gierungsvertreter aus anderen europolitiker und die Mehrzahl der Medi- päischen Staaten. en beteiligen sich, wie schon während des Wahlkampfes im Frühsom- Wir lehnen die Vorstellung der Bunmer 2012, an dieser Kampagne. Ihre deskanzlerin Merkel von einer Botschaft an die griechischen Wäh- „marktkonformen Demokratie“ ab, ler*innen lautet: Ihr werdet einen nach der ganz Europa funktionieren hohen Preis für eine Wahlentschei- soll. Dem Recht des Stärkeren und dung zu Gunsten der Linken zu zah- der Märkte setzen wir die Solidarität len haben. Die Märkte und das übri- der „Schwachen“, der arbeitenden ge Europa – darunter verstehen sie und erwerbslosen Bevölkerungen in deren Regierungen – werden euch Europa entgegen. das Vertrauen entziehen und Griechenland in eine noch größere wirt- Wir werden der Hetze durch Medien schaftliche Depression stürzen. Die und Politiker in Deutschland entgeDrohkulisse ist aufgebaut; ob sie die gentreten, die das Ziel verfolgen, beabsichtigte Wirkung bei den Wäh- diese Zustände aufrecht zu erhalten und werden der griechischen Bevöllern hervorruft, bleibt offen. Denn die letzten zweieinhalb Jahre kerung solidarisch zur Seite stehen! der bedingungslosen Umsetzung der Spardiktate durch die Athener Regie- Wir unterstützen überall in Europa rung haben eine wirtschaftlich, sozial diejenigen, die für eine Veränderung und humanitär zerrüttete Gesell- der politischen Kräfteverhältnisse, schaft hinterlassen. Demokratische für einen wirklichen Politikwechsel Verfahrensweisen und Regeln sind dämpfen, die gemeinsam mit der diesem Prozess zum Opfer gefallen. griechischen Bevölkerung ein soziaDie Bevölkerung hat bei Neuwahlen les, ökologisches, friedliches und die Chance, die für diese Entwick- demokratisches Europa aufbauen lung mit verantwortlichen Politiker wollen! und Parteien in Griechenland abzuAKL-Erklärung (Inge Höger) wählen. 33 Leserzuschrift für das Bulletin des „Geraer Sozialistischer Dialog“ Offenbarungseid der Linkspartei Thüringens SPD-Führung hatte von Anfang an klargestellt, dass sie zu inhaltlichen Gesprächen über eine gemeinsame Regierung unter einem Ministerpräsidenten der Linkspartei erst dann bereit sei, wenn diese die DDR als ein Unrechtsregime von Beginn an erkläre. Thüringens Linkspartei hat diese sozialdemokratische Vorbedingung akzeptiert. Ein erstes Geschenk, um den Status des Anwärters für die Aufnahme in den erlauchten Kreis der staatstragenden Parteien zu erreichen? Politiker einer sozialistischen Partei – eine solche zu sein wird von ihr durchaus behauptet - haben sich also hinter einen in den politischen Wissenschaften sehr umstrittenen antikommunistischen Kampf -begriff des gesamten rechten und konservativen Spektrums zu Eigen gemacht. Obwohl zwischen den Sachverhalten, die hier von der SPD zusammengebunden worden waren – DDR ein Unrechtsstaat und eine Landesregierung unter einem Ministerpräsidenten der Linkspartei – kein plausibler Zusammenhang besteht. Diese Vorbedingung der SPD war eindeutig auf Demütigung der gesamten Linkspartei angelegt. Wird dies von den Parteimitgliedern der östlichen Bundesländer anders gesehen? Hätten die gesagt, unterschreibt das mal, das geht schon in Ordnung? Für eine Partei des Demokratischen Sozialismus ist eine für diese Entscheidung verbindliche Mitgliederbefragung eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Doch auch hier unterscheidet sich diese Partei nicht von den bürgerlichen Parteien. Die Angst vor der Basis ist auch bei der Linken zu Hause. Was sollten Parteien, bei der die Führungen keine eigenen Interessen verfolgen, davon abhalten, wichtige, grundlegende Fragen den Mitgliedern vorzulegen? Gewiss, falsche Entschei34 dungen können auch die Mitglieder treffen. Aber es ist ein großer Unterschied, ob Mitglieder oder Vorstände sich irren. Der Irrtum einer Mehrheit ist etwas anderes als der einer Minderheit; weil bei einer falschen Minderheitsentscheidung offen ist, ob es sich überhaupt um einen Irrtum – d. h. eine Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen – handelt oder ob von vornherein subjektive Interessen im Spiel waren. Mich interessiert, was Menschen, die Mitglieder einer Partei des Demokratischen Sozialismus sind und die damit immerhin als Sozialisten, wenn auch nicht als Kommunisten anzusehen sind, veranlasst, so zu handeln. Können Sozialisten gleichzeitig Antikommunisten sein? Doch wohl nicht! Sozialisten können wohl Nicht-Kommunisten sein, aber keine Antikommunisten! Der Unterschied zwischen einem NichtKommunisten und einem Antikommunisten ist ein gewaltiger. Nichtkommunistische Sozialisten haben klar benannte Vorbehalte gegen Kommunismus, die sie nicht beliebig handhaben und deshalb die Distanz zu Sozialdemokratismus, Faschismus und Kapitalismus prinzipiell unüberwindbar macht, nicht aber die zum Kommunismus. Ich verstehe mich als Kommunist! Damit mochte ich meine größtmögliche Distanz zu den herrschenden Verhältnissen zum Ausdruck bringen. Die Herstellung dieser Distanz sehen die Herren und Damen um Herrn Ramelow nach ihrem Sozialismusverständnis wohl nicht als notwendig an. Bei ihnen scheint eher das gegenteilige Bedürfnis zu bestehen. Das Unrechtsstaats-Ansinnen der SPD hätte als eine Steilvorlage zu einem Gegenangriff genutzt werden können. Da freuen wir uns aber, dass ihr in die Koalitionsverhandlungen etwas einbringt, was mit dem Koalitionsprojekt nichts marxistische Theorie und sozialistische Politik zu tun hat, hätte ich erwidert. Wir haben nämlich auch ein ähnliches historisches Anliegen. Die SPD hat in der Novemberrevolution 1918/19 im Bündnis mit den reaktionärsten Kräften des Kaiserreiches, den Freicorps, die zu den ersten Protagonisten des Nationalsozialismus gehörten, die Revolution blutig niedergeschlagen, und damit verhindert, die feudalen und kapitalistischen Eliten zu entmachten. Das Dritte Reich und vielleicht auch der II. Weltkrieg wäre der Welt damit erspart geblieben. Tausende von Arbeitern und Arbeiterinnen, davon auch viele Mitglieder eurer Partei sind auf den Straße und Häusern Berlins regelrecht hingerichtet worden. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden mit Wissen und wohlwollender Duldung der Herren Ebert, Scheidemann und Noske von einer Freicorps-Einheit ermordet. Dazu hat die Partei sich bis heute nicht bekannt, obwohl die Geschichtswissenschaft dies seit langem nachgewiesen hat. Das könnt ihr in diesem Zusammenhang nachholen und Euer Bedauern zum Ausdruck bringen. Das wäre auch deshalb wichtig gewesen, weil in diesem Zusammenhang auch hätte deutlich gemacht werden können, dass der Sozialdemokratismus der Novemberrevolution eine historische Konstante ist. Bei den Reichspräsidentenwahlen 1932 hat die SPD keinen eigenen Kandidaten aufgestellt, sondern ihren Wählern, um Hitler zu verhindern, empfohlen, Hindenburg zu wählen. Die KPD hatte Thälmann aufgestellt und die Parole formuliert „Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler. Und wer Hitler wählt, wählt den Krieg!“ Sie haben Hindenburg gewählt und haben Hitler bekommen und mit ihm auch den Krieg. Wieder nur ein verzeihlicher Irrtum? Nach dem Krieg kein Eingeständnis ihren Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog „Irrtums“, sondern purer Antikommunismus. Kein Antifaschismus! Der sich darin hätte ausdrücken müssen, dass die SPD alles hätte tun müssen, um zu verhindern, die Kommunisten schon Anfang der fünfziger Jahren vor Gerichten wieder den in ihren Ämtern verbliebenen oder zurückgekehrten Richtern und Staatsanwälten der Nazizeit gegenüber saßen, dass GestapoLeute die Geheimdienste, Nazigeneräle die Bundeswehr der jungen Bundesrepublik aufbauten. Bis heute ist die sozialdemokratische Präsenz bei antifaschistischen Demonstrationen nicht wahrnehmbar. Ist es übertrieben zu sagen, durch die sozialdemokratische Übernahme des nationalsozialistischen Antikommunismus steht diese Partei dem Nationalsozialismus näher als dem Sozialismus? Müsste es nicht ein primäres Anliegen der Partei DIE LINKE sein, den notorisch reaktionären Charakter sozialdemokratischer Politik offen zu legen, statt sich deren ebensolche Ansinnen - ich nenne nur die Stichwörter Mauerbau, Zwangsver- einigung und Unrechtsstaat – zu beugen? Meine Antwort ist: Was auch immer in der DDR falsch gemacht worden ist und Unrecht war und was auch immer wir zu bedauern haben, bei euch haben wir uns für nichts zu entschuldigen! Basta! Valentin Prohacek Mitglied werden/werben: Hiermit erkläre ich als Mitglied der Partei DIE LINKE meine Zugehörigkeit zum bundesweiten Zusammenschluss Geraer Sozialistischer Dialog. Sollte ich zu irgendeinem Zeitpunkt die Partei DIE LINKE verlassen, so werde ich den SprecherInnenrat des Geraer Sozialistischer Dialog darüber in Kenntnis setzen. Name: Vorname: Wohnanschrift: Geburtsdatum: Bundesland: Datum: Unterschrift: Bitte an die folgende Kontaktadresse senden: Jochen Traut, Robert-Koch-Straße 25, 98527 Suhl per E-Mail an [email protected] per Fax an (03681) 35 11 76 Ausgabe 43 Januar 2015 35 Schuld und Sühne: Der 8. Mai 1945 – Ein der „Tag der Befreiung“? Ralph Giordanos Buch „Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein“ im Kontext der bevorstehenden Gedenkaktivitäten zum 70. Jahrestag der Kapitulation Deutschlands und der Befreiung vom Faschismus mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa. Zunächst gilt es festzustellen, dass die Länder, die das faschistische deutsche Hitlerregime mit seiner Kriegsmaschinerie und seinen menschenverachtende Übergriffen brutal unterworfen hatte, mit der Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945 von diesem expansiven Herrschaftsanspruch befreit wurden. Befreit war dann auch das europäische Judentum, soweit es die an ihm industriell und systematisch betriebene Vernichtung durch den deutschen NS-Staat hatte überleben können, vom Vernichtungswillen der faschistischen Herrenrasse. Befreit waren sicher auch die wenigen Überlebenden in den zahlreichen Zwangsarbeiter- und Gefangenenlagern, in den Konzentrationslagern und Todesfabriken und die politischen Häftlinge in den Zuchthäusern, unter ihnen KommunistInnen, SozialdemokratInnen, SchriftstellerInnen, KünstlerInnen und andere Regimekritiker. Mit dem Blick auf die Geschichte politischer Systeme, lässt sich der 8. Mai 1945 – objektiv betrachtet – auch als Tag der Befreiung für die deutsche Gesellschaft kennzeichnen, denn sie war 36 von ihrem faschistischen und rassistischen Staatswesen befreit. Denkt man allerdings an die Realität der Subjekte, an die im Dritten Reich lebenden und handelnden Deutschen in ihrer Mehrheit, dann verschleiert der Begriff „Befreiung“ die historische Realität. Er verdeckt unangenehme Wahrheiten und Wirklichkeiten und wirkt somit auf fragwürdige Weise wie eine Selbstentlastung. Durch sie aber werden bis in die Gegenwart hinein Legenden am Leben erhalten und zelebriert, die quasi bereits unmittelbar mit dem Kriegsende 1945 quer durch die deutsche Gesellschaft beliebt waren. Etwa die von der „kleine Clique von Politkriminellen“, die sich ab 1933 „das marxistische Theorie und sozialistische Politik deutsche Volk unterworfen“ hätten und „im deutschen Namen“ Unheil über die Welt und dann über Deutschland selbst gebracht habe. Gewiss ist die Geschichtsverfälschung des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkrieges inzwischen durch historische Forschungen und Dokumentationen vielfach widerlegt. Dennoch hält sich dieses Geschichtsbewusstsein wie ein zäher Kaugummi und wird dabei zudem auch medial durch zahlreiche TV-Dokumentationen und Buchveröffentlichungen unterstützt, wenn fokussiert von den „deutschen Opfern, Bombardierten und Vertriebenen“ berichtet und erzählt wird. Es gibt in der aktuellen deutschen Gesellschaft ja nicht nur eine neonazistische Version eines solchen Bewusstseins, sondern auch eine, die als verfassungskonform gilt, in der das „deutsche Schicksal“ von 1933 bis 1945 als Werk von „Gewalthabern und Verführern“ gedeutet wird – eine Lesart die mit dem neuen deutschen Imperialismus und Patriotismus gut vereinbar ist. Wirft man wiederum auf der anderen Seite einen Blick auf die Koalition der „Befreier“, so empfiehlt sich auch hier eine realistische Sicht auf die Geschichte. Die Allianz der Westmächte und der Sowjetunion führte den Krieg gegen Hitler Deutschland nicht etwa zur Befreiung Deutschlands, sondern vielmehr um dessen Aggression ein für allemal zu beenden. Zudem wurden auch die imperialen Ziele im Konflikt der Westmächte und der Sowjetunion wirksam. Es war ein Zweckbündnis auf Zeit, es betraf nicht primär den Umgang mit dem deutschen Faschismus nach dem Sieg. Aus diesem Grunde konnten sich insbesondere in Westdeutschland nach Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog Kriegsende sowohl ideologische Fragmente wie auch handelnde Personen aus Industrie, Banken, Wehrmacht und Verwaltungsapparat des faschistischen Deutschland wieder etablieren, so dass sich viele Linien der Kontinuität zwischen den gesellschaftlichen Strukturen im Deutschen Reich vor 1945 und in Westdeutschland nach 1945, mit Folgen bis in die Gegenwart ergeben. Mentalitätsgeschichtlich und in der gesellschaftlichen Realität muss daher – auch heute 70 Jahre seiner Niederschlagung – immer noch eine Befreiung vom faschistischen Erbe nachgeholt werden. Und nach wie vor ist die Anfälligkeit für faschistische Denkweisen und Praktiken akut und auch kein deutsches Spezifikum, wie der europaweit zunehmende Rechtspopulismus oder die offene faschistische Agitation in der Ukraine belegen. Was allerdings bleibt und mit uns und unserer Geschichte verbunden ist, das ist rassistische Ausrichtung und das Ausmaß der Staatsverbrechen im deutschen Faschismus. Gerade mit der Aufarbeitung des Faschismus und seiner Verbrechen im Namen Deutschlands hat sich der kürzlich im Alter von 90 Jahren verstorbene jüdische Schriftsteller und Publizist Ralph Giordano sehr kritisch auseinandergesetzt und bereits 1987 ein Buch darüber veröffentlicht. Es trägt den Titel „Die zweite Schuld oder Von der Ausgabe 43 Januar 2015 Last Deutscher zu sein“. In einer Neufassung aus dem Jahr 2000 hat Giordano bedingt durch das Ende der DDR und seiner Folgen zusätzlich noch Erweiterung und Änderungen hinzugefügt. Von seiner Aktualität hat der Band aber nichts eingebüßt. Im Gegenteil, angesichts der nicht abreißenden Welle von rechtsextremer Propaganda und Agitation ist Ralph Giordanos von Zorn und Trauer getragene Kritik an der zweiten Schuld der Deutschen, also der Verdrängung und Verleugnung der ersten unter Hitler, aktueller denn je. Er vertritt nicht die These einer Kollektivschuld der Nachgeborenen. Sein Buch ist den „schuldlos beladenen Söhnen, Töchtern, Enkelinnen und Enkeln“ gewidmet. Wohl aber weist er überzeugend nach, dass die Unterscheidung zwischen den bösen Nationalsozialisten und den übrigen Deutschen, die alle „nichts gewusst“ haben wollen, völlig verfehlt ist. Vielmehr sei der nationalsozialistische Repressionsapparat seit 1936 überbesetzt gewesen, denn die politische Gesinnung der Bevölkerungsmehrheit machte ihn seiner Ansicht nach jedenfalls nicht notwendig. Angesichts der tief verankerten Zustimmung zum Nationalsozialismus verwundert die Verdrängung und Verleugnung des Nazi-Unwesens in der Bundesrepublik kaum noch. Eine Art von „kalter Amnestie“ führte dazu, dass viele Funktionsträger des Nazi-Reichs, von Wirtschaftsführern über Diplomaten und Militärs bis hin zu Blutrichtern und Staatsanwälten bis 1958 wieder in die Gesellschaft eingegliedert waren. Die Folgen dieser moralischen Katastrophe des Verdrängens haben die politische Kultur der Bundesrepublik lange geprägt und sind bis heute zu spüren. Giordano versucht mit seinem Buch zu ergründen, wie es zum Verlust der humanen Orientierung kam – ein Topos, der sich durch das ganze Buch zieht. Er will der Verdrängung entgegenwirken, weil die Lebenslüge der für das Dritte Reich verantwortlichen Generation bis heute in unserer Gesellschaft nachwirkt. Wie sehr, macht die im Anhang abgedruckte Auswahl an teils erschreckenden Briefen deutlich, die der Autor nach der Erstveröffentlichung erhalten hat. Ralph Giordano gelingt eine gnadenlose Abrechnung mit einer langen politischen Mängelliste bundesdeutscher Wirklichkeit. Es wurde geschrieben, damit sich nicht wiederholt, was schon einmal in Verfolgung und Krieg mündete! Andreas Schlegel Das Buch: Ralph Giordano: Die zweite Schuld oder Von der Last Deutscher zu sein. Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln, 2000, ISBN 978-3-462-029437, 374 Seiten für 9,95 Euro 37 „Natürlich gibt das vorliegende Buch Erlebnisse und Eindrücke meiner bisher neun Reisen nach Kuba wieder. Aber mein Anliegen soll ein anderes sein. Es erscheint 2015. Die DDR, die anderen Länder des Realsozialismus und die Sowjetunion sind Vergangenheit. Sprechen wir von revolutionären Prozessen, dann vollziehen sie sich weiterhin in Kuba und – nach einem Ausspruch von Hugo Chávez über >Sozialismus im 21. Jahrhundert< – in einer Gruppe von Ländern Lateinamerikas“. Hans Modrow In eigener Sache: Wir möchten uns bei allen Leserinnen und Lesern für die zahlreichen Spenden, die uns erreichten, recht herzlich bedanken. Das hilft uns, in Zeiten, wo Preise ständig steigen, unser Bulletin auch mit diesen zu finanzieren, zumal die Erarbeitung und Herausgabe unseres Bulletins ausschließlich ehrenamtlich erfolgt. Besten Dank. Eine Bitte an unsere Leserinnen und Leser. Bei Veränderung der postalischen Anschrift bitten wir uns dies per Email bzw. per Post anzuzeigen, damit wir in der Lage sind, Ihnen die jeweilige Ausgabe rechtzeitig zuzustellen. Das erspart Zeit und Porto gebühren. Besten Dank. Spendenkonto: DIE LINKE Parteivorstand IBAN: DE38100900005000600000 BIC: BEVODEBB, Berliner Volksbank e.G. Kennwort: GSD Impressum: Herausgeber: SprecherInnen- und Koordinierungsrat des Geraer Sozialistischer Dialog in der Partei DIE LINKE Redaktioneller Beirat: Anton Latzo, Ekkehard Lieberam, Michael Mäde, Renato Lorenz Satz: Thomas Schneider V.i.S.d.P.: Joachim Traut Kontakt: Joachim Traut, Robert-Koch-Straße 25; 98527 Suhl Tel.: 03681/707402 Email: [email protected] Redaktionsschluss: 19. Januar 2015 38 marxistische Theorie und sozialistische Politik Bulletin ● Geraer Sozialistischer Dialog
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